Die Privatwirtschaft rettet die Kultur nicht – Sie entwendet sie mit den Steuergeldern, die sie nicht gezahlt hat

Die Privatwirtschaft rettet die Kultur nicht – Sie entwendet sie mit den Steuergeldern, die sie nicht gezahlt hat

Die Privatwirtschaft rettet die Kultur nicht – Sie entwendet sie mit den Steuergeldern, die sie nicht gezahlt hat

Ein Artikel von: Tobias Riegel

„Private Großspender“ und „wohlhabende Philanthropen“ erfahren noch immer Respekt dafür, dass sie Kultur erst „möglich machen“ würden. Dieser Respekt ist unverdient und die Zeiten der Instrumentalisierung der Kultur sollten vorbei sein. Nicht nur der Fall Notre-Dame zeigt: Auch bei der Kultur muss der Staat Handlungsfähigkeit zurückerobern. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Haben private Großspender das Recht, die Kulturlandschaften zu prägen, nur weil sie wohlhabend sind? Haben Sie das Recht, sich als besonders „freigiebige“ Mitglieder der Gesellschaft darzustellen und mit diesem ungerechtfertigten Status zu werben? Muss man ihnen gar für ihr „kulturelles Engagement“ dankbar sein? Und: Hat der Staat das Recht, die Konzerne durch seine Untätigkeit erst in die Lage zu versetzen, sich als „kulturelle Wohltäter“ produzieren zu können? Unter anderem diese Fragen werden durch die Debatte um die Pariser Kathedrale Notre-Dame und andere Facetten des privaten Kultur-Sponsorings aufgeworfen.

Spenden „sind nun mal freiwillig“

So hat sich laut „Spiegel“ etwa in der Kontroverse über hohe Spendensummen privater Großverdiener für den Wiederaufbau von Notre-Dame Frankreichs Regierung zu Wort gemeldet. Der Beauftragte für Kulturgüter rief demnach zu mehr Gelassenheit auf: “Man kann nicht schockiert sein von der Tatsache, dass Menschen das Gefühl haben, Notre-Dame de Paris sei so etwas wie die Seele Frankreichs”, sagte Stéphane Bern dem Sender Franceinfo. Mehr als eine Milliarde Euro sind für den Wiederaufbau bislang gespendet worden. “Ich würde mir wünschen, dass man zwei Milliarden gibt, damit niemand mehr auf der Straße schlafen muss”, sagte Bern.

Dann kommt der entscheidende Satz: Gleichzeitig müsse man aber bedenken, dass Spenden eine freiwillige Angelegenheit seien, so Bern. „Freiwillig“ kann man im Kulturbetrieb (und nicht nur dort) auch als „willkürlich“ oder als „ganz nach dem eigenen Geschmack und zugunsten der eigenen Marke“ übersetzen. Spenden sollen in diesem Text nicht grundsätzlich kritisiert werden. Wohl kritisiert werden soll aber ein untragbares Ungleichgewicht, das die betreffenden Konzerne erst in die Lage versetzt, Einfluss auf die Kulturlandschaften zu nehmen: Der Rückzug des Staates mangels Finanzmitteln einerseits und das rasante Wachstum privater Vermögen mangels angemessener Steuerpolitik.

Kultursponsoring: „Vorbild“ USA

Flankiert wird der staatliche Rückzug aus seiner Verantwortung für eine kulturelle Versorgung durch zahlreiche Artikel wie diesem in der „Zeit“, der das in den USA vorherrschende Spenden-Modell als gangbare Alternative beschreibt: „Denn viel von dem, was in Europa ganz selbstverständlich der Staat macht, wird in den USA von Privatbürgern, gemeinschaftlichen Stiftungen oder gar Firmen organisiert.“

Aber es wird auch Kritik laut an der Auslieferung wichtiger gesellschaftlicher Bereiche an private Interessen und das Gutdünken der Geldgeber. So berichtet der „Deutschlandfunk“ über die aktuelle Debatte in Italien um Kulturförderung aus Saudi-Arabien und die selbst geschaffenen Finanzlücken, in die Sponsoren hineinstoßen können:

“Ohne mehr finanzielle Unterstützung durch Private werden nicht nur Musiktheater bald schon enorme Probleme haben, denn der Staat zieht sich immer mehr aus seiner kulturpolitischen Verantwortung heraus. Unter den vergangenen Regierungen wurden viele staatliche Kultureinrichtungen, Museen und Musiktheater in halbstaatliche Stiftungen umgewandelt, die sich zu einem guten Teil selbst finanzieren müssen.“

Der Artikel zitiert auch die positiven Bezüge auf das Sponsoring in den USA: „Doch was in den USA seit Langem funktioniert – die großzügige Hilfe durch private Geldgeber – klappt nicht in Italien.“ Ein anderer Bericht zeichnet allerdings das US-Sponsoring-System auch in unvorteilhaften Farben: So wachse die Kritik am „Einfluss der Reichen“ auf die Kulturlandschaft, die mit ihrem „Engagement“ zudem schamlos Eigenwerbung machten: „Ohne Philanthropen gäbe es keine Walt Disney Concert Hall und keinen Erweiterungsbau für das Los Angeles County Museum of Art (LACMA) von Architekt Peter Zumthor. Kunstsammlerin Elaine Wynn gab für die Erweiterung 50 Millionen, Fernsehmogul Jerrold Perenchio 25 und Filmproduzent Geffen 150 Millionen. Der Neubau wird ‚David Geffen Galleries‘ heißen.“

Zu viel Einfluss für einzelne Personen

Der ehemalige US-Präsident Theodore Roosevelt sagte angeblich einst: „Keine Summe an gespendetem Vermögen kann dafür entschädigen, wie es erworben wurde.“ Und der US-Kommentator David Callahan sagt heute: „Meine Bedenken sind außerdem, dass auch das, was am Ende präsentiert wird, vor allem das Denken von reichen Unternehmern reflektiert. Und die denken nicht wie du und ich. Weil reiche Spender sagen, wo es langgeht, werden vor allem ihre Ansichten und Werte reflektiert.“ Als Beispiel nennt er den auch politisch ambitionierten Spender Eli Broad:„Alle lieben sein Museum und was er für die Kunstszene getan hat. Aber warum soll er als einzelne Person so viel Einfluss auf die Politik haben? Nur weil er reich ist? Das ist nicht demokratisch. Er steuert mit seinem Geld Kunst und politische Reformen. Das ist viel Macht für einen Mann.“

In gänzlich anderem Licht als das Kultursponsoring in den USA sieht der „Deutschlandfunk“ naturgemäß das vergleichbare Phänomen in Russland: „Das Vermögen der Oligarchen spielt im Kultursponsoring in Russland eine große Rolle. Ob die Gelder auf legalem Wege erwirtschaftet wurden, ist dabei nicht so wichtig. Hauptsache, es wird keine Kritik am herrschenden System und Vladimir Putin geübt.“

Kultursponsoring in Deutschland: Ursache und Wirkung

Wie steht es aber um die Wirksamkeit der mit Kultur verbundenen Werbung in Deutschland? Die „FAZ“ schreibt dazu einerseits, dass „ Studien belegen, dass Kultursponsoring keine direkten und kurzfristig messbaren Effekte auf den Unternehmensgewinn“ hätten. Andererseits erklärt im selben Artikel Nikolaus Reichert vom Autobauer Skoda, dass „die weichen Werte“, die beim Kultursponsoring über die Jahre entstehen würden, „sich auf lange Sicht bezahlt machen“: Wiedererkennbarkeit als „engagierter Kulturförderer”, das könne er belegen, leiste mehr als die schnelle Rabattaktion.

Die Marketing-Wirkung des Kultursponsoring betont auch das darauf spezialisierte Web-Portal „Kulturmarken.de“: „Kultursponsoring wirkt! Erfolgreiche Sponsoringbeispiele der letzten Jahre belegen, dass Kultursponsoring kulturelle Prozesse beflügeln und Marken mit Sympathie aufladen kann. Informieren Sie sich über eindrucksvolle und erfolgreiche Sponsoringengagements der Wirtschaft.“ In der Folge kann man sich über die weitreichenden Einmischungen großer Firmen in die lokale bis nationale Kulturpolitik informieren. Diese Firmen praktizieren ihre als „Engagement“ kaschierte Einmischung in Gemeinwohl-Entscheidungen nicht stillschweigend. Sie nutzen sie zusätzlich als Werbung für ihre Produkte, wie etwa Bayer, Porsche, Hypovereinsbank oder BMW offen zugeben.

Gegen die Indoktrination durch „weiche Werte“ – ein üppiger Kulturhaushalt hilft

Die ersten Mittel gegen die Indoktrination durch „weiche Werte“ und die einhergehende und anmaßende Prägung der Kulturlandschaft durch einzelne Privatpersonen wären ein üppiger staatlicher Kulturhaushalt und eine gerechte Steuerpolitik, die einzelne private Vermögen nicht obszön anwachsen ließe. Einen Überblick über die staatlichen Anstrengungen Deutschlands im Kulturbereich liefert etwa der Kulturfinanzbericht des Bundes und der Länder. Es ist interessant, dass selbst dieser Bericht zunächst das „privatwirtschaftliche Engagement“ nennt, bevor er auf die öffentliche Verantwortung zu sprechen kommt:

„Die kulturelle Vielfalt in unserem Land beruht nicht nur auf vielfältigem ehrenamtlichem und privatwirtschaftlichem Engagement, sondern auch auf der Kunst- und Kulturförderung in gemeinsamer Verantwortung von Bund, Ländern und Kommunen.“

Laut Bericht tragen neben den Ländern (40,3 %) und dem Bund (14,8 %) vor allem die Städte und Gemeinden mit knapp 45 % den größten Anteil an den Kulturausgaben der öffentlichen Hand in Höhe von insgesamt rund 10,4 Milliarden Euro. Es ist kein Wunder, dass die kaputtgesparten Kommunen ihren permanenten Spardruck oft zunächst an die angeblich „nicht essenzielle“ Kultur weitergeben. Immerhin ist die Tendenz des Kulturhaushaltes insgesamt nicht rückläufig. So stellt die öffentliche Hand laut dem Bericht von 2018 im Jahr 2015 insgesamt 10,4 Milliarden Euro für Kultur zur Verfügung. Im Vergleich zum Vorjahr entspreche dies einem Anstieg von 1,7 %. Zwischen 2005 und 2015 wurden die öffentlichen Kulturausgaben laut Bericht von acht Milliarden Euro um 30,5 % erhöht.

Private Tendenz zu „Leuchttürmen“ – Provinz geht leer aus

Ein zusätzliches Problem des privaten Sponsorings ist die Tendenz zu Leuchttürmen und die Ignoranz gegenüber einer weniger sensationellen Grundversorgung: Die Provinz und die unbekannteren Institutionen und Künstler werden mit Missachtung gestraft. Doch selbst Betreiber eines kulturellen Leuchtturms begeben sich durch die private Förderung in die Hand willkürlicher privater Entscheidungen, wie die „Süddeutsche Zeitung“ am Beispiel der Bayerischen Staatsoper beschreibt: „Kulturleute kennen das. Wechselt etwa der CEO einer Firma, die sie gerade noch gesponsert hat, endet prompt die Unterstützung – er entspannt eben lieber beim Fliegenfischen als bei Wagner.“ Die Oper hatte „Glück“ – auch der neue Eigentümer fördert weiter. Für Nikolaus Bachler, den Intendanten der Staatsoper, ist das Anlass für eine unwürdige Huldigung an den betreffenden Firmenmanager Wolfgang Reitzle: “Wir haben einen Schutzengel, und der heißt Wolfgang Reitzle.“

Wie sich ein einzelner Unternehmer anschickt, die Kulturlandschaft „seiner“ Stadt zu dominieren, kann man in Potsdam beobachten: Der Chef der Software-Firma SAP Hasso Plattner durfte sich dort etwa mit dem „Museum Barberini“ ein persönliches Kulturdenkmal schaffen, das mutmaßlich positiv auf seine Computer-Produkte abfärben soll. Im Museum entwickelt man durchaus politisches Sendungsbewusstsein, etwa als die DDR-Kunst präsentiert wurde. Für das Projekt hat der Milliardär Plattner nun sein städtisches Portfolio noch erweitert. Die Stadtverordneten von Potsdam entschieden kürzlich ohne Gegenstimme, den Verkauf von Grundstücken am Brauhausberg an die Hasso-Plattner-Stiftung vorzubereiten. Die Stiftung des Softwaremilliardärs möchte laut „Neues Deutschland“ das »Minsk« als Unikat der DDR-Architektur erhalten und als Museum für die derzeit im Museum Barberini ausgestellte DDR-Kunst nutzen.

Wenn der Modigliani im Privatsafe endet

Eine besonders extreme Form des anmaßenden „Anspruchs“ an die Weltkultur durch Superreiche ist das Horten von epochalen Werken in Privatgemächern – denn dadurch wird die Kunst nicht nur durch Werbung kontaminiert, sondern sie wird der Allgemeinheit gleich vollständig entzogen. Dass anonyme Käufer bei Auktionen etwa für einen Modigliani oder einen (angeblichen) Leonardo da Vinci mehrere hundert Millionen Dollar bezahlen, hilft den restlichen Menschen nicht weiter, für sie sind diese Bilder verloren, wenn sie im Privatsafe landen.

Es ist höchste Zeit, allen hier beschriebenen Facetten der kulturellen Einflussnahme und Verknappung durch Privatleute entgegenzutreten. Dabei wäre eine Finanz- und Kulturpolitik hilfreich, die den Staat mit ausreichend Mitteln versorgt und gleichzeitig das Entstehen von Privatvermögen in obszöner Höhe (und die damit einhergehende Machtposition) verhindert. Wie bereits gesagt: Spenden sollen nicht grundsätzlich diffamiert werden. Aber sie dürfen nicht als Vorwand für staatliche Kürzungen dienen, sie dürfen nicht zur Werbung missbraucht werden und sie dürfen nicht mit politischer Einflussnahme verbunden sein.

Auch Digitalisierung bietet Einfallstor

Der staatlich erzeugte Mangel bietet der Privatwirtschaft nicht nur auf dem Gebiet der Kultur ein Einfallstor. Ein aktuelles weiteres und drängendes Beispiel ist die „Digitalisierung des Klassenzimmers“: Auch hier sollte darauf geachtet werden, dass die Not der einzelnen Schulen nicht durch „Spenden“ etwa von Microsoft oder Bertelsmann zunächst „gelindert“ wird und diese privaten „Zuwendungen“ nach und nach als „unverzichtbar“ behandelt werden.

Titelbild: Viacheslav Lopatin / Shutterstock

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