Rezension: Mythen der Krise – Einsprüche gegen falsche Lehren aus dem großen Crash

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Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist noch lange nicht überwunden, und der Kampf um die Deutungshoheit der Ursachen ist in vollem Gang. Die Nachdenkseiten haben bereits oft auf verschiedene Legenden hingewiesen, die um das Thema Finanzkrise gesponnen werden. Der Kampf um die Deutungshoheit folgt einem klaren Kalkül: Wer soll die Kosten der Krise tragen? Aus diesem Anlass haben der Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- umweltpolitische Alternativen (BEIGEWUM) und ATTAC Österreich das Buch „Mythen der Krise. Einsprüche gegen falsche Lehren aus dem großen Crash“ herausgegeben, das Katharina Muhr für die Nachdenkseiten rezensiert hat.

Die öffentliche Debatte und die aktuelle Berichterstattung, Diskussionen und Analysen über Ursachen, Verlauf und Lösungsansätze der Finanz- und Wirtschaftskrise lösen bei vielen Menschen Unbehagen aus: Man spürt die Meinungsmache förmlich. Es fehlen aber oft fundierte Hintergrundinformationen, um die Zusammenhänge zu verstehen. Die Nachdenkseiten leisten hier seit langem einen Beitrag zur Aufklärung. Das nun im VSA erschienene Buch „Mythen der Krise“ tut dies ebenfalls.

Das Buch wurde von einem AutorInnenkollektiv kritischer ÖkonomInnen und SozialwissenschaftlerInnen geschrieben und richtet sich bewusst nicht an die scientific community. So wird in der Einleitung das Ziel formuliert zu „einer breiteren wirtschaftlichen Bildung beizutragen, die sich gegen vermeintliches ExpertInnenwissen behaupten kann“. Ein zentrales Anliegen ist es, vor allem auch Nicht-ÖkonomInnen fundiertes Hintergrundwissen und Argumentationslinien für die alltägliche Krisendiskussion bereitzustellen.

Mythen der Krise will „gängige Argumentationsmuster der Krise auf ihre Plausibilität hin durchleuchte[n] und Gegenargumente“ suchen, heißt es vielversprechend in der Einleitung. Dazu werden im Folgenden 18 kursierende Mythen kritisch hinterfragt, die den drei Themenblöcken „Krisenursachen“, „Krisendynamiken“ und „Krisenlösungen“ zugeordnet wurden.

Wenn in der Einleitung darauf hingewiesen wird, dass insbesondere zu Beginn der Krise die herrschenden wirtschaftspolitischen Theorien in Frage gestellt wurden, so darf man sich hier keine Einführung in eine neue wirtschaftspolitische Theorie erwarten. Dies kann und will das Mythen-Buch nicht leisten. Es geht vielmehr darum kurz und verständlich den theoretischen Hintergrund darzustellen, in dem die aktuellen wirtschaftspolitischen Debatten einzuordnen sind.

Durch das gesamte Buch hinweg wird immer wieder versucht mit dem Opfer-Täter Schema, das die Finanz- und Wirtschaftskrise beinahe zu einer der spannendsten Kriminalgeschichten des 21. Jahrhunderts gedeihen lassen könnte, zu brechen. Unter anderem folgende Mythen werden in diesem Zusammenhang aufgehoben: „Europa ist nur ein Opfer der Krise in den USA“; „Die »braven« Banken sind unschuldige Opfer“ oder „Die Gier der Bankvorstände hat die Finanzkrise verursacht“. Platte, zum Teil populistische Aussagen im Opfer-Täter Schema sind im Verständnis der AutorInnen unzureichend. Stattdessen werden systematische Zusammenhänge aufgezeigt und wirtschaftspolitische Lösungen angeboten. Die Verkettung des gesamten Wirtschafts- und Gesellschaftssystems wird als komplexes Phänomen analysiert.

Eine Stärke des Buches liegt darin, dass neben der Auseinandersetzung mit kursierenden Mythen auch neue bzw. in der Mainstream-Diskussion unterbelichtete Dimensionen in die Debatte um die Krise eingebracht werden. So wird der Finanzsektor nicht als geschlossenes System behandelt, er wird vielmehr als Teil des gesamten Wirtschafts- und Gesellschaftssystems betrachtet. Zudem lautet eine durchgängige Argumentation, dass wesentliche Krisenursachen in der ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung und den zu geringen staatlichen Aktivitäten in der Lösung der sozialen Frage zu finden sind.

Die Behandlung dieser „Wurzeln“ der Krise spielt unter anderem bei der Aufklärung folgender Mythen eine Rolle: „Die Einkommensverteilung war nicht das Problem“; „Zur staatlichen Bankenrettung gab es keine Alternative“; „ Die Zinspolitik der US- Zentralbank war falsch“; „Die Konjunkturpakete waren riesig und gefährden die Staatsfinanzen“ oder „Alle müssen den Gürtel enger schnallen“.

Das Buch bleibt nicht auf der Ebene einer rein deskriptiven Darstellung der Ursachen und des Verlaufs der Krise stehen. Insbesondere im letzten Abschnitt wird nach Lösungen gesucht und auch intensiver darauf eingegangen, mit welchen Argumenten man sich für die Diskussion rund um die Sparzwänge, die im Zuge der Krisenfinanzierung propagiert werden, wappnen kann.

Bei der Lektüre erhält man insgesamt den Eindruck, dass es ein Hauptanliegen des Buches ist, mit dem „Generalmythos“ aufzuräumen, die Finanzkrise habe isoliert auf dem Finanzsektor ihre Wurzeln und deshalb seien ihr Verlauf und die Lösungsansätze ausschließlich auf diesem Sektor zu suchen. Es wird massiver Einspruch dagegen erhoben, dass eine alleinige Neuregulierung des Finanzsektors zu einem „krisenfesten“ und ausgeglichenem System führen wird. Ohne eine insgesamt gestärkte Rolle des Staates, Umverteilung bei Vermögen- und Einkommen sowie der Behandlung der sozialen Frage werden wir den Krisenstatus nicht in Richtung eines nachhaltigen Systems verlassen können, so der Grundtenor.

Die Vorschläge für eine Umverteilung der Einkommen- und Vermögen, alternative Konjunkturpakete sowie eine sozial gerechte Budgetkonsolidierung sind im Buch relativ ausgereift. Weitgehend offen bleibt allerdings die Frage, wie konkrete Lösungsansätze aussehen könnten, um dem Finanzsektor tatsächlich nach dem Verursacherprinzip zur Kasse zu bitten, welche Elemente eine sinnvolle Bankenregulierung enthalten soll und welche Auflagen bei einer staatlichen Bankenrettung tatsächlich sinnvoll erscheinen.

Das Inhaltsverzeichnis und eine Leseprobe finden Sie unter folgendem Link.

„Mythen der Krise. Einsprüche gegen falsche Lehren aus dem großen Crash“
Herausgegeben vom Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen und von Attac Österreich
VSA Verlag, 128 Seiten (Februar 2010)
EUR 10.80
ISBN 978–389965–373-1

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