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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JK/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Gut gebrüllt, Lemming
  2. Kubas Einfluss in Venezuela
  3. Die Millionen, die gingen
  4. Die Krise der EU und die Wahlen zum Europaparlament
  5. Warum die deutsche Wirtschaft so laut für Europa trommelt
  6. Grundrente darf nicht an Planlosigkeit scheitern
  7. Wohnungsnot
  8. Arsch hoch, Deutschland!
  9. Symbolische Gewalt – Was Armut und soziale Unsicherheit anrichten
  10. Minijobs: Subvention für krumme Geschäfte
  11. Immer wieder freitags
  12. Parteispenden und die „politische Willensbildung“
  13. Wie der Bundestag mit der IT-Lobby an der „Welt ohne Bargeld“ arbeitet
  14. Deutsche Türken Fremde
  15. Ein “Fitbit für Deine Karriere”
  16. Die Bundeswehr ist in Litauen unumstritten willkommen
  17. Ein “Muskelaufbauprogramm” für die EU
  18. Unser absurder Alltag

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Gut gebrüllt, Lemming
    Das klang so forsch und fesch, als Heiko Maas im August 2018 eine “balancierte Partnerschaft” mit den USA in Vorschlag brachte. In der sollte Deutschland “ein Gegengewicht bilden, wo die USA rote Linien überschreiten”.
    Da die Trump-Regierung mit ihrer Aggressivität gegenüber Venezuela dies gerade hingebungsvoll tut, wäre die Zeit reif, ein solches “Gegengewicht” in die Waagschale zu werfen.
    Die Südamerika-Reise des Ministers vor Tagen bot die Gelegenheit – doch weit gefehlt. Maas traf sich mit einem rechtsradikalen (Bolsonaro in Brasilia) sowie einem rechtskonservativen Staatschef (Duque in Bogotá) und gab wie diese den Frontkämpfer gegen das “Maduro-Regime”. Als sei er der Sozius des US-Kollegen Pompeo.
    Selbst der gescheiterte Putschversuch des venezolanischen Pseudo-Präsidenten Juan Guaidó am 30. April animierte nicht zu vorsichtigem Abrücken.
    Maas empfing in der kolumbianischen Kapitale mit Julio Borges den “Außenminister” Guaidós, als sei es neuerdings an Deutschland zu entscheiden, wie es um die Souveränität von Staaten und die Legitimität ihrer Regierungen bestellt ist.
    Statt “balancierter Partnerschaft” Bündniskonformität mit den USA, statt Heldenmut nur Herdenmut gegenüber Donald Trump, beherrscht von der Obsession des Regimewechsels.
    Als gäbe es nicht das Fiasko der seit 2011 betriebenen Politik gegenüber Syrien, die gleicher Intention folgte und an ihrer Unerschütterlichkeit scheiterte. Die dort inzwischen befriedeten Regionen regiert weiterhin Bashar al-Assad. […]
    Wer einen selbsternannten “Präsidenten” wie Guaidó anerkennt, um einen vereidigten wie Maduro zu stürzen, der beschädigt, was in der heutigen Welt an Rechtsordnung mühsam überlebt. Dabei zeigen sich die Parallelen beim Umgang mit Syrien und Venezuela nicht nur im Hang zur Dämonisierung von Gegnern, sprich: der Lust am Todfeind, den man nicht mehr dulden will, sondern nur noch erledigen kann wie einst Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi.
    Offenbar wird ebenso das Unvermögen zum realpolitischen Kalkül. An dessen Stelle tritt ideologisierte Außenpolitik, der die Proklamation von Menschenrechten mehr wert ist als der Erhalt von Menschenleben.
    Quelle: Freitag
  2. Kubas Einfluss in Venezuela
    Kuba gilt als entscheidender Player in der Venezuela-Krise. Die Verbrüderung von Fidel Castro und Hugo Chávez vor 20 Jahren schuf eine Win-Win-Situation für beide Länder.
    Die “unverbrüchliche Freundschaft” zwischen den Regierungen Kubas und Venezuelas geht zurück auf den früheren venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Er war ein Bewunderer von Kubas Revolutionsführer Fidel Castro. Vor 20 Jahren führte er den “Sozialismus des 21. Jahrhunderts” ein. Ihn habe die Idee fasziniert, Venezuela an Kuba auszuhändigen, meint der venezolanische Schriftsteller Alberto Barrera Tyszka. Er hat die kubanisch-venezolanischen Beziehungen in seinem Chávez-Roman “Die letzten Tage des Comandante” beleuchtet.
    Quelle: Tagesschau

    Anmerkung unseres Lesers G.R.: So gehen Verschwörungstheorien auf öffentlich-rechtlich. Eigentlich sind also die bösen Kommunisten aus Kuba die Drahtzieher hinter Maduro. Kronzeuge ist ein Literaturprofessor, der einen Roman über Chavez geschrieben hat.

    Ergänzende Anmerkung Albrecht Müller: Hier werden Macht und Fähigkeiten auf Seiten Kubas unterstellt, die es auch dank der fortgeführten US-Sanktionen gar nicht mehr gibt. Aber so sind halt die ARD und die Tagesschau. Durchgängig ein Manipulationsmedium.

  3. Die Millionen, die gingen
    Kurz nach der Wende befragte das Emnid-Institut die Ostdeutschen nach ihrer Lebenssituation. Die Demoskopen stellten fest, dass unter den Ostdeutschen eine depressive Stimmung herrsche wie sie “noch nie und nirgends zuvor” gemessen worden war. Mehr als ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung hatte das Gefühl, “in dieser Gesellschaft nicht mehr gebraucht zu werden”. Der Soziologe Paul Windolf schätzt, dass in den fünf Jahren nach der Wende bis zu 80 Prozent der erwerbstätigen Ostdeutschen vorübergehend oder auf Dauer ihren Job verloren. Es gab schon damals Erfolgsgeschichten im Osten, aber an vielen Orten breiteten sich Armut, Angst und Resignation aus.
    Doch nicht nur die Wanderung nach Westen hat die ostdeutsche Demografie verschoben. Die sozialen Verwerfungen nach der Wiedervereinigung ließen die Geburtenrate in Ostdeutschland drastisch einbrechen. Von 1990 bis 1994 sank die Geburtenziffer fast um die Hälfte. Viele Frauen und Männer, die nicht wussten, ob sie ihren Job behalten konnten, verschoben die Familiengründung oder verzichteten ganz auf Kinder. Mittlerweile werden im Osten wieder etwas mehr Kinder geboren als im Westen. Doch die Lücke, die in den Neunzigerjahren entstand, hat sich noch lange nicht geschlossen, und viele Orte überaltern.
    Am Beispiel der Kleinstadt Suhl kann man die Folgen wie unter einem Mikroskop beobachten. Keine andere Region hat seit 1991 so viele Menschen verloren wie die frühere Bezirksstadt in Thüringen. Zu DDR-Zeiten florierte Suhl durch den Fahrzeug- und Waffenhersteller Ernst Thälmann, der unter anderem Motorräder der Marke Simson produzierte. Nach der Wende wurde der Betrieb privatisiert, Motorräder der Marke Simson werden nicht mehr hergestellt. Mehr als ein Drittel der Einwohnerinnen und Einwohner ist gegangen. Unter dem Strich verlor Suhl rund 15 Prozent an den Westen und 24 Prozent an andere ostdeutsche Regionen.
    Quelle: Zeit

    Anmerkung JK: Entgegen allem Wiedervereinigungsjubel wird hier deutlich wie das Gebiet der ehemaligen DDR Ziel einer neoliberalen Schock-Therapie wurde. Dabei wurde mit Hilfe der Treuhand die neoliberale Ideologie radikal umgesetzt, mit zerstörerischen Folgen für die soziale Struktur der Gesellschaft, die bis heute noch nicht überwunden sind, die sich auch in den Wahlerfolgen der AfD und dem Zulauf zu rechtsextremen Gruppierungen manifestieren. Es ist zudem vermutlich nicht völlig von der Hand zu weisen, dass neben der Gelegenheit auf einem Staatsgebiet in einem Großexperiment die neoliberale Agenda durchzusetzen auch weitere Ideologische Gründe eine Rolle gespielt haben und zwar die völlige Auslöschung aller Institutionen der DDR-Gesellschaft als sozialistischen Gegenentwurf zum kapitalistischen System der Bundesrepublik.

    Zu diesem Artikel soll nicht unerwähnt bleiben, dass es sich um gute journalistische Arbeit handelt, die nüchtern die Fakten recherchiert und für sich sprechen lässt.

  4. Die Krise der EU und die Wahlen zum Europaparlament
    Der Aufschwung des Rechtspopulismus, der mit einer Stärkung der Re-Nationalisierungstendenzen in vielen Mitgliedstaaten einhergeht. Ein wesentlicher Treiber dieses Trends ist die verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU und der Eurozone nach der Großen Finanzkrise 2008/2009. Diese hat zwischen den Mitgliedstaaten die ökonomische Spaltung und innerhalb der Mitgliedstaaten die soziale Ungleichheit erheblich verstärkt. …
    Die wachsende Tendenz zu Rechtspopulismus und Nationalismus in Europa kann nur durch ein alternatives europäisches Wirtschafts- und Sozialmodell überwunden werden. Die neoliberale Sparpolitiken und die rigiden Arbeitsmarkt- und Sozialstaatsreformen, die vor allem in den mediterranen Ländern verhängnisvolle sozialökonomische Auswirkungen hatten und in den meisten EU-Staaten die soziale Spaltung verschärft haben, müssen beendet werden. Die EU braucht eine Wirtschaftsregierung, die gemeinsame und asymmetrische Krisen bekämpfen kann. Diese Regierung muss eine ökologisch nachhaltige und beschäftigungsorientierte Wirtschaftspolitik betreiben und mit Hilfe eines europäischen Investitionsprogramms die Überwindung der sozialökonomischen Spaltung in Europa in Angriff nehmen. Nach einer mehr als dreißigjährigen und weitgehend ergebnislosen Debatte über die soziale Dimension der Integration müssen endlich europäisch geregelte Mindestlöhne und europäisch koordinierte soziale Sicherungssysteme eingeführt werden, die den sozialen Fortschritt mit dem ökonomischen Entwicklungsniveau der Staaten Schritt halten lassen. In einem derartigen sozialökonomischen Umfeld hätten die Gewerkschaften beste Voraussetzungen für eine Re-Kollektivierung der Tarifbeziehungen und eine Wiederaufnahme der europäischen Koordinierung der Lohnpolitiken. Die heute immer stärker werdende Tendenz zum Irrationalismus in der europäischen Politik kann nur durch eine solidarische Wirtschafts- und Sozialpolitik überwunden werden, die sowohl die ökonomische und soziale Spaltung zwischen den Mitgliedstaaten als auch innerhalb der Staaten bekämpft.
    Quelle: attac

    Anmerkung JK: Wie das Beispiel Kroatiens zeigt heißt „Fit für den Euro“ neoliberale „Reformen“, heißt Kürzung der Löhne und der Sozialleistungen, die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, heißt Politik gegen die Mehrheit der eigenen Bürger und explizit gegen jene, die sowieso schon wenig im Portemonnaie haben. Dazu Arbeitsmigration, die die Strukturen öffentlicher Daseinsvorsorge an den Rand des Kollapses bringt. Kroatien ist noch nicht Mitglied der Euro-Zone aber schon greift das Austeritätsdiktat aus Brüssel. Aber wer das kritisiert ist dann „anti-europäisch“.

  5. Warum die deutsche Wirtschaft so laut für Europa trommelt
    Europa-Blau ist die Farbe der Stunde in der deutschen Wirtschaft. Nie zuvor engagierten sich Verbände, Unternehmen und deren Chefs so lautstark für Europa. Auf Plakaten und in Anzeigen, bei Veranstaltungen sowie in den sozialen Medien werben sie dafür, dass möglichst viele Menschen zur Urne gehen. Sie alle treibt das gleiche Ziel um: Eine hohe Wahlbeteiligung soll verhindern, dass populistische Parteien stark abschneiden.
    „Wir wollen ein starkes, vielfältiges, wettbewerbsfähiges Europa“, schreiben beispielsweise die Spitzenverbände von Arbeitgebern (BDA), Industrie (BDI), Handelskammern (DIHK) und Handwerk (ZDH) in einem gemeinsamen Appell. Nur eine geschlossene und handlungsfähige Europäische Union sei in der Lage, auf Augenhöhe mit anderen Weltmächten zu verhandeln und „die uns verbindenden Werte und wirtschaftlichen Interessen zu verteidigen“. Ein einzelner Staat wie Deutschland sei zu klein dafür. …
    Auch Vorstand und Betriebsrat von Volkswagen haben einen gemeinsamen Aufruf an die Belegschaft gerichtet – und darin ein Bekenntnis zu Europa und zur europäischen Union abgegeben. Adressat sind die aktuell 490.000 Beschäftigten des Konzerns in den 29 EU-Ländern.
    „Vom 23. bis 26. Mai finden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Diese Wahl wird richtungsweisend für die Zukunft Europas sein“, heißt es in dem Aufruf, auf dass ganz gleich in welchem Mitgliedsland niemand den Termin versäumt und einfach zu Hause bleibt.
    Dann geben Vorstand und Betriebsrat gleich noch ein paar motivierende Gründe mit auf den Weg zur Urne: Der Europäische Binnenmarkt, grenzüberschreitender Handel sowie die Freizügigkeit für Fachkräfte und der Austausch von Wissen seien Grundbedingungen der Wettbewerbsfähigkeit des Konzerns, schließlich werde rund die Hälfte des Umsatzes in Europa erwirtschaftet. …
    Gerade Branchen, die vom Export abhängig sind und für Deutschlands Wirtschaftskraft besonders wichtig, bangen um ihre Zukunft. „Natürlich haben gerade wir Mittelständler immens von der Schaffung des Binnenmarkts profitiert“, sagt Karl Haeusgen, Vizepräsident des Maschinenbauverbands VDMA und Eigentümer von HAWE Hydraulik aus München, einem Hersteller von hydraulischen Komponenten und Systemen mit einem Umsatz von gut 300 Millionen Euro.
    Quelle: Welt

    Anmerkung JK: Es ist zu vermuten, dass niemand den Zynismus bemerkt, der hinter der plötzlichen Europa-Euphorie der deutschen Wirtschaftsbosse steckt. Das Erstarken rechtspopulistischer Parteien in vielen europäischen Ländern ist gerade auch auf die deutsche Exportwalze zurückzuführen, die die anderen Volkswirtschaften in die Klemme bringt und dort zu Arbeitslosigkeit, Verschuldung und Sozialabbau führt. Nach den Vorstellungen der Bosse soll genau das fortgesetzt werden, was zu dem geführt hat vor dem diese nun so vehement warnen. Für die Herren der deutschen Industrie ist ein ideales Europa ein Europa das als riesiger Binnenmarkt für deutsche Waren und als Reservoir für billige Arbeitskräfte dient. Umso schöner, wenn man dies hinter blumigen Phrasen von offenen Grenzen und kultureller Vielfalt verstecken kann. Würde es jemand wirklich ernst mit Europa meinen müsste er gerade das Ende der deutschen ‘beggar-thy-neighbour’ Politik fordern.

  6. Grundrente darf nicht an Planlosigkeit scheitern
    „Der Zahlensalat, den Union und SPD jetzt zur Finanzierung der sogenannten Grundrente anrichten, ist absolut unwürdig“, kritisiert Matthias W. Birkwald, rentenpolitsicher Sprecher der Fraktion DIE LINKE. Birkwald weiter:
    „Der Finanzminister befeuert erst mit seinem Festhalten an der Schwarzen Null und einer Voodoo-Steuerschätzung die völlige Fehleinschätzung, dass wir kurz vor einer Staatspleite stünden. Der Sozialminister will sich ein paar hundert Millionen von der Arbeitslosenversicherung und von der Krankenversicherung zusammenkratzen, die er nie bekommen wird. Die Union pocht auf einmal auf eine Steuerfinanzierung, die sie bei der sogenannten Mütterrente immer abgelehnt hat, und sie blockiert das ganze Grundrentenprojekt mit ihrer ungerechtfertigten Forderung nach einer Bedürftigkeitsprüfung für das Existenzminimum.
    Anscheinend hat die große Koalition komplett den Durchblick verloren. Mit diesem Chaos kann sich keine der beiden Parteien profilieren, sondern beide können nur verlieren, da sie sich weigern, Altersarmut und Niedriglöhne zu bekämpfen. DIE LINKE fordert die ‚Rente nach Mindestentgeltpunkten‘ zu entfristen und vollständig aus Steuern zu finanzieren. Wenn die Schwarz-Rote Koalition die Kosten für die ‚Grundrente‘ langfristig und nachhaltig drücken will, muss sie den Niedriglohnsektor wirksam austrocknen und den gesetzlichen Mindestlohn zügig auf 12 Euro anheben. Ich fordere die Rechenkünstler und Rechenkünstlerinnen im Finanzministerium und im Arbeitsministerium auf, dazu eine qualifizierte Schätzung vorzulegen. Der unwürdige Streit, der auf dem Rücken der Menschen ausgetragen wird, muss endlich beendet werden.”
    Quelle: Die Linke. im Bundestag
  7. Wohnungsnot
    1. Das deutsche Bau-Debakel wird zum Problem für die Mieter
      Die Wohnkosten vor allem in den Städten steigen weiter, und die meisten Akteure in Politik und Wirtschaft reagieren mit dem Appell: „Bauen, bauen, bauen.“ Wenn das Angebot größer wird, so die Theorie, dann sinken auch die Preise wieder.
      Doch zunehmend zeigt sich, dass die neu gebauten Wohnungen für Normalverdiener in den großen Städten gar nicht geeignet sind. Das liegt auch daran, dass in gefragten Lagen vor allem teure Eigentumswohnungen entstehen. Bei Sozialwohnungen hingegen ist die Bedarfslücke enorm groß: Dem Verbändebündnis Wohnungsbau zufolge müssten jährlich 80.000 Sozialwohnungen gebaut werden. Tatsächlich sind es nur 26.000 Einheiten. Gleichzeitig verschwinden jedes Jahr Zehntausende Einheiten vom Markt, weil die Preisbindungsfrist ausläuft.
      Es liegt aber auch am Bauland, das immer teurer wird. Vor allem private Bauträger und Projektentwickler überbieten sich im Wettbewerb um attraktive Flächen und zahlen in den großen Städten inzwischen weit mehr als 1000 Euro pro Quadratmeter. Welche Folgen das hat, zeigt eine Studie des Prognos-Instituts, die am Donnerstag vorgestellt wurde.
      Demnach sind innerhalb von nur sechs Jahren die durchschnittlichen Quadratmeterpreise für Bauland in den sieben größten Städten von 600 auf 1120 Euro gestiegen. Selbst in mittelgroßen Städten gingen die Preise nach oben, von 240 auf 500. Eine besondere Zahl kursiert inzwischen in Bezug auf München: Dort haben sich die Baulandpreise seit 1950 um 39.000 Prozent verteuert. …
      Nicht nur Sozialwohnungen fehlen, sondern überhaupt bezahlbare Neubauten. Tobias Koch, Mitautor der Prognos-Studie, stellt eigenen Beobachtungen zufolge fest: „Mittlerweile findet die Verdichtung auf kleinster Ebene statt.“ Berufstätige Mieter müssten immer enger zusammenrücken. „Es gibt nicht mehr nur Studenten-WGs, sondern Wohngemeinschaften mit Polizisten oder Lehrern“, so Koch.
      Quelle: Welt
    2. Unbezahlbaren Wohnraum haben wir ausreichend
      Seit Jahrzehnten investiert der Staat immer weniger in Sozialwohnungen. Ein Bündnis von Bau-, Immobilien- und Mieterverbänden mahnt jetzt zur Eile.
      Die Wohnungsmisere in den deutschen Großstädten, zumal in Berlin, kam nicht über Nacht: Seit fast vierzig Jahren investiert der Staat zunehmend weniger in den sozialen Wohnungsbau. Gleichzeitig fallen mehr Wohnungen aus der Sozialbindung, als neue Sozialwohnungen gebaut werden. Die Folgen sind bekannt: Normal- und Geringverdiener finden nur schwer geeignete Wohnungen, Ideologen finden fruchtbaren Boden. Dass in dem Thema ungeheurer sozialer Sprengstoff liegt, zeigen die Debatten in der Hauptstadt. Enteignung lautet hier das neue Zauberwort.
      Quelle: Tagesspiegel
    3. Die Tricks mit Mieten und Wohnen
      Die Mietpreise explodieren, Menschen werden aus ihren Wohnungen gedrängt: Längst scheint der deutsche Wohnungsmarkt außer Kontrolle. Und er wird immer brutaler und gnadenloser.
      Markt-Moderator Jo Hiller zeigt erschreckende Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt in Norddeutschland. Er besucht eine Familie an der Nordsee, die seit Monaten in einer Obdachlosenunterkunft leben muss, weil sie keine Wohnung findet. Er befragt Investoren, die mit fragwürdigen Mitteln Mieter drangsalieren. Und er trifft einen ehemaligen Bürgermeister, der sich dafür entschuldigt, dass er einst städtische Wohnungen verkauft hat und heute für die Sorgen sehr vieler Mieter mit verantwortlich ist.
      Quelle: NDR

      Anmerkung JK: Die Wohnungsnot zusammen mit den rasant steigenden Mieten ist inzwischen das drängendste soziale und ökonomische Problem in Deutschland. Die Politik reagiert angesichts der katastrophalen Entwicklung mit erstaunlichem Desinteresse und hofiert lieber weiter die “Investoren” als die Interessen der Bürger zu berücksichtigen. Das agieren der SPD ist hier wieder einmal paradigmatisch für den Zustand der deutschen Politik und dafür welche Themen für die politische Elite von Relevanz sind. Eigentlich müsste die Wohnungsnot bei jeder im Bundestag vertretenen Parteien an oberster Stelle ihrer politischen Agenda stehen.

    4. Mietendeckel sofort einführen
      Solange die SPD mit der Union regiert, wird es keine wirksame Mietpreisbremse geben. Das dürfte auch Justizministerin Barley wissen, die das Thema im Europawahlkampf für sich entdeckt hat und nun ein bisschen Opposition spielt. Dabei wäre ein Gesetz, das sämtliche Mieten wirksam deckelt und der preistreibenden Immobilienspekulation den Boden entzieht, angesichts der Wohnungsnot mehr als überfällig. Punktuelle Verschärfungen, wie sie Frau Barley vorgeschlagen hat, reichen nicht aus, zumal sie die Mehrheit der Mietverhältnisse gar nicht betreffen“, erklärt die Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, Sahra Wagenknecht, zu den Vorschlägen von Katarina Barley zur Verschärfung der sogenannten Mietpreisbremse. Wagenknecht weiter:
      „Im Gegensatz zur Union unterstützt DIE LINKE jede substantielle Verbesserung der Situation für die Mieterinnen und Mieter. Dass diese auch rückwirkend zu viel gezahltes Geld vom Vermieter zurückverlangen können, ist überfällig, aber bei weitem nicht ausreichend. Eine echte Mietpreisbremse muss ausnahmslos und flächendeckend alle Mietverhältnisse umfassen, Verstöße müssten mit Bußgeldern sanktioniert und die Modernisierungsumlage in dieser Form abgeschafft werden. Nötig wäre ferner ein qualifizierter Mietspiegel, der alle Mietverhältnisse der letzten zehn Jahre berücksichtigt, sowie ein verbesserter Schutz der Mieterinnen und Mieter vor Kündigungen und Zwangsräumungen.“
      Quelle: DIE LINKE
  8. Arsch hoch, Deutschland!
    Die “Rabiat”-Reportage “Arsch hoch, Deutschland!” zeigt ein Sittengemälde der Abgehängten und Unzufriedenen in Zeiten der Vollbeschäftigung. Egal, ob in Ost oder West, sieht das Bild ähnlich aus: Die Armut nimmt zu, trotz sinkender Arbeitslosigkeit. Wer arm ist, ergibt sich, in manchen Familien über Generationen hinweg. Warum eigentlich, fragt “Rabiat”-Autorin Anne Thiele sich, die Protagonisten und die Zuschauer.
    Berlin Marzahn, 5:30 Uhr am Neujahrsmorgen. Kerstin Brandt sammelt das, was vom Rausch der Nacht liegen geblieben ist. “Hier, 15 Cent!” Drei Stunden später hat die 30-jährige Berlinerin eine Ausbeute von vier Euro Pfand. “Das Geld liegt auf der Straße!” Kerstin ist Mutter von zwei Kindern, sie geht sechs Stunden am Tag arbeiten, fünf Tage die Woche. Dennoch muss sie mit Hartz IV aufstocken. Als arm empfindet sich Kerstin trotzdem nicht. Auch wenn sie es per Definition ist. Kerstin schöpft alle Möglichkeiten aus, die der Staat ihr bietet. “Was mir zusteht, krieg ich. Man muss nur wissen, wie. Viele wissen das nicht.” Durch ihren Job hat Kerstin 200 Euro mehr raus, als durch den Hartz-IV-Satz von aktuell 424 Euro. “Ein Anreiz, Arbeiten zu gehen, ist das eigentlich nicht. Aber ohne fällt mir die Decke auf den Kopf.”
    Aktuell sind ca. 1,2 Mio. Erwerbstätige wie Kerstin zusätzlich zu ihrem Einkommen auf Hartz IV angewiesen. Ca. weitere zwei Millionen haben Anspruch darauf, ohne es zu beziehen. Jeder Sechste lebt in Deutschland in relativer Armut. Andere haben Angst vorm Abstieg oder leben seit Jahren in prekären Verhältnissen. Trotz Sozialstaat und Vollbeschäftigung. In einem Land, das seit Jahren wirtschaftlich boomt und zu den reichsten Ländern Europas gehört. Selbst dran schuld? Wer nur richtig will, der kriegt einen Job?
    Quelle: Das Erste

    Dazu eine Dokumentation zur aberwitzigen Sanktionspraxis der Jobcenter: Grundrechte Brandbrief

  9. Symbolische Gewalt – Was Armut und soziale Unsicherheit anrichten
    Was macht die Armut mit einem? Laut dem französischen Philosophen Pierre Bourdieu geht es nicht nur darum, wenig zu haben, sondern auch darum, wenig zu sein. Der sogenannte Leistungsträger sonnt sich in seinem Erfolg, der Arme hat etwas falsch gemacht in seinem Leben. Es geht um soziale Anerkennung, um den Wert der eigenen Person. Der wird demontiert, wenn dem Armen mehr oder weniger deutlich zu verstehen gegeben wird: Du hast nichts Besseres verdient, Du bist nicht mehr wert.
    Armut in reichen Gesellschaften ist deswegen kein absoluter, sondern ein relativer Begriff. Unsere Gesellschaft zelebriert Unterschiede, glorifiziert sie als Konkurrenz. Armut heißt, immerfort vorgehalten zu bekommen, versagt zu haben. Aber haben die unteren 20 Prozent wirklich eine Chance? Und warum müssen seit Hartz IV sich Antragstellerinnen und Antragsteller quasi rechtfertigen, warum sie Leistungen beanspruchen? Bourdieu hat das als „symbolische Gewalt“ gekennzeichnet, als das Herabwürdigen von Menschen zu Bittstellern. Was nicht ein Akt individueller Grausamkeit ist, sondern ein Fehler im System.
    Der Philosoph Michael Hirsch und Nachtstudio-Leiter Martin Zeyn fragen sich, wie es zu dieser “Bestrafung der Armen” (Loïc Wacquant) kommen konnte – und was getan werden muss, damit sie endet.
    Quelle: Bayerischer Rundfunk
  10. Minijobs: Subvention für krumme Geschäfte
    Der Minijob soll von 450 auf 530 Euro im Monat anwachsen. Damit er mit der Mindestlohnanpassung Schritt halten kann. Das ist nicht weniger als der Ausbau des deutschen Jobwunders: Billige, unabgesicherte Arbeit, die Geschäftsmodelle subventioniert, die sonst nur beschwerlich Profit generieren würden.
    Von den 7,2 Millionen Minijobbern in Deutschland haben 4,8 Millionen ausschließlich diesen einen Minijob – das sind etwa ein Neuntel aller Erwerbstätigen im Lande. Sozialversicherungspflichtige Niedriglöhner sind in dieser Working-Poor-Klassifizierung noch nicht mal enthalten. Wenn es nach Union und Wirtschaft geht, sollen sie bald mehr verdienen dürfen. Die Verdienstobergrenze soll von 450 Euro monatlich auf 530 Euro steigen. Das soll nicht etwa deshalb passieren, weil man sein Herz für die arbeitenden Armen gefunden hätte. Um die geht es gar nicht. Man möchte das für die armen Unternehmen tun, die durch den Mindestlohn um Arbeitszeit gebracht werden.
    Der Minijob ist zum Problem geworden, seitdem auch er mindestlohnberechtigt ist. Das klingt ein bisschen so, als müssten die Unternehmen darben. Müssen sie freilich nicht. Kein Arbeitszeitmodell wird so ausgelutscht, wie der Minijob. Die Hans-Böckler-Stiftung veröffentlichte 2017 eine Studie, die sich mit Menschen auseinandersetzte, die eine geringfügige Beschäftigung als Haupterwerbsquelle hatten. Gut jeder zweite Betrieb, so ergab die Befragung, zahlte den Minijobbern gar keinen Mindestlohn. Eine andere Studie von RWI (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung) legte dar, dass es noch viel schlimmer um diese Gruppe steht: Mehr als 34 Prozent der Betroffenen bekamen demnach keinen bezahlten Urlaub und für 31 Prozent fiel die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall weg. Verbindliche Rechtsansprüche? Die haben Seltenheitswert in diesem Beschäftigungssegment.
    Quelle: Roberto de Lapuente auf Neuland Rebellen
  11. Immer wieder freitags
    In der Bundesrepublik hat die Dachorganisation Fridays for Future Deutschland (FFFD, »Freitage für die Zukunft«) nach eigenen Angaben mittlerweile über 400 Ortsgruppen, die freitags mit Tausenden Teilnehmern auf die Straße statt in die Schule gehen. Am 15. März demonstrierte beim ersten internationalen Aktionstag in mehreren Dutzend Staaten weltweit mehr als eine Million junge Menschen »für die Zukunft«. In Deutschland haben sich unterdessen auch Eltern mit der Initiative Parents for Future und Wissenschaftler mit einer Erklärung hinter die junge ökologische Bewegung gestellt. (…)
    Die herrschende Klasse reagiert auf die neue Jugend- und Umweltbewegung aber keineswegs einheitlich. Daher hofieren insbesondere die politischen und kulturellen Repräsentanten der gesellschaftspolitisch liberaleren Fraktion die Bewegung. Sie versuchen zu integrieren, für ihre Politik zu funktionalisieren und politische Radikalität zu kanalisieren. (…)
    Insgesamt fällt auf, dass die Grenzen bürgerlicher Ökonomie und Politik an keinem Punkt überschritten werden. Eigentumsfragen werden nicht gestellt, eine transformatorische, geschweige denn revolutionäre Perspektive wird nicht eröffnet. Auch von Eingriffen in die »privatwirtschaftliche« Produktion, wo die meisten CO2-Emissionen entstehen, sieht FFFD mit Ausnahme der Kohlebranche ab. Statt dessen befürwortet die deutsche Sektion der jungen Ökologiebewegung mit ihrem Vorschlag der CO2-Steuer ausdrücklich die Inwertsetzung der Natur. Dabei sind gerade die Kommodifizierung und der Handel mit der Natur eines der Kernprobleme kapitalistischer Naturzerstörung.
    Darüber hinaus wird die ökologische Frage von FFFD nicht als soziale Klassenfrage gestellt, sondern wahlweise als anthropologische oder – häufiger – als intergenerationelle. (…)
    Zusammengenommen und im Lichte der real existierenden Klimapolitik sind die Positionen der deutschen FFFD-Bewegung zwar »ambitioniert«, wie es auf ihrer Homepage heißt. Gleichzeitig sind sie aber durchaus kompatibel mit einer ökologischen Modernisierung des Kapitalismus oder der »sozialökologischen Marktwirtschaft«, wie Bündnis 90/Die Grünen ihre Zielgesellschaft im »Zwischenbericht« zu ihrem neuen Grundsatzprogramm bezeichnen. In der Tat sind die FFFD-Forderungen trotz aller offiziellen Überparteilichkeit der Bewegung weitgehend identisch mit Vorschlägen der grünen Partei. Die politische Nähe zu den Grünen nur darauf zurückzuführen, dass FFFD-Kader wie Luisa Neubauer, Linus Steinmetz, Ragna Diederichs oder Jakob Blasel Mitglied bei den Grünen oder der Grünen Jugend sind, wäre sicher zu kurz gegriffen. Es zu ignorieren wäre jedoch naiv.
    Quelle: junge Welt
  12. Parteispenden und die „politische Willensbildung“
    Daimler hat sich dazu entschlossen dieses Jahr keine Spenden an politische Parteien zu geben. Diese Nachricht hätte über die Ostertage kaum große Schlagzeilen gemacht. Doch der CDUler und Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie Thomas Bareiß nannte Daimlers Entscheidung auf Twitter „verantwortungslos, Demokratie gefährdend, dumm“. Sekundiert wurde ihm von der FAZ. Der dort für die Innenpolitik verantwortliche Jasper von Altenbockum kommentierte, Daimlers Entscheidung zeuge von einer „Entfremdung“ des Konzerns von der „politischen Willensbildung“. „Wenn Industrie und Politik sich aber als zwei Reiche begreifen, die nichts miteinander zu tun haben (wollen), ist der Schaden für Staat und Gesellschaft am Ende noch viel größer, als wenn Abgaswerte manipuliert werden“. Cerstin Gammelin stimmt in der Süddeutschen Zeitung ein. Sie mahnt: „Es ist das falsche Zeichen in einer Zeit, in der demokratische Prinzipien unter Druck geraten“. Daimlers Entscheidung sei eine „Entfremdung zwischen Regierenden und Unternehmen, die besorgniserregend ist“. Es sei Daimlers Verantwortung, dass demokratische System zu stärken.
    Daimler hat in den Jahren 2008 bis 2018 mehr als 4 Millionen Euro an Parteispenden getätigt. Laut der Datenbank Lobbypedia von Lobbycontrol gingen jeweils gut 1,3 Millionen Euro an die SPD und die CDU. Die Grünen, FDP und CSU erhielten in dem Zeitraum jeweils zwischen 410.000 und 460.000 Euro. Doch man kann kaum von einem teuren „Liebesentzug“ für die Parteien sprechen.
    Denn die Parteien erhalten von Konzernen gleichzeitig hohe Millionen-Summen aus dem Bereich des Parteiensponsorings. Dabei schalten die Konzerne teure Werbeanzeigen in Parteipublikationen, mieten Ausstellungsflächen auf Parteitagen oder zahlen Geld für den Zugang zu Politikern. Auf europäischer Ebene stand zuletzt das wiederholte Sponsoring der EU-Ratspräsidentschaften verschiedener Länder in der Kritik. Konzerne wie Renault, Coca-Cola, aber auch Mercedes Benz als Marke von Daimler haben kürzlich die Ratspräsidentschaft von Rumänien gesponsert.
    Quelle: Zebralogs

    Anmerkung JK: Parteispenden von Großkonzernen stärken das demokratische System. George Orwell hätte es nicht besser formulieren können.

  13. Wie der Bundestag mit der IT-Lobby an der „Welt ohne Bargeld“ arbeitet
    Offiziell sind Bundesregierung und alle nennenswerten Parteien Freunde des Bargelds, die sich eine Welt ganz ohne dieses weder vorstellen können noch mögen. Aber im Hintergrund wird daran gearbeitet. So hat ein Bundestagsauschuss ein IT-Beratungsunternehmen beauftragt, den Weg zur „Welt ohne Bargeld“ näher zu beleuchten.
    Dabei sollen auch jene Länder in den Blick genommen werden, die bereits heute Vorreiter in der Abschaffung des Bargelds sind.
    Im Bundestagsauschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung läuft eine Untersuchung mit dem unheilverkündenden Namen „Welt ohne Bargeld – Veränderungen der klassischen Banken- und Bezahlsysteme“. Im Auftrag des Bundestags soll ab September ein Team des Beratungsunternehmens VDI/VDE-IT „neue Anwendungsfelder disruptiver, innovativer Bezahlsysteme“ beschreiben. „Dabei sollen auch jene Länder in den Blick genommen werden, die bereits heute Vorreiter in der Abschaffung des Bargelds sind“, wird der Auftrag auf der Bundestagswebsite beschrieben. VDI/VDE-IT wird vom Ingenieursverband VDI und der IT-Lobby VDE, getragen, dem Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik Dieser „ist einer der großen europäischen Verbände, der sich für die Belange der Branchen und Berufe aus Elektro- und Informationstechnik einsetzen.“
    Wenn man Böcke fragt, ob Gärten einen hohen Zaun brauchen, ist die Antwort absehbar. Wenn man die IT-Branche fragt, ob der Zahlungsverkehr digitalisiert werden sollte, auch. Entsprechend liest sich nicht nur der Titel des Untersuchungsprojekts, sondern auch die Beschreibung so, wie ein IT-Lobby sich das wünschen würde. Das fängt schon beim ersten Satz an, der die oft wiederholte Falschbehauptung zum Besten gibt: „Kaum ein Land hält der Zahlung mit Bargeld so die Treue wie Deutschland.“ Damit soll uns und den Parlamentariern der Eindruck vermittelt werden, Deutsche seien in dieser Hinsicht altmodisch und soderlich. Es gibt aber in Wahrheit sehr viele Länder in denen Bargeld eine größere Rolle spielt als in Deutschland, auch Industrieländer.
    Quelle: Norbert Häring
  14. Deutsche Türken Fremde
    Eine brandneue Theorie über das Gutwillige und das Verrücktwerden: Über kleine Missverständnisse unter Kolumnisten.
    Man sollte sich als Kolumnist aus den Texten von Kolumnistenkollegen heraushalten – schon aus dem schlichten Grund, dass man sich sonst die Themenfindung unangemessen leicht machen würde, was nach einer kurzen Phase des Wandels durch Annäherung unweigerlich dazu führen müsste, dass am Schluss alle nur noch über dasselbe Thema schreiben. Zwar ist der Hang zum Monothematischen eine Schwäche, derer sich viele Kolumnisten gegenseitig verdächtigen, ohne diesen Verdacht jemals gegen sich selbst zu hegen, aber eine monothematische Mannschaft von elf Freunden plus Trainer wäre mehr, als der Leser verkraften könnte.
    Heute will ich einmal eine Ausnahme machen und auf die Kolumne “Wie man Menschen verrückt macht” des Kollegen Fleischhauer vom 2. Mai 2019 zu sprechen kommen. Sie befasste sich mit einem Buch der Kollegin Ferda Ataman (“Ich bin von hier. Hört auf zu fragen!”, S. Fischer Verlag 2019). Herrn Fleischhauer entfährt insoweit einleitend die Bemerkung, dass es Menschen gebe, die ihr Hobby zum Zentrum ihrer Arbeit machen, ihre “politischen Überzeugungen” oder ihre “Wahrnehmung der Welt”.
    Unter Umständen wäre es möglich, auch den Autor Fleischhauer einer oder zwei dieser Gruppen zuzuordnen; aber so meint er das vermutlich nicht.
    Sein Kolumnentext wendet sich vielmehr der Frage zu, wie die Schizophrenie, die gefühlte Überempfindlichkeit von Migrantenabkömmlingen und die Genervtheit normaler deutscher Rezipienten, also zum Beispiel eines SPIEGEL-Redakteurs, zusammenhängen. Die Assoziationskette geht kurz gefasst so:
    (1) Fleischhauer leistete einst Zivildienst unter Verrückten.
    (2) Verrückt wird man, so behauptete früher einmal der Anthropologe Bateson, durch paradoxe Kommunikation.
    (3) Migranten und deren Abkömmlinge vom Stamm der Atamans kommunizieren mit normalen Deutschen paradox.
    (4) So, sagt Fleischhauer, “macht man die gutwilligsten Menschen verrückt”. (…)
    Insgesamt also: Wenn hier überhaupt jemand Anlass hat verrückt zu werden, dann vielleicht der deutsche Böhme, der deutsche Türke, der deutsche Buddhist oder der deutsche Jude. Der deutsche Hamburger des Jahrgangs 1962 muss sich vor dem Wahnsinn nicht fürchten. Das Maß an Sehnsucht nach der Einheit des Nichtfremden, welches er aufbringen muss, um sich als verfolgtes Opfer bipolarer migrantischer Botschaften zu verstehen, mag anstrengend sein. Es ist aber nicht schlimmer als, sagen wir, für den Münchner der Anblick eines Hamburgers, der Weißwurst mit dem Löffel isst und dabei in gepflegtem Starnbergerisch von den verkannten Vorzügen des Matjes berichtet.
    Quelle: Spiegel Online
  15. Ein “Fitbit für Deine Karriere”
    Immer mehr Unternehmen tracken das Verhalten ihrer Mitarbeiter während der Arbeit. Das gilt nicht mehr nur für deren Computerbenutzung.
    Fitnesserfassungsgeräte haben immer mehr Fans. Sei es der klassische Schrittzähler oder die Computeruhr – der Trend zur digitalen Selbstoptimierung ist bei Otto Normalverbraucher angekommen. Doch was ist mit der Effizienz bei der Arbeit, lässt die sich auch quantifizieren?
    Unternehmen sind längst dabei, ihre Mitarbeiter entsprechend zu tracken. Eine Umfrage aus dem Jahr 2018, die das IT-Marktforschungsunternehmen Gartner durchgeführt hat, ermittelte, dass 22 Prozent der weltweiten Organisationen in unterschiedlichen Industrien aufzeichnen, wo sich ihre Angestellten gerade befinden. 17 Prozent überwachen die Computernutzung und 16 Prozent schauen auch mal in die E-Mails (Microsoft Outlook) oder die Kalender. Ziel ist stets, die Produktivität zu erhöhen, heißt es aus dem Management.
    Doch solche Techniken sind erst der Anfang. Verschiedene Start-ups wollen Mitarbeiter noch deutlich genauer überwachen – in Form eines “Fitbits für Deine Karriere”, wie sie ihre Verfahren bewerben. Darunter ist etwa die US-Firma Humanyze, die seit gut vier Jahren an einem sogenannten Smart Badge werkelt, den Arbeiter um den Hals tragen sollen. Dieser soll über 40 verschiedene “Datenpunkte” erfassen können – die “Datenabgase”, die Angestellte hinterlassen und die sich als wertvoll erweisen können.
    Quelle: heise online
  16. Die Bundeswehr ist in Litauen unumstritten willkommen
    Die Litauer wählen ein neues Staatsoberhaupt. Im Wahlkampf stritten sich die Präsidentschaftskandidaten über Steuern und Bildung. In einem waren sie sich jedoch einig: Litauen braucht die Nato, um sich vor Russland zu schützen. Dabei spielt die Bundeswehr eine wichtige Rolle.
    Die Stimmung auf dem Militärgelände in Rukla ist entspannt. Die Soldaten hatten gerade eine große Übung. Nun werden die militärischen Geräte gewartet. Einige Soldaten wechseln die Kette eines Panzers. Sie nehmen die Laufpolster aus ihren Verankerungen. …
    150 Kilometer ist der Panzer während der Übung gelaufen, mit An- und Abtransport. Normalerweise befindet er sich, wie allen anderen Panzer hier, in der Oberpfalz. Denn die Bundeswehr-Soldaten und ihr Gerät sind hier in Litauen nicht fest stationiert, sie sind in der Regel immer nur für sechs Monate da. Rotierende Präsenz, heißt das offiziell. So wurde es beim Nato-Gipfel 2016 beschlossen. …
    Den möglichen Feind nennt hier niemand beim Namen. Aber allen ist klar, dass es sich um Russland handelt. Die Nato hat vier internationale Bataillone eingerichtet – neben Litauen auch in Polen, in Lettland und in Estland, an der europäischen Ostflanke des Bündnisses also.
    Quelle: Deutschlandfunk

    Anmerkung unseres Lesers M.H.: Ein DLF-Propaganda-Rechtfertigungs-Beitrag: die Bundeswehr verteidigt die westlichen Werte gegen die bösen Russen! Gleichzeitig wird vom DLF gemeldet: Orbanisierung droht in Litauen; auweia, das kann ja „heiter“ werden!

  17. Ein “Muskelaufbauprogramm” für die EU
    Deutsche Außenpolitiker und Regierungsberater dringen auf neue Bemühungen Berlins und der EU um die Bewahrung des Atomabkommens mit Iran. Zum einen könnten, sollte Iran von Unruhen oder gar von einem Krieg erschüttert werden, erneut Millionen Flüchtlinge nach Europa streben, erklären Fachleute. Zum anderen stehe, heißt es, die Fähigkeit zur eigenständigen EU-Weltmachtpolitik auf dem Spiel: Wenn Brüssel sein “Streben nach einer strategischen Autonomie” ernst meine, müsse es die dazu notwendigen “Instrumente” schaffen, verlangt die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Dazu biete sich der Konflikt um das Nuklearabkommen mit Teheran an. Führende Politiker von CSU und Grünen fordern Außenminister Heiko Maas (SPD) einhellig auf, nach Teheran zu reisen: “Deutschland muss mit lauterer Stimme sprechen”, erklärt der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Experten sind allerdings skeptisch: Ein Schwenk Berlins sowie der EU hin zur Beteiligung an den US-Aggressionen gilt, sollte Brüssel im Machtkampf gegen Washington den Kürzeren ziehen, als jederzeit vorstellbar.
    Quelle: German Foreign Policy
  18. Unser absurder Alltag
    Jeder kennt die “Fensterrentner”: Auf ein Kissen gestützt lehnen sie sich in ihrer Wohnung aus dem Fenster und beobachten, was draußen los ist, wer falsch parkt und seinen Müll nicht ordnungsgemäß entsorgt. Das ist ihre Form der Weltteilnahme, sonst ist ihnen nichts mehr geblieben. Die Frau ist gestorben, die Kinder sind weggezogen und lassen sich nicht mehr blicken, die Nachbarn von einst leben woanders. Mancher greift angesichts eines weithin ungelebten Lebens und radikal vereinsamt zur Flasche und ersäuft die aufsteigende Verzweiflung in Alkohol.
    Angesicht der über uns hereinbrechenden Digitalisierung benötigen wir in naher Zukunft ein gesamtgesellschaftliches Detox-Programm gegen die Arbeitsfixierung. Millionen von Menschen werden sich abgewöhnen müssen, sich über Erwerbsarbeit zu definieren. Wir müssten dringend eine breite gesellschaftliche Debatte darüber führen, ob wir die Digitalisierung weltumspannenden privaten Konzernen überlassen wollen, die sie im Dienst der Profitmaximierung vorantreiben. Wollen wir, dass Algorithmen und Roboter uns überflüssig machen, Online-Plattformen die Demokratie aushöhlen und unser Verhalten manipulieren? Oder gelingt es uns, die Kontrolle über die verselbstständigte Ökonomie zurückgewinnen und sie demokratisch zu gestalten?
    Von der Beantwortung dieser Fragen wird es abhängen, ob sich die emanzipatorischen Potenziale der Digitalisierung entfalten können oder ob wir zu Anhängseln einer kybernetischen Technokratie werden.
    Quelle: Gießener Anzeiger