Video-Affäre: Strache, die Medien und die vielen offenen Fragen

Video-Affäre: Strache, die Medien und die vielen offenen Fragen

Video-Affäre: Strache, die Medien und die vielen offenen Fragen

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Der Vorgang um das heimliche Video mit dem österreichischen FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache erscheint höchst ambivalent: Einerseits ist hier ein problematischer Politiker über die Kontrolle der Medien gestürzt, was zu begrüßen ist. Andererseits erscheint die gesamte Umsetzung manipulierend und unseriös. Es drängen sich viele Fragen an die beteiligten Medien auf. Von Tobias Riegel

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der Sturz des österreichischen Vizekanzlers und FPÖ-Politikers Heinz-Christian Strache sollte auf mehreren Ebenen betrachtet werden. Da sind zum einen die in einem heimlich aufgezeichneten Video belegten Äußerungen und Handlungen Straches – diese müssen als schockierend und geradezu abgründig bezeichnet werden: Hier demonstriert Strache nicht nur eine kaltschnäuzige Haltung, die den Staat und die Medien als Beute betrachtet. Zusätzlich spricht aus dem Vorgang eine nicht für möglich gehaltene Naivität.

Strache-Video: Ein journalistischer Coup – Und ein Coup D´Etat

Straches Rücktritt war damit unumgänglich und der Schritt soll hier prinzipiell begrüßt werden: Inhaltlich würde man dem Politiker keine Träne nachweinen und die NachDenkSeiten distanzieren sich von den politischen Standpunkten der FPÖ. In diesem Text soll es aber um eine andere Ebene gehen (eine Übersicht über den Ablauf des Vorgang finden Sie hier). Denn so eindeutig die im Video dokumentierten Fehltritte Straches sind, für die ihn nun die gerechte Strafe des bodenlosen politischen Absturzes ereilt – so unklar erscheint die Entstehungsgeschichte des zuerst von „Spiegel“ und „Süddeutscher Zeitung“ verbreiteten Videos und so problematisch ist die Art, wie es zeitlich platziert wurde und auch, wie es nun medial betrachtet wird. Hier drängen sich zahlreiche Fragen zum Verhalten der an der Aktion direkt beteiligten und der nun berichtenden Medien auf.

Denn der Vorgang ist nicht nur ein journalistischer Coup – er ist auch ein Coup D´Etat: Wer das Video erstellt und den Zeitpunkt kurz vor einer Wahl als Termin der Veröffentlichung gewählt hat, der hat den Sturz der Koalition, politische Unruhe und einen Schlag gegen die FPÖ einkalkuliert. Mit der Tarngeschichte des Videos von der „russischen Investorin“ wird zudem scheinbar die seit Jahren an die Wand gemalte „russische Einmischung“ in westliche Demokratien belegt: Auch wenn an dem Vorgang nach aktuellem Wissensstand rein gar nichts „russisch“ ist, sondern es viel wahrscheinlicher ist, dass der Lauschangriff von dubiosen westlichen Kreisen erdacht und ausgeführt wurde – teilweise wird in der Berichterstattung ein anderer Eindruck erzeugt.

Gute Quellen, böse Quellen: Der Kontrast zur Clinton-E-Mail-Affäre

Der zweite Kritikpunkt am medialen Umgang mit dem Video ist die Heuchelei. Denn bei dem Vorgang wurden dubiose, möglicherweise geheimdienstliche Mittel angewandt, die westliche Medien eigentlich seit Jahren dem russischen „Gegner“ zuschreiben: Die Platzierung des Videos kurz vor der Wahl ist Wahlbeeinflussung, wie es sie offensichtlicher nicht geben kann.

Dass Medien das aus scheinbar trüber Quelle stammende Video nun unbekümmert einsetzen und den Vorgang der Entstehung nicht angemessen thematisieren, steht in starkem Kontrast zu vergleichbaren Vorgängen – etwa jenen im Zusammenhang mit den in Umlauf gebrachten E-Mails von Hillary Clinton. Damals wurde der Akt des Datendiebstahls so massiv skandalisiert, dass mögliche belastende Inhalte der Clinton-Mails nicht mehr durchdringen konnten. Im Fall Strache ist diese Gewichtung genau umgekehrt: Der Inhalt soll die Entstehungsgeschichte verdecken.

„Inszenierung eines westlichen Geheimdienstes“?

Dabei ist auch im Fall Strache von trüben Quellen auszugehen. Zumindest die theoretische Möglichkeit, dass hier ein westlicher Geheimdienst seine Finger im Spiel hatte, ist nicht von der Hand zu weisen. In diese Richtung mutmaßt etwa die österreichische Zeitung „Die Presse“: „Geheimdienstler, mit denen ‘Die Presse’ sprach, tippen auf eine Inszenierung eines westlichen Geheimdienstes.“ Das professionell ausgearbeitete Profil der Frau sowie der dahinterstehende technische Aufwand würden auf absolute Profis hindeuten. Es sei dazu wohl kein Zufall, dass dieses Video, das bereits 2017 aufgenommen wurde, nun kurz vor der EU-Wahl auftaucht. Es solle den Einfluss der FPÖ schwächen – aufzeigen, wo diese „wirklich steht“.

Auch der „Tagesspiegel” fragt interessante Fragen:

„Wer hat etwas davon, solch ein Video in seinem Besitz zu haben? Wer hat etwas davon, es nicht vor den damaligen Nationalratswahlen zu veröffentlichen, sondern zwei Jahre lang für sich zu behalten und es dann – vor Europawahlen – der Presse zu geben? Wofür ist das Video in der Zwischenzeit benutzt worden?“

Datenschutzbeauftragter: „Kein Ruhmesblatt“ für den Journalismus

Und Baden-Württembergs Datenschutzbeauftragter Stefan Brink thematisiert die journalistische Ethik: „Wenn wir politische Gegner hintergehen, ihre Privatsphäre verletzen und sogar kriminelles Unrecht begehen, schaden wir letzten Endes unserer politischen Kultur und damit uns allen“, schrieb Brink bereits am Samstag bei Twitter. Das Verhalten der „Spiegel“- und „SZ“-Redaktionen sei „Kein Ruhmesblatt“, für den Journalismus.

In diese Richtung hakt auch die „Welt“ nach. Es wäre aber interessant zu wissen, ob etwa die Zeitung auch so klug nachfragen würde, wenn Sahra Wagenknecht und nicht ein Rechtspolitiker Ziel eines solchen Lauschangriffs geworden wäre:

„Bei dieser Aktion wurde nicht nur recherchiert, hier wurde vor allem inszeniert: Wer auch immer dahintersteckt, kann sich nicht auf die Rolle eines Journalisten zurückziehen, der zufällig (oder absichtlich) dabei war, als Strache seine demokratiefeindlichen Pläne absonderte. Die Situation wurde vielmehr bewusst geschaffen, um Strache bloßzustellen.“

Die drängenden Fragen nach der Berufsethik versucht dagegen die „FAZ“ mit Verweis auf den Inhalt des Videos zu entkräften. Der Gesprächsinhalt soll die Erstellung rechtfertigen:

„Alles, was Österreichs ehemaliger Vizekanzler in dem Ibiza-Video gesagt hat, disqualifiziert ihn für jedes öffentliche Amt. Das gilt unabhängig davon, wer ihm die Falle gestellt hat.“

Belegt das Video „russische Einflussnahme“?

Die aktuelle Berichterstattung erzeugt zudem den Eindruck, es ginge um russische Einflussnahme. So leiteten etwa die „Tagesthemen“ einen Bericht zum Thema mit der „russischen Einflussnahme“ ein:

“Seit Jahren warnen Sicherheitsfachleute, dass russische Kräfte versuchen, die Demokratie in der Europäischen Union zu zerlegen. Heute sieht es so aus, als wäre das für Österreichs Vizekanzler eher eine Verheißung als eine Drohung. Heinz Christian Strache und seine FPÖ haben schon lange einen Flirt mit Gesinnungsgenossen in Russland; die Partei dokumentiert das auch ganz offen.“

Auch die „Welt“ erliegt der Versuchung, die Vorgehensweise, Erpressungsmaterial zu erstellen, zu lagern und bei Bedarf einzusetzen, als „vom russischen Geheimdienst perfektioniert“ zu beschreiben – obwohl der konkrete Fall ganz offensichtlich anders liegt und mutmaßlich von westlicher Seite Kompromat hergestellt und eingesetzt wurde.

Bei aller Kritik: Hätten die Redaktion anders handeln können?

Bei aller Kritik an der Rolle der Medien bei dem Vorgang: Hätten sich die Redaktion wirklich anders verhalten können? Schließlich könnte man die Nichtveröffentlichung eines belastenden Videos auch als Vertuschung und Schützenhilfe bezeichnen. Darum ist die Geschichte höchst ambivalent: Einerseits ist hier ein problematischer Politiker über die Kontrolle der Medien gestürzt, was zu begrüßen ist. Andererseits erscheint die gesamte Umsetzung manipulierend. Auch erscheint das Abfüllen des jeweiligen „Opfers“ mit Alkohol und die anschließende Provokation zu halsbrecherischen Sprüchen vor versteckter Kamera als grenzwertiges journalistisches Verhalten. Es sollte bei der Betrachtung des Vorgangs auch klar sein, dass die Taktik, die nun Strache zu Fall brachte, Politiker jeder Couleur treffen kann. Medien sollten durch den Vorgang zu nochmals erhöhter Wachsamkeit motiviert werden, die Herkunft von angebotenem Material zu prüfen.

Über die rätselhafte Rolle Jan Böhmermanns soll hier nicht spekuliert werden. Man könnte aber die Frage stellen, was eigentlich der journalistische Eigenbeitrag der „SZ“- und „Spiegel“-Rdeaktionen bei dem Fall ist: Wurde hier nicht – wie auch schon tendenziell bei den „Panama-Papers“ – ein extern vorbereitetes Paket schlicht dem Leser überreicht?

Wie im schlechten (Agenten-)Film

Eigentlich müssten „Spiegel“ und „SZ“ nun Transparenz zur Herkunft des Videos schaffen, soweit der Quellenschutz das zulässt. Aber kennen die Redaktionen die Quelle überhaupt selber? Die von der „SZ“ in einem Video geschilderte Entstehungsgeschichte spricht nicht dafür: Die Journalisten mussten demnach an einen entfernten Ort fahren, dort wurde das Video in einem verlassenen Hotel übergeben – „Wie man es sich in einem schlechten Film vorstellt“, beschreibt Bastian Obermayer von der „SZ“ den Vorgang. Obermayer meint damit mutmaßlich ein bestimmtes Genre: den Agentenfilm.

Titelbild: LovArt/shutterstock.com