Neues im Fall Assange – Zwei verschiedene Veranstaltungen am letzten Samstag

Neues im Fall Assange – Zwei verschiedene Veranstaltungen am letzten Samstag

Neues im Fall Assange – Zwei verschiedene Veranstaltungen am letzten Samstag

Ein Artikel von Moritz Müller

Während eine Leserin sich zu einer auch in den NachDenkSeiten angekündigten Demonstration nach Berlin aufmacht und ihre Eindrücke nachfolgend schildert, besuchten wir die auch am letzten Samstag stattfindende Belgian Pride Brussels, um auf die Situation von Chelsea Manning aufmerksam zu machen bzw. zu erkunden, ob dies ein Thema für die LGBT-Bewegung ist. Zusammengestellt von Moritz Müller.

Bericht von der Berliner Assange-Demo am 18.5. von Beverly Zane

Muenchen, 19. Mai 2019

Sehr geehrter Herr Mueller,

erneut ein grosser Dank an die NdS, dass Sie die Veranstaltung der SGP in Berlin fuer Julian Assange bekannt gemacht haben. Von Berlin zurueckgekehrt, sende ich Ihnen die beiliegenden Schnappschuesse / Anlagen sowie eine kurze Zusammenfassung:

der Solidaritaetsveranstaltung fuer Julian Assange
der Gedanken, die die Veranstaltung u. Reise bei mir ausloesten

Foto: B. Zane

Die Veranstaltung fand Unter den Linden an der Kreuzung Wilhelmstrasse statt, ca. 100 m von der britischen Botschaft, die von der Polizei permanent bewacht und fuer den Autoverkehr abgeriegelt ist. Es waren rund 500 Teilnehmer, von Studenten (ua. aktiv im IYSSE) bis 80-jaehrigen Sympathisanten (ua. DDR- und BRD erfahren). Das Programm hatte sechs Redner:

1.1 Begruessung und Einfuehrung durch IYSSE

1.2 Chris Marsden (Socialist Equality Party UK) zu Julian Assange

1.3 Grussadresse der australischen Equality Party (in Uebersetzung)

1.4 Christoph Vandreier SGP/IYSSE zu Militarismus und Imperialismus weltweit – und „verkommenem Zustand der kapitalistischen Gesellschaft“

1.5 Grussadresse der Socialist Equality Party i.d. USA (in Uebersetzung)

1.6 Ulrich Rippert, SGP, ueber die Notwendigkeit des Sozialismus als internationaler
Kraft gegen Krieg und Faschismus:

  • Militarismus und soziale Ungleichheit wachsen dramatisch
  • wer sich dagegen stemmt, wird mundtot gemacht:
    es beginnt mit Unterdrueckung des Antikriegsjournalismus, es endet in Faschismus und Krieg (Beispiel: Ossietzky)
  • Assange und Manning zu verteidigen, geht nur durch weltweite Mobilisierung fuer den Sozialismus
    es ist notwendig, aktiv zu werden

Es waren Vertreter der SGP aus England, USA, Australien und Frankreich anwesend, was den internationalen und solidarischen Charakter der SGP gut zum Ausdruck brachte. Die Vertreter aus Australien sprachen von der grossen Unterstuetzung, die Aktionen zur Unterstuetzung Assanges in Australien erfahren. Im Anschluss an die Veranstaltung wurde auf dem Platz in kleineren Gruppen weiter rege diskutiert und es gab Gelegenheit, den Buechertisch der SGP zu besuchen.

Vom Buechertisch nahm ich ein ausgezeichnetes Flugblatt mit: Kein Krieg gegen den Iran!

Fuer den Nachmittag wurde zu einer Wahlveranstaltung mit denselben Rednern eingeladen.

Die Reise nach Berlin hinterliess mich trotz ermutigender Veranstaltung deprimiert und in der Gewissheit, dass der sich seit langem ankuendigende dritte Weltkrieg nicht zu verhindern sein wird. Ebenso niederschmetternd: Julian Assange schwebt in Lebensgefahr und jede Hilfe kommt zu spaet. Die Kriminellen, in deren Hand er sich befindet, sitzen am laengeren Hebel.

Da ist die Tatsache, dass sich nur knapp 500 Menschen mobilisieren liessen. Fuer Berlin – zu wenig.
Dabei war die Stadt voller Menschen: Touristen, Fussballfans, etc.

Da ist die Tatsache, dass die Analyse der SGP zwar meiner Ansicht nach ins Schwarze trifft,

  • die Menschen sich hinter dem marxistischen Wortschatz jedoch nicht wiedererkennen und
  • die Gegner des Sozialismus am laengeren Hebel sind (wirtschaftlich & militaerisch gewaltbereit).

Die Mehrheit der Menschen wird von Begriffen wie „Arbeiterklasse“ und „Kampf“ nicht angezogen, auch wenn sich ihre Angst um den Arbeitsplatz, ihre Angst vor Mieterhoehung, ihre Angst vor Krieg, ihre Schuldenlast, usw. mit der marxistischen Analyse gut auf den Nenner bringen laesst. Die Menschen weichen dieser Form der Aufklaerung aus.

Wen die Analyse erreicht, der hat aufgrund der Geschichte des „Realen Sozialismus“ ein tiefes Misstrauen. Ihm muesste eine praktikable demokratische Vision des Sozialismus entgegengesetzt werden, um das Misstrauen zu ueberwinden. Auf einer Veranstaltung der SGP, die ich in Muenchen besuchte, wurde das Thema Demokratie zwar ansatzweise angesprochen („Raete“), doch auch diese Veranstaltung war schlecht besucht. Die gut sichtbar aufgehaengten Plakate waren am Folgetag bereits zerstoert oder verschwunden (.. ein Zeichen, dass die Analyse richtig ist?).

Traurige und dennoch dankbare Gruesse.
B. Z.

PPS:

Demo Teilnehmer hatten gute Schilder und T-Shirts, die ich auch fotografierte. Anbei die kleine Sammlung. Das T-Shirt mit den Bildern Mannings und Assanges konnte ich nur zur Haelfte erwischen, doch die Ergaenzung faellt nicht schwer. Die Idee war gut. Es war handgemacht!

Naeher beim Brandenburger Tor gab es eine Veranstaltung an der die Friedensbewegung beteiligt war, zum Thema Venezuela. Dort fand ich am Boden liegend ein Plakat, das vor dem Krieg warnt – und die Nachdenkseiten als Informationsquelle und Anti-Kriegs-Medium nennt. Vielleicht freut es Sie, auch wenn das Plakat selbst Schauer ueber den Ruecken jagt…

Die “Verkommenheit der kapitalistischen Gesellschaft” konnte ich auf der Heimreise am Bahnhof gut beobachten. Waehrend ich auf den Zug wartete, sah ich im ein-minuetigen Abstand, wie jmd am Muellcontainer vorbei ging, um nach Verwertbarem zu suchen. Was ich zuvor noch nie gesehen hatte: ein Mann zog eine weg-geworfenen Pizza heraus und ass sie auf.
Im Gegensatz hierzu das piekfeine Regierungsviertel …

Ihre B. Z.

Bericht aus Brüssel von Moritz Müller

Seit letztem Donnerstag sitzt Chelsea Manning wieder in Beugehaft, weil sie auch vor einem in Virginia neu einberufenen Großen Geschworenengericht (Grand Jury) nicht gegen Wikileaks und Julian Assange aussagen will. Sie rechtfertigt dies damit, dass sie schon vor zehn Jahren alles gesagt habe, was sie zu Wikileaks weiß, und weil sie die geheime Natur des Gerichts für undemokratisch hält. Die jetzige Grand Jury ist auf 18 Monate angesetzt und theoretisch kann Chelsea Manning dieser Zeitraum in Haft drohen. Außerdem hat Richter Anthony Trenga verfügt, dass ab dem 30. Tag in Haft eine Geldstrafe von $500/Tag und einen Monat danach $1000 als Geldstrafe zu zahlen ist.
Insgesamt könnte sich das in den 18 Monaten auf ca. $ 490000 summieren.

Sicher eine Summe, die Chelsea Manning nicht so einfach aus der Portokasse zahlen kann und die bei Zahlungsunfähigkeit ein potentieller weiterer Haftgrund wäre. Das ist sicher eine Spende wert, auch wenn die dann vielleicht an die US-Justiz geht.

Mit diesen Tatsachen im Hinterkopf machten wir uns auf zur Belgian Pride Brussels Parade wo die LGBTIQ+ Community die errungenen Freiheiten der letzten Jahrzehnte gebührlich und ausgelassen feierte. Mit Chelsea/Bradley Mannings Geschichte ihrer Homosexualität und der folgenden Geschlechtsumwandlung hatten wir erwartet oder gehofft, in dieser Gruppe, deren Teil sie ist und die ja historisch massiv von mutigen Kämpfern für die Menschenrechte profitiert hat, Solidaritätsbekundungen für sie zu finden, aber wir waren mit Whistleblower und kleinem Schild allein auf weiter Flur. Zumindest fiel uns nichts Dergestaltiges ins Auge, obwohl es schon zahlreiche Plakate mit politischen Forderungen gab, und auch die Parti Socialiste hatte einen imposanten Musikwagen mit großer Fangemeinde. Es lohnt sich wohl, mal freundlich bei den Organisatoren der Parade anzufragen, was sie zum Thema Chelsea Manning meinen.

Foto: concerned citizens

Nichtsdestotrotz zeigten sich sehr viele Teilnehmer von Whistleblower und seinem Plakat begeistert und machten Fotos, auch von sich mit ihm, die hoffentlich Verbreitung finden bei Freunden und Bekannten, und auch die mitgeführten Flyer erfreuten sich großer Beliebtheit. Es gab allerdings auch eine erstaunliche Anzahl unter den geschätzten 100 000 Feiernden, die noch nie etwas von Chelsea Manning, Julian Assange oder Wikileaks gehört hatten. Und hier schließt sich der Kreis zum Bericht aus Berlin, nämlich dass bei aller Hoffnung über das Wissen und die Aktivität von Manchen die Zahl der desinteressierten, gleichgültigen bzw. anderweitig Beschäftigten doch so groß ist, dass der Blick in die Zukunft und auf die Machenschaften der Kriegstreiber und sonstigen Verbrecher doch beklemmend ist. Gerade aus diesem Grunde lohnt es sich, für Frieden und Gerechtigkeit und Menschenwürde zu kämpfen, da einem, solange man kann, eigentlich nichts anderes übrigbleibt. Auch die 500 Demonstranten in Berlin sehen das wohl ähnlich, und Flyer verteilen macht auch Spaß, wenn man hinter den Aussagen steht.

Foto: concerned citizens

Für den gestrigen Montag war angekündigt, dass die ecuadorianischen Behörden die Besitztümer aus Julian Assanges Zimmer in der Botschaft an die US-Behörden übergeben würden. Eigentlich handelt es sich ja hier um eine Art Hausdurchsuchung in Ecuador und man fragt sich, ob ein dortiger Richter dies angeordnet hat. Kristinn Hrafnssonn von Wikileaks hatte letzte Woche vergeblich um Einlass in die Botschaft und Herausgabe von Julian Assanges persönlichem Besitz gebeten.

Die US-Justiz will aus diesem Material eine Anklage zimmern, wobei es fraglich ist, wie viel Beweiskraft aufgefundene Dokumente noch haben können, nachdem sie 5 Wochen unbewacht in der Botschaft herumlagen.

Außerdem sind unter den Dokumenten wohl auch Korrespondenzen von Julian Assange mit seinen Anwälten und die sind ja bei normaler Justizpraxis offiziell vor dem Zugriff durch die Behörden geschützt, und ob Datenklau durch angebliche Rechtsstaaten die richtige Antwort auf Datenklau aus humanitären Gründen ist, wage ich zu bezweifeln.

Man darf gespannt sein, wie die Gerichte in den USA und GB dies einordnen, aber wiederum auch nicht zu viel Hoffnung auf eine objektive Justiz setzen. Dafür besteht bei der jetzigen Behandlung von Chelsea Manning und jetzt auch Julian Assange im Belmarsh-Gefängnis wahrhaftig wenig Grund, aber es gibt auch immer wieder positive Überraschungen.

Nachfolgend noch einige Leserbriefe, die uns nach der letzten Veröffentlichung zum Thema Assange erreichten und die einige weiterführende Links zu Unterstützern enthalten:

1. Leserbrief

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für das Veröffentlichen des übersetzten Artikels über Assange und die mediale Hetze gegen ihn. Diese Stimmen müssen noch viel lauter werden, denn aktuell profitiert leider nur die AfD von der Korruption in den Medien, indem sie “FakeNews” oder früher auch “Lügenpresse” skandiert haben. Das Böse gewinnt, wenn das Gute schweigt. Wenn sich kaum jemand eines Problems annimmt, kommt irgendwann jemand, der es zu seinem Vorteil ausnutzt.

Aber es ist ja nicht so, dass das Gute schweigen würde. Es wird nur kaum gehört, weil die Medien wegschauen. Sahra Wagenknecht redet sich schon seit vielen Jahren im Bundestag den Mund fusselig, aber die Medien (auch die mit Bildungsauftrag) interessiert eher, was in der AfD nun schon wieder rassistisches gesagt wurde. So ist es auch kein Wunder, dass die Piraten wieder nahezu verschwunden sind, während die AfD aus dem Rampenlicht nicht mehr wegzudenken ist. Die meisten Menschen haben anscheinand noch nicht verstanden, dass man ohne das Internet kaum Chancen hat, sich vernünftig über ein Thema zu informieren.

Mit freundlichen Grüßen
Alexander Raiola


2. Leserbrief

Dear Friends

Thank you for standing up with us in defending Julian Assange the publisher of WikiLeaks by participating at our actions outside Belmarsh prison, the Southwark Crown Court, Westminster Magistrates Court, standing in support of journalism on press freedom day, participating at our public meeting at Unite, and attending the public discussion ‘Imperialism on Trial’. Our supportive actions continue in the next few weeks, please share the attached infographics with your friends and families through social media. Also, consider writing to Julian in prison. 

Write to Julian Assange

Please consider writing to Julian Assange at Belmarsh Prison. Take care to address your letter correctly on a plain white envelope, writing on plain white paper. You must put your name and address at the back of the envelope. At the front you must write:

Mr Julian Assange
DOB: 3/7/1971
HMP Belmarsh
Western Way
London SE28 0EB
UK

Visit writejulian.com for details and infographics promoting this letter writing campaign. Follow us on Twitter at: twitter.com/WriteJulian

Upcoming actions:

Thursday 30th of May 2019 from 9 am
2nd US Extradition Hearing
No US Extradition Protest 
Outside Westminster Magistrates Court
181 Marylebone Road nearest tube station: Marylebone, Edgware Road

Wednesday 12th of June 2019 from 9 am
3rd US Extradition Hearing
No US Extradition Protest
Outside Westminster Magistrates Court
181 Marylebone Road nearest tube station: Marylebone, Edgware Road

Please find attached the graphics

In solidarity 
JADC (Julian Assange Defence Committee)
Grassroots solidarity for the WikiLeaks editor


3. Leserbrief

Guten Abend Herr P,
ich wollte Sie fragen, ob Ola Bini wieder frei ist, fand leider die deprimierende Antwort so eben hier.

Nein, er ist immer noch in diesem Loch, sein heutiger Brief beginnt so:

I’m tired. Sleep deprived. Prison is much louder than I could ever imagine. And add to that sleeping on the floor, in a small room with 6 other inmates, getting rest is a significant challenge.

Aktionsmöglichkeit hier #FREEOLABINI.

Bien cordialement
Nathalie Parent

Bzgl. Spendenaufruf

Link gefunden in Le Grand Soir.

Die Betreffszeile war der Link “shop.wikileaks.org/donate

LG
N*


4. Leserbrief

Guten Tag,
ich rege an, künftig bei sämtlichen NDS-Texten, die Assange bzw. Fragen der Pressefreiheit betreffen, IMMER einen graphisch gestalteten Balken einzuschieben: GESTERN OSSIETZKY – HEUTE ASSANGE! (oder so ähnlich) Erstens liegt der Vergleich auf der Hand und zweitens zeigt dies vielleicht verstärkend den Skandal.
Freundliche Grüße
Karl Wimmler, Graz

[Foto 4807 …cut. Jpe] /concerned citizens


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