Ibiza-Video: Wie die Strache-Affäre gegen Russland benutzt wird

Ibiza-Video: Wie die Strache-Affäre gegen Russland benutzt wird

Ibiza-Video: Wie die Strache-Affäre gegen Russland benutzt wird

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Die Strache-Affäre kann als Einmischung in eine Wahl bezeichnet werden – doch diese Einmischung kommt nicht wie angekündigt aus Moskau. Dennoch wird die Affäre medial genutzt, um Russlands angebliche „Destabilisierung westlicher Demokratien“ scheinbar zu belegen. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

In diesem Artikel soll der ehemalige österreichische Vizekanzler und FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache nicht über Gebühr verteidigt oder dessen unausweichlicher Rücktritt bedauert werden. Dass aber die Video-Affäre höchst ambivalent erscheint, haben die NachDenkSeiten aktuell bereits in diesem Artikel beschrieben: Einerseits ist hier ein problematischer Politiker über seine potentielle Korruption gestürzt, was zu begrüßen ist. Andererseits erscheint der Vorgang und die Rolle der Medien aber manipulierend und unseriös. Dass die Affäre kein Grund für die nun bei deutschen Journalisten und Politikern zu beobachtende Selbstgerechtigkeit darstellt, hat Jens Berger in diesem Artikel betont.

Erlebten wir nun die angekündigte „Destabilisierung westlicher Demokratien“?

Mit der Video-Affäre um Strache erlebt die EU aktuell ein Ereignis, vor dem in großen deutschen Medien eindringlich gewarnt wurde: Dubiose und bislang unbekannte Akteure haben massiv in den Wahlkampf und in die Tagespolitik in Österreich eingegriffen. Ist das also die seit Jahren hysterisch an die Wand gemalte „Destabilisierung westlicher Demokratien“?

Ja und nein. Man kann den Vorgang als Angriff werten (oder auch gutheißen) – aber die Destabilisierung kommt ganz und gar nicht aus der Richtung, aus der sie angekündigt wurde: Nach aktuellem Wissensstand hat Russland mit der Erstellung und Archivierung des Strache-Videos sowie mit seiner strategischen Platzierung kurz vor einer Wahl nichts zu tun. Die Urheber der Affäre sind mutmaßlich/offensichtlich westlichen Kreisen zuzuordnen. Ob nun Weg-“Gefährten“ Straches, ein „westlicher Geheimdienst“, eine österreichische Kanzlei oder ein deutscher Comedian hinter der Falle stecken, ist für diesen Aspekt unerheblich.

Nicht-russischer Ursprung der Affäre wird ignoriert

Durchaus erheblich ist aber, dass der mutmaßlich nicht-russische Ursprung der Einmischung nun weitgehend ignoriert wird. Anstatt den scheinbar westlichen Ursprung der Intervention in die EU-Wahl zu skandalisieren, tun viele Medien so, als würde die von ihnen selber geschürte anti-russische Hysterie nun durch die Strache-Affäre bestätigt werden. Diese Richtung wurde schon zu Beginn der Berichterstattung eingeschlagen.

Bei der Strache-Affäre wurde belastendes Material produziert, dann archiviert und schließlich strategisch platziert. Weil diese Praxis bei vielen Menschen Assoziationen mit Geheimdiensten auslöst, versuchten einige große Medien, diese Assoziationen vom mutmaßlich westlichen Ursprung hin zur „russischen Einflussnahme“ zu kanalisieren. So bezeichnete die „Welt“ die gegen Strache eingesetzten Praktiken als „eine Strategie, wie sie der russische Geheimdienst perfektionierte“. Und auch eine Anmoderation der „Tagesthemen“ zum Thema Strache beginnt zunächst mit den angeblichen Destabilisierungsversuchen „russischer Kräfte“. Die scheinbare Hörigkeit der Rechten gegenüber Russland thematisiert aktuell auch der DGB.

„Russland und Europas Rechte“

Als aktuellstes Beispiel und stellvertretend für diese mediale Stoßrichtung sei hier auf einen aktuellen Beitrag des „Deutschlandfunks“ verwiesen. Unter dem Titel „Das Ibiza-Video – Russland und Europas Rechte“ behauptet Autorin Martha Wilczynski:

„Der Skandal um das Ibiza-Video des österreichischen Vize-Kanzlers und FPÖ-Politikers Hans-Christian Strache hat einmal mehr der Fokus auf die Zusammenarbeit Russlands mit rechten Parteien in Europa gelenkt.“

Zwischen der FPÖ und der Regierungspartei Einiges Russland bestehe ein förmliches Kooperationsabkommen. Auch zur italienischen Lega Nord, dem französischen Front National und der deutschen AfD bestünden engere Kontakte. In den russischen Medien werde die  FPÖ-Affäre als Versuch des Mainstreams bezeichnet, russlandfreundliche Kräfte kurz vor der Europa-Wahl zu diskreditieren, so Wilczynski. Ein Politologe stellt schließlich in der Sendung fest, dass Russland nicht mit jedem Freundschaft schließe. Der Kreml habe folgende, nicht sehr überraschende, Kriterien: Die jeweilige Partei müsse im Rahmen der jeweiligen Verfassung agieren und Russland gegenüber freundlich eingestellt sein.

Was sagen die Russen über die Rechten?

Der Beitrag kommt auch auf die russische Politikerin Veronika Krascheninnikowa zu sprechen, die sich kürzlich in einem hochinteressanten Artikel zum Verhältnis Russlands zur europäischen Rechten geäußert hatte. Wie jedoch der „Deutschlandfunk“ die Politikerin und die Frage zu den Rechtsparteien behandelt, ist ungenügend. Zunächst wird Krascheninnikowa mehrfach als „Politologin“ vorgestellt. Dabei ist sie laut „RT“ Leiterin der Abteilung Außenpolitik in der Regierungspartei „Einiges Russland“. Zudem ist sie – oder war es zum Zeitpunkt der Entstehung ihres Artikels – Mitglied im obersten Rat von „Einiges Russland“, eine Position, die mit einer Mitgliedschaft im CDU-Vorstand vergleichbar ist. Das ist, als würde man Angela Merkel im Ausland als „Physikerin“ vorstellen.

Der wichtige Text von Krascheninnikowa bezeichnet laut „Deutschlandfunk“ den Austausch zwischen Kreml und europäischer Rechter als „Win-Win-Situation“. Krascheninnikowa würde aber warnen: Russland habe dabei mehr zu verlieren als AfD und Co. Die Verbindungen seien darum eher ein Grund zur Besorgnis. Diese Zusammenfassung ist zwar keine direkte Verzerrung, aber sie vereinfacht und entschärft die Äußerungen Krascheninnikowas. Es sei hier darum die Lektüre ihres Artikels empfohlen. Die NachDenkSeiten hatten ihn damals in diesem Artikel analysiert:

„Aus einem weiteren Dilemma, in dem sich der russische Staatssenders ‚RT Deutsch’ befindet, lässt sich auch auf eines der russischen Regierung schließen: Einerseits verweigern viele gemäßigte Gesprächspartner kategorisch den Dialog mit Sender und Regierung, gleichzeitig werden die erst aus dieser Verweigerung entstehenden eventuell problematischen Kontakte zu anderen Gesprächspartnern medial überbetont. Wiederum gleichzeitig werden etwa die zahlreichen Interviews von ‚RT Deutsch‘ mit LINKEN-Politikern von westlichen Medien verschwiegen. Auch aus solchen Verzerrungen entsteht das gewünschte (Trug-)Bild von der russischen ‚Präferenz‘ für rechte Strömungen in Europa.“

Geopolitische Motive bei Strache-Affäre nicht ausgeschlossen

Dass im Übrigen genau die FPÖ-Kontakte zu Russland ein Motiv für die Attacke gegen Strache gewesen sein könnten, wird ebenfalls nicht angemessen thematisiert. Etwa die Frage, ob den Initiatoren die Bestechlichkeit Straches herzlich egal ist, und es bei dem Vorgang nicht um politisch-moralische Hygiene ging, sondern viel mehr um das geopolitisch motivierte Kappen bestimmter Kommunikations-Kanäle zwischen Österreich und Russland. Auch diese Gedankenspiele sind momentan natürlich reine Spekulation. Nicht zu leugnen ist aber, wie skrupellos nun viele Medien und Politiker den Fall Strache für einen „pro-europäischen Schub“ nutzen wollen.

Was der Vorgang zudem einmal mehr belegt, ist die Möglichkeit, ähnlich gelagerte Episoden durch mediale Gewichtungen in völlig unterschiedlichem Licht darzustellen. Etwa die Strache-Affäre und die in Umlauf gebrachten E-Mails von Hillary Clinton. Zugunsten Clintons wurde der Akt des Datendiebstahls so massiv skandalisiert, dass mögliche belastende Inhalte aus ihren Mails nicht mehr durchdringen konnten. Im Fall Strache ist diese Gewichtung genau umgekehrt, wie die NachDenkSeiten beschrieben haben: Der Inhalt soll die Entstehungsgeschichte verdecken.

Die Medien und die Selbstbespiegelung – Die Rechten und die Opferrolle

Zu dieser Entstehungsgeschichte und zur Quelle des Videos hüllen sich die medialen Hauptakteure „Spiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“ weitgehend in Schweigen. Kaum vermeiden können die Redakteure aber die – erwartbare, aber dennoch lästige – Selbstbespiegelung, die sie in erklärenden oder in verteidigenden Texten zu den Themen Strache und Verantwortung der Medien praktizieren. Die Geschichte scheint auch noch nicht ausgestanden: Angeblich gibt es noch erhebliche Mengen an belastendem Material, das in den nächsten Wochen möglicherweise scheibchenweise veröffentlicht wird – oder auch erst in vier Jahren, wenn auf die nächste Wahl Einfluss genommen werden soll.

Man sollte aufpassen, dass man den Rechten nun nicht die Opferrolle überlässt, in die sie sich nur zu gerne begeben wollen. Ein Teil dieses Schadens ist jedoch durch die dubiose Umsetzung der Affäre schon angerichtet, wie die „Welt“ schreibt:

„Die Art, wie Heinz-Christian Strache aus dem Amt katapultiert wurde, erlaubt es ihm, zu behaupten, er sei zurückgetreten, weil ihm eine Falle gestellt wurde. Und nicht, weil er ein populistischer Demokratieverächter ist.“

Titel: Rustic / Shutterstock


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