Hinweise der Woche

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Am Wochenende präsentieren wir Ihnen einen Überblick über die lesenswertesten Beiträge, die wir im Laufe der vergangenen Woche in unseren Hinweisen des Tages für Sie gesammelt haben. Nehmen Sie sich ruhig auch die Zeit, unsere werktägliche Auswahl der Hinweise des Tages anzuschauen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (CW)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Italien: Drei Milliarden EU-Bußgeld gegen 30 Milliarden Euro Steuersenkung
  2. Amerika zweifelt am Kapitalismus
  3. Den Staat neu denken – weshalb eigentlich?
  4. Die Superreichen gefährden die Demokratie
  5. Demokratie in Schieflage
  6. In Barcelona schreiben die Bürger das Regierungsprogramm selbst – und machen ihre Stadt sozialer
  7. Hessentag: Streit um Bundeswehrstand auf Volksfest
  8. Klöckner und das Nestlé-Video: Die Politik sollte mehr Distanz schaffen
  9. Bürgerentscheid zur Wohnungsgesellschaft eint Osnabrücker Fraktionen
  10. Kliniken müssen auf Ärzte als freie Mitarbeiter verzichten
  11. Assange war nur der Anfang
  12. Die CDU und Rezo
  13. zu guter Letzt: Grüne im Glück – Mehrheit ihrer Wähler zu jung, um sich an Regierungsbeteiligung 1998-2005 zu erinnern

Vorbemerkung: Ursprünglich hatten wir geplant, in unserer Wochenübersicht auch auf die lohnendsten redaktionellen Beiträge der NachDenkSeiten zu verweisen. Wir haben jedoch schnell festgestellt, dass eine dafür nötige Vorauswahl immer damit verbunden ist, Ihnen wichtige Beiträge vorzuenthalten. Daher möchten wir Ihnen raten, am Wochenende doch einfach die Zeit zu nutzen, um sich unsere Beiträge der letzten Wochen (noch einmal) anzuschauen. Vielleicht finden Sie dabei ja noch den einen oder anderen Artikel, den es sich zu lesen lohnt. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Italien: Drei Milliarden EU-Bußgeld gegen 30 Milliarden Euro Steuersenkung
    Ministerpräsident Conte droht Lega und M5S mit Rücktritt
    Gestern drohte der parteifreie italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte auf einer Pressekonferenz, er werde “das Mandat zurück in die Hände des Staatspräsidenten” geben, wenn die beiden Koalitionsparteien Lega und M5S nicht bereit seien, sich auf eine Politik zu verständigen, die im Einklang mit den Regeln der EU steht. Hintergrund ist die Drohung der EU-Kommission, morgen ein Defizitverfahren gegen Italien einzuleiten. Das rechtliche Gehör für so ein Verfahren hat Brüssel bereits letzte Woche eingeholt, als man der italienischen Regierung Gelegenheit gab, schriftlich darzulegen, warum versprochene Fortschritte beim Schuldenabbau ausblieben.
    Ein Defizitverfahren kann in ein Bußgeld in Höhe von 0,2 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung des betroffenen Landes münden – was beim aktuellen Stand für Italien über drei Milliarden Euro wären. Setzt man diese Summe in Relation zu den geschätzten Kosten des nächsten Vorhabens der Lega, wirkt sie verhältnismäßig klein. Die Partei von Matteo Salvini plant nämlich eine “Flat Tax” – eine fünfzehnprozentigen Pauschalsteuer für Einkommen unterhalb von 50.000 Euro. Die soll die italienischen Steuerzahler nicht nur bürokratisch, sondern auch finanziell entlasten – um etwa 30 Milliarden Euro.
    Quelle: Telepolis

    dazu: Auch Frankreich soll handeln: EU-Kommission fordert Defizitverfahren gegen Italien
    Die EU-Kommission bringt disziplinarische Maßnahmen gegen Italien auf den Weg und fordert auch Frankreich, Belgien und Zypern zum Handeln auf. Jetzt sind die EU-Staaten am Zug.
    Die EU-Kommission bringt disziplinarische Maßnahmen gegen das hoch verschuldete Italien auf den Weg. Nach Brüsseler Einschätzung hat Italien im vergangenen Jahr keine ausreichenden Gegenmaßnahmen ergriffen. Jetzt haben die EU-Staaten zwei Wochen Zeit, um sich selbst ein Bild zu machen und die Einschätzung der Kommission zu prüfen.
    Auch gegen Frankreich, Belgien und Zypern empfahl die Kommission Schritte wegen zu hoher Schulden. Frankreich habe nur eine „leichte Verringerung“ der öffentlichen Ausgabenquote von 56 Prozent erreicht. Im EU-Vergleich sei das der höchste Wert. Für eine Verringerung des Schuldenstands seien geringere Ausgaben notwendig. Die Schuldenquote Frankreichs lag 2018 bei 98,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), 2019 wird der Wert laut den Berechnungen der Kommission um 0,5 Prozentpunkte steigen. Bis 2022 soll er auf 96,8 Prozent sinken. Die EU erlaubt im Rahmen der Maastricht-Regeln eigentlich nur eine Schuldenquote von 60 Prozent. Die Neuverschuldung hat Frankreich 2018 dagegen auf 2,5 Prozent des BIP gedrückt. Die Maastricht-Regeln würden 3 Prozent erlauben.
    Ein Ende des Defizitverfahrens hält die Kommission dagegen im Fall von Spanien für angemessen, weil das Land sich wieder an die Neuverschuldungsgrenze in Höhe von 3 Prozent der Wirtschaftsleistung halte.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Wir sind ja heute alle Proeuropäer – weil das irgendwie toll ist. Außer die EU-Kommission: die hat in den letzten 10 Jahren so gar nichts gelernt und möchte die EU zerstören. Denn so falsch die von Salvini geplanten Maßnahmen – hohe Steuersenkungen bzw. Steuergeschenke an Gutverdiener – sind, muss die italienische Regierung irgendetwas tun, um nach über zehn Jahren Stagnation und extrem hoher (Jugend-)Arbeitslosigkeit das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, ggf. auch mit einer höheren Staatsverschuldung. Falls nicht, und wenn die EU selbst sinnvolle Staatsausgaben zur Verbesserung von Wirtschaftswachstum und sozialer Lage verhindert, dann treten die inzwischen verzweifelten Italiener aus sehr guten Gründen aus dem Euro und der EU aus. Betreffend Frankreich ist die Begründung für den “Blauen Brief” noch bizarrer, denn nicht nur die Staatsverschuldung, sondern auch die relativ hohe Staatsquote (ich nehme an, das ist mit “öffentliche[r] Ausgabenquote” gemeint) wird als Negativkriterium herangezogen. Als läge die Staatsquote nicht absolut in der Souveränität jedes einzelnen Staates oder hätte irgendeinen (direkten) Einfluss auf den Schuldenstand oder die Solvenz im Euroraum – das ist pure Ideologie vom “schlanken Staat”. Und wenn schon Frankreichs Schulden eine Rolle spielen, könnte die EU-Kommission zumindest auf die unverantwortlichen und unbezahlbaren Unternehmensteuersenkungen (20 Milliarden Euro pro Jahr) hinweisen, die dank Macron ab diesem Jahr in Kraft treten.

  2. Amerika zweifelt am Kapitalismus
    Junge Wähler in den USA sehen den Turbokapitalismus ihres Landes zunehmend kritisch, linke Politiker wie Alexandria Ocasio-Cortez gelten als cool – und ausgerechnet ein Hedgefonds-Manager befeuert die Debatte.
    Es gibt wohl nicht viele Leute, die John Hickenlooper kennen – nicht einmal in Amerika. Dabei hat sich der demokratische Präsidentschaftsbewerber und frühere Unternehmer Großes vorgenommen: “Ich trete an, um den Kapitalismus zu retten.”
    Das Wahlkampfversprechen des 67-jährigen Ex-Gouverneurs von Colorado scheint im Kernland der Turbomarktwirtschaft auf den ersten Blick weit hergeholt: Wenn es ein Land gibt, in dem alle glauben, es zähle vor allem die Anstrengung jedes Einzelnen und der Staat habe sich tunlichst rauszuhalten, dann die USA.
    Tatsächlich aber ist in den USA eine Debatte entbrannt, die noch vor nicht allzu langer Zeit unmöglich schien: Ist unser System am Ende? Und ist der Sozialismus womöglich die bessere Wahl?
    Es sind vor allem die Jüngeren, die diese ketzerischen Fragen stellen. Fast jeder Zweite in der Altersgruppe der Millennials und Generation Z erklärte kürzlich in einer Umfrage im Auftrag des Nachrichtenportals “Axios”, dass er lieber in einem sozialistischen Land leben würde.
    Hedgefondsmanager rechnet mit Kapitalismus ab
    So richtig in Schwung gebracht hat die Sache aber nun ausgerechnet jemand, der in einer Kommandozentrale des sich schnell drehenden Geldes sitzt: Ray Dalio, Gründer des weltgrößten Hedgefonds Bridgewater Association, der auf ein persönliches Vermögen von geschätzt 17 Milliarden Dollar kommt. Im Vorfeld der Milken Institute Global Conference, dem jährlichen Treffen der Finanzjongleure, veröffentlichte Dalio vor einigen Wochen auf Linkedin eine vernichtende Abrechnung mit dem Wirtschaftsmodell, das ihn reich gemacht hat.
    Quelle: SPIEGEL Online
  3. Den Staat neu denken – weshalb eigentlich?
    Debatten über Sinn und Zweck von staatlichen Regulierungen der Wirtschaft werden seit Jahren in Dauerschleife geführt. Dabei sollte eigentlich klar sein, dass die kapitalistische Marktwirtschaft ohne politische Regulierungen gar nicht funktionieren kann.
    Privater Reichtum und öffentliche Armut
    Vielmehr bedeutet linke Politik, das Primat der Politik zu stützen und die Volkswirtschaft vor den suizidalen Eigenschaften des Kapitalismus mit staatlichen Regulierungen zu schützen. Diese betreffen nicht nur die Finanzmärkte, den Wettbewerb und die Einkommensverteilung, sondern ebenso die öffentliche Sicherheit, die Wohnungswirtschaft, das Verkehrswesen, Bildung, Kultur und nicht zuletzt die Absicherung allgemeiner Lebensrisiken wie Alterung, Krankheit und Arbeitslosigkeit. Das alles sind keine verzichtbaren Wohltaten, sondern für die Reproduktion der Wirtschaft existenzielle Aufgaben.
    Natürlich kann man die Sicherung der wirtschaftlichen und sozialen Infrastruktur auch privaten Institutionen übertragen und aus Staatsbetrieben börsennotierte Aktiengesellschaften machen. Die Resultate einer solchen Politik sind für alle spürbar: wachsende Altersarmut, marode Schulen und Verkehrswege, ein aus den Fugen geratener Immobilienmarkt, notorisch unpünktliche Züge, große Lücken in der Betreuung pflegebedürftiger Menschen und so weiter und so fort. Wir erleben einen wachsenden und äußerst ungleich verteilten privaten Reichtum bei einer zugleich steigenden öffentlichen Armut. Davor warnte der Keynesianer John Kenneth Galbraith schon Anfang der 1960er Jahre.
    Die Fiskalpolitik der „schwarzen Null“ mit dem Motto „Sparen bis es quietscht“ hat fatale Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung und das Leben der Bürger. Es ist nicht nur rechtlicher, sondern auch ökonomischer Irrsinn, diese Maxime ins Grundgesetz zu hieven. Ganz zu schweigen von der bizarren Forderung von Wirtschaftsminister Altmeier, die Begrenzung der Sozialabgaben auf 40 Prozent der Lohnsumme zum Verfassungsziel zu erklären. Genauso gut könnte man den Body-Mass-Index von 30 als dem üblichen Grenzwert zwischen Übergewicht und Fettleibigkeit zum gesetzlichen Limit für die Übernahme eines Ministeramts machen.
    Es ist nun einmal so, dass die kapitalistische Marktwirtschaft ohne eine öffentliche Verkehrsinfrastruktur, ein umfassendes Bildungssystem und flächendeckende gesundheitliche und soziale Dienste nicht funktionieren kann. Wenn sich als postmoderne Linke gebende Hipster staatliches Handeln auf Behördenwillkür, Verbote und Begrenzungen reduzieren, sind sie ebenso ignorant wie Neoliberale mit ihrem Mantra von der Unbezahlbarkeit des Sozialstaats…
    Quelle: Makroskop
  4. Die Superreichen gefährden die Demokratie
    Mit viel Geld lässt sich leicht Politik machen, die Zivilgesellschaft bleibt außen vor. In den USA ist das Problem allgegenwärtig, breitet sich aber auch in Europa aus. […]
    Der wichtigste Motor der Ungleichheit ist die Finanzialisierung der Weltwirtschaft. Was ist damit gemeint? Wer finanzielle Ressourcen besitzt und manipulieren kann, generiert Erträge, die mit keiner anderen Form menschlicher Aktivität jemals erzielt werden können. Wurde der Reichtum erst einmal erworben, kann eine Einzelperson oder ein Konzern einen Teil davon für politische Lobbyarbeit einsetzen und so staatliche Maßnahmen – wie Steuerpolitik, gesetzliche Veränderungen und Staatsaufträge – beeinflussen. Sie ermöglichen es dem Vermögensinhaber, in Zukunft noch mehr zu verdienen. Die zunehmende Ungleichheit und die Schwächung der Demokratie befinden sich so eng umklammert in einer verhängnisvollen Abwärtsspirale.
    Doch eine weitere Spirale zeigt in die Gegenrichtung. Der moderne Kapitalismus ist abhängig vom Massenkonsum. Dieser wiederum hängt davon ab, dass die Einkommen der Bevölkerung in der Breite wachsen. Im Jahr 2014 wurde in einem Arbeitspapier der Industrieländerorganistion OECD zur Beschäftigung und Migration errechnet, dass in den USA die obersten ein Prozent der Einkommensbezieher zwischen 1975 und 2007 (dem Jahr vor der Finanzkrise) fast 50 Prozent des Wachstums des Nationaleinkommens auf sich vereinten. Eine überwiegende Mehrheit der Bevölkerung verzeichnete dagegen stagnierende ober sogar rückläufige Einkommen. Trotzdem wurde weiter konsumiert. Dies war nur mithilfe einer wachsenden Verschuldung möglich, die trotz aller Risiken von einem Finanzsystem gefördert wurde, das durch die Lobbyarbeit der Banken dereguliert worden ist. Schließlich wurde die Belastung durch die hohen Ausfallrisiken zu viel für die Finanzmärkte. Es kam zu der Krise, von der wir uns immer noch nicht vollständig erholt haben.
    Quelle: Zeit Online
  5. Demokratie in Schieflage
    Unsere Demokratie hinkt: Vor allem die sozial Privilegierten gehen wählen und im Bundestag sitzen fast nur noch Akademiker. Das führe zu Gesetzen, die letztlich vor allem den Wohlhabenden nutzen, warnt der Politologe Armin Schäfer.
    Bei der Europawahl am vergangenen Sonntag haben im ärmsten Kölner Stadtteil 30 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben, in den reichsten Stadtteilen fast 80 Prozent – ein Unterschied von 50 Prozentpunkten. Das ist eines von vielen Beispielen für die sozial ungleiche Wahlbeteiligung in Deutschland. Der Politikwissenschaftler Armin Schäfer von der Universität Münster spricht von einem „sehr engen systematischen Zusammenhang“ zwischen der sozialen Lage der Menschen und ihrer Wahlbeteiligung.
    Kritisch betrachtet Schäfer auch die Zusammensetzung des Deutschen Bundestages, die ein hohes Maß an Homogenität aufweise. „Mehr als 80 Prozent der Abgeordneten haben studiert, in einzelnen Fraktionen sind es fast 90 oder 100 Prozent. Das heißt, dort ist niemand, der irgendwann mal sein Geld im Dienstleistungssektor verdienen musste oder am Band stand. Der klassische Arbeiter schafft es schon lange nicht mehr ins Parlament. Aber auch neue Berufe – unterhalb der Akademiker – schaffen es nicht mehr ins Parlament.“
    Und das hat wiederum Folgen, die die sozial ungleiche Wahlbeteiligung verstärkt. Armin Schäfer konnte mit einem Team nachweisen, „dass die Entscheidungen, die der Bundestag zwischen 1980 und der Gegenwart getroffen hat, viel stärker mit den Präferenzen von Menschen übereinstimmen, denen es besser geht, als mit denen von Menschen, denen es schlechter geht“. Wenn also bestimmte Gruppen von Bürgerinnen und Bürgern daraus die Lehre ziehen, dass ihre Anliegen nicht berücksichtigt werden, so habe das einen rationalen Kern.
    Quelle: Deutschlandfunk Kultur

    Anmerkung JK: Diese Entwicklung ist gerade hinsichtlich des Wahlergebnisses der Grünen nicht unerheblich und es ist zu befürchten, dass politische Entscheidungen bezüglich des Klimawandels gerade zu Lasten derjenigen gehen, die nicht dem urbanen akademischen Milieu angehören. Welche absurden Dimensionen das annehmen kann zeigt ein Kommentar in der taz, der den Entzug des Wahlrechts für ältere Mitbürger fordert.

  6. In Barcelona schreiben die Bürger das Regierungsprogramm selbst – und machen ihre Stadt sozialer
    In Barcelona waren 40.000 Bürger an der Erstellung des Regierungsprogramms beteiligt – und tatsächlich: Dreiviertel des Programms stammt von den Bürgerinnen und Bürgern selbst, die sich online und offline beteiligten. Die Stadt zeigt vor, wie die technische Revolution einer Smart City auch die Demokratie revolutionieren kann. Dafür setzt Barcelona auf eigene Infrastruktur und Technik statt auf globale Tech-Multis. Das stärkt die lokale Wirtschaft und den sozialen Zusammenhalt in der Stadt.
    „Wir müssen die digitale Revolution mit einer demokratischen Revolution verbinden: Die Bürgerinnen müssen vollständig an der Gestaltung der öffentlichen Ordnung mitwirken können“, sagt Francesca Bria, die Kommissarin für Digitale Technologien in Barcelona.
    Und in Barcelona bedeutet Digitalisierung und technische Innovation tatsächlich mehr direkte Mitbestimmung. Bürger haben die Möglichkeit ihre Anliegen vorzubringen und an der Lösung der Probleme der Stadt aktiv mitzuarbeiten. Die Bürgerinnen setzen sich vor allem für mehr günstige Wohnungen, saubere Energie und soziale Sicherheit ein. Und das funktioniert. Es sind autofreie Stadtgebiete entstanden, neue Buslinie wurden eingeführt und die Stadt hat ein Unternehmen für Solarenergie gegründet.
    (…) „Wir möchten die Art und Weise verändern, wie Regierungen heutzutage funktionieren und sie offener, transparent, kollaborativ und partizipativ gestalten“, erklärt Bria. Die Regierung stellt alle öffentlichen Verträge online und macht so für alle sichtbar, wofür die Stad das Geld ihrer Bürger ausgibt.
    (…) Daten an die Stadtbewohner zurückgeben
    Und schließlich will Barcelona den Stadtbewohnern die Kontrolle über ihre Daten zurückgeben. Denn private Konzerne überwachen jede unserer Bewegungen, um unser Verhalten vorhersehen und kontrollieren zu können. Die britische Regierung hat etwa Millionen Gesundheitsdaten an Google weitergegeben, ohne die Öffentlichkeit um Erlaubnis zu fragen. Viele fürchten, dass die Daten an private Gesundheitsanbieter verkauft werden können.
    Quelle: kontrast.at

    Anmerkung Marco Wenzel: Na also, geht doch. Direkte Demokratie kann funktionieren, sogar viel besser als die Bürgerliche. Man muss es nur machen. Und dabei den politischen Mut aufbringen, gegen den Strom zu schwimmen.

    passend dazu: ‘It’s a miracle’: Helsinki’s radical solution to homelessness
    Finland is the only EU country where homelessness is falling. Its secret? Giving people homes as soon as they need them – unconditionally
    (…) As in many countries, homelessness in Finland had long been tackled using a staircase model: you were supposed to move through different stages of temporary accommodation as you got your life back on track, with an apartment as the ultimate reward.
    “We decided to make the housing unconditional,” says Kaakinen. “To say, look, you don’t need to solve your problems before you get a home. Instead, a home should be the secure foundation that makes it easier to solve your problems.”
    With state, municipal and NGO backing, flats were bought, new blocks built and old shelters converted into permanent, comfortable homes…
    (…) But Housing First is not just about housing. “Services have been crucial,” says Helsinki’s mayor, Jan Vapaavuori, who was housing minister when the original scheme was launched. “Many long-term homeless people have addictions, mental health issues, medical conditions that need ongoing care. The support has to be there.”
    At Rukkila, seven staff support 21 tenants. Assistant manager Saara Haapa says the work ranges from practical help navigating bureaucracy and getting education, training and work placements to activities including games, visits and learning – or re-learning – basic life skills such as cleaning and cooking…
    Quelle: The Guardian

    Anmerkung Marco Wenzel: Barcelona und Helsinki machen es anders und mit Erfolg. Der Trick dabei: Sozial und demokratisch. Es gibt in Deutschland sogar eine Partei, die sich nach diesen beiden Worten nennt. Leider aber machen sie es da, wo sie das Sagen haben, lieber neoliberal und undemokratisch paternalistisch.

  7. Hessentag: Streit um Bundeswehrstand auf Volksfest
    Der Informationsstand der Bundeswehr auf dem Hessentag erhitzt seit Jahren die Gemüter. In diesem Jahr wird nicht nur informiert, sondern verschiedene Panzer und Hubschrauber werden in Stellung gebracht.
    Die Linke-Fraktion hat den seit Jahren schwelenden Streit um die Bundeswehr und ihren Informationsstand auf dem Hessentag erneut angefacht. „Kriegsgeräte haben auf einem friedlichen Volksfest nichts zu suchen“, sagte Fraktionschef Jan Schalauske in Wiesbaden. Dieses Jahr sollen in Bad Hersfeld unter anderem verschiedene Panzertypen wie der Schützenpanzer vom Typ „Marder“ und ein Unterstützungshubschrauber ausgestellt werden. Mit einem solchen Stand „hessische Identität zu stiften – was ja Sinn dieses Volksfests sein soll – ist reichlich abwegig“, kritisierte Schalauske.
    (…) Nicht nur die Linke-Fraktion kritisiert den Informationsstand der Bundeswehr auf dem Hessentag. Die „Friedensinitiative Hersfeld-Rotenburg“ protestiert gegen die Präsenz der Bundeswehr beim Hessentag in ihrem Heimatort und hat dazu aufgerufen das Aktionsbündnis „Friedlicher Hessentag“ zu bilden. „Wir wenden uns gegen Militärwerbung auf Volksfesten und bei Minderjährigen“, schreibt das Bündnis auf seiner Website. Am 15. Juni soll eine Demonstration stattfinden.
    Quelle: FAZ

    dazu: Fest verankert
    Mit dem diesjährigen “Tag der Bundeswehr” wollen die deutschen Streitkräfte erklärtermaßen die soziale Militarisierung weiter vorantreiben. Es gehe darum zu demonstrieren, dass die Truppe “aus der Gesellschaft heraus für die Gesellschaft da ist”, heißt es in den zugehörigen Propagandapublikationen. Dabei kann sich die Armee insbesondere auf willfährige Landes- und Kommunalpolitiker stützen. Mehrere Regional- und Gemeindefeste wurden eigens auf den “Tag der Bundeswehr” verlegt; neben Waffen und Kriegsgerät werden flächendeckend Einsatzfahrzeuge von Polizeibehörden, Technischem Hilfswerk (THW) und Rettungsdiensten zu sehen sein. Das hierin zum Ausdruck kommende Vorgehen korrespondiert mit einer deutlichen Zunahme sogenannter freilaufender Übungen der deutschen Streitkräfte. Dabei trainieren Kampfeinheiten inmitten der Zivilbevölkerung unter anderem Operationen zur Aufstandsbekämpfung in Afghanistan. Die betroffenen Bürger werden schon im Vorfeld auf die entsprechenden Manöver eingestimmt – und erhalten zugleich Informationen über den “Arbeitgeber Bundeswehr”.
    Quelle: German Foreign Policy

    Anmerkung Marco Wenzel: Mama & Papa im Panzer. Wenn das mal kein Gaudi ist… Opa fuhr ja auch schon mal Panzer, früher, als Deutschland noch groß war und einen Führer hatte.

  8. Klöckner und das Nestlé-Video: Die Politik sollte mehr Distanz schaffen
    Im Kampf für gesunde Ernährung darf Ministerin Klöckner Konzerne wie Nestlé nicht hofieren – und sich nicht mit windelweichen Selbstverpflichtungen der Industrie zufriedengeben.
    Dass Ernährungspolitik eben nicht nur eine Geschmacksfrage ist, machen gerade 59 Sekunden im Netz ziemlich eindrucksvoll deutlich. So lang ist das Video, das einen wahren Proteststurm auslöst, weil es die Nähe zwischen Politik und Wirtschaft in diesem Sektor aus den Hinterzimmern holt. In einer knappen Minute darf Nestlés Deutschland-Chef Marc-Aurel Boersch die eigene Strategie zur Reduzierung von Zucker, Salz und Fetten in Lebensmitteln bewerben. Bemerkenswert daran: Nestlé muss keinen Cent für Werbezeiten bezahlen. Gesendet wurde der Film samt Lob der Agrar- und Ernährungsministerin Julia Klöckner über den offiziellen Twitter-Kanal ihres Ministeriums. Untertitel: “Dass dies geht, zeigt Nestlé Deutschland.”
    Tatsächlich zeigt das Video eindrucksvoll, was möglich ist, wenn die Distanz zu klein wird. Denn das Video ist die konsequente Folge einer problematischen Politik. Dass die Deutschen sich künftig gesünder ernähren, will die zuständige Ministerin Klöckner nicht etwa per Gesetz festschreiben, sondern einer freiwilligen Vereinbarung mit Industrieunternehmen wie Nestlé überlassen.
    Quelle: Süddeutsche

    dazu: Gigant der Skandale
    Neben der Milchpulver-Kontroverse weisen Kritiker des Konzerns immer wieder auf den zu hohen Zuckergehalt in vielen Nestlé-Produkten hin, vor allem solche, die für Kinder gemacht sind. Verbraucherorganisationen monieren auch hier, dass WHO-Empfehlungen nicht eingehalten würden. Der Konzern biete viele unausgewogene, zu süße Produkte für Kinder an, meint Martin Rücker von Foodwatch und nennt als Beispiel die Frühstücksflocken. Da gehe der Zuckeranteil zwar zurück, aber zu langsam. “In Deutschland erfüllt nur ein einziges Produkt von 14 uns bekannten Nestlé-Kinderfrühstücksflocken die Vorgaben der WHO für Kinderlebensmittel”, sagt er. Manche Flocken enthielten doppelt so viel Zucker wie empfohlen.
    Als Ärgernis bezeichnet der Verbraucherschützer auch die aggressive Werbung für Kinder. Dabei gehört Nestlé zu den Unterzeichnern einer freiwilligen Selbstverpflichtung der Lebensmittelindustrie, in der sich die Branche Zurückhaltung bei Kinderwerbung auferlegt. Diese klingt zwar ambitioniert, lässt aber viele Schlupflöcher zu. “Da heißt es etwa, man verzichte auf den Einsatz von beliebten Komikfiguren aus TV und Kino. Unterlaufen wird das damit, dass Nestlé eigene Figuren wie den Nesquik-Hasen entwickelt”, sagt Rücker. Im Kern wollten Firmen wie Nestlé mit der Selbstverpflichtung eine gesetzliche Werbebeschränkung verhindern.
    Quelle: Süddeutsche

    und: Seehofer: “Man muss Gesetze kompliziert machen”
    CSU-Innenminister Horst Seehofer hat sich am Donnerstag beim “Zweiten Berliner Kongress für wehrhafte Demokratie” zu dem neuen Migrationspaket geäußert. Ein Ausschnitt aus seiner Rede, den die ARD-Sendung “Bericht aus Berlin” verbreitete, erregt nun öffentliche Aufmerksamkeit.
    Das Datenaustauschgesetz, über das am Freitag mit abgestimmt werde, habe er “ganz stillschweigend” eingebracht. Er habe gelernt, man müsse Gesetze kompliziert machen, “dann fällt es nicht so auf”. “Wir machen nichts Illegales, wir machen Notwendiges. Aber auch Notwendiges wird ja oft unzulässig infrage gestellt,” ist von Seehofer in dem Ausschnitt zu hören.
    Quelle: T-Online

    Anmerkung André Tautenhahn: Das ist eigentlich keine Neuigkeit mehr. Eine Landwirtschaftsministerin kungelt ganz offen mit der Lebensmittelindustrie und der Innenminister erklärt ebenfalls öffentlich, dass sein Haus bewusst gegen die gebotene Normenklarheit verstößt. Das müssen diese komplexen Zusammenhänge sein, von denen immer die Rede ist.

  9. Bürgerentscheid zur Wohnungsgesellschaft eint Osnabrücker Fraktionen
    Dass die Stadt so eine Gesellschaft gründet, ist Wille der Osnabrücker. Beim Bürgerentscheid am Sonntag fiel das Votum mit 76,4 Prozent der Stimmen deutlich aus – nun sind Rat und Verwaltung am Zug.
    Und die machen sich direkt an die Arbeit. Einstimmig beauftragte der Rat die Verwaltung am Dienstagabend unter anderem, bis September einen Zeit- und Maßnahmenplan vorzulegen, damit die Gesellschaft „schnellstmöglich“ gegründet werden kann. „Wir haben den Ball in unserem Spielfeld, und ich freue mich, dass wir jetzt alle gemeinsam an einem Strang ziehen“, sagte Oberbürgermeister Wolfgang Griesert (CDU).
    „Lasst uns loslegen“, appellierte Michael Hagedorn (Grüne). Niemand widersprach. Erstmals sind sich die Fraktionen in diesem Thema jetzt einig – auch CDU/BOB und FDP, die zuvor immer gegen die Gründung einer Wohnungsgesellschaft waren. CDU-Fraktionschef Fritz Brickwedde reichte den Befürwortern von SPD, Grünen und Linken die Hand: „Es gibt kein Nachtreten, keine Behinderung. Wir werden jetzt konstruktiv an der Gründung einer Wohnungsbaugesellschaft der Stadt mitwirken und uns aktiv einbringen“, betonte er – und mahnte zur Eile. (…)
    Bei aller neuen Einigkeit trat Frank Henning trotzdem noch mal nach: „Sie haben hier eine krachende Niederlage erlitten“, sagte er in Richtung CDU und FDP. Er wies Brickweddes Äußerung vom Wahlabend zurück, SPD und Grüne müssten nun Konzepte liefern. „Das ist immer noch Aufgabe der Verwaltung“, so Henning. Er betonte zur Finanzierung, die von CDU und FDP stets kritisch beäugt worden war, dass die Stadt als Kapitaleinlage in die neue Gesellschaft städtische Fläche einbringen werde. So hat es die Verwaltung vorgeschlagen. Finanzvorstand Thomas Fillep plädierte in einer entsprechenden Mitteilungsvorlage für die Gründung einer GmbH & Co. KG. Der Bau eigener Wohnungen könne auch den Kernhaushalt der Stadt entlasten, sagte der Grüne Hagedorn. Circa 50 Millionen Euro gebe Osnabrück jährlich für Sozialleistungen aus – darunter Geld fürs Wohnen.Bürgerbeteiligung
    Wichtig war der SPD noch die (nun ebenfalls beschlossene) Bürgerbeteiligung an der Gründung der Wohnungsgesellschaft.
    Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung

    Anmerkung Christian Reimann: Na also, geht doch. Und was in Osnabrück funktioniert, könnte in noch viel mehr Städte und Gemeinden so sein. Die Höhe des Zuspruchs für eine (genossenschaftliche/kommunale/öffentliche) Wohnungsgesellschaft ist vielleicht überraschend. Die Arbeit geht nun erst richtig los.

    Begleitet werden sollten solche Maßnahmen auch von bundespolitischer Seite: Denn es war die Kohl-Regierung, die Kündigungen wegen Eigenbedarf erfunden, die Gemeinnützigkeit von Genossenschafts- und Werkswohnungen abschaffte und deren Verkauf/Privatisierung ermöglicht hatte.

  10. Kliniken müssen auf Ärzte als freie Mitarbeiter verzichten
    (…) Arbeiten Ärzte auf Honorarbasis und zeitlich befristet in Krankenhäusern, unterliegen sie der Sozialversicherungspflicht. Kliniken, die zur Überbrückung von Personalengpässen auf diese Mediziner zurückgriffen, müssen daher Sozialbeträge an die Deutsche Rentenversicherung nachzahlen. Die für das Gesundheitswesen weitreichende Entscheidung hat das Bundessozialgericht (BSG) in einem Leitfall am Dienstag verkündet.
    Mehrere Kläger hatten in den zehn Revisionen in Kassel vorgetragen, dass der Einsatz von Honorarärzten vor allem in ländlichen Gebieten notwendig sei, um die medizinische Grundversorgung sicherzustellen. Ein „etwaiger Fachkräftemangel im Gesundheitssektor“ ändere an der Entscheidung nichts, sagte Rainer Schlegel, Gerichtspräsident und Vorsitzender des 12. Senats in der Urteilsverkündung. „Finden Krankenhäuser nicht genug Personal, weil die Arbeitsbedingungen als unattraktiv angesehen werden, können sie ihre Probleme nicht mit Honorarvereinbarungen lösen.“ Unter Honorarärzten versteht man Mediziner, die häufig nebenberuflich und zeitlich befristet auf Basis individueller Einsätze für mehrere Auftraggeber tätig sind. Dafür erhalten sie ein Honorar, das über dem Entgelt der angestellten Ärzte liegt. Im Vorfeld der Verfahren waren verschiedene Verbände um Stellungnahmen gebeten worden. Bis ins Jahr 2015 soll laut der Deutschen Krankenhausgesellschaft jedes zweite Krankenhaus solche Mediziner beauftragt haben. Der Bundesverband der Honorarärzte selbst spricht von aktuell 5000 Medizinern in Deutschland. Dagegen geht der Marburger Bund davon aus, dass ihr Einsatz aufgrund von Haftungs- und Regressrisiken an Attraktivität verloren hat.
    Quelle: Frankfurter Allgemeine

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Sozialhilfebetrug durch deutsche Krankenhäuser – man lernt halt nie aus. Das Urteil ist für jeden Laien nachvollziehbar, weil Krankenhausärzte offensichtlich immer weisungsgebunden, also wie/als Angestellte arbeiten. Und das Pseudo-Argument mit dem Fachkräftemangel, meiomei: zahlt halt ordentlich, dann gibt es genug Fachkräfte.

    dazu auch: Das Problem ist nicht die Zeiterfassung, sondern der Personalmangel
    “Wenn wir keine Überstunden mehr machen sollen, müssen wir entlastet werden”
    Lisa*, 25, arbeitet als Krankenschwester in einem Krankenhaus in München.
    Seit drei Jahren arbeite ich auf der sogenannten Stroke-Unit, einer Intensivstation für Schlaganfallpatienten. Da meine Patienten schwer krank sind, werden ihre Werte dauerhaft am Monitor überwacht und auch ich muss sie sehr genau im Auge behalten. Wir sind chronisch unterbesetzt: Drei Krankenschwestern oder Pfleger müssen sich gleichzeitig um zwölf Patientinnen kümmern. Das ist eigentlich überhaupt nicht machbar und wir geraten regelmäßig in schwierige Situationen. Letztens war ich bei einem Patienten, dessen Blutdruck lebensbedrohlich anstieg. Ich musste schnell reagieren, rief den Arzt, bereitete die Medikamente vor und zog eine Spritze auf. Plötzlich sah ich, dass ein anderer meiner Patienten verwirrt über den Flur lief. Eigentlich hätte ich ihn zurück ins Bett bringen müssen, in dem Moment war aber keine Zeit dafür.
    Ich renne oft von Patient zu Patient, um meine Aufgaben irgendwie innerhalb meiner Schicht zu schaffen. Trotzdem gibt es immer wieder Dinge, die ich nicht schaffe, weil die Zeit zu knapp ist. Bei Patienten, die zum Beispiel ein bestimmtes Medikament erhalten, müsste ich alle 15 Minuten die Vitalzeichen überprüfen, also Blutdruck messen, Atmung überwachen, Bewusstsein überprüfen und Temperatur messen. Meine Kolleginnen und ich schaffen es aber nicht immer, diesen Zeitrahmen genau einzuhalten.
    Um trotzdem bestmöglich für die Patientinnen da zu sein, arbeiten wir ständig mehr. Die halbe Stunde Mittagspause, die mir während meiner Schicht zusteht, habe ich noch nie gemacht. Hier macht niemand Pause. Dazu kommen die Überstunden, die jede Woche anfallen. Wenn ich während meiner Schicht nicht alle Aufgaben erledige, müssten meine Kollegen sie in der nächsten Schicht fertig machen. Und das möchte ich nicht. Ich möchte sie nicht enttäuschen und zusätzlich belasten. Schließlich weiß ich, wie viel zu tun ist.
    Obwohl wir eine Stempelkarte haben, werden unsere Arbeitszeiten und die Überstunden nicht korrekt dokumentiert. Meine Überstunden bekomme ich nicht bezahlt. Selbst wenn die Arbeitszeiten durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Zukunft systematisch erfasst werden würden, glaube ich nicht, dass sich im Krankenhaus etwas ändern würde. Ich würde mit Sicherheit weiter Überstunden machen müssen. Das Problem ist ja nicht die mangelnde Aufzeichnung unserer Arbeitsstunden, sondern der Personalmangel. Wenn wir keine Überstunden mehr machen sollen, müssen wir entlastet werden.
    Quelle: Zeit Online

    Anmerkung Jens Berger: Die konsequente Zeiterfassung soll ja auch vor allem den gerade in Klinikbereich allgegenwärtigen Missbrauch mit nicht bezahlten Überstunden verhindern. Denn wenn die Kliniken für die Überstunden nicht voll bezahlen müssen, haben sie natürlich auch weniger Anreiz, den Personalmangel ernsthaft anzugehen.

  11. Assange war nur der Anfang
    Die Mächtigen knebeln die Presse, in den USA, in Frankreich und jetzt auch in Deutschland
    Julian Assange wurde jahrelang mitten in Europa psychisch gefoltert (nach Aussagen des UN-Menschenrechtsbeauftragen), und soll lebenslänglich ins Gefängnis, weil er es wagte, uns über Kriegsverbrechen der US-Armee zu informieren. In Frankreich werden eine Journalistin und ihre Zeitung von der Regierung drangsaliert, weil sie über gewalttätige Eskapaden von Macrons Leichtwächter und Vertuschungsversuche schrieb. Und in Deutschland soll der Geheimdienst ganz offiziell das Recht bekommen, sich in die Computer von Journalisten zu hacken, um deren Quellen für unliebsame Veröffentlichungen zu enttarnen. (…) In Paris wurde die Journalistin der führenden Tageszeitung Le Monde, Ariane Chemin, von Sicherheitsbehörden verhört und mit Zuchthaus bedroht, weil sie eine Serie von Artikeln über Gewalttätigkeiten von Präsident Macrons Leibwächter veröffentlichte, die letztlich zu einigen Rücktritten führten. Auch der Geschäftsführer von Le Monde wurde vom Generaldirektorat für innere Sicherheit verhört und eingeschüchtert. Insgesamt wurden in letzter Zeit acht Journalisten verhört, die Unbequemes veröffentlichten, etwa über Waffenlieferungen an Saudi-Arabien und Jemen.
    Und in Deutschland? Hier gibt es den Referentenentwurf des Innenministeriums für ein Gesetz, das es den deutschen Inlands- und Auslandsgeheimdiensten ausdrücklich erlaubt, Server, Computer und Smartphones von Verlagen, Rundfunksendern sowie freiberuflichen Journalistinnen und Journalisten zu hacken, verschlüsselte Kommunikation abzufangen und verdeckt nach digitalen Daten zu suchen. Reporter ohne Grenzen warnt, dass damit eine der Säulen der Pressefreiheit in Deutschland, das Redaktionsgeheimnis, fallen würde: (…) Nennen wir es beim Namen. Solche Bestrebungen haben in einer funktionierenden Demokratie keinen Platz. Sie sind Zeichen des Übergangs zu einem totalitären System, in dem Widerspruch gegen die Mächtigen ein Verbrechen ist.
    Quelle: Norbert Häring

    dazu: Smart Home: Innenminister planen Zugriff auf Daten von Alexa & Co.
    Die Daten aus dem Smart Home und von digitalen Assistenten sollen als Beweismittel vor Gericht einsetzbar sein. Das planen laut einem Bericht die Innenminister.
    Digitale Spuren aus dem Smart Home sollen künftig als Beweismittel vor Gericht verwendet werden dürfen. Für diesen Zugriff auf Alexa & Co. wollen die Innenminister von Bund und Ländern auf ihrer Frühjahrskonferenz kommende Woche den Auftrag zur Erarbeitung einer Handlungsempfehlung geben. Das berichtet das Redaktionsnetzwerk Deutschland unter Berufung auf die diesbezügliche Beschlussvorlage. Digitalen Spuren komme “eine immer größere Bedeutung” bei der Aufklärung von Kapitalverbrechen und terroristischen Bedrohungslagen zu, werde das Vorhaben darin begründet.
    Quelle: Heise Online

  12. Die CDU und Rezo
    Die CDU ist verblüfft. Es gibt eine sachliche Kritik an ihr, die massenhafte Resonanz findet. Das darf nicht sein. Wo ist die Keule, mit der man den lästigen Angreifer zum Schweigen bringt?
    Die durchaus sachliche Kritik des Youtubers Rezo ist von der CDU in eine formale Angelegenheit umgewandelt worden, bei der es darum geht, ob ein solcher Angriff von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Dass die CDU die Kritik als Angriff empfindet, ist verständlich, hat sie auf die deutschen Traditionsmedien doch so großen Einfluss, dass ein solcher Angriff eigentlich unmöglich ist. Die öffentlich-rechtlichen Sender müssen per Statut „ausgewogen“ berichten und dürften folglich einen solchen Angriff niemals fahren, auch wenn er tausendmal sachlich berechtigt wäre. Und die privaten Medien werden via Herausgeber und Chefredakteure von der CDU so „gepflegt“, dass es einfach unmöglich ist, dass „70 Zeitungen“ (so das Beispiel von AKK) dazu aufrufen, die CDU nicht zu wählen.
    Gleich zu Anfang hatte die CDU tatsächlich den Eindruck erweckt, sachlich gegen die Kritik halten zu wollen. Aber das ist inzwischen untergegangen. Wahrscheinlich hat die Partei erkannt, dass es nichts bringt, sich auf eine sachliche Auseinandersetzung einzulassen, weil dabei nur Zweifel bezüglich der allumfassenden Kompetenz der Partei auftauchen könnten. (…)
    Erstens, die CDU argumentiert, dass die Verteilungsänderungen zugunsten der Reichen schon 2005 zu Ende gegangen sind und sich seitdem die Verteilung nicht mehr weiter verschlechtert hat.
    „Vorne weg eine Richtigstellung: Die Einkommensungleichheit, d.h. die unterschiedliche Verteilung der Einkommen in Deutschland, ist zwar bis 2005 gestiegen, seitdem aber nicht mehr. Hier von einer sich immer weiter öffnenden Schere zu sprechen halten wir daher für unzulässig.“
    Man fragt sich, was das heißen soll, selbst wenn es so stimmte. Warum hat die Ungleichheit bis 2005 (von wann bis 2005, sollte man natürlich wissen) zugenommen? Wenn es dafür keine guten Gründe gibt, müsste die Politik doch alles daran setzen, dafür zu sorgen, dass die Ungleichheit wieder abnimmt. (…)
    Was man eigentlich mit der Umverteilung zugunsten der Reichen erreichen wollte, ist jedoch die Verbesserung der Investitionstätigkeit. Wenn, so die Argumentation, die „Leistungsträger“ entlastet werden, leisten sie mehr, was sich letztendlich in mehr und stabilerer Investitionstätigkeit zeigt. Deswegen hat man ja in den 2000er Jahren zusätzlich zur Umverteilung über die Löhne auch eine massive Umverteilung über Steuern zugunsten der höheren Einkommen und der Unternehmen durchgesetzt.
    In Deutschland kann man das ganze Elend der neoliberal-neoklassischen Wirtschaftspolitik mit ihren Umverteilungsträumen leicht auf einen Punkt bringen.
    Die Abbildung zeigt, was mit der für den zukünftigen Kapitalstock entscheidenden Investitionstätigkeit der deutschen Unternehmen passiert ist. Hier gibt es keinen langfristigen Durchschnitt, der gehalten wird, sondern es gibt eine Abwärtsbewegung und zuletzt (seit 2014) ein Niveau, das nur unwesentlich über dem Tiefpunkt von 2013 liegt. Wohlgemerkt, am Ende dessen, was in Deutschland ein Aufschwung oder gar ein Boom genannt wird, ist die Investitionsquote nicht höher als am Tiefpunkt der Krise von 2008/2009.

    Quelle: Makroskop

    dazu auch: Rezo-Fallout: „Wir brauchen Regeln gegen Desinformation“
    Nachdem sich bereits u.a. AKK, Tankred Schipanski, Thomas Stobl und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet mit ihrer Pseudorechtskenntnis über die grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit bis auf die Knochen blamiert hatten, wagte sich nun auch der Direktor der für privaten Rundfunk zuständigen Medienanstalt NRW Dr. Tobias Schmid aufs Glatteis.
    In einem Interview mit der FAZ zum wirkmächtigen Rezo-Video lesen sich die ersten Absätze noch vielversprechend, dann aber predigt der Landesmediendirektor von einer “zunehmende[n] Gefahr, dass journalistisch wirkende Inhalte über das Netz in Umlauf gebracht werden, die den Eindruck erwecken sollen, dass es sich um ‘Fakten’ handelt, tatsächlich aber nur eine Stimmung erzeugen sollen”. (…)
    Demnach also scheint Schmid zu glauben, dass die konventionellen Medien keine Pseudofakten und Stimmungsmache betreiben und nur die reine Wahrheit künden. Tatsächlich aber scheint es eher so zu sein, dass vorzugsweise solche Nachrichten berichtet und gewichtet werden, die ins vom Establishment gewünschte Narrativ passen (Das Twitter-Mädchen im Syrienkrieg, Auf den Hund gekommen, Der mächtige Bogen des ZDF). Jüngst etwa warnten vor der EU-Wahl die Qualitätsmedien unisono vor russischen Desinformationskampagnen, was der Stimmungsmache gegen Russland diente.
    Die Tatsache, dass Rezo in nur einer Stunde “Sozialkunde” über die Inkompetenz der Regierungspolitiker effizienter informieren konnte als die etablierten Medien in der Dauerberieselung, hätte den vorgeblich gutgläubigen Schmid stutzig machen müssen. Statt vom Licht der Erkenntnis erleuchtet zu werden, eiferte Schmid jedoch dem DJV-Vorsitzenden Frank Überall nach und assoziierte unerwünschte Informationen aus dem Netz pauschal mit Desinformation. Fake News sind bekanntlich immer die anderen.
    Quelle: Telepolis

  13. zu guter Letzt: Grüne im Glück – Mehrheit ihrer Wähler zu jung, um sich an Regierungsbeteiligung 1998-2005 zu erinnern
    20 Prozent, 25 Prozent, 27 Prozent! Die Grünen eilen von einem Umfragehoch zum nächsten. Dabei scheint die Partei vor allem davon zu profitieren, dass ein Großteil ihrer Wähler schlicht zu jung ist, um sich an die grüne Regierungsbeteiligung von 1998 bis 2005 zu erinnern.
    “1998? Hä, wieso? Da bin ich gerade geboren”, erklärt etwa Grünen-Erstwählerin und Fridays-For-Future-Aktivistin Samantha Heuser (21). “Wie bitte? Die Grünen haben schon mal sieben Jahre lang regiert? Komisch. Dann müsste doch die Umwelt heute in einem viel besseren Zustand sein. Kann ich mir gar nicht vorstellen.”
    Auch Arthur Klarmann (28) gehört zu den derzeit 25-27 Prozent der deutschen Wahlberechtigten, die ihr Kreuz bei den Grünen machen würden. “Ich bin voll für Umweltschutz und gegen Kriege und so. Wie bitte? Unter den Grünen war Deutschland an gleich zwei Kriegen beteiligt? Davon einer völkerrechtswidrig? Und das erstmals seit dem zweiten Weltkrieg? Ich bitte Sie! Das ist doch CDU-Propaganda, was Sie hier behaupten.”
    Andere Verfehlungen der rot-grünen Regierung wie die bei vielen verhassten Reformen der Agenda 2010 werden meist ausschließlich der SPD angelastet. “Hartz IV ist scheiße und treibt die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich voran. Das hat der Schröder echt verbockt”, kritisiert etwa Lena Gleser (19). “Wie, die Grünen haben das mit durchgewunken? Unmöglich. Die sind doch voll sozial. Wenn das so wäre, warum steht dann die SPD bei 14 Prozent und die Grünen bei 25? Also, verarschen kann ich mich selber. Ist das hier der Postillon oder wie?”
    Die Grünen-Spitzenkandidaten Annalena Baerbock und Robert Habeck sehen das mangelnde Wissen der jüngeren Generation über die einstige Regierungspolitik ihrer Partei entspannt: “Man muss die Jugend ihre eigenen Erfahrungen machen lassen. Nur dann lernen sie wirklich etwas”, heißt es in einer Stellungname des charismatischen Duos, das sich schon jetzt darauf vorbereitet, 2021 mit der CDU zu koalieren.
    Quelle: Der Postillon