Das Stockholmer Programm – Vernetzung von Megadatenbanken und die Abschottung der Europäischen Union

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Der Europäische Rat hat auf dem EU-Gipfel im Dezember 2009 das „Stockholmer Programm“ [PDF – 400 KB] beschlossen. Dieses Mehrjahresprogramm für die Jahre 2010-2014 verknüpft die europäische Justiz- und Innenpolitik mit der Politik für Innere Sicherheit und erhebt den Anspruch einen europäischen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Dienste der Bürger“ zu schaffen. Die verabschiedete Agenda ist in den gängigen Medien im Wirbel um den Klimagipfel in Kopenhagen weitgehend untergegangen. Sie enthält unter anderem ein EU-weites Maßnahmenpaket im Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, den Ausbau polizeilicher, militärischer und geheimdienstlicher Zusammenarbeit zwischen den EU-Staaten und eine umfassende Agenda zur Flüchtlingspolitik.
Das Stockholmer Programm lenkt von den Ursachen für die Bedrohung der Sicherheit der Bürger ab und bedroht eher die Freiheit der Europäer/innen. Es ist eine Kopfgeburt von Überwachungsfetischisten angefeuert von den Allmachtsphantasien der ökonomisch (und politisch) immer mächtiger werdenden IT-Konzerne. Von Christine Wicht

Die im Programm enthaltenen Vorhaben müssen noch in Gesetze oder Verordnungen umgesetzt werden, um in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten rechtswirksam zu werden. Der Europäische Rat hat die EU-Kommission um einen Aktionsplan zur Umsetzung des Stockholmer- Programms ersucht, der spätestens Juni 2010 angenommen werden soll. Bis Juni 2012 wird eine Halbzeitüberprüfung erwartet.

Die angestrebten „Sicherheitsmaßnahmen“, werden wohl kaum der Sicherheit der EU-Bürger dienen, aber um so mehr den Überwachungs- und Kontrollbedürfnissen und sie werden viel Geld in die Kassen der IT-Branche sowie der Sicherheits- und Rüstungsindustrie spülen.

Der am 1. Mai 1999 in Kraft getretene Vertrag von Amsterdam über „ein offenes und sicheres Europa“ legt fest, dass

  • die EU als ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu erhalten und weiterzuentwickeln ist;
  • der freie Personenverkehr in Verbindung mit geeigneten Maßnahmen in Bezug auf Kontrollen an den Außengrenzen, Asyl, Einwanderung sowie Verhütung und Bekämpfung von Kriminalität gewährleistet wird.

Um die in Amsterdam vereinbarten Ziele zu erreichen, verabschiedete der Europäische Rat schon 1999 in Tampere ein Arbeitsprogramm, das bis 2004 umgesetzt wurde. Darauf folgte im Jahr 2005 das Haager Programm, das sich auf die Kontrolle von Migration (FRONTEX), justizielle Zusammenarbeit, Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität, den Aufbau des Schengener-Informationssystems, des Visainformationssystems, des Zollinformationssystems und des Vertrags von Prüm konzentrierte. Die deutsche Ratspräsidentschaft hatte seinerzeit schon vorgeschlagen, eine „hochrangige beratende Gruppe zur Zukunft der europäischen Innenpolitik“ einzurichten, um ein Folgeprogramm frühzeitig vorzubereiten.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) begrüßte nun die Verabschiedung des Stockholmer Programms mit den Worten:

“Das Stockholmer Programm ist der Fahrplan für die Weiterentwicklung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Mit der Verabschiedung des neuen Mehrjahresprogramms endet eine lange Vorbereitungs- und Verhandlungsphase über die zukünftige Ausrichtung der europäischen Innenpolitik. Deutschland konnte sich dabei in wesentlichen Punkten durchsetzen…

Das Stockholmer-Programm liest sich in der Tat wie ein Wunschkatalog der EU-Innenminister. Das ist auch nicht weiter überraschend, denn die Grundlage für das Mehrjahresprogramm lieferte unter anderem der Abschlussbericht der Zukunftsgruppe (Future Group, new ideas for a free and safe Europe, Juni 2008), die noch auf Vorschlag des ehemaligen Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble (CDU) und des damaligen Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, Franco Frattini eingesetzt wurde, um einen politischen Bericht mit Empfehlungen zur Ausgestaltung des neuen Programms zu erarbeiten.

Politik des Abschottens

Seit den 1990er Jahren wurden die Kontrollen an den Außengrenzen kontinuierlich ausgebaut und in militärische Abwehrmaßnahmen integriert. Die EU trifft u.a. Vereinbarungen mit Drittstaaten über Rücknahmen von Flüchtlingen, baut angrenzende Staaten peu à peu zu Pufferstaaten aus und unterstützt mit finanziellen Mitteln Flüchtlingslager, die – wohl zur Abschreckung – eher Gefängnissen gleichen. 2004 wurde die so genannte Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) entwickelt, die sich auf die unmittelbaren Nachbarn der EU bezieht, also auf Algerien, Armenien, Aserbaidschan, Weißrussland, Ägypten, Georgien, Israel, Jordanien, Libanon, Moldawien, Marokko, das besetzte palästinensische Gebiet, Tunesien und die Ukraine).

Die genannten Staaten erhalten für ihre Kooperation Visa- und Handelserleichterungen sowie spezielle Förderprogramme. Dafür fordert die EU von ihnen eine effiziente Grenzsicherung und funktionierende Rückübernahmeabkommen. Für die Ukraine sieht dass ENP-Programm von 2007 bis 2010 etwa ein Gesamtfördervolumen von 494 Millionen Euro vor, wovon 30 Millionen Euro zur Etablierung von fünf weiteren Internierungslagern für Migranten bereit gestellt werden (Quelle: FRONTEX-Widersprüche im erweiterten Grenzraum, Informationsstelle Militarisierung, August 2009). Das EU-finanzierte und von ukrainischen Soldaten bewachte Abschiebelager Pawschino. Der Caritas Österreich waren die Zustände im Lager bekannt, da sie Lebensmittelpakete und Hygieneartikel verteilte, die medizinische Versorgung sicher stellte und die Insassen mit frischem Wasser versorgte. Bereits in ihrem Jahresbericht 2005 kritisierte sie die menschenunwürdigen Bedingungen des ukrainischen Lagers [PDF – 5.2 MB].

Das Lager wurde nach mehreren Protestaktionen im Dezember 2008 geschlossen.

Die Zahl der Flüchtlinge, die ins „Paradies“ Europa wollen, nimmt zwar vor allem aufgrund von Hunger, Armut, Menschenrechtsverletzungen, Wassermangel und kriegerischer Auseinandersetzungen zu, allerdings sind die EU-Außengrenzen zu Lande bereits nahezu dicht, so dass Tausende von Flüchtlingen in den letzten Jahren auf dem Weg über das Mittelmeer einreisten, wobei zahllose Flüchtende umgekommen sind. „Man fürchtet sie wegen ihrer Zahl und sieht in ihnen so eine Art kriminelle Vereinigung. Deswegen wird aus dem ´Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts`, wie sich Europa selbst nennt, die Festung Europa“ (Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung, 03.04.09, Pontius Pilatus). Die inhumane Abschottungspolitik stößt bei Menschenrechtsorganisationen auf scharfe Kritik. Für Amnesty International „kann eine Migrationspolitik, die sich nur damit beschäftigt, Menschen zurückzuweisen und die die Rechte von Migranten nicht ernst nimmt, nicht funktionieren. Mit der Abschottung der Außengrenzen seien in der Praxis immer wieder “willkürliche Inhaftierungen, erzwungene Rückkehr und sogar der Tod von Menschen” verbunden, die laut Berichten dem Sterben auf See überlassen werden” (Quelle: Presseerklärung von Amnesty International, 30.11.2009). Um die Flüchtlinge bereits im Mittelmeer abzuwehren, setzt das Stockholmer-Programm auf den Ausbau von Personal und Ausrüstung der Grenzschutzagentur FRONTEX. Es gibt rund 1800 Außengrenzübergangsstellen, an denen Kontrollen durchgeführt werden.

Die Fluchtgründe der Menschen werden im Programm konsequent ausgeblendet, obwohl einige Ursachen bekannt sind und bekämpft werden könnten:

„Es gibt nichts Ungerechteres als die gleiche Behandlung von Ungleichen“
(Paul F. Brandwein, amerikanischer Psychologe)

  • Zu Beginn der 1980er Jahre, mit dem Aufkommen des Monetarismus als vorherrschender ökonomischer Schule und beeinflusst von den so genannten Chicago Boys, änderte der Internationale Währungsfond (IWF) seine wirtschaftspolitische Ausrichtung und schlug einen strikt neoliberalen Wirtschaftskurs ein. Mit diesem Richtungswechsel verabschiedete sich der IWF von seinen ursprünglichen Zielen. Kredite wurden fortan nur noch in Verbindung mit massiven Auflagen, den so genannten Strukturanpassungsprogrammen (SAPs) erteilt. Mit der Durchsetzung der Prinzipien des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs, der Wettbewerbsorientierung, vor allem aber der Deregulierung und Privatisierung öffentlicher Aufgaben, verschaffte der IWF den global agierenden Konzernen der reichen Mitgliedsländer Zugang zu neuen Märkten und wirtschaftliche Macht. Diese Politik wirkte sich überwiegend fatal auf die Lebensbedingungen großer Teile der Bevölkerung der vom IWF “geförderten” Staaten, insbesondere in den sog. Entwicklungsländern aus. Oft ist auch eine damit eine massive Zerstörung der Umwelt einhergegangen. Die SAPs sehen nahezu durchgängig ein Zurückdrängen des Staates und die Privatisierung öffentlicher Unternehmen vor. International operierende Unternehmen übernehmen den einheimischen Markt. Die jeweiligen Volkswirtschaften werden bewusst und gezielt in ein dauerhaftes ökonomisches Abhängigkeitsverhältnis gedrängt, sei es von den Geldgebern, sei es von ausländischen Investoren oder von dort angesiedelten Unternehmen. Die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung bleiben dabei zweitrangig oder gar ganz auf der Strecke. Die Finanzkrise hat die Situation der armen Länder noch verschärft, da z.B. ihre Rohstofferlöse zurückgingen. Der afrikanische Handel schrumpfte z.B. um rund 17 Prozent.
  • Des Weiteren haben die EU-Agrarexportsubventionen die heimische Landwirtschaft an die Wand gedrängt und zum Bankrott vieler lokaler Betriebe in zahlreichen Ländern Afrikas geführt. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Economic Partnership Agreements, EPAs) zwischen der EU und den Afrika-Karibik-Pazifik-(AKP)Staaten, zwingen die Länder u.a. zur Zollsenkung auf importierte europäische Produkte und zur Marktöffnung für Industrie- und Agrarprodukte aus der EU. Die einheimischen Produzenten sind damit einem Wettbewerb mit europäischen Unternehmen ausgesetzt, in dem sie chancenlos unterlegen sind. Auch die negativen Auswirkungen der EU-Handelsstrategie „Global Europe“, die unter anderem auf die Liberalisierung öffentlicher Beschaffungsmärkte und den ungehinderten Zugang der Europäischen Union zu Energie- und Rohstoffen abzielt, werden im Programm als Armuts- und Fluchtursache ausgeblendet.

Lückenlose Überwachung durch Datenerfassung und Datenbankvernetzung

Das Mehrjahresprogramm von Stockholm schiebt die Fluchtursachen beiseite und setzt vor allem auf den Ausbau des Europäischen Grenzüberwachungssystems EUROSUR. Mittels Satelliten, Überwachungskameras in Flugzeugen und Drohnen sollen die von EUROSUR erfassten Daten an die Grenzschutzagentur FRONTEX weitergeleitet werden, um ein lückenloses Überwachungsnetz zu knüpfen. FRONTEX soll zudem künftig die Zuständigkeit für die regelmäßige Überprüfung und Bewertung nationaler Grenzpolizeien übertragen werden. Das Stockholmer-Programm sieht weiter die Zusammenführung der europäischen Datenbanken des Schengener Informationssystems (SIS künftig SIS II), des Visa-Informationssystems (VIS, geplant für Sept. 2010) und EURODAC (Fingerabdruck–Datenbank für Asylbewerber, seit 2003 in Betrieb) vor. Auch auf diesen Datenverbund soll FRONTEX Zugriff erhalten. Die Erweiterung der Datenbank, SIS II, auf der biometrische Daten, Fotos und Fingerabdrücke gespeichert werden, sollte bereits Ende 2007 eingeführt werden, musste jedoch aus technischen Gründen bislang immer wieder verschoben werden. Den EU-Bürgern wird das Schengen-Abkommen als Erleichterung der Grenzüberquerung ohne zeitaufwändige Passkontrollen schmackhaft gemacht, doch das geplante Schengener Informationssystem SIS II ist aufgrund der gespeicherten biometrischen Daten keine simple Datenbank mehr, sondern ein Informations- und Ermittlungssystem mit dem Schwerpunkt „Prävention und Erkennung von Bedrohungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit“.

Megadatenbank

Außerdem sieht das Stockholmer-Programm vor, die bislang auf unterschiedlichen Rechnern in Europa gespeicherten Daten künftig in einer so genannten „Agentur zum Betriebsmanagement von IT-Großsystemen“ zusammenlaufen zu lassen. Zur Bewältigung des Datenflusses wird die Schaffung einer Verwaltungsbehörde unter dem Kommando von EUROPOL oder FRONTEX angestrebt. Die Agentur soll 2011 gegründet werden und 2012 ihren Betrieb aufnehmen. Der EU-Datenschutzbeauftragte, Peter Hustinx lehnte in einer Stellungnahme vom 7.12.2009 den Vorschlag der Kommission bisher noch ab, die zentrale Datenschutzbehörde unter das Kommando der EU-Polizeibehörde EUROPOL oder der Grenzsicherungsagentur FRONTEX zu stellen. Da beide ein starkes Eigeninteresse an den Daten hätten und es zu Verstößen gegen den Datenschutz kommen könne, propagiert Hustinx eine unabhängige Agentur zur Verwaltung der Daten.

Die Vernetzung der Datenbanken läuft mittelfristig auf die Etablierung eines Informationsverbundes hinaus, um Polizei- und Sicherheitsbehörden der Mitgliedsstaaten einen optimalen Zugang zu den EU-Informationssystemen SIS, VIS, ZIS (Zollinformationssystem) und EURODAC zu ermöglichen. Mit der Einrichtung des Informationsverbunds verfolgt die EU einerseits das Ziel, auch den Geheimdiensten den Zugriff auf bisher nur polizeilich genutzte europäische Datenbanken zu eröffnen und andererseits bisher weitgehend voneinander getrennte Systeme miteinander zu integrieren. Obwohl dieses Vorhaben von der deutschen Ratspräsidentschaft selbst angestoßen wurde, bestreitet die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion (BT.-Drs.4365) die Schaffung eines solchen Informationsverbundes (Quelle: „Zeit für eine neue Bürgerrechtsbewegung“, Ein Diskussions- und Arbeitspapier von Jan Korte, Dominic Heilig, Gesamtes Papier als PDF-Datei [275 KB]).

Das Visainformationssystem ist mit dem Schengener Informationssystem verknüpft, um Personen identifizieren und Abschiebungen illegaler Einwanderer vornehmen zu können. Quasi als Weiterentwicklung des VIS, ist im Mehrjahresprogramm ab 2015 die Einführung eines „Entry-Exit-Systems“ (Einreise- und Ausreise-Erfassungssystem) vorgesehen, das Grenzübertrittsinformationen elektronisch speichert und vernetzt. Auf diese Weise können beispielsweise abgelaufene Visa sofort erkannt werden. Bei Überschreitung der Visafrist werden Ämter automatisch alarmiert, damit Haftbefehle mit Foto und Fingerabdruck ausgestellt und Fahndungen eingeleitet werden können. Darüber hinaus ist ein nach US-amerikanischem Vorbild Passenger Name Records System (PNR) geplant, mit welchem Fluggastdatensätze gespeichert werden.
Das Unabhängige Datenschutzzentrum in Schleswig-Holstein kritisiert dieses Vorhaben, da riesige Datenbestände von Reisenden aufgebaut würden. Für die Erfassten sei nicht transparent, zu welchen Zwecken diese genutzt und wie lange die Daten bei welcher Stelle gespeichert würden. Die Datenschützer kritisieren, dass das Stockholmer-Programm das Registriersystem zwar erwähne, ohne sich zur Geeignetheit und Effizienz eines solchen Verfahrens zu äußern.

Terrorbekämpfung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität

Des Weiteren enthält das Stockholmer-Programm das Vorhaben, zum Zwecke des Informationsaustausches zwischen den Polizeibehörden der Mitgliedstaaten, eine Strategie entsprechend den Bestimmungen des Prümer Vertrags zu erarbeiten. Dieser Vertrag wurde zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, zur Bekämpfung des Terrorismus, der Kriminalität und der illegalen Migration geschlossen. Er sieht innerhalb der Unterzeichnerstaaten gemeinsame Einsatzformen, wie Durchführung gemeinsamer Streifen, grenzüberschreitendes Eingreifen zur Gefahrenabwehr sowie die Übertragung hoheitlicher Befugnisse auf Polizeibeamte der anderen Vertragsstaaten vor. Außerdem bezieht sich der Vertrag auf Fingerabdruckdaten, DNA-Analyse-Datenbanken, Fahrzeugregisterdaten, Telekommunikationsstandards- und Verbindungsdaten sowie Identifizierungs- und Personenstandsdaten und den grenzenlosen Datenaustausch durch Zugriff von Polizei- und Strafverfolgungsbehörden auf Datenbanken. Jeder EU-Mitgliedsstaat soll über die gleichen Daten verfügen, auch wenn diese aus jeweils anderen nationalen Datenbanken stammen. Zwar bekräftigt das Stockholmer-Programm vielfach nur wesentliche Bausteine, die mit dem Prümer Vertrag in weiten Teilen sowieso schon umgesetzt worden sind, da dieser nach dem Städtchen in der Eifel genannte Vertrag jedoch bisher nur ein internationales Abkommen auf Regierungs-Ebene ist, agierten die Unterzeichnerstaaten bislang außerhalb des EU-Rechtsrahmens und umgingen die formellen Strukturen und die Rechtsprinzipien der EU, so etwa das Einstimmigkeitsprinzip auf Ministerratsebene. Somit existiert die Regelung zur zwischenstaatlichen polizeilichen Unterstützung bisher nur zwischen den Staaten, die den Prümer-Vertrag unterzeichnet haben. Um die zwischenstaatlichen Verträge auf die gesamte EU auszudehnen, sieht das Stockholmer-Programm nunmehr vor, die Bestimmungen des Vertrags in den Rechtsrahmen der EU zu überführen. Damit werden auf der europäischen Ebene verbindliche Vorgaben für die einzelnen Mitgliedstaaten gemacht, die die nationalen Gesetzgeber umsetzen müssen. Diese Aushebelung der nationalen Gesetzgeber über Brüssel wird von den europäischen Exekutiven immer häufiger genutzt, um kritische politische Debatten in ihren jeweiligen Parlamenten oder in der Öffentlichkeit zu unterlaufen. (Dies Umgehungsstrategie wird auch weiter unten im Absatz zur Europäischen Gendarmerie-Truppe noch näher beschrieben.)

Hintergründe über den Vertrag von Prüm

Ursprünglich unterzeichneten die EU-Staaten Belgien, Luxemburg, Niederlande, Spanien, Frankreich, Österreich und Deutschland am 27. Mai 2005 den Vertrag von Prüm, benannt nach dem Ort der Unterzeichnung in der Eifel. Am 15. Februar 2007 einigte sich der EU-Ministerrat auf eine Überführung derjenigen Vertragsbestimmungen in EU-Recht, die den Datenaustausch und die polizeiliche Zusammenarbeit betreffen. Auf der EU-Tagung am 12. und 13. Juni 2007, unter deutschem Vorsitz, erzielte der Ministerrat der europäischen Innen- und Justizminister eine Einigung darüber, dass zentrale Teile des Vertrags von Prüm in einen „Beschluss zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit“ überführt werden. Durch diesen Ratsbeschluss werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, Datenbanken zu führen, die den automatisierten Datenaustausch ermöglichen.

Am 11. März 2008 paraphierten Deutschland und die USA darüber hinaus noch ein bilaterales Abkommen nach dem Vorbild des “Prümer Vertrages”, dessen Kernelement der Informationsaustausch durch gegenseitige Vernetzung nationaler Datenbanken ist. Das Abkommen „über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität“ sieht vor, nach Maßgabe des jeweils geltenden nationalen Rechts, im Einzelfall auch ohne Ersuchen, personenbezogene Daten zu übermitteln, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Personen terroristische Straftaten oder Straftaten, die hiermit in Zusammenhang stehen, begehen werden oder eine Ausbildung zur Begehung von terroristischen Straftaten durchlaufen oder durchlaufen haben.

Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Vorratsdatenspeicherung

Am 2. März 2010 haben die Richter des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe entschieden, dass die Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten gegen Art. 10 GG verstößt und somit verfassungswidrig ist. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts sind die von den Anbietern von Telekommunikationsdiensten im Rahmen von behördlichen Auskunftsersuchen erhobenen aber noch nicht übermittelten, sondern bisher nur gespeicherten Telekommunikationsverkehrsdaten unverzüglich zu löschen und dürfen nicht an die ersuchenden Stellen übermittelt werden. Die Richter urteilten, dass für den Abruf der (ohnehin) gespeicherten Daten durch staatliche Organe, ein „begründeter Verdacht“ und eine „konkrete Gefahr“ vorliegen muss. Positiv zu würdigen ist, dass auch ein Zugriff der Nachrichtendienste auf solche Daten eingeschränkt wird. Aber andererseits sind die Gefahrentatbestände (z.B. „Abwehr einer gemeinen Gefahr“) wiederum so offen beschrieben, dass im Zweifel auch Daten abgerufen werden könnten, wenn zu einer Demonstration aufgerufen wird, bei der es zu Gewaltausbrüchen (= gemeine Gefahr) kommen könnte. Hier wird dem Gesetzgeber und vor allem den staatlichen Organen ein großer Gestaltungsspielraum zuerkannt.

Terrorismusbekämpfung

Nach dem Vorbild des seit 2004 in Deutschland bestehenden „Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums“ (GTAZ), dem das Antiterrorzentrum in Paris Pate stand, sollen gemäß des Stockholmer-Programms weitere Netzwerke in den Mitgliedstaaten eingerichtet werden. Im GTAZ arbeiten insgesamt 40 Behörden des Bundes und der Länder zusammen: 8 Bundesbehörden (Bundeskriminalamt (BKA), Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Bundesnachrichtendienst (BND), Militärischer Abschirmdienst (MAD), Bundespolizei (BPOL), Zollkriminalamt (ZKA), Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die Generalbundesanwaltschaft (GBA) sowie 32 Länderbehörden (16 Landeskriminalämter (LKAs) und 16 Landesverfassungsschutzämter (LfVs). In zwei getrennten Auswertungs- und Analysezentren (der polizeilichen und der nachrichtendienstlichen Informations- und Analysestelle PIAS bzw. NIAS) arbeiten im GTAZ Spezial- und Analyseeinheiten aus Polizei und Geheimdiensten dauerhaft zusammen. Zweck der Kooperation sind u.a. die Erstellung von Strukturanalysen sowie zur Aufklärung des islamistisch-terroristischen Personenpotenzials. Eingebunden in den Informationsaustausch sind, gemäß einer Sachinformation des Bundesministeriums des Innern (BMI) vom 24. Mai 2006, auch ausländische Partnerbehörden.

Am 31. Dezember 2006 trat zusätzlich das Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder (Antiterrordatei, ATD) in Kraft. Mit der ATD wird Polizeibehörden und Nachrichtendiensten ein schnellerer Zugriff auf Daten von Personen aus dem Bereich des internationalen Terrorismus und des ihn unterstützenden Extremismus ermöglicht. Es werden gewaltbereite oder gewaltgeneigte Extremisten und deren Kontaktpersonen gespeichert. Außerdem werden Namen, Geburtsdaten, Anschriften, eine Einordnung als „Mitglied oder Unterstützer einer terroristischen Vereinigung bzw. diese unterstützende Gruppierung“, als „Ausübender, Unterstützer, Vorbereiter oder Befürworter terroristischer Gewalt“, „Kontaktperson“ und „erweiterte Grunddaten“ gespeichert. Diese umfassen 17 Datenkategorien, unter anderem eigene bzw. genutzte Telekommunikationsanschlüsse und -endgeräte, E-Mail-Adressen, Bankverbindungen, Volks- bzw. ggf. Religionszugehörigkeit, Kenntnisse und Fertigkeiten in der Herstellung/Umgang mit Sprengstoffen oder Waffen, Waffenbesitz/ Gewaltbereitschaft. Die „erweiterten Grunddaten“ enthalten Freitexte, in welchen frei formulierbar, „ergänzende Hinweise, Bemerkungen und Bewertungen“ der Sicherheitsbehörden erfasst und gespeichert werden. Diese erweiterten Grunddaten sind zwar nur nach Freischaltung der speichernden Behörde sichtbar, aber im Eilfall erhält eine abfragende Behörde zum Zweck der Gefahrenabwehr auch einen unmittelbaren Zugang zu diesen erweiterten Grunddaten. Ausländische Sicherheitsbehörden haben zwar keinen Zugriff auf die Antiterrordatei, jedoch werden einer Weitergabe von Informationen aus dieser ATD an ausländische Stellen keine Grenzen gesetzt (Quelle: Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 16/9833 vom 18.07.2008). Wenn Netzwerke, wie im Stockholmer-Programm vorgesehen, nach dem Vorbild des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums (GTAZ) in weiteren EU-Staaten etabliert werden, ist davon auszugehen, dass die gespeicherten Daten auch ausgetauscht werden, insbesondere da dem Datenaustausch vertraglich keine Grenzen gesetzt worden sind.

Ferner sieht das Stockholmer-Programm im Rahmen des Kampfes gegen den Terrorismus vor, in die Arbeit des EU-Rates, der Europäischen Kommission, EUROPOLS und EUROJUST (zentrale Einheit auf europäischer Ebene für Gerichte, Staatsanwaltschaften und anderer mit strafrechtlichen Angelegenheiten befasste Dienststellen der Mitgliedstaaten) auch die Arbeit des Gemeinsamen Lage- und Analyseabteilung SitCen (EU-Situation Centre, in dem die Informationen der Geheimdienste zusammengetragen und ausgewertet werden), einzubeziehen.

Der unkontrollierte Zugriff von Geheimdiensten auf Daten wird in Deutschland aufgrund der historischen Erfahrung in der Nazi-Zeit mit der Gestapo problematisch gesehen. Eine Diskussion um das Trennungsgebot von Militär, Polizei, Grenzschutz und Geheimdiensten wird jedoch zunehmend nur noch theoretisch, wenn die Aufgabenfelder sich teilweise überlagern und ursprünglich nachrichtendienstliche, „heimliche “ Ermittlungsmethoden europaweit künftig auch den Polizeibehörden zur Verfügung stehen.

Kompetenzerweiterung der Polizeibehörde EUROPOL

Die europäische Polizeibehörde EUROPOL, mit Sitz in Den Haag, wurde 1992 gegründet und hat seit dem 1. Januar 2010 den Status einer EU-Institution, wodurch das Europäische Parlament eine gewisse Kontrollfunktion gegenüber EUROPOL erhält. Die LINKE im Europaparlament kritisiert allerdings, dass immer noch keine justizielle Kontrolle der Polizeibehörde auf europäischer Ebene möglich ist.
EUROPOL koordiniert die Arbeit nationaler Polizeibehörden im Bereich der grenzüberschreitenden Kriminalität und soll in Zukunft auch den Informationsaustausch zwischen den nationalen Polizeibehörden fördern. Gemäß des Stockholmer-Programms sollen auch Synergien zwischen EUROPOL und FRONTEX weiterentwickelt und Netze von Verbindungsbeamten in den Mitgliedstaaten oder Drittstaaten besser koordiniert und effizienter eingesetzt werden. EUROPOL soll in Zukunft systematisch über den Einsatz von gemeinsamen Untersuchungsteams informiert und in wichtige grenzüberschreitende Operationen einbezogen werden. Außerdem ist geplant, EUROPOL die Schulungsaufgaben der Europäischen Polizeiakademie (EPA) zu übertragen.

EUROPOL wird von Bürgerrechtlern und Datenschützern wegen der Führung einer Verdächtigen-Datei und der Führung einer Arbeitsdatei zu Analysezwecken heftig kritisiert, da diese Dateien das Prinzip der Unschuldsvermutung umkehren. Darüber hinaus wird die Kompetenzerweiterung von EUROPOL von Kritikern als eindeutiges Indiz für die Schaffung eines europäischen Polizeiamtes gesehen, das schon seit den 1970er-Jahren im Gespräch ist.

Aufbau von Ad-hoc-Netzen

Ferner soll nach dem Stockholmer Vertrag die Vernetzung verschiedener Polizeien mit Hilfe eines Ad-hoc-Netzes (flexible Kommunikation, ohne feste Infrastruktur) vereinfacht werden. Mit Hilfe dieser Form der mobilen Übertragung können mobile Geräte sofort eine Verbindung zueinander aufbauen, ohne dass eine übergeordnete Infrastruktur nötig wäre. Sensoren wie Überwachungskameras und Bewegungsmelder können sich selbständig in ein solches Netz einwählen.

Es ist allerdings durchaus möglich, dass sich Unbefugte in ein solches Netz einklinken. Das Ad-hoc-Netz bietet eine Angriffsfläche für Hackerangriffe oder sonstige unbefugte Zugriffe und erschwert die Kontrolle über Einhaltung gesetzlicher Vorgaben. Das Ad hoc-Verfahren soll gemäß des Stockholmer-Programm auch an sportlichen Ereignissen und Großdemonstrationen eingesetzt und bei den Olympischen Spielen in London 2012 erstmals getestet werden.

Verbrechensbekämpfung mit Hilfe präventiver Datenansammlungen

Die EU-Kommission hat am 11.11.2009 ein Grünbuch zur „Erlangung verwertbarer Beweise in Strafsachen aus einem anderen Mitgliedstaat“ angenommen [PDF – 35 KB]. Es handelt sich dabei unter anderem um ein umfassendes System zur Erlangung von Beweismitteln in grenzüberschreitenden Straffällen, das sich auch auf erst noch zu erhebende bzw. unverfügbare Beweise (DNA-Proben) erstrecken soll. Zum Zwecke der grenzübergreifenden Kriminalitätsbekämpfung wurden mit dem Stockholmer-Programm

  • die Ausweitung des Europäischen Strafregisterinformationssystems (ECRIS),
  • ein Index von Straftätern aus Drittstaaten (EICTCN),
  • die Einrichtung eines europäischen Kriminalaktennachweises (EPRIS) und
  • eines Europäischen Netzes zur Kriminalitätsverhütung (EUCPN)

beschlossen.

Hierbei handelt es sich um den Aufbau eines Beobachtungszentrums für Verbrechensprävention (OPC – Observatory for the Prevention of Crime), in welchem alle EU-Daten zu Verbrechen gesammelt, Statistiken und Analysen erstellt werden. Das Netz verfügt über ein Sekretariat, das künftig an EUROPOL angeschlossen werden soll. Anhand der Auswertung mit Datamining-Programmen (Durchsuchen und Auswerten gigantischer Datenbestände), sollen in dem Institut auch Prognosen über zukünftige Straftaten erstellt werden.

Die Erstellung von Profilen durch automatisierte Suchvorgänge mittels Softwareprogrammen ist allerdings ein gefährliches Unterfangen, da auch unbescholtene EU-Bürger leicht unter Verdacht geraten können. Diese Vorhaben werden vorangetrieben, obwohl sich ähnliche Ansätze bei der Rasterfahndung als völlig untauglich erwiesen haben.
Die Art der Datenauswertung kann spontan formuliert bzw. umformuliert werden, das ist das Prinzip der Dataminingprogramme. Entsprechend schwierig wird die Zulässigkeit einer Auswertung zu beurteilen sein. In einem solchen komplexen Umfeld die Art und den Umfang der Auswertung juristisch zu kontrollieren und die Einhaltung des Datenschutzes zu überprüfen, ist praktisch unmöglich. Der Datenschutzbeauftragte der EU, Peter Hustinx, kritisierte zu Recht, dass es sich bei diesem Austausch um extrem sensible Daten handle und dass bisher die Zuständigkeit für den Datenschutz nicht geklärt sei. (Auf der Website des unabhängiges Datenschutzzentrums in Schleswig-Holstein sind die Begriffe Data-Warehouse und Data-Mining definiert)

Datenbankvernetzung nach dem Prinzip der Verfügbarkeit

Ferner sieht das Stockholmer Programm die umfangreiche Vernetzung nationaler Datenbanken entsprechend dem „Prinzip der Verfügbarkeit“ vor, dazu gehören u.a. die Daten, die bereits durch den Vertrag von Prüm ausgetauscht werden und Daten der Zollbehörden, der Visabehörden, von EUCARIS (European Car Information System, europaweites Kfz-Register, in Deutschland Kraftfahrtbundesamt) und des OPC (Observatory for the Prevention of Crime – Beobachtungszentrum für Verbrechensprävention). Nach dem „Prinzip der Verfügbarkeit“ verpflichten sich die Mitgliedstaaten, gleichwertigen Strafverfolgungsbehörden und EUROPOL die Daten zur Verfügung zu stellen, “die diese zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben im Hinblick auf die Verhütung, Aufdeckung und Untersuchung von Straftaten benötigen“.

Das unabhängige Datenschutzzentrum in Schleswig-Holstein fordert in diesem Zusammenhang, dass zumindest geklärt werden müsse, inwieweit dabei die Rohdaten der nationalen Behörden und die Inhalte von Analysen weitergegeben werden sollen. Bei den differenzierten Ansätzen müsse neben dem automatisierten Datenaustausch weiterhin die konventionelle Datenübermittlung, etwa durch Verbindungsbeamte, im Blickfeld bleiben.

Internetüberwachung

Zur Bekämpfung terroristischer Bedrohungen setzte sich bereits die Deutsche Ratspräsidentschaft für eine arbeitsteilige Form der Zusammenarbeit aller mit der Internetüberwachung befassten Sicherheitsbehörden der Mitgliedstaaten, unter Einbindung von EUROPOL, ein (Europa gelingt gemeinsam, Präsidentschaftsprogramm 1. Januar 2007 – 30. Juni 2007). Diese Forderung taucht auch wieder im Stockholmer-Programm auf, in dem es heißt, dass die Nutzung des Internets zu „terroristischen Zwecken“ stärker überwacht werden muss und hierzu die Kapazitäten der für die Kontrolle zuständigen Behörden aufgestockt und entsprechende technische Mittel bereitgestellt werden müssen.

Es ist zu befürchten, dass die Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung genutzt wird, um peu à peu einer umfassenden Internetzensur den Weg zu bereiten. Für die Internet-Kontrolle soll die EU-Polizeibehörde EUROPOL verantwortlich sein.

Zusammenarbeit Polizei, Militär und Entwicklungshilfeorganisationen

Die EU-Mitgliedstaaten Italien, Spanien, Frankreich, Portugal und die Niederlande haben im September 2004 einen Vertrag zur Gründung einer “Europäischen Gendarmerietruppe” (EGF, EUROGENDFOR) geschlossen. Die Gründung der EGF-Truppe erfolgte außerhalb es Rechtsrahmens der EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Mit der EGF kann die EU auf eine paramilitärische Truppe zurückgreifen, um beispielsweise eine mögliche EU- Besatzungspolitik nicht nur zivil-militärisch zu begleiten, sondern um auch um Kapazitäten zur Niederschlagung möglicher Widerstände bereitzustellen (Quelle: la gauche, EU-Militarisierung: Stand, Entwicklung, Alternativen, Die Linke im Europaparlament). Mit dem Stockholmer-Programm soll diese Truppe (600-3000 Mann) in den Rechtsrahmen der EU überführt werden. Die Truppe arbeitet auch mit der Grenzschutzagentur FRONTEX zusammen. Die dazugehörige Akademie in Vicenza wird von den G8-Staaten finanziert. Die deutsche Polizei ist zwar der EGF noch nicht beigetreten, arbeitet aber mit polizeilichen und militärischen Einheiten anderer Länder z.B. im Kosovo und Afghanistan zusammen.

Künftig sollen nach dem Stockholmer-Programm außerdem die Zusammenarbeit von Militär, Polizei und Entwicklungshilfeorganisationen zunehmend verstärkt werden. Der Islamwissenschaftler, Christoph Burgmer, hat sich am 13.12.2009 im Deutschlandradio zu dieser Form der Zusammenarbeit geäußert):

„In Afghanistan ist eine Gesellschaft entstanden, die, wenn man es biologisch ausdrückt, durch die “Symbiose” von Hilfsorganisationen und Militärs geprägt ist, Armeen und NGOs sind verquickter als jemals zuvor. Politisch ist so ein undurchschaubares, nicht steuerbares komplexes Geflecht gegenseitiger Abhängigkeiten entstanden, das korrupte Politiker, Warlords und Kriminelle leicht infiltrieren und für eigene Zwecke nutzen können.“

Immer dichtere Überwachungsnetze erwürgen die Freiheit, ohne Sicherheit zu erhöhen

Die angestrebten Maßnahmen zur Flüchtlingspolitik, Terrorbekämpfung und zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität sind äußerst problematisch zu sehen, da Megadatenbanken und deren Vernetzung die Probleme nicht lösen können und schon gar nicht etwa die Ursachen von Fluchtbewegungen oder von Terrrorismus angehen. Sie liefern ein undurchschaubares und nicht mehr kontrollierbares, hoch komplexes Überwachungsnetz, das weder die Freiheit noch die Sicherheit der EU-Bürger stärkt. Im Gegenteil: Es werden zunehmend Bürgerrechte (wie etwa das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung) ausgehebelt. Der EU-Bürger hat keinerlei Einfluss darauf, was gespeichert wird, wer Einblick in diese Daten erhält, wie lange diese gespeichert sind, wann und ob überhaupt jemals eine Löschung erfolgt.

Maßnahmen wie etwa faire Handelsverträge, ein Stopp der subventionierten Agrarprodukte und die Entrichtung angemessener Preise für den Abbau natürlicher Ressourcen, die Bekämpfung der Korruption, um den Menschen in ihren Heimatländern ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, wären weitaus wirkungsvoller als mit einem immens teuren Überwachungsnetzwerk Europa zu einer unüberwindbaren Festung auszubauen. Der Stockholmer Vertrag verschafft vor allem der IT-Branche für die Erstellung von Datenbanken millionenschwere Aufträge.

Auch der Terrorismus kann nicht mit Überwachungsmaßnahmen gelöst werden, das wurde einmal mehr im Dezember 2009 deutlich als ein Nigerianer beinahe einen Airbus zum Absturz brachte. Auch der Terroranschlag in der Moskauer U-Bahn Ende März, bei dem fast 40 unschuldige Menschen getötet und über 70 Menschen verletzt wurden, hat ebenfalls gezeigt, dass Überwachung, Einschränkung der Freiheitsrechte und Bürgerkontrollen den menschenverachtenden Terroranschlag nicht verhindern konnten.

Aufgrund der Vielschichtigkeit von Fluchtbewegungen, Terrorismus oder grenzüberschreitender (organisierter) Kriminalität bedürfte eine Vielzahl von Maßnahmen in ganz anderen Politikfeldern als der „inneren Sicherheit“ und der Ausspähung.
Dazu gehörte vor allem eine weltweite Wirtschaftspolitik, die nicht die Ungleichheit verschärft, die kulturelle Vielfalt schwächt und nicht die Unternehmensinteressen auf Kosten des Wohlstands der gewöhnlichen Bürger und der Umwelt fördert.
Dazu gehörte auch der interkulturelle Dialog zwischen „abendländischer“ und islamischer Welt genauso wie eine menschliche und faire Lösung des Israel-Palästina-Konflikts. Konflikte, die über Jahrzehnte gewachsen sind, können nicht mit Datensammelwut und Überwachungsmaßnahmen behoben werden, sondern nur durch ein vorsichtiges Annähern auf gleicher Augenhöhe und das erfordert viel Zeit und Fingerspitzengefühl, ein Verständnis und die Akzeptanz der verschiedenen Kulturen auf beiden Seiten.
Die Ursachen des Terrorismus werden nicht einmal im Ansatz diskutiert, stattdessen wird seine Bekämpfung mit einem enormen technischen Aufwand betrieben. Dabei werden massive Eingriffen in die Privatsphäre und die persönliche Freiheit der Bürger als angeblich problemlos in Kauf genommen. Der Bürger hat nicht mehr die Freiheit zu wählen, ob er seine biometrischen Daten oder Fingerabdrücke abgeben will, er muss und er hat keinen Einfluss über die Verwendung seiner persönlichen Daten.
Der gleichen Logik folgt die Bekämpfung von Flüchtlingsströmen, die mit modernster Technologie und Milliardenaufwand eingedämmt werden sollen. Auch da werden nicht die Ursachen thematisiert, schließlich sind sie ja auch kein lukratives Geschäftsfeld.

Das Stockholmer Programm ist eine Kopfgeburt von Überwachungsfetischisten angefeuert von den Allmachtsphantasien der ökonomisch (und politisch) immer mächtiger werdenden IT-Konzerne. Hier wird ein Kontroll- und Überwachungsapparat aufgebaut, der demokratischer und juristischer Kontrolle nicht mehr zugänglich ist und deswegen zum Missbrauch geradezu einlädt.
Mit jedem neuen Datenpool und der zunehmenden Komplexität der zusammengeführten Datenmengen wird das Datennetz immer enger und erwürgt zunehmend die Freiheit der Bürger, ohne ihnen mehr Sicherheit zu bringen.

Quelle: Das Stockholmer Programm [PDF – 400 KB]