„Feiges Hohes Gericht“: Lulas Freilassung abgeschmettert

„Feiges Hohes Gericht“: Lulas Freilassung abgeschmettert

„Feiges Hohes Gericht“: Lulas Freilassung abgeschmettert

Frederico Füllgraf
Ein Artikel von Frederico Füllgraf

„Wir haben einen total feigen Obersten Gerichtshof, einen absolut feiges Oberstes Berufungsgericht, ein feiges Parlament …“, hatte Altpräsident Lula Mitte März 2016 in einem privaten Telefongespräch mit der amtierenden Präsidentin Dilma Rousseff geseufzt, das vom damaligen Richter Sérgio Moro auf kriminelle und empörende Weise abgehört und TV Globo zugespielt wurde. Die tiefsinnige Erkenntnis über die Rolle des brasilianischen Hohen Gerichts (STF) bewahrheitete sich zum zigsten Mal am gestrigen 25. Juni. Von Frederico Füllgraf.

In einem Doppelbeschluss mit verheerenden politischen Folgen verweigerte der STF sowohl die Freilassung Lulas als auch die Aufschiebung der beantragten Justizermittlung gegen den vom Intercept-Leak schwer belasteten, ehemaligen Richter und amtierenden Justizminister Sérgio Moro. Anstatt zu handeln und den Fall Moro in die eigenen Hände zu nehmen, verzichtete der Oberste Gerichtshof (STF) auf eine unabhängige, saubere Untersuchung und überließ dem schwer belasteten Minister die Initiative zur „Eigenermittlung“.

Dem STF-Beschluss gehen hanebüchene Zustände voraus. Der im März 2016 für die Korruptionsbekämpfung im STF zuständige Richter Teori Zavascki rügte damals seinen Untergebenen Moro für die unerlaubte Abhörung und – schlimmer – das Leaken an TV Globo. Der Richter entschuldigte sich halbherzig und der illegale Akt hatte keinerlei Disziplinarfolgen. Neun Monate später kam der kritische Richter im Januar 2017 bei einem bisher ungeklärten Flugzeugabsturz ums Leben.

Weitere 4 Monate später wurde der mit den Ermittlungen zur Todesursache Zavasckis beauftragte Polizeikommissar Adriano Antonio Soares in einem Bordell im südbrasilianischen Florianópolis von Nilton César Souza Júnior erschossen. Der wegen Vergewaltigung schutzbedürftiger Personen vorbestrafte, zweifache Mörder Souza Júnior wurde am 19. Dezember von Richter Marcelo Volpato de Souza wegen angeblicher „Notwehr“ freigesprochen.

Das zum Himmel schreiende und stinkende Umfeld nicht nur des STF, sondern des gesamten Justizapparates gewinnt allerdings Tiefenschärfe mit historischen Rückblicken. Am 23. September 1936 wurde die deutsche Kommunistin jüdischer Herkunft Olga Benario – verheiratet mit Luis Carlos Prestes, dem Gründer der Kommunistischen Partei Brasiliens – von einem Trupp Soldaten aus dem von Ratten belagerten Frei-Caneca-Gefängnis in Rio de Janeiro abgeholt, in den Hafen transportiert, auf das Schiff „La Coruña“ gesetzt und aus Brasilien ausgewiesen. In Deutschland angekommen, wurde sie von Hitlers Gestapo in ein KZ geworfen. Die deutschen Nazis waren ihre Vollstrecker, doch die Schreibtischtäter trugen Talare und saßen im damaligen Obersten Gerichtshof in Rio de Janeiro.

Mit einem Habeas-Corpus-Antrag hatte Benarios Anwalt Heitor Lima versucht, ihre Ausweisung zu verhindern, da sich die hochschwangere politische Gefangene keinerlei Gesetzeswidrigkeiten schuldig gemacht hatte. Das sah der Oberste Gerichtshof anders. Unter Berufung auf Artikel 2/Dekret Nr. 702 vom 21. März 1936 der Diktatur Getúlio Vargas‘ – der „zum Schutz der Nationalen Sicherheit die Verfassungsgarantie des Habeas Corpus aufhebt und die Ausweisung von gefährlichen Ausländern“ verfügte – schrieb der STF in seiner Sitzung vom 17. Juni 1936 eine der unrühmlichsten, verabscheuungswürdigsten Seiten seiner Geschichte und lehnte Benarios Habeas-Corpus-Antrag ab. Fünfeinhalb Jahre später wurde Olga Benario Prestes am 23. April 1942 in der Gaskammer der Tötungsanstalt Bernburg ermordet.

Brasilia, 77 Jahre später. Am Nachmittag des 25. Juni 2019 lehnte der gleiche STF einen Habeas-Corpus-Antrag der Verteidiger des inhaftierten Ex-Präsidenten Lula ab. Trotz des schwerwiegenden Nachweises eines nun auch vom Intercept-Leak bestätigten eindeutig politisch manipulierten Prozesses gegen den einstigen Staatschef verweigerte die Justiz damit Lulas sofortige Freilassung.

Die Einstellung der Tiefenschärfe erhellt allerdings auch die Hintergründe des unglaublichen Entscheids. Nämlich die seit Ende 2018 herrschende Unterwanderung und Einschüchterung des Obersten Gerichtshofs durch den Bunker rechtsradikaler Generäle, die hinter dem Vorhang scheindemokratischer Legalität als die machtvollsten Strippenzieher des Bolsonaro-Regimes agieren. Als präzedenzlosen Eingriff der Exekutive in die Judikative hatte Jair Bolsonaro bereits wenige Tage nach seinem Wahlsieg im Oktober 2018 die „Nominierung“ General Fernando Azevedo e Silvas als „Berater“ des STF-Präsidenten Dias Toffoli angekündigt.

Wenige Wochen später bestätigte der inzwischen in den Ruhestand versetzte, ehemalige Heereskommandant, General Eduardo Villas Bôas, den Plan durchgespielt zu haben, in die Kontrolle des Obersten Gerichtshofs „einzugreifen“, falls dieser damals dem ersten Habeas-Corpus-Antrag der Verteidiger Lulas nachgegeben und den seit mehr als einem Jahr inhaftierten Ex-Präsidenten freigelassen hätte.

Titelbild: Diego Grandi/shutterstock.com

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