Das ist der Bericht von Dr. Abed Shokry aus Gaza. Ein Zeichen der Depression. Nicht verwunderlich. Die Menschen, die dort leben, sollen nicht leben können. Sie sollen weg.

Das ist der Bericht von Dr. Abed Shokry aus Gaza. Ein Zeichen der Depression. Nicht verwunderlich. Die Menschen, die dort leben, sollen nicht leben können. Sie sollen weg.

Das ist der Bericht von Dr. Abed Shokry aus Gaza. Ein Zeichen der Depression. Nicht verwunderlich. Die Menschen, die dort leben, sollen nicht leben können. Sie sollen weg.

Ein Artikel von: Redaktion

Eine Freundin der NachDenkSeiten, Marlene Stripecke, schickt immer wieder Nachrichten über den deprimierenden Zustand in Gaza. Jetzt macht sie auf eine Veranstaltung mit Dr. Abed Shokry in Bonn aufmerksam und schickt gleichzeitig einen Bericht des Referenten über den Zustand in Gaza. Zuerst finden Sie die Mail mit der Einladung zur Veranstaltung. Das ist nur relevant für die in der Umgebung lebenden Leserinnen und Leser. Für alle interessant ist der zweite Teil, der Bericht des Referenten.
Albrecht Müller.

Teil I:

Liebe Leut,

Dr. Abed Shokry stammt aus Gaza, lebt in Gaza mit seiner Familie und hat die tagelangen Horrorangriffe aus Israel 2014 mitgemacht. Er studierte und promovierte in Deutschland, spricht daher gut Deutsch und kann auf alle Fragen zum Alltag dort, den Völkerrechtsverletzungen, zu Politik, Isolation, Umwelt und Verschmutzung, zu den kollektiven Traumata der Gesellschaft in Gaza sicher eindringliche Antworten geben. Seine Rundreise in Deutschland dient unserer Aufklärung über die entsetzlichen Zustände dort.

Denn die Medien schweigen – Ist Gaza vergessen?

Seine Rundbriefe kann man hier lesen.

Die Veranstaltung findet statt:

Wann? Am Freitag, den 19. Juli 2019, um 18:00 Uhr
Wo? Im Gemeindesaal der Ev. Trinitatiskirche
Bonn-Endenich, Brahmsstraße 14
Busse 606, 607 vom Hbf Bonn, Haltestelle Brahmsstraße
 
Eintritt frei, Spenden für Unkosten erbeten
Veranstalter: FrauenWegeNahost
Arbeitskreis Frieden von Aufstehen Bonn

Mit Unterstützung von: Institut für Palästinakunde Bonn, Palästinensische Gemeinde Bonn, DPG-NRW-Süd, Deutsch-Palästinensischer Frauenverein

Teil II:

Das ist der Bericht von Dr. Abed Shokry aus Gaza.

(Er ist vom Mai, aber immer noch aktuell.)

Gaza am 05/05/2019

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und liebe Freunde,

heute, am Sonntagnachmittag, wurde der Gazastreifen zur gleichen Zeit aus der Luft, aus dem Meer und ebenso mit Panzergranaten angegriffen. Und so fallen diesen Angriffen unweigerlich Opfer zu. Fast alle sind Zivilisten. Wie es weitergehen wird, das weiß hier und nebenan niemand. Eben höre ich, dass israelische Kampfflugzeuge überall im Gazastreifen viele Wohnhäuser bombardieren, bei einigen dieser Häuser wurden die Bewohner nicht vorgewarnt und so steigt die Anzahl der getöteten Zivilisten an. Eine ganze Familie wurde so ermordet, Vater, Mutter, im 9ten Monat schwanger, ein kleines Kind und ein Bruder der Frau, der zum Besuch da war. Gestern kam auch eine schwangere Frau mit ihrer 14 Monate alten Tochter bei Angriffen und Leben. Zahl der Toten liegt jetzt (am Sonntag) bei 17 oder 19 und mehr als 110 Verletzte. Viele Wohnhäuser wurden total zerstört und dabei werden die umliegenden Häuser teilweise sehr beschädigt.

Die Luftangriffe hörten NICHT auf, im Gegenteil sie nehmen zu, und aus dem Meer und aus Panzern werden ebenso Granaten abgefeuert.

So ist die momentane Lage am Sonntagnachmittag, NICHT gerade beruhigend.

Im Augenblick werden Fahrzeuge oder Dreiräder oder Motorräder gezielt angegriffen. Ich höre gerade im Radio, dass ein Strandcafé bombardiert wurde und brennt. Aber die Feuerwehr kann das Feuer nicht löschen.

Es gibt auch auf der anderen Seite Tote und Verletzte.

Gaza am 06/05/2019

Die letzte militärische Aggression zwischen dem Gazastreifen und dem Staat Israel soll nun heute, Montag früh um 4.30 Uhr zu Ende gegangen sein. So haben wir fast zwei Tage und drei Nächte in Angst und Schrecken verbracht.

Viele Menschen mussten ihr Leben lassen. Bevor ich es vergesse, ich will nicht aufrechenen, dennoch möchte die folgenden Fakten auf den Tisch legen:

  1. Nach israelischen Angaben sind während der ganzen Zeit ca. 600 Raketen aus dem Gazastreifen abgefeuert worden. Nach Angaben von Armeesprecher Jonathan Conricus sind etwa 70 Prozent der Raketen auf offenem Feld gelandet. Der Großteil der restlichen Geschosse wurde von der Raketenabwehr abgefangen. Auch nach israelischen Angaben sollen 295 Luftangriffe, 320 Angriffe von der israelischen Marine verübt worden sein. Insgesamt macht das ca. 615 (und die Panzerangriffe, sind da nicht mitgezählt, da ich keine Angaben darüber finden konnte).
  2. In Gaza wurden dadurch 18 Wohnhäuser total zerstört, 10 weitere sehr beschädigt, hunderte Häuser wurden ebenfalls beschädigt, 58 Wohnungen total zerstört und ca. 310 Wohnungen weisen große Schäden bis hin zu Glasschäden auf. Dazu kommen dann Geschäfte, Schulen, Universitäten, Gerichte, Polizeistationen, Trainingslager für die Sicherheitsapparate usw.
  3. Ca. 160 Verletzte und aktuell 29 Tote (Angabe aus der Süddeutschen Zeitung), mehrheitlich Zivilisten, darunter Kinder, und zwei schwangere Frauen.
  4. Zu Ihrer Information: Wir haben im ganzen Gazastreifen keine Schutzbunker bzw. Schutzräume für die Zivilbevölkerung. Wenn es kracht, so haben wir keinen Platz, wo wir Schutz hätten finden können.

Die ganze Welt stellt sich wieder mal hinter dem Staat Israel, was mit UNS geschieht, ist es dieser angeblich sehr moralischen Welt egal, wir sind ja Menschen vierter Klasse. Daran haben wir uns schon gewöhnt, das ist nichts Neues. Auf der anderen Seite haben wir schon seit längerer Zeit NICHTS mehr zu verlieren. Und so lautet unser Motto, entweder ein gutes Leben für uns, oder auch die Anderen sollen auch spüren, wie es ist, wenn man permanent gedemütigt wird, wenn immer wieder Bomben gezielt auch auf Zivilisten abgeworfen werden und wenn bei Protesten gegen die unerträglichen Zustände israelische Scharfschützen auch auf Kinder, medizinische Helfer und Presse schießen. Hunderte sind während der Freitags-Demonstrationen gezielt erschossen worden. Stellen Sie sich nur einmal vor, es würde an irgendeiner anderen Grenze (Ukraine oder sonst wo) geschehen. Würde die Welt auch dann schweigen und den Scharfschützen freie Hand erlauben, auf Menschen zu schießen, die gegen ihre Lebensbedingungen protestieren?

Gideon Levy, der Journalist, schrieb in der israelischen Tageszeitung Haaretz einen Artikel mit der Überschrift: „The Gaza Ghetto Uprising“ (Der Gaza Ghetto Aufstand)

Hiermit stelle ich die folgende Frage Was kommt jetzt????

So ein ähnliches Szenario hatten wir um den 25. März herum, dieses Mal war es um den 4./5. Mai herum. Werden wir in ca. 4-6 Wochen wieder in diese Schleife einkehren. Gewalt und Gegengewalt, das führt zu nichts. Das führt definitiv NICHT zum Frieden. Wir denken und ich denke, dass viele Bewohner des Gazastreifens die Nase voll vom Leben in Gefängnis haben. Wir wollen nichts Anderes als alle Menschen auf dieser Welt, wir wollen ein normales Leben haben und führen.

Gaza hat viele, viele, viele Probleme. Die Wasserversorgung, die Stromversorgung, die sehr hohe Arbeitslosenquote, die teilweise sehr schlechte Gesundheitsversorgung. Stellen Sie sich vor, wie viele Menschen aufgrund der Angriffe medizinisch versorgt werden müssen. Das schafft kein Krankenhaus.

Das Leitungswasser bei uns in der Wohnung riecht sehr schlecht und ist dazu noch sehr salzig. Dieses Wasser macht die Wäsche dreckiger und nicht sauberer. Mit dem Wasser kann man kein Gemüse oder Obst waschen. Das ist für nichts geeignet. Man kann nur krank davon werden. Der Sommer kommt und wir brauchen Strom, mehr als nur 8 Stunden am Tag.

Die Jugendlichen brauchen dringend Arbeit und vor allem Hoffnung und Perspektive, dass morgen ein besserer Tag sein wird. Das alles aber fehlt.

Was ist die Alternative, viele wollen Gaza verlassen und nicht einmal das geht bzw. gelingt. Ohne einen eigenen Hafen und Flughafen wird sich an unserer Lage kaum etwas verändern.

Der Staat Israel macht daraus großes Theater, da alles um die Sicherheit Israels geht. Aufgrund der Geschichte kann ich das sogar verstehen. ABER wir sind auch Menschen, die das Recht auf ein “normales” Leben haben. Das ist es, was wir wollen. Und die Welt sollte es endlich verstehen. Was erwartet man denn von Menschen, die eingesperrt leben müssen, die wie alle anderen auf der Welt nur friedlich leben möchten. Die Palästinenser sind genauso Menschen wie die Israelis und wie alle auf der Welt. Aber die Israelis zählen in der Welt mehr. Das lese und höre ich in den deutschen Nachrichten. Man findet offenbar nichts dabei, dass fünf, sechs, sieben Mal mehr Palästinenser getötet werden als Israelis. Und wenn ich das sage, wirft man mir vor, dass man die Anzahl der Toten nicht aufrechnen soll. Nein, das soll man nicht, aber man soll auch nicht eine Menschengruppe schlechter behandeln als die andere. Und das geschieht in den Meldungen in der Welt. Wir sind immer die Bösen und die anderen verteidigen sich gegen die Bösen. Ich wünsche mir so sehr, man möge einmal unsere Brille aufsetzen.

Einer meiner Brüder wird Gaza verlassen und hat ein Visum für die Vereingten Arabischen Emirate bekommen, er ist Elektrotechnik Ingenieur und hat das Bachelor-Studium im Jahr 2014 abgeschlossen. Seitdem hatte er mal da und mal dort einen Job gehabt. Nun seit mehr als ein Jahr findet er keine Arbeit und so hofft er, woanders Arbeit finden zu können. Es gibt Tausende in Gaza denen es wie es meinem Bruder geht. Manche versuchen dann in die Türkei zu gehen und von da aus, wenn es klappt, dann nach Europa. Einige riskieren dabei ihr Leben. Gerade gestern wurde der Leichnam eines Gazaners aus der Türkei über Ägypten nach Gaza gebracht, andere werden in der Türkei begraben.

Ich habe vor, in der zweiten Juni Hälfte Gaza zu verlassen und für ca. zwei Monate nach Deutschland zu kommen. Eine Gast-Hochschule habe ich bereits. Und wenn es klappt, hoffe ich dann einen Monat oder aber die zwei Monate im Ruhrgebiet verbringen und als Ingenieur mich weiterbilden zu können. Das ist mein Plan. Ob und wann es mir gelingen wird, werde ich Ihnen und Euch mitteilen.

In der Hoffnung, dass unser Nachbar und die Welt uns endlich unsere Rechte geben, so dass sie und wir in Ruhe und Frieden leben können, schließe ich für heute.

Heute ist der erste Tag im Fastenmonat Ramadan.

Ich wünsche Ihnen und Euch Alles Gute und verbeibe bis bald

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Abed Schokry

Titelbild: ZouZou / Shutterstock

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