Die Grünen sind wie eine Schachtel Pralinen – man weiß nie, was man kriegt

Die Grünen sind wie eine Schachtel Pralinen – man weiß nie, was man kriegt

Die Grünen sind wie eine Schachtel Pralinen – man weiß nie, was man kriegt

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Die Grünen traten bei den Europawahlen an, um die Demokratie auf europäischer Ebene zu stärken und die Macht des Europaparlaments auszubauen. Die Wahl eines Kommissionspräsidenten, der von den Regierungschefs „aus dem Hut gezaubert“ und vom Parlament nur noch abgenickt werden soll, lehnten sie kategorisch ab. Nun haben die Regierungschefs Ursula von der Leyen „aus der Schublade gezogen“ und was machen die Grünen? Sie feilschen um „Zusagen“, die ohnehin nicht erfüllbar sind, und natürlich um Posten. So schnell hatten selbst die Grünen ihre elementaren Wahlversprechen bislang noch nie über Bord geworfen. Wer grün wählt, wählt … im Zweifel offenbar sogar Ursula von der Leyen. Es gibt keine andere Partei, die den Wählerwillen derart frei und egoistisch interpretiert. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Am 10. Mai – also wenige Wochen vor der Europawahl – wurde die grüne Spitzenkandidatin Ska Keller vom Münchner Merkur gefragt, ob der künftige Kommissionspräsident „zwangsläufig einer der Spitzenkandidaten sein“ müsse. Keller bejahte diese Frage ohne Wenn und Aber – „Aus unserer Sicht ja“. In zahlreichen anderen Interviews – wie beispielsweise mit der Augsburger Allgemeinen – machte Keller klar, dass die Grünen nur einen Kandidaten unterstützen, der sich „wirklich der Wahl durch die Bürgerinnen und Bürger gestellt hat und nicht plötzlich von den Staats- und Regierungschefs aus dem Hut gezaubert wird“.

Auch kurz nach den Wahlen hielt Keller an dieser Aussage fest. In einem Interview mit der taz erklärte Keller das Spitzenkandidaten-System gar zu einer „Frage von demokratischen Prinzipien“ und unterstrich, dass die Grünen nicht zu einer Situation zurück wollen, in der „der Kommissionschef wie früher aus der Schublade gezogen wird“. Am Parlament kämen „die Regierungschef nicht vorbei“, man lasse sich „nicht die Butter vom Brot nehmen“ und hoffe nun, dass „alle Fraktionen mitmachen, wenn es darum geht, unsere Rechte als Parlamentarier zu verteidigen“.

Direkt nach der Nominierung von der Leyens legten die Spitzen-Grünen noch einmal eine Schippe drauf. Der Europa-Grüne Reinhard Bütikofer sagte beispielsweise in einem Interview mit dem Tagesspiegel: „Ich bin der Meinung, dass sich das Parlament diese Usurpation des Rats nicht gefallen lassen kann. Der Rat spricht nicht nur dem Spitzenkandidatenprozess Hohn, sondern auch dem Parlament. Sowie der von ihm nominierten Kommissionspräsidentin, weil er in deren Personalentscheidungen hineinregiert“. Auch via Twitter ließen sich zahlreiche Europaabgeordnete der Grünen zu klaren Statements hinreißen.

Wenige Stunden später wurde die Zustimmung für Ursula von der Leyen aber schon zur Verhandlungsmasse erklärt und eifrig eine Hintertür für einen eigenen Deal gesucht. Ska Keller ruderte in einem Interview mit den Tagesthemen eifrig zurück und bezeichnete eine Abweichung vom Spitzenkandidaten-System nicht mehr als Ausschlusskriterium, sondern nur noch als „Manko“. Zu einer klaren Absage wollte sich Keller nun schon nicht mehr durchringen und brachte bereits die ersten Punkte ins Spiel, um den eigenen Preis für eine Unterstützung von der Leyens nach oben zu treiben.

Die letzte Woche haben die Grünen genutzt, um „nach einigen Tagen des Nachdenkens eine Linie heraus zu kristallisieren“, wie es die taz formuliert. Mittlerweile spricht Ska Keller von Zusagen, die man von der Leyen auf den Themenfeldern „Klimaschutz“ und „Seenotrettung“ abringen wolle, bevor man sie unterstützt. Doch diese Forderungen sind wohlfeil, da das politische System der EU dem Kommissionspräsidenten hier gar keine nennenswerten Kompetenzen zuweist. Entschieden werden derlei zentrale inhaltliche Leitlinien auf der Ebene der Regierungschefs. Die Kommission darf dann exekutieren, was Merkel, Macron und Co. beschlossen haben. Von der Leyens Zusagen wären also wertlos und das wissen selbstverständlich auch die Grünen.

Der Europa-Grüne Sven Giegold wird daher auch konkreter und unterstreicht neben Allgemeinplätzen von mehr Demokratie und Klimaschutz auch den offenen Anspruch auf „Ämter“. Na klar. Als Kommissionspräsidentin ist von der Leyen schließlich in Absprache mit den Regierungschefs für die Zusammensetzung der EU-Kommission verantwortlich und die Grünen schielen offen nach einem lukrativen Platz am Futtertrog der EU. Es wäre somit keine Überraschung, wenn Sven Giegold selbst das Amt eines Kommissars als Preis für von der Leyens Unterstützung im Sinn hätte.

Es ist schon eine Frechheit, mit welcher Chuzpe nun die Europaparlamentarier die wichtige Forderung nach einer Stärkung des Europaparlaments und einer Demokratisierung der EU ad absurdum führen. Rechte fallen nicht vom Himmel, sie müssen erkämpft werden. Man kann nicht das Postengeschacher in der EU kritisieren und dann selbst um Posten schachern. Man kann nicht beklagen, dass die parlamentarische Demokratie missachtet wird, wenn man als Parlament dieser Missachtung auch noch zustimmt. Wenn es kein „Angebot gibt, dem selbstbewusste Europaabgeordnete zustimmen können“, dann müssen sie sich halt der Stimme enthalten – ansonsten sind sie nicht selbstbewusst.

Giegold wäre indes sogar ein „logischer“ Kandidat für das erste grüne Kommissionsamt. Es gibt wohl nur wenige Politiker, die es geschafft haben, sich selbst in kritischen Kreisen ein positives Image aufzubauen, aber auf konkreter Handlungsebene diesem Image immer wieder zu widersprechen. So war es niemand anders als der „Steuerexperte“ Giegold, der vor fünf Jahren in einer vergleichbaren Situation den „Luxemburger Steueroasenministerpräsidenten Juncker“ für das Amt des Kommissionspräsidenten empfohlen hat. Da wäre auch die Wahl von der Leyens nur eine konsequente Weiterentwicklung.

Lesen Sie dazu auch: Albrecht Müller – „Ein Abgeordneter der Grünen reißt sich die Maske selbst vom Gesicht: Sven Giegold

Vor einem Monat wiesen wir schon einmal auf die „grandiose Differenz“ zwischen dem Image der Grünen und der Realität hin. Die Personalie von der Leyen ist ein weiterer Punkt in der langen Liste.

P.s.: Heute wird die Grünen-Fraktion Ursula von der Leyen öffentlich befragen. Das Treffen soll ab ca. 16.30 live im Netz als Stream übertragen werden.

Titelbild: rudall30/shutterstock.com