Auch die Tagesschau beteiligt sich an der Hexenjagd auf Julian Assange und seine Unterstützer

Auch die Tagesschau beteiligt sich an der Hexenjagd auf Julian Assange und seine Unterstützer

Auch die Tagesschau beteiligt sich an der Hexenjagd auf Julian Assange und seine Unterstützer

Ein Artikel von: Jens Berger & Moritz Müller

Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, schrieb vor wenigen Wochen in einem Artikel, den die NachDenkSeiten für ihre Leser übersetzt haben, von der Hexenjagd, der Julian Assange zur Zeit ausgesetzt ist. Daran beteiligt sind nicht nur die Geheimdienste der USA, sondern auch die Medien. In Deutschland ist es ausgerechnet die ehemals als Flaggschiff des Qualitätsjournalismus geltende Tagesschau, die sich mit einem als Investigativbericht maskierten Meinungsartikel als oberster Hexenjäger präsentiert. Was Autorin Silvia Stöber dem gebührenzahlenden Leser da als “neutrale Recherche” verkauft, ist vielmehr ein Nachplappern von Spekulationen der US-Dienste und eines einschlägigen CNN-Berichtes. Bei Stöber werden aus Spekulationen Fakten und aus Vermutungen Beweise. Gewürzt mit jeder Menge Zynismus und einer strammen antirussischen Linie kommt dabei ein Stück Kampagnenjournalismus heraus, das fortschreitenden Qualitätsverlust der Tagesschau vortrefflich belegt. Von Jens Berger und Moritz Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Lesen Sie zum Thema auch: Caitlin Johnstone – „Julian Assange und die Verleumdung durch CNN“, RayMcGovern – „A Non-Hack That Raised Hillary’s Hackles“ und „Geheimdienstveteranen ziehen Beweise für „russischen Hackerangriff“ in Zweifel“.

Subjektive Aussagen unter dem Denkmantel des objektiven Nachrichtenjournalismus

Wenn ein Journalist Aussagen und Informationen weitergibt, die nicht objektiv belegbar sind und bei denen es durchaus mehr als eine mögliche Interpretation gibt, so sollte er dies durch den Gebrauch des Konjunktivs oder durch passende Adverbien auch kennzeichnen – vor allem wenn die verwendete Quelle ein Geheimdienstmitarbeiter ist. Wenn Frau Stöber also auf Tagesschau.de bereits in der Einleitung feststellt, dass es Verbindungen zwischen Assange und “zwei vom russischen Militärgeheimdienst betriebenen fiktiven Online-Personen” gab, so ist dies vor allem deshalb erstaunlich, da sie damit die Aussage, nach der die beiden Online-Personas, um die es hier geht, vom russischen Militärgeheimdienst betrieben wurden, ohne jegliche Relativierung als Fakt darstellt. Dies ist übrigens nicht zweitrangig, da an dieser Behauptung die gesamte These von einer russischen Täterschaft hängt.

Quelle für diese Informationen sind jedoch einzig und allein die US-Dienste und deren Begründung ist alles andere als überzeugend. Angeblich habe der Hacker “Guccifer 2.0”, bei einem Versuch über die Sozialen Netzwerke zu kommunizieren, “vergessen”, seinen VPN-Filter, der den geographischen Standort des Nutzers verschleiern soll, zu aktivieren. Und siehe da: Die unverschleierte IP-Adresse konnte wie durch ein Wunder einer ganz bestimmten Adresse zugeordnet werden – der Grizodubovoy-Straße in Moskau, dem Sitz des Militärgeheimdienstes GRU. An einen derart grotesken Zufall kann man glauben oder auch nicht. Es fehlt nur noch, dass US-Außenminister Pompeo einen Ausdruck der IP-Adresse vor dem UN-Sicherheitsrat als Beweis für die russische Täterschaft vorgelegt hätte.

Zumindest Frau Stöber von der Tagesschau gehört offenbar zu den Gutgläubigen. Dabei wäre es doch kein großer Mehraufwand gewesen, den Passus “zwei vom russischen Militärdienst betriebenen” durch ein “laut US-Diensten” oder ein “angeblich” so zu ergänzen, dass dem Leser auch klar ist, dass diese Zuordnung eben kein Fakt und nicht objektiv ist.

Diese Methode des Weglassens jeglichen Zweifels an den Aussagen der US-Dienste zieht sich durch den gesamten Text. Nun könnten Verteidiger von Frau Stöber einwenden, dass deren Quelle immerhin der Report eines offiziellen Sonderermittlers ist, der zudem hinter Hoover die zweitlängste Zeit als FBI-Chef vorweisen kann. Dann müsste man diese Verteidiger jedoch auch darauf hinweisen, dass eben jener Robert Mueller, auf dessen Sonderbericht sich die Tagesschau bezieht, schon mehrfach unter Eid vor Ausschüssen des US-Senats und des Abgeordnetenhauses nachweislich die Unwahrheit gesagt hat. Besonders dramatisch ist in diesem Zusammenhang die Falschaussage Muellers zur angeblichen Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen im Vorfeld der US-Invasion des Iraks vor dem US-Kongress, die maßgeblich dazu beitrug, die Lügen der Bush- und Blair-Administrationen zumindest so lange über die Zeit zu retten, bis es kein Zurück mehr gab. Kann ein Geheimdienstchef, der den US-Kongress nachweislich bei einer Frage über Krieg und Frieden eiskalt angelogen hat, eine über alle Zweifel erhabene Quelle sein, deren Spekulationen man als Fakten wiedergibt? 

Methode Verschweigen

Der zweite zentrale Punkt, der den Tagesschau-Artikel von Silvia Stöber kennzeichnet, ist die Methode “Verschweigen”. Im gesamten Artikel werden ausschließlich die Punkte genannt, die im Mueller-Bericht aufgeführt sind. Sämtliche Indizien, Aussagen und Belege, die diesen Aussagen widersprechen oder zumindest in Kollision mit ihnen stehen, werden systematisch verschwiegen. Dazu ein paar Beispiele …

  1. Hack vs. Leak

    Im Tagesschau-Artikel wird die Mueller-Version wiedergegeben, nach der die von Wikileaks veröffentlichten Daten und Mails aus dem Democratic National Committee (DNC) aus einer Hackerattacke stammen. Dies ist jedoch mehr als umstritten. Die VIPS, eine kritische Gruppe hochrangiger ehemaliger Geheimdienstler, hat selbst eine forensische Untersuchung der DNC-Daten durchgeführt und kam zu dem Ergebnis, dass die Zeitstempel der Dateien im FAT (Dateizuordnungstabelle) klar belegen, dass die Daten nicht über das Netz heruntergeladen, sondern en bloc auf eine externe Festplatte bzw. einen USB-Stick kopiert wurden. Ähnlich argumentiert Geheimdienstexperte William Binney, der mit forensischen Mitteln die Datenübertragungsgeschwindigkeit rekonstruiert hat, mit der besagte Mails und Dateien von den Festplatten des DNC kopiert wurden und ebenfalls zu dem Ergebnis kam, dass die Daten lokal kopiert wurden. Binney ist übrigens nicht irgendwer, sondern war früher einmal der technische Direktor der NSA.

    Demnach müsste es sich bei der Quelle der Daten aber um einen Whistleblower aus dem Parteiapparat der Demokraten handeln – also ein Leak und keinen Hack. Nur lässt ein Leak wenig Raum für die Theorie, nach der russische Geheimdienstler hinter der ganzen Aktion stecken. Daher legten sich die US-Dienste auch schnell auf die “Hack-Variante” fest und verschwiegen – ebenso wie die Medien – alle Indizien, die in eine andere Richtung wiesen.

    Erstaunlich ist, dass Stöber damit sogar den Aussagen des ehemaligen Präsidenten Obama widerspricht. Der hatte in einer seiner letzten Pressekonferenzen im Amt die „Russland-Bezüge“ der Geheimdienste wörtlich als „nicht überzeugend“ („not conclusive“) bezeichnet. Aber selbst das reicht nicht aus, um das geradlinige Weltbild der Tagesschau zu erschüttern und die Gewissheit durch Zweifel zu hinterfragen.

  2. Assanges Aversion gegen Clinton und die USA

    Wer nur den Tagesschau-Artikel liest, muss glatt zu dem Eindruck kommen, Julian Assange sei ein Soziopath, der sich mit dem Teufel eingelassen hat, um eine honorige Politikerin zu stürzen und die USA zu schädigen. Und dies aus rein egoistischen Gründen. Clinton habe als Außenministerin “aggressive Schritte” gegen Wikileaks und ihn gefordert und Assange hätte befürchtet, dass sie dies als Präsidentin auch wahrgemacht hätte. Hier nimmt das Verschweigen schon eine dreiste Form an, da vollkommen untergeht, warum Wikileaks ausgerechnet Dokumente der USA und Dateien der Demokraten veröffentlich hat. Zudem wird – wie üblich – mit keinem Wort auf den Inhalt der Dokumente eingegangen, die im ersten Fall Kriegsverbrechen der USA belegen und um zweiten Korruption und Mauscheleien innerhalb der Demokraten offenlegen, deren Ziel die Nominierung von Hillary Clinton gegen ihren populären Konkurrenten Bernie Sanders war. Ganz nach dem Motto “Haltet den Dieb” sind die USA bzw. Clinton und die Parteiführung der Demokraten nicht mehr Täter, sondern Opfer. Täter ist Julian Assange, schließlich habe er nur Daten veröffentlicht, die den USA, der NATO und Deutschland (sic!), aber nicht Russland schaden. Assange sagte zu diesem Vorwurf mal, die USA unterhalten nun einmal 800 Militärbasen im Ausland und Russland nur eine Handvoll. Wer will ihm da widersprechen?

    Lesen Sie dazu auch: Jens Berger – „Don´t shoot the messenger – Für die einen ist es ein Hackerangriff, für die anderen investigativer Journalismus“.

Hexenjagd, Spin und Zynismus

Die Tagesschau verschweigt jedoch nicht nur, sie manipuliert auch die vorhandenen Informationen und verpasst den wenigen verfügbaren Angaben aus dem Mueller-Report einen Spin, der ganz und gar nicht zum neutralen professionellen Anspruch des Formats passt.

  1. Kontakte zu russischen Medien werden kriminalisiert

    “Trotz seines Kampfes für Transparenz” habe Assange “keine Berührungsängste mit der russischen Führung” gehabt, lässt die Tagesschau ihre Leser wissen. Mit “russischer Führung” ist hier wohlgemerkt die Redaktion von Russia Today gemeint. Hätte Frau Stöber auch geschrieben, dass Assange “keine Berührungsängste mit der deutschen Führung” hat, wenn er mit der Deutschen Welle zusammengearbeitet hätte? Sicher nicht. Besonders perfide ist der folgende Satz, in dem Stöber feststellt, dass Assange eine “Show” beim “staatlich finanzierten Sender Russia Today“ bekam, nachdem 2010 Wikileaks der “Zugang zu Spendengeldern erschwert wurde”. Das ist eine sehr höfliche Umschreibung dafür, dass die US-Regierung ohne rechtliche Handhabe massiven Druck auf die Finanzdienstleister PayPal und Visa gemacht hat, um Wikileaks finanziell auszutrocknen und zu ruinieren. Während diese mehr als fragwürdige Aktion der USA quasi als Naturereignis gesehen und gar nicht explizit benannt wird, schiebt Frau Stöber ihren Kollegen von RT den Schwarzen Peter zu, da diese den Journalisten Assange für ein journalistisches Format verpflichtet hatten – übrigens zeitlich lange vor DNC Leaks und Co. Das ist wirklich unglaublich. Unglaublich auch, wie die Besuche von Journalisten von RT in der ecuadorianischen Botschaft penibel als eine Art “Feindkontakt” geschildert werden. Dass die Tagesschau es nicht zustande brachte, Julian Assange in seinem Exil zu interviewen oder auch nur zu befragen, ist schon fragwürdig. Die Kollegen von RT, die ihren Job machten, zwischen den Zeilen als “Mittäter” zu verunglimpfen, ist einfach nur armselig.

  2. Kriminalisierung des Umfelds

    Die gleiche Methode wendet die Tagesschau an, wenn sie die Besuche der Computerexperten Müller-Maghun und Fix thematisiert. Ersterer wurde ja auch mal von RT interviewt und habe Assange womöglich gar einen USB-Stick gegeben. Ohne Indizien oder gar Beweise werden Unterstützer und Freunde von Assange von der Tagesschau als “Mittäter” und “Komplizen” gesehen, die ja alleine schon deshalb verdächtig sind, weil sie mal von RT interviewt wurden oder an einer Konferenz in Russland teilnahmen. Das hat mit neutralem Nachrichtenjournalismus nichts mehr zu tun, sondern ist nackter Kampagnenjournalismus.

  3. Vermummte Boten, wirre Zeitangaben

    Was nicht passt, wird von der Tagesschau passend gemacht. So ergibt die dargestellte chronologische Darstellung der Vorgänge – die 1:1 aus dem Mueller-Report übernommen wurde – ausgerechnet dann keinen Sinn, wenn man den Narrativ der Tagesschau propagieren will. Dann hätten die Russen Assange nämlich erst im Juli die Daten angeboten, deren Veröffentlichung er schon am 12. Juni angekündigt hat. Mal soll er die Daten von RT-Journalisten, mal von Unterstützern und mal von einem “vermummten Boten” bekommen haben, der angeblich vollvermummt in eines der bestbewachten Gebäude der Welt – das Botschaftsgebäude gehört der Königsfamilie von Katar – marschiert und ohne weitere Kontrollen ein Paket für Julian Assange abgibt. Sogar in zweitklassigen Spionagefilmen erledigt solche Aufgaben doch eher ein unauffälliger Fahrradkurier. 

  4. Häme und Arbeitsverweigerung

    Geradezu zynisch ist zudem, dass die Tagesschau kübelweise Häme über Julian Assange auskippt, ohne dass der sich aus der Isolationshaft heraus dagegen zur Wehr setzen könnte. Auch das hat ja durchaus System. Hat die Tagesschau Assange jemals zu den Vorwürfen befragt? Nein. Warum auch. Hat Sonderermittler Mueller Assange befragt? Nein. Mueller hat noch nicht einmal den britischen Diplomaten a.D. Craig Murray befragt, der als Unterstützer Assanges bekannt ist, und nach eigenen Angaben die beiden Quellen für die fraglichen Leaks kennt und versichert, dass es sich nicht um Russen, sondern um Amerikaner handelt, die als Whistleblower aus dem Apparat heraus handelten. Dies passt auch zu den forensischen Daten der VIPS. Die Mueller-Version ist hingegen noch nicht einmal in sich logisch.

Lesen Sie dazu auch: Craig Murray – „The Real Muellergate Scandal“.

Doch all diese berechtigen Zweifel und kritischen Nachfragen tauchen bei der Tagesschau überhaupt nicht auf. Was nicht ins Bild passt, wird entweder weggelassen oder so lange verdreht, bis es passend gemacht wurde. All dies folgt einem simplen Narrativ mit klaren Rollen: ier das gute Opfer Hillary Clinton, die eigentlich gar kein Opfer, sondern die Täterin war und von der Affäre nach dem erfolgreichen “Russen-Spin” eher profitiert haben dürfte. Und dort der böse Täter Julian Assange, der “uns” nicht nur Trump eingebrockt hat, sondern gleich noch die Sicherheit des Westens aus unlauteren Motiven heraus aufs Spiel gesetzt hat, indem er mit den bösen Russen zusammengearbeitet hat. Ein “nettes” Märchen ohne großen Bezug zur Realität und ein weiterer Beleg dafür, wie schlimm es mittlerweile um die Tagesschau bestellt ist.

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