Großbritannien: Die Marke Boris Johnson

Großbritannien: Die Marke Boris Johnson

Großbritannien: Die Marke Boris Johnson

Ein Artikel von: Redaktion

Vielleicht sollte man den Tag nicht vor dem Abend tadeln. Vielleicht irren ja all die Skeptiker und Unkenrufer und es bricht tatsächlich bald ein goldenes Zeitalter in Großbritannien an. Stephen Lendman bringt in seinem Kommentar zu Boris Johnson als neuem Premierminister aber so einige Zitate von und über Johnson, die die Hoffnung auf eine Wendung zu einer sozialeren und friedlicheren Politik in und aus Großbritannien kaum beflügeln. Übersetzung von Susanne Hofmann.

„Die Marke Boris“: Großbritanniens Oberclown als neuer Premier
Von Stephen Lendman

Boris Johnson folgte Theresa May als neuer Tory-Premier – gewählt hat ihn Englands Machtelite, die normalen Briten hatten nichts zu melden bei der Auswahl ihres neuen Staatschefs. Die britische Demokratie in Aktion gleicht der US-amerikanischen – sie ist ein reines Phantasiegebilde, keine echte Demokratie. Johnson ist eine Karikatur dessen, was einen Spitzenpolitiker eigentlich ausmachen müsste – ein Selbstdarsteller und notorischer Lügner, eine Schande für die Ämter, die er früher innehatte.

In öffentlichen Erklärungen schlug er wie seine Vorgänger auf Russland ein und ließ dabei Vernunft, Logik, Fakten und den gesunden Menschenverstand außer Acht. Zusammen mit anderen britischen und US-amerikanischen Russenhassern haben Johnson und Theresa May den Vorfall der Skripal-Vergiftung ausgeheckt, mit dem der Kreml nichts zu schaffen hatte. Anstatt verantwortungsbewusst zu versuchen, die Beziehungen zu Moskau zu verbessern, nutzten sie den Vorfall, um die Spannungen noch weiter zu erhöhen.

Johnson ist Großbritanniens Nikki Haley in männlicher Ausführung. Er hat Putin früher mit Hitler verglichen. Haley hat Ambitionen auf die US-Präsidentschaft 2024. Diese Möglichkeit sollte jedem Angst einjagen – eine neokonservative Extremistin und ein geopolitisch ahnungsloser Hillary-Klon, ohne deren jahrelange politische Erfahrung auf der Weltbühne.

Der frühere Londoner Bürgermeister Ken Livingstone nannte Johnson einmal „den verbohrtesten rechten Ideologen seit Thatcher… ein ziemlich fauler Wichser, der einfach nur da sein will.“ Er ist äußerst unqualifiziert für das Amt, das er nun bekleidet. Es liegt an ihm, den Schlammassel, den er geerbt hat, noch zu verschlimmern.

Der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten der Russischen Föderation, Konstantin Kosachew, kritisierte ihn scharf, indem er sagte:

„Der britischen Politik stehen Stürme und Erdbeben ins Haus, das wage ich zu behaupten. Und die britisch-russischen Beziehungen stehen vor der gleichen alten Friedhofs-Verzweiflung, in die sie Johnson und seinesgleichen gestürzt haben. Das wird kein Spaß.“

Sein kompromissloser Extremismus und seine Exzentrizitäten „zeigten sich in voller Blüte, als er Außenminister war, und es ist unwahrscheinlich, dass sich das jetzt legen wird.“ Kosachews Amtskollege in der Staatsduma, Leonid Slutsky, war genauso enttäuscht über Johnsons Aufstieg zur Macht und sagte:

„Was die Beziehungen zu Russland betrifft, kann man kaum eine drastische Wendung zum Besseren erwarten.“ Johnson war Außenminister „während der beispiellosen anti-russischen Kampagne im Zuge der sogenannten Vergiftung“ von Sergey und Yulia Skripal, die man Moskau in die Schuhe geschoben hat. „Er bemühte sich nach Kräften, dieses politische Theater zu propagieren und die russisch-britischen Beziehungen auf null herunterzufahren.“

Nach Aussagen des Journalisten Dave Hill ist er „eine einzigartige Figur in der britischen Politik, eine beispiellose Mischung aus Comedian, Schwindler, einem vorgeblich subversiven Blender und einem Produkt populistischer Medien.“ Die Biografin Sonia Purnell beschrieb seine öffentliche Rolle als „Marke Boris“ und fügte hinzu, er sei „ein manischer Selbstdarsteller (ausgestattet mit) einer gehörigen Portion Prahlsucht… der unkonventionellste… Politiker der post-Blair-Ära“.

Der frühere stellvertretende Premierminister Großbritanniens, Nick Clegg, sagte einmal, er sei „wie Donald Trump mit einem Thesaurus.“ Sie ähneln sich in ihrer demagogischen Selbstdarstellerei, ihrem aufgeblasenen Auftreten, ihrem Maulheldentum und ihrer Arroganz. Johnson ist wie Donald John Trump mit britischem Akzent und geschmeidigerem Auftreten. Der frühere Abgeordnete und Kritiker des Imperialismus, George Galloway, sagte: “Sie müssen … britisch und … verrückt sein, um ihn für die Antwort auf die derzeit recht kritischen Probleme Großbritanniens zu halten.” Und fügte hinzu:

„Er ist die vollkommene Verkörperung aller Laster… der Upper Class der englischen Elite“ – er schert sich nicht um die Rechte und das Wohlergehen der normalen Briten. (…) Wie sein Held Winston Churchill glaubt er, die Geschichte wird ihn freundlich behandeln, weil ER sie zu schreiben gedenkt.“

Er und Trump sind Kriegsherren, feindlich dem Frieden, der Gleichheit und Gerechtigkeit gegenüber – unerlässliche Eigenschaften, um im Westen ein öffentliches Amt zu bekleiden, das sozial eingestellte Demokraten meiden. Er trieft nur so vor Rassismus und Frauenfeindlichkeit, nennt Schwarze „Negerbälger (mit) einem Wassermelonen-Lächeln“ und muslimische Frauen „Briefkästen“.

Laut einer nicht zufälligen Stichprobe unter 70.000 Londoner Guardian-Lesern „neigen Frauen mehr als Männer dazu, Boris Johnson als unehrlich, fremdenfeindlich und politisch berechnend einzuschätzen… 97 Prozent der Frauen und 96 Prozent der Männer betrachten ihn als „auf abstoßende Weise unehrlich“.“ Auf einer Versammlung der Tory-Führung Anfang Juli befragte man ihn zu seinen „wohl rassistischen“ Bemerkungen in seinen eigenen Zeitungs-Kommentaren.

Der Kolumnist Patrick Cockburn meinte, sein Aufstieg zum Premierminister käme einem „sanften Coup“ gleich. Johnson wurde von 160.000 Tory-Mitgliedern gewählt, das ist nur ein winziger Bruchteil der britischen Wählerschaft. Nachdem die Wahl auf ihn gefallen war, schrieb der Londoner Guardian, „der Clown wird gekrönt, während das Land in der Hölle schmort“. „Er wurde von sage und schreibe 0,2 Prozent des Volkes gewählt, (das ist alles andere als) der Wille des Volkes.“ Und übrigens, das Akronym für seinen Wahlkampf-Slogan „Deliver, Unite, Defeat“ („Liefern, Einen, Vernichten“) lautet DUD (auf Deutsch etwa „Windei“, „Lusche“).

Um Premierminister zu werden, setzte er aufs Ganze und gelobte, Großbritannien werde bis zum 31. Oktober die EU verlassen. Weil er einen No-Deal-Brexit vermeiden möchte, sagte er: “Es wäre absolut bizarr, zu diesem Zeitpunkt zu signalisieren, dass die britische Regierung bereit ist, erneut die weiße Fahne zu hissen und die Entscheidung erneut zu verzögern.“ Bis dahin kann viel passieren. Wie Trump und andere westliche Politiker sagt Johnson ein ums andere Mal das Eine und tut das Andere.

Er überzog Labor-Chef Jeremy Corbyn mit Schmähungen, nannte ihn und seine gleichgesinnten Anhänger Teil einer „Marxistischen Intrige… eine echte Gefahr für unsere Grundwerte und unseren Lebensstil“ und ergänzte: Als Premierminister werde er „dieses Land vor dem rotzahnigen, rotklauigen Sozialismus schützen”. Wie die meisten westlichen Politiker setzt er sich eher für Privilegien denn für den positiven sozialen Wandel ein.

Als er erklärte, dass er kandidieren werde, versprach er, die Steuern für wohlhabende Briten und Unternehmen zu senken. Und das ausgerechnet zu einer Zeit, in der laut einer Umfrage die meisten Briten gegen jahrelange erzwungene Sparmaßnahmen sind und Steuererhöhungen sowie zusätzliche Einnahmen für ein verbessertes Sozialwesen befürworten.

Am Mittwoch begann Johnsons Amtszeit als Premierminister. Die gute Nachricht lautet, dass Theresa May weg ist. Die schlechte lautet, dass er wahrscheinlich an das Schlimmste ihrer Politik anknüpfen und sein eigenes Schlimmstes noch dazufügen wird. Er will nicht nur Steuersenkungen für die Reichen und die Wirtschaft, sondern auch, dass die Briten mehr für die Gesundheitsfürsorge zahlen. Außerdem fordert er, dass 20.000 weitere Polizisten zur Bekämpfung der „Kriminalität“ und zum harten Durchgreifen gegen Ausländer aus den falschen Ländern eingesetzt werden.

Der iranische Außenminister Zarif twitterte Folgendes, nachdem Johnson als Premierminister ausgewählt wurde:

„Dass die May-Regierung iranisches Öl beschlagnahmt hat, ist schlicht und einfach Piraterie. Ich gratuliere meinem früheren Amtskollegen @BorisJohnson zum Amt des britischen Premiers. Iran sucht nicht die Konfrontation. Doch wir haben 1500 Meilen Küste am Persischen Golf. Dies sind unsere Gewässer und wir werden sie schützen.“

Johnson ist kein Freund des Iran, er drang früher darauf, „störendes Verhalten“, so nannte er es, einzustellen. In einer Debatte um die politische Führung zu Beginn dieses Monats sagte er: „Ich werde nicht so tun, als ob die Mullahs in Teheran leicht zu handhaben sind oder dass sie etwas anderes als ein störendes, gefährliches, schwieriges Regime sind. Das sind sie nämlich eindeutig.“, und fügte hinzu:

„Doch … sollten Sie mich fragen, ob ich als Premierminister einen Militäreinsatz gegen den Iran unterstützen würde? Dann ist die Antwort nein.“

Aus einem Nein kann bei vielen Themen ein Ja werden, wenn die US-Hardliner pfeifen. Johnson wird zweifellos die besondere Beziehung zwischen den USA und Großbritannien aufrechterhalten, besonders in geopolitischer Hinsicht. Beurteilt sie nach ihren Taten. Beide Länder sind Iran gegenüber feindlich eingestellt. Daran wird sich eher nichts ändern mit Johnson als Hausherren von Downing Street.

Wie wird er mit Trump persönlich auskommen? Es ist verbürgt, dass er 2015 als Bürgermeister von London Folgendes gesagt hat als Reaktion auf die Bemerkung des Privatmannes Trump über „no-go“-Zonen in der Stadt, in die sich die Polizei wegen muslimischer Extremisten nicht hineinwagt: Trump habe „eine ziemlich verblüffende Ignoranz“ an den Tag gelegt, „die ihn, offen gesagt, unfähig macht, das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten zu übernehmen.“

Er war der erste langjährige britische Politiker, der diese Ansicht äußerte. Trump ist leicht gereizt, wenn man ihn kritisiert. Wenn man ihn an Johnsons Bemerkung erinnert oder er sich selbst dessen entsinnt, mögen das vielleicht nicht die besten Voraussetzungen für eine unproblematische Beziehung sein.

Titelbild: Bart Lenoir / Shutterstock


Stephen Lendman, geboren 1934 in Boston, schreibt Artikel zu einem breiten Spektrum politischer Themen und moderiert die Sendung „Progressive Radio News Hour“, in der drei Mal die Woche Wissenschaftler, Philosophen, Journalisten und Friedensaktivisten zu Wort kommen. Zuletzt trat er als Herausgeber des Buches „Flashpoint in Ukraine: US Drive for Hegemony Risks WW III“ in Erscheinung. Er ist zu erreichen unter: me(at)stephenlendman.org.