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Heute unter anderem zu folgenden Themen: Griechenland-Debatte; Berlin diskutiert „griechische“ Lösung; Ermittlungen gegen KfW sollen eingestellt werden; stärkere Rentensteigerungen; sechs Euro sind sittenwidrig; Kopfpauschale löst Widerstand aus; Kochs Fraport-Debakel; Zeitdieb Computer; Bildungsbananenrepublik; NRW-Wahlkampf; Bildung ist keine Ware; Kalifornien ist pleite; TV-Tipp. (KR/WL)

  1. Griechenland-Debatte
  2. Berlin diskutiert “griechische” Lösung
  3. Staatsanwalt will Ermittlungen gegen KfW einstellen
  4. Bontrup: Arbeitslosigkeit kann durch Wachstum nicht mehr abgebaut werden
  5. Schmähl fordert stärkere Rentensteigerungen
  6. Urteil gegen Dessoushändler: Gericht nennt Lohn von sechs Euro brutto sittenwidrig
  7. Die Kopfpauschale löst Widerstand aus
  8. Fraport: Allen Warnungen zum Trotz
  9. Computerspiele: Moderne Zeitdiebe
  10. Mehrheit der Bundesbürger für Bildungsrepublik. Hohe Unzufriedenheit mit Bildungspolitik
  11. Kosovo: Guttenberg zieht 1000 Soldaten ab
  12. NRW-Wahlkampf
  13. Bildung ist keine Ware?
  14. California’s government: Looking for waste – Easier blamed than found
  15. Im Höllenfeuer
  16. TV-Tipp: Gier und Größenwahn – Wie die Politik bei der Banken-Rettung über den Tisch gezogen wurde

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Griechenland-Debatte
    1. Verkehrsunfall oder Systemfehler? Gesprächsserie “Lehren aus der Hyperkrise”
      Die seit Herbst 2008 andauernde Finanzkrise hat sich auch zu einer Krise des globalisierten Kapitalismus zugespitzt. Denn eine ungehemmte Liberalisierung der Märkte und die Ausdehnung der internationalen Arbeitsteilung haben die gigantischen Wachstums- und Wohlstandsversprechen nicht einlösen können.
      In unserer heute beginnenden Gesprächsserie “Lehren aus der Hyperkrise” unterhält sich Stefan Fuchs mit dem Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck darüber, ob es sich beim Finanzcrash und seinen Folgen nur um einen Verkehrsunfall oder gar einen Systemfehler handelt.
      Flassbeck war nach dem Regierungswechsel 1998 unter Oskar Lafontaine Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Seit November 2000 fungiert er als Chef-Volkswirt bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung UNCTAD in Genf.
      Quelle: Deutschlandradio
    2. Deutschland – Totengräber der Währungsunion
      Das in der Dis­kus­sion stra­pa­zierte mora­li­sche Argu­ment, kein Land dürfe über seine Ver­hält­nisse leben und mehr Schul­den auf­neh­men als es zurück­zah­len kann (und müsse daher bei Zah­lungs­un­fä­hig­keit durch strenge Spar­auf­la­gen bestraft wer­den), sieht nicht nur von der mora­li­schen Ver­ant­wor­tung des Gläu­bi­gers ab, son­dern zeugt von öko­no­mi­schem Maso­chis­mus und poli­ti­scher Kurz­sich­tig­keit. Wenn Grie­chen­land – und in wei­te­rer Folge andere von Schul­den­kri­sen bedrohte Län­der wie Por­tu­gal, Spa­nien oder Irland, jetzt auf Jahre zu stren­ger Spar­po­li­tik gezwun­gen wer­den, lei­det zual­ler­erst die größte euro­päi­sche Export­na­tion, indem für deut­sche Export­pro­dukte Absatz­märkte weg bre­chen. Zum zwei­ten wird damit jede Wachs­tums­dy­na­mik in den Schuld­ner­län­dern abge­würgt, und in Folge des­sen die Fähig­keit zur Rück­zah­lung der Schul­den erst recht wie­der in Frage gestellt. Zahl­rei­che Schul­den­kri­sen der jün­ge­ren Geschichte haben gezeigt, dass ein Land sich aus sei­nen Schul­den nicht her­aus­spa­ren, son­dern nur her­aus­wach­sen kann. Ent­schei­dend für die Zah­lungs­fä­hig­keit Grie­chen­lands wird daher sein, dass es rasch auf einen Wachs­tums­pfad zurück­keh­ren kann. Dafür braucht es kurz­fris­tig Über­brü­ckungs­kre­dite von EU und IWF sowie eine Umschul­dung mit einer sub­stan­zi­el­len Reduk­tion der Schul­den­last zulas­ten der Gläu­bi­ger grie­chi­scher Staats­an­lei­hen. Dar­über hin­aus muss es aber eine par­ti­elle Rück­nahme bzw. zeit­li­che Stre­ckung der über­zo­gen stren­gen Spar­auf­la­gen geben. Nur so kann Grie­chen­land in die Lage ver­setzt wer­den, Inves­ti­tio­nen in die Wett­be­werbs­fä­hig­keit sei­ner Wirt­schaft zu täti­gen und die schlimms­ten sozia­len Aus­wir­kun­gen der Krise auf seine Bevöl­ke­rung abzu­mil­dern. Wer in Deutsch­land und anderswo daran inter­es­siert ist, dass das euro­päi­sche Pro­jekt eine poli­ti­sche Zukunft hat, sollte gerade den letz­ten Punkt nicht aus den Augen verlieren.
      Quelle: BEIWEGUM
    3. Auf der falschen Welle
      Dass sich die Kanzlerin von Stimmungen treiben lässt, bedeutet keineswegs, dass sie keine Richtung hätte. Ja, sie ist lange im Strom der Anti-Griechen-Stimmung geschwommen. Wenn aber die eine oder andere Tatsache den Fluss der Dinge störte – die unverantwortliche Spekulation gegen den Euro, das Mitverschulden und -verdienen vieler Banken und anderes mehr -, dann holte Merkel das Ruder heraus und umschiffte die ideologisch unpassenden Fakten. Viele von denen, die das Lavieren unserer Regierungschefin jetzt kritisieren, haben sie noch vor kurzem dafür gerühmt. Die Loblieder klangen, als sei ein ausgeprägtes Gefühl für Macht und Stimmung schon etwas Ähnliches wie Politik. Als sei es Demokratie, wenn bei “Bild” die Zeilen und bei Infratest die Zahlen stimmen. Griechenland sollte diese Ideologen des Pragmatismus gelehrt haben, in welches Dilemma diese Stimmungspolitik auch eine Meisterin wie Merkel stürzen kann. Als sie vor eineinhalb Jahren die Sicherheit deutscher Spareinlagen garantierte, da griff die Kanzlerin nicht nur die Ängste der Menschen auf. Sie tat das zugleich in einer Weise, die die berühmten “Märkte” nach der Lehman-Pleite ein wenig beruhigte. Psychologie und Politik stimmten überein.
      Wer Merkel in diesem Frühjahr erlebte, muss fast annehmen: Das war Zufall. Denn dieses Mal klafften das Bedienen von Befindlichkeiten und die realen Notwendigkeiten weit auseinander. Die Kanzlerin musste wissen , dass es ohne ein Stabilisierungspaket für Griechenland nicht geht. Sie schwamm dennoch auf der Anti-Welle in der trügerischen Hoffnung, bis zur Wahl in Nordrhein-Westfalen durchzuhalten. Das ist im Ergebnis nicht weniger unverantwortlich, als hätte sie es genau so geplant. Einem Normalbürger ist es nicht zu verdenken, wenn er spontan sagt: Mein Steuergeld hat bei den hellenischen Verschwendern nichts zu suchen. Die wichtigste Politikerin Deutschlands aber hätte dieser Stimmung Wahrheiten entgegensetzen müssen. Zum Beispiel die, dass es außer den “bösen Griechen” noch andere Verantwortliche gibt. Etwa an den noch immer unzureichend regulierten Finanzmärkten oder in Hauptstädten, wo nationale Egoismen mehr gepflegt werden als die Notwendigkeiten einer europäisierten Ökonomie.
      Dann aber hätte sich die Kanzlerin am Ende an die eigene Nase fassen müssen. Und das kann ja keiner verlangen. Oder?
      Quelle: FR
    4. Euro-Krise: Wie sich der Bundestag selbst entmachtet
      Mit bis zu 22 Milliarden Euro beteiligt sich Deutschland an der EU-Hilfe für Griechenland. Im Eiltempo wird in dieser Woche das Gesetz verabschiedet, der Bundestag kann dieses nur noch abnicken. Die Bundestagsabgeordneten hingegen können das ihnen vorgelegte Gesetz nur noch abnicken. Weder reicht die Zeit, um den Gesetzentwurf ausführlich zu diskutieren, noch reichen fünf Tage, um in der eigentlich gebotenen Ausführlichkeit Experten anzuhören. Die vorgesehenen parlamentarischen Beratungsfristen werden eigens verkürzt.
      Die Demokratie nimmt wieder einmal Schaden.
      Quelle: Tagesspiegel

      Anmerkung WL: Dabei geht es bei diesem Gesetz keineswegs nur im die Bewilligung einer Kredithilfe, sondern um eine europapolitisch weitgehende Entscheidung. Nämlich darum, dass der deutsche Bundestag mit der Verabschiedung dieses Gesetzes der griechischen Regierung und den Griechen eine Austeritätspolitik mit strengsten Sparauflagen aufzwingt, also damit eine europäischen Linie der neoliberalen Wettbewerbspolitik durchsetzt. Siehe dazu auch den heutigen Beitrag von Professor Fisahn „Rhetorik der Unverantwortlichkeit – der Umgang mit den Wirkungen der Finanzkrise und der Fall Griechenland“.

    5. IMK: Absicherung griechischer Staatsanleihen fast doppelt so teuer wie von argentinischen Papieren
      Die Ausfallwahrscheinlichkeit kurzfristiger griechischer Staatsanleihen wurden in der vergangenen Woche auf den Finanzmärkten deutlich höher eingestuft als die von vergleichbaren Schuldverschreibungen der Republik Argentinien, einem Land, das die Folgen seines Staatsbankrotts noch nicht überwunden hat. Auch die Absicherung kurzfristiger Anleihen der Ukraine, Islands oder Russlands durch so genannte CDS-Spreads war weitaus günstiger als die von vergleichbaren griechischen Papieren. Darauf weist das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung hin. “Die enormen Risikoaufschläge lassen starke Zweifel daran aufkommen, dass die Finanzmärkte bei der Bewertung des Euro- und EU-Staats Griechenland rational vorgehen”, sagt Prof. Dr. Gustav A. Horn, der Wissenschaftliche Direktor des IMK. “Und sie machen deutlich, welche dramatischen Folgen die Verzögerungen bei der Bereitstellung von EU-Krediten haben. Wir erleben eine gefährliche Spirale aus Panik und Spekulation.
      Quelle: Hans-Böckler Stiftung
    6. Schock-Strategie für Griechenland
      Die Strategie hat System – immer wenn durch Katastrophen, Krieg oder Krisen die Not am größten ist, wird die Gesellschaft einer ökonomischen Schock-Behandlung unterzogen, mit deren Hilfe neoliberale Reformen im Eiltempo umgesetzt werden, die ansonsten am Widerstand der Bevölkerung scheitern würden. Wie diese Strategie funktioniert, hat bereits Naomi Klein in ihrem grandiosen Buch Die Schock-Strategie – Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus herausgearbeitet. Wenn Klein eine Neuauflage des Buches schreiben würde, bekäme die Griechenland-Krise sicherlich ihr eigenes Kapitel. Unter der Schockstarre des Beinahe-Bankrotts, der sich erst durch die Hinhaltetaktik der deutschen Regierung manifestierte, verabreichen nun IWF und die EU unter deutscher Führung Griechenland ihre bittere Medizin. Noch bevor die Rettungsspritze aufgezogen ist, muss Griechenland historische Reformen in Angriff nehmen, von denen nur ein kleiner Teil dazu geeignet ist, die strukturellen Probleme des Landes wirklich zu lösen. Die Chancen, aus eigenen Kräften die Krise zu meistern und halbwegs unbeschadet aus ihr herauszukommen, sind nun ein für alle Male passé. Griechenland droht nun vielmehr das Schicksal von Pinochets Chile, das als Experimentierfeld der Chicago-Boys radikal auf Marktliberalismus getrimmt wurde. Die Chicago-Boys von damals sind die Frankfurt-Boys von heute. (…)
      Das politische System Griechenlands wird sich massiv wandeln, vielleicht wird der Staat sogar das erste EU-Land mit kommunistischer Regierung – schließlich sind die Kommunisten dritte Kraft im Parteiensystem und Profiteure der Krise. Europa und IWF doktern ohne Heilungsabsicht an den Symptomen der griechischen Krankheit herum, ohne die Ursachen eines Blickes zu würdigen. Kein Wort über die Schieflage des Außenhandels in der Eurozone, kein Wort über die deutsche Sparwut, die nicht nur den deutschen Arbeitnehmern, sondern auch halb Europa die Luft abschneidet. Am deutschen Wesen soll die Welt genesen, die Frankfurt-Boys haben einen Etappensieg errungen.
      Quelle: Spiegelfechter
    7. Michael Schlecht: Akropolis wackelt, der Euro brennt – und die Agenda 2010 wird in radikaliserter Form “exportiert”
      Gäbe es in Griechenland für Reiche angemessene Einkommen- und Vermögensteuern, die auch bezahlt werden, würde es keine drohende Zahlungsunfähigkeit geben.
      Der Kampf der griechischen Bevölkerung gegen das Kürzungspaket ist der gleiche Kampf gegen die Umverteilung, den auch wir in Deutschland führen. Ein Kommentar von Michael Schlecht, Chefvolkswirt der Fraktion DIE LINKE.
      Quelle: Saarländische Online-Zeitung
    8. Die Politik kapituliert vor der Macht der Märkte
      Doch wie kann es sein, dass auch mehr als eineinhalb Jahre nach Lehman die Politik immer noch den Finanzmärkten ausgeliefert ist? Warum kann man weiterhin keine Bank und erst recht kein Land pleitegehen lassen? Warum finanzieren Europas Steuerzahler, dass ein griechischer Finanzmogul wie Spiros Latsis vor großen Verlusten bewahrt wird, wie es die „Bild“ am Freitag auf den Punkt brachte?
      Dass die Finanzmärkte der Politik ihr Handeln quasi diktieren, liegt nicht an bösen Spekulanten, auch wenn das Politiker Glauben machen wollen. So sähe der CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt die Profiteure der Schuldenkrise Griechenlands gern am Pranger. Er forderte sogar eine „schwarze Liste“, mit den Namen der Spekulanten, die gegen Griechenland gewettet haben: „Wer mit seinen Spekulationen ganze Staaten in Schieflage bringt, gehört angeprangert und gebrandmarkt.“
      Mit derartigen Haltet-den-Dieb-Sprüchen versuchen die Politiker, von ihrem eigenen Versagen abzulenken. Spätestens seit Lehman war klar, dass die moderne Staatengemeinschaft kollektiv in den Konkurs zu steuern droht. Und das nicht nur, weil die Finanzwelt in Teilbereichen regellos ist, sondern vor allem wegen des eigenen Unvermögens, solide zu wirtschaften.
      Quelle: Welt

      Anmerkung des NDS-Lesers G.G.: Das ist das schlichte Weltbild der “Welt”. Jetzt müsste man nur noch wissen, ob es in der Redaktion einen erhöhten Aspirin-Konsum gibt, um solche Sätze ohne Kopfschmerzen zu ertragen.

    9. Staatsanleihen-Rating: EZB verwässert für Griechen-Rettung ihre Regeln
      Um Athen zu helfen, greift die Europäische Zentralbank zu einem beispiellosen Mittel: Die Notenbank setzt für Griechenland ihre eigene Regel aus, nach der sie nur Staatsanleihen mit einem befriedigenden Rating als Sicherheit akzeptiert. Kritiker sehen nun die Glaubwürdigkeit der EZB gefährdet
      Quelle: SPIEGEL

      Anmerkung Orlando Pascheit: Der Spiegel gibt sich wieder einmal heiliger als der Papst. Die EZB “verwässert” nicht, sondern setzt sich endlich eigene Regeln, um sich von irgendwelchen privaten Kristallkugelguckern an der Wall Street abhängig zu machen. Banker, die hier kritisieren, müssen sich die Frage gefallen lassen, worauf sie denn gewettet haben. Sie sollten einen Blick auf ihre angelsächsischen Vorbilder werfen, dort dürfen die Notenbanken Staatsanleihen sogar kaufen, und sie tun es, ohne dass Moody’s oder wie sie heißen erklären, dass dies die Kreditwürdigkeit der Vereinigten Staaten oder Großbritanniens am internationalen Kapitalmarkt beinträchtigen würde.

    10. Ulrike Herrmann: Bankrott ist keine Lösung
      Natürlich kann die griechische Regierung sparen, wie es der Internationale Währungsfonds und die EU jetzt fordern: Sie kann die Mehrwertsteuer erhöhen, die Einkommensteuer auch bei den Selbständigen eintreiben, den Militäretat kürzen, Krankenhäuser schließen und Weihnachtsgelder streichen. Trotzdem dürfte es für die Gläubiger Griechenlands zu spät sein, weil jeder Sparkurs die Wirtschaft abwürgt. Ein Staatsbankrott scheint unausweichlich. EU und IWF können ihn wahrscheinlich nicht mehr aufhalten – sondern aus einem chaotischen Crash nur noch eine geordnete Abwicklung machen. Ein ungeordneter Staatsbankrott wäre tatsächlich katastrophal. In Griechenland würden sämtliche Banken sofort zusammenbrechen. Schließlich besitzen sie etwa 40 Milliarden Euro an griechischen Staatsanleihen – vor allem aber würden die Griechen in die Banken stürmen, um ihr Geld abzuziehen. Wenn der Staat bankrott ist und die Einlagen nicht mehr garantieren kann, muss es zur Massenpanik kommen, weil jeder Sparer zu Recht annimmt, dass sein Konto nicht mehr sicher ist. Auch für die Deutschen würde ein chaotischer Staatsbankrott teuer, schon weil Pleitebanken wie die Hypo Real Estate, die Commerzbank und einige Landesbanken Milliarden in Griechenland investiert haben. Vor allem aber wäre abzusehen, dass auch Defizitländer wie Portugal oder Spanien keine neuen Kredite mehr bekämen, – und dort sind die deutschen Banken noch stärker engagiert. Der Sinn der Rettungspakete ist schlicht: EU und IWF versuchen, Zeit zu kaufen. Für drei Jahre werden nun alle Verbindlichkeiten Griechenlands übernommen, auf dass es danach seine Schulden allein bedienen kann. Wahrscheinlich ist dies nicht – aber bis dahin haben sich vielleicht Spanien und Portugal so weit saniert, dass sie nicht mehr in die Griechenland-Turbulenzen hineingezogen werden.
      Politisch bedenklich ist, dass die Wellen der Empörung in dieser Finanzkrise immer wieder gleich verlaufen: Stets wird nach individuellen Schuldigen gesucht. Jetzt sind es eben “die faulen Griechen”. Diese “Privatisierung” der Krise ist unpolitisch, weil ausgeblendet wird, dass indirekt alle Anleger profitieren, wenn das Finanzsystem stabilisiert wird. Folglich wären auch alle Investoren an den Rettungskosten zu beteiligen – durch eine Finanztransaktionssteuer, durch höhere Spitzensteuersätze und steigende Steuern auf Kapitalerträge. Solche Maßnahmen haben jedoch keine Chance, solange nur nationalistisch auf die “faulen Griechen” geschimpft wird.
      Quelle: TAZ
    11. Interessiert eigentlich jemanden, was in Griechenland wirklich passiert?
      NachDenkSeiten-Leserin M.M. weist auf den Blog “Print Würgt” von Michel Pantelouris hin, der erhellende Kommentare zur Griechenland-Berichterstattung der deutschen Medien bietet. Beispiele:
      Quelle 1: Print Würgt: Interessiert eigentlich jemanden, was in Griechenland wirklich passiert?
      Quelle 2: Pringt Würgt: Die Rentenlüge, Folge 192
  2. Berlin diskutiert “griechische” Lösung
    Die Bundesregierung prüft nach Informationen der FR einen Buchungstrick, um die Schuldenbremse des Grundgesetzes 2011 ohne harte Einschnitte einhalten zu können. Bei der neuen Defizitgrenze habe sie ein Schlupfloch gefunden, heißt es in Regierungskreisen.
    Um das zu nutzen, könnte der Bund seine Überweisung an die Arbeitslosenversicherung als Darlehen deklarieren. Damit sicherte er sich Ansprüche auf Rückzahlung in der Zukunft. Entsprechend sänke den Angaben zufolge sein strukturelles Defizit um rund neun Milliarden Euro. Die Koalition könnte formal die Schuldenbremse einhalten, ohne ernsthaft sparen zu müssen.
    Quelle: FR
  3. Staatsanwalt will Ermittlungen gegen KfW einstellen
    Die Millionenüberweisung der staatseigenen KfW-Bankengruppe an die US-Pleitebank Lehman-Brothers könnte ungesühnt bleiben: Einem Zeitungsbericht zufolge will die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen einstellen – wegen der Panne fristlos gekündigte Vorstände könnten nachträglich kassieren.
    Quelle: Spiegel Online
  4. Bontrup: Arbeitslosigkeit kann durch Wachstum nicht mehr abgebaut werden
    Beschäftigung: Nur mit einer Verkürzung der Arbeitszeit lasse sich die hohe Erwerbslosigkeit reduzieren, sagt der Ökonom Heinz-J. Bontrup von der FH Gelsenkirchen und Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. Solange eine Verkürzung nicht größer sei als das Produktivitätswachstum, würde sie Arbeit auch nicht teurer machen. Bontrup fordert zudem, den Staat finanziell besser auszustatten sowie einen öffentlichen Beschäftigungssektor.
    Wie lässt sich die Arbeitslosigkeit abbauen?
    Wir brauchen drei Elemente: Eine kollektive Arbeitszeitverkürzung, einen öffentlichen Beschäftigungssektor und eine expansive Finanzpolitik.
    Ist eine expansive Finanzpolitik überhaupt zu verkraften?
    Dass die Staatsverschuldung durch die Krise gestiegen ist, kann kein Grund sein, in Zukunft auf schuldenfinanzierte Ausgaben zu verzichten. Dies hat einmal mehr die aktuelle Krise gezeigt. Aber mittel- und langfristig ist eine überzyklische steuerfinanzierte Politik notwendig.
    Sie verlangen Arbeitszeitverkürzung. Die wurde selbst von Gewerkschaften ad acta gelegt. Warum greifen Sie das Thema wieder auf?
    Die Schere zwischen Wirtschafts- und Produktivitätswachstum geht immer weiter auseinander. Das heißt: Die Produktivität, mit der ja Arbeit eingespart wird, wächst stärker als die Wirtschaft. Zwischen 1991 und 2008 ist das Bruttoinlandsprodukt im Jahresschnitt um 1,5 % gewachsen, die Produktivität je Erwerbstätigenstunde aber um 1,8 %. Das Arbeitsvolumen ist also jedes Jahr um 0,3 %-Punkte gesunken. Auch wenn durch die zukünftige demografische Entwicklung das Arbeitskräfteangebot zurückgeht, wird sich die Schere zwischen Produktivität und Wachstum nicht wieder schließen.
    Wie stark müsste das Wirtschaftswachstum sein, um die hohe Arbeitslosigkeit abzubauen?
    Über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren wären reale Wachstumsraten des Bruttoinlandsproduktes von 8 % bis 10 % nötig. Das ist aber völlig unrealistisch. Wenn die Politik es mit dem Abbau der Arbeitslosigkeit ernst meint, muss man die Arbeitszeit verkürzen.
    Quelle: VDI-Nachrichten
  5. Schmähl fordert stärkere Rentensteigerungen
    Früherer Vorsitzender des Sozialbeirats befürchtet, dass Rentner zunehmend von der Einkommensentwicklung abgekoppelt werden.
    Anlass für die Forderung Schmähls ist die mehrfache Änderung der Rentenanpassungsformel in den vergangenen Jahren. Durch den Einbau eines Nachhaltigkeits- und des “Riester”-Faktors in die Formel sei die gesetzlich vorgesehene Dynamik – die Anbindung der Renten an die Lohnentwicklung bei den Beschäftigten – kaum noch erkennbar, kritisiert Schmähl. Deshalb plädiert er für den Wechsel zu einem Anpasssungsmechanismus, in dem nur noch “die Faktoren eine Rolle spielen, die auch für die Beitragsabführung relevant sind: Bruttolohn und Beitragssatz.”
    Einen weiteren Beleg dafür, dass seine Forderung berechtigt ist, sieht der Rentenexperte in den niedrigen Renditen kapitalmarktabhängiger Vorsorgeprodukte. Obwohl die Verfechter der kapitalgedeckten Altersvorsorge immer wieder auf eine angeblich höhere Rendite dieser Produkte verwiesen, spreche kaum etwas dafür, dass “dies in der Realität der Fall ist oder in nächster Zeit sein wird”, kritisiert der Wissenschaftler.
    Quelle: Ihre Vorsorge
  6. Urteil gegen Dessoushändler: Gericht nennt Lohn von sechs Euro brutto sittenwidrig
    Sechs Euro Stundenlohn für eine Fachverkäuferin – das ist selbst im schlecht bezahlten Osten Deutschlands eindeutig zu wenig. Arbeitsrichter in Sachsen geben der Klage einer Verkäuferin statt, die wenigstens zwei Drittel des ortsüblichen Tariflohns verlangte.
    Der Tariflohn im sächsischen Einzelhandel liegt bei 12,34 Euro pro Stunde. Die Verkäuferin eines Dessoushändlers bekam nur die Hälfte zahlt, sechs Euro brutto. Dagegen hat sie geklagt, das Arbeitsgericht Leipzig hat ihr nun Recht gegeben und den Lohn als sittenwidrig bezeichnet.
    Quelle: SPIEGEL

    Anmerkung des NDS-Lesers J.A.: Auch ein Drittel unter dem anerkannten Tarif ist Lohndumping.

  7. Die Kopfpauschale löst Widerstand aus
    Die Proteste könnten größer werden als die gegen Hartz IV, sagt die Ärztin Nadja Rakowitz: “Denn von Hartz IV fühlten sich viele Menschen nicht betroffen und kümmerten sich nicht darum. Doch von der Kopfpauschale und anderen Formen der Gesundheitsreform sind viele betroffen. Das könnte mehr Potenzial zum Widerstand haben.”
    Quelle: taz
  8. Fraport: Allen Warnungen zum Trotz
    Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) präsentiert sich gerne als kühler Stratege. Doch neu aufgetauchte Akten zeigen detailliert, wie Flughafenbetreiber Fraport – mehrheitlich in öffentlichem Besitz – unter Kochs Aufsichtsratsvorsitz allen Warnungen zum Trotz in das größte Finanzdesaster des Unternehmens schlitterte. Rund 500 Millionen Euro sind dabei verbrannt. Es geht um das gescheiterte Manila-Engagement von Fraport, um den illegalen und kostspieligen Versuch, auf den Philippinen vom Jahr 2000 an ein großes internationales Terminal zu errichten und zu betreiben – obwohl die philippinische Verfassung dies ausschloss. Aufsichtsratsprotokolle und Berichte der Wirtschaftsprüfer KPMG zeigen, wie Fraport unter der Ägide von Vorstandschef Wilhelm Bender und Aufsichtsrat Koch alle Warnungen in den Wind schlug, um schnell international zu wachsen. Fraport konnte demnach aus Expertisen früh wissen, dass große Probleme drohen.
    Ende 2002 erklärte die philippinische Regierung die Verträge über das Terminal für nichtig. Fraport war da bereits mit rund 400 Millionen Dollar engagiert. In einem Sonderprotokoll des Aufsichtsrats hielt Koch 2003 fest, dass dem Fraport-Vorstand dennoch “keine Verletzung der Sorgfaltspflicht vorgeworfen werden könne”. Trotz der Verpulverung von Hunderten Millionen Euro in dem Manila-Geschäft sei “der unternehmerisch zulässige Handlungsrahmen nicht überschritten worden”, so Koch laut Protokoll. Er beschloss 2003 sogar eine Gehaltserhöhung des Fraport-Chefs von 550000 auf 700000 Euro jährlich und gab 2004 den Aufsichtsratsvorsitz ab. Sein Nachfolger im Kontroll-Gremium wurde Hessens Finanzminister Karlheinz Weimar. Vor der Weltbank klagte Fraport auf Schadenersatz gegen die Philippinen – und handelte sich 2007 eine Niederlage ein: “Fraport hat bewusst und vorsätzlich geltendes Recht umgangen”, urteilten die obersten Handelsrichter. Schadenersatz gebe es nur für legale Geschäfte. Konsequenzen für Bender und Koch hatte das Urteil nicht.
    Quelle: FR
  9. Computerspiele: Moderne Zeitdiebe
    In der Kategorie der Kinderspiele wurde am Donnerstag die interaktive Lernsoftware “Lernerfolg Vorschule – Käpt´n Sharky” mit 75000 Euro prämiert. Aha. Nur: Im Vergleich wozu soll denn ein Computerspiel für Kindergartenkinder bitte “pädagogisch sinnvoll” sein? Im Vergleich zum guten Buch, zum Blockflötenunterricht oder zum Waldspaziergang sicher nicht. Allenfalls im Vergleich zu anderen Spielen, die noch viel weniger geeignet sind. Unter den Blinden ist der Einäugige bekanntlich König. Das Spiel ist bereits mit drei anderen Auszeichnungen geschmückt. Für mich ein Fall von Augenwischerei. Computerspiele für Vorschulkinder sind und bleiben Zeitdiebe.
    Quelle: FR
  10. Mehrheit der Bundesbürger für Bildungsrepublik. Hohe Unzufriedenheit mit Bildungspolitik
    72 Prozent aller Bundesbürger bejahen das Ziel, eine Bildungsrepublik Deutschland zu schaffen. Das ergab die forsa-Meinungsumfrage im Auftrag des VBE aus Anlass der bevorstehenden Steuerschätzung. VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann betonte heute in Berlin bei der Präsentation der Umfrageergebnisse, die Bildungsrepublik werde als gesamtgesellschaftliches Ziel wahrgenommen. “Für die Umsetzung hätten die Bundesregierung und die Regierenden in den Ländern einen sicheren Rückhalt in der Bevölkerung und in ihrer Anhängerschaft”, so Beckmann.
    Die forsa-Umfrage gibt auch Aufschluss darüber, wie die Bundesbürger die Verantwortung für Bildung zugeordnet wissen möchten. “40 Prozent der Bundesbürger sprechen sich für eine gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern für die Schul- und Bildungspolitik aus”, unterstrich Beckmann. “Nur noch ein knappes Drittel ist von der Alleinzuständigkeit der Länder überzeugt. Das haben sich die Länder aus meiner Sicht selbst zuzuschreiben.” Je länger die Erfahrung der alleinigen Länderzuständigkeit gemacht werde, so Beckmann, desto mehr nehme die Akzeptanz ab.
    Quelle: Bildungsklick
  11. Kosovo: Guttenberg zieht 1000 Soldaten ab
    Sollte die Lage auf dem Balkan stabil bleiben, könnten weitere Soldaten heimkehren. “Es kann durchaus sein, dass, wenn die Voraussetzungen gegeben sein sollten, später noch substanziellere Absenkungen möglich sind”, sagte der Minister. Die Mission im Kosovo zeige, dass Erfolg einen langen Atem brauche, sagte Guttenberg weiter.
    Quelle: FR

    Anmerkung Orlando Pascheit: Mag sein, dass unter militärischen Aspekten, im Sinne einer äußeren Bedrohung, Soldaten aus dem Kosovo abgezogen werden können. Was aber eher dem gemäßigten Kurs Serbiens anzurechnen ist und nicht der KFOR. Unter sozialen, politischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist dieser Staat eine einzige Katastrophe. Das Land ist arm. Es besitzt keine Rohstoffe, die Landwirtschaft ist wenig produktiv und der Kosovo verfügt über keine Exportgüter. Die Arbeitslosenquote beträgt ca. 45 Prozent, und es drängen bei einer der höchsten Bevölkerungszuwachsraten jährlich ca. 30 000 Menschen auf den Arbeitsmarkt, die kaum ausgebildet sind und häufig in die Kriminalität abdriften. Von kriminellen Machenschaften ist das ganze Land infiziert. Politiker plündern die Staatskasse oder gehen der organisierten Kriminalität zur Hand. Korrupte Richter manipulieren Verfahren. Und die EU-Mission Eulex schaut zu, um die innenpolitische Stabilität nicht zu gefährden. Nur weil jetzt internationales Militär abziehen kann, kann in keiner Weise von einem Erfolg im Kosovo gesprochen werden.

  12. NRW-Wahlkampf
    1. Sprüche und Brüche: NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers inszeniert sich gern – und wird zum Opfer seiner selbst
      „Ist schon erstaunlich, wie er sich da präsentiert“, wundert sich ein langjähriger Weggefährte, der bis heute die Hinwendung zum Arbeiterführer und dem Vorkämpfer für die sozialen Belange mit einigem Erstaunen zur Kenntnis nimmt. „Aber entscheidend ist, er regiert ganz anders“, fügt der Mann hinzu und gibt damit zu, dass der Vorwurf der Opposition, Rüttgers blinke links und biege dann rechts ab, nicht völlig aus der Luft gegriffen ist. „Ich habe von ihm im Umfeld von Leipzig nichts gehört, damals kannte er den Arbeiterführer in sich wohl selbst noch nicht“, bekennt einer aus der engeren Unionsführung, der damals allein stand und heute die Politik nur noch von außen betrachtet.
      Wofür steht der Mann? Fast fünf Jahre hat die Öffentlichkeit diese Frage nur mäßig beschäftigt. Er hat zwar die Mitbestimmung im öffentlichen Dienst eingeschränkt, Studiengebühren eingeführt, sich aber trotzdem als das soziale Gewissen der Union profiliert. Dass es größere Brüche gibt, als er selbst zugibt, fällt einem breiteren Publikum erst auf, seit eigene Leute dafür sorgen, dass wenig vorteilhafte Details aus dem Innenleben von Partei und Regierung an die Öffentlichkeit dringen. Im Umfeld von Rüttgers gibt es zahlreiche enttäuschte Mitstreiter. Die haben, und das vermittelt einen ersten Eindruck über das Klima in der Nähe des Mannes, offenbar reichlich Akten und Papiere für den Fall gesichert, dass sie irgendwann einmal keine Rolle mehr spielen könnten. Genau diese Papiere dringen inzwischen fein getaktet nach draußen: Christdemokraten stecken kritischen Journalisten in Düsseldorf Akten zu über die umstrittene Videoüberwachung der Oppositionsführerin, das unerlaubte Zusammenspiel zwischen Regierung und Partei, die zu viel kassierten Krankenkassenbeiträge des CDU-Generalsekretärs, die nicht gezahlten Mitgliedsgebühren der Landtagspräsidentin. Während all das den Ministerpräsidenten nur mittelbar trifft, kommt der entscheidende Angriff von den eigenen Leuten erst kurz vor Ostern: die Sponsorenaffäre. Sie soll Rüttgers im Zentrum seiner Politik treffen, seine persönliche Glaubwürdigkeit erschüttern – und genau das gelingt.
      Quelle: Tagesspiegel

      Anmerkung Orlando Pascheit: Die Frage ist, und darauf kann Jürgen Rüttgers und nicht nur er spekulieren, ob der normale Arbeitnehmer den Bruch zwischen den Sprüchen und der realen Regierungspolitik wahrnehmen kann. Wenn ich z.B. den Angestellten eines Schlüsseldienstes in meinem Heimatort nehme, der von 8:30 bis 18:00 dort arbeitet, dazu jeden Tag 60 Km bis zu seinem Wohnort pendelt, wann findet der die Zeit sich über Sprüche und Brüche Gedanken zu machen. Da ist die Familie und schließlich möchte man auch einmal Ruhe haben. Wenn es allzu heftig wird, kann Rüttgers immer noch auf Berlin oder die über uns gekommene große Krise verweisen. Die Sponsorenaffäre u. ä. sind schon längst als der normalen Politik zugehörig abgespeichert.

    2. Gabriel traut Steinbrück Kanzlerkandidatur zu
      Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel traut Ex-Finanzminister Peer Steinbrück die Kanzlerkandiatur im Jahr 2013 zu. “Am Ende muss der kandidieren, der die größten Chancen zum Gewinnen hat”, sagte Gabriel der Neuen Westfälischen auf die Frage, ob er selbst bei der nächsten Bundestagswahl als Spitzenkandidat antreten wolle. Steinbrück habe als Finanzminister gezeigt, wie man in schwierigen Situationen Führung zeige. “Er ist ein Mensch und Politiker, auf den die SPD besonders stolz ist”, sagte Gabriel. “Und ich füge hinzu: dem ich jedes politische Amt in Deutschland sofort zutraue.”
      Quelle: SZ

      Anmerkung Orlando Pascheit: Wahlkampfzeit, Fischen im Trüben ist angesagt. Wie schon bei der Griechenlandhilfe zeigt sich auch hier, dass Sigmar Gabriel sich allzu sehr von taktischen Spielchen leiten lässt. Die Strategie Gabriels, die SPD auf einen neuen zukunftsträchtigen Kurs zu bringen, hat keine innere Konsistenz. Da ist einmal ganz vorsichtig Distanz zur Agenda 2010 angesagt, aber für die Wahlen in NRW wird ein Akteur des Triumvirats Steinmeier, Müntefering, Steinbrück heraus gekramt, das für die Schrödersche Agenda in der schwarz/roten Koalition stand. Was soll das? Soll der ehemalige Finanzminister und Bankenretter Angela Merkels den Wählern angesichts der “Eurokrise” als Fachmann für Finanzkrisen in Erinnerung gerufen werden? Der Schuss kann unter ganz unterschiedlichen Aspekten nach hinten losgehen. Es lag sicherlich nicht nur an Steinbrück, aber in der Landtagswahl 2005 fuhr die SPD unter dem Ex- Ministerpräsidenten in Nordrhein-Westfalen mit 37,1 % ihr schlechtestes Ergebnis seit 1954 ein.

    3. Rüttgers-Regierung macht NRW zum „Absteigerland“
      Im Wahlkampf zählt der Rückgang der Arbeitslosigkeit in Nordrhein-Westfalen zu den Lieblingsthemen der Landesregierung. Landesarbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) spricht von einer „einzigartigen Bilanz“, Regierungschef Jürgen Rüttgers (CDU) von „großen Erfolgen“. Die FDP sieht dank ihrer Politik ein „Absteigerland“ binnen fünf Jahren in ein „Aufsteigerland“ verwandelt. Die offiziellen Zahlen, die die Bundesagentur für Arbeit auf Anfrage der dpa nun erstmals veröffentlicht, sprechen eine andere Sprache.
      Ihnen zufolge ist von einer Aufholjagd keine Spur, im Gegenteil: Im Bundesländer-Vergleich hinkt Nordrhein-Westfalen beim Abbau der Arbeitslosigkeit hinterher, ist unter den Flächenländern sogar Schlusslicht.
      Quelle: Handelsblatt

      Anmerkung unseres Lesers G.K.: Es sollte zu denken geben, dass selbst das Handelsblatt die angebliche “Erfolgsbilanz” der schwarz-gelben NRW-Landesregierung als geschönt zurückweist. Allerdings: Auch das Handelsblatt verbreitet unkritisch die Behauptung, “Wirtschaftsforscher” würden die deutsche Arbeitsmarktentwicklung seit 2005 – neben den positiven Effekten aus der Weltkonjunktur sowie aktuell dem Einsatz von Kurzarbeit – auch auf die “Arbeitsmarktreformen” (Hartz IV) zurückführen. Jedoch: Die Arbeitslosenzahlen wurden seit dem Inkrafttreten von Hartz IV durch das statistische “Auslagern” von Arbeitslosen schöngerechnet. So werden heute z.B. viele der über 58-jährigen Arbeitslosen statistisch nicht mehr als Arbeitslose ausgewiesen. Unter den “Hinweisen des Tages vom 30.04.2010” (Punkt 13) wird am Beispiel der Arbeitsmarktstatistik des Monats April 2010 aufgezeigt, dass das nach außen aufgehübschte Zahlenwerk deutliche Schatten aufweist und die von den Mainstream-Medien verbreiteten Jubelmeldungen über ein angebliches “deutsches Jobwunder” völlig unangebracht sind.
      Darüber hinaus zwingen die sog. “Arbeitsmarktreformen” die Beschäftigten, Arbeit zu nahezu jeder Bedingung zu akzeptieren. Dies hat zu einer erheblichen Ausweitung des Niedriglohnsektors geführt: Deutschland hat mittlerweile europaweit den höchsten prozentualen Anteil der im Niedriglohnsektor beschäftigten Arbeitnehmer.

      Siehe dazu auch nochmals „FDP Wahlaufruf – Im Wahlkampf stirbt die Wahrheit zuerst“, auch dort rühmt sich die FDP 300.000 Arbeitsplätze geschaffen zu haben.

  13. Bildung ist keine Ware?
    Kritische Anmerkungen zu einer politischen Parole – von Gerhard Stapelfeldt
    Durch die Abkommen zur Gründung der Welthandelsorganisation WTO (World Trade Organisation), des GATT (General Agreement on Tariffs and Trade; Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen), vor allem des GATS (Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen) aus dem Jahre 1995 ist der ›Wissensmarkt‹ liberalisiert und ein weltweiter Handel mit der Ware ›Wissen‹ eröffnet worden. Bereits 1998/99 haben die Weltbank und das UNDP (UN-Development Programme) die Verwirklichung einer globalen Wissensökonomie konstatiert. Auf europäischer Ebene strebt die Europäische Union mit dem 1999 in Bologna eingeleiteten Prozess der Reformierung des europäischen Hochschulsystems an, die Universitäten in Wissensbetriebe auf einem durch Wettbewerb gesteuerten Wissensmarkt umzugestalten und dadurch die Grundlage zu schaffen, um die EU bis zum Jahre 2010 in den »weltweit größten wissensgestützten Markt« zu verwandeln. Wettbewerb aber bedeutet: Reduktion von Bildungsprozessen auf vergleichbare, messbare, quantifizierbare und abprüfbare Leistungen; Reduktion von Wissenden auf berechenbare Personifikationen reproduzierbaren Wissens.
    Die Idee der Bildung ist nur zu bewahren, indem die Gründe ihrer Liquidierung reflektiert werden. Wer dem herrschenden gesellschaftlichen Analphabetismus die Bildung bloß entgegenstellt, wird zum bewusstlosen Lobredner vergangener Zeiten und zum hilflosen Ankläger der Gegenwart.
    Quelle: LabourNet

    Anmerkung WL: Für alle, die ein Interesse an einer philosophischen Fundierung des Bildungsbegriffes haben, eine spannende Lektüre.

  14. California’s government: Looking for waste – Easier blamed than found
    CALIFORNIA’S candidates for governor, especially the two Republican ones, assign the blame for California’s ongoing budget crisis with little difficulty. “I am running to rid our state government of waste, duplication and inefficiency,” declares Meg Whitman, the Republican
    front-runner, pledging in her policy platform to “get control of runaway spending”, primarily by cutting the state workforce. Steve Poizner, her rival, claims that he is the only candidate “who has actually cut waste from state government”, in his current job as insurance commissioner.
    Alas, there seems to be much less of this waste than the politicians like to claim, at least as far as head counts are concerned. As of 2008, the last year for which comparisons are available, California had 108 state employees for every 10,000 state residents (see chart). That has hardly changed in a decade and is far leaner than the average (149 state workers per 10,000 residents) of America’s other states…
    Other parts of state government, such as the Department of Motor Vehicles, a bugbear for Californians queuing to renew their licences, are tiny, with 2% of state employees. Some have even shrunk, such as the agency that helps people suffering from cerebral palsy, epilepsy and other such mental disabilities.
    There has simply been no “runaway spending”, reckons Steve Levy of the Centre for Continuing Study of the California Economy, based in Palo Alto. State spending spiked in the middle of the past decade, but has been cut by about 16% since 2008. This year it is likely to amount to between 5% and 6% of personal income, which is lower than it was three
    decades ago. Anybody who promises to solve California’s problems by simply attacking government waste should take note.
    Quelle: Economist.com

    Anmerkung des NDS-Lesers J.A.: Sogar der marktradikale Economist kommt ins Grübeln. Kalifornien ist bekanntermaßen pleite trotz einer nur noch rudimentären Ausstattung des öffentlichen Dienstes und obwohl es der Sitz riesiger, finanzstarker Weltfirmen wie Apple, Google, Oracle, Intel usw. etc. pp. ist – weil die Steuern insgesamt zu niedrig sind (Ex-Gouverneur Ronald Reagan lässt grüßen) und Steuererhöhungen per Volksentscheid verboten (!) wurden.
    Aber den nimmermüden Schwätzern vom “schlanken Staat” ist keine Propaganda zu peinlich, die haben sich von der Realität noch nie an der Verbreitung ihrer religiösen Sermone hindern lassen.

  15. Im Höllenfeuer
    Alle reden von der katholischen Kirche, aber die hat doch auch schon mal Gutes getan, das Zweite Lateranische Konzil zum Beispiel, im Jahre 1139. Das Zweite Lateranische Konzil verbot die Armbrust. Wegen ihrer Reichweite und Durchschlagskraft gegen Ritterrüstungen sei diese Waffe moralwidrig, eben: unritterlich. Nun wären die Konzilsherren, da im Besitz auch weltlicher Besitztümer, allerdings naiv gegenüber den eigenen Interessen gewesen, hätten sie nicht gleich eine Ausnahmeregelung mitgeliefert. Heiden, zumal arabische oder sonstwie islamische, durften Christen auch weiterhin mittels der Armbrust aus der Ferne töten.
    Drohnen, wie sie die USA in Afghanistan einsetzen, sind nicht geächtet. Im übrigen ist es eine sehr einfache Übung, die Benutzung fernwirkenden Tötungsgeräts als moralisch zu tarnen. Es genügt, dem Opfer (auch nachträglich) ein Etikett anzukleben wie Taliban, El-Kaida, Terrorist; die eigenen Terroristen aber sind immer Freiheitskämpfer, die die gerechte Sache beispielsweise der CIA vertreten. Er erledigt seine Aufträge aus größerem Abstand, sagen wir: gut 15000 Kilometer. So weit ist die Drohne entfernt, von der aus “Höllenfeuer” (ja, so heißt der Raketentyp Hellfire auf deutsch) auf vermeintliche Träger solcher Etikette hinabregnet. Wenn das Etikett ums Verrecken nicht passt, so nennt man dies Kollateralschaden. Egal, ob der Kollateralschaden zu Lebzeiten fünf oder 85 Jahre alt, männlich oder weiblich, in Stammestracht uniformiert oder zivil gekleidet war. Das ist nicht geächtet – Kirchen aller Richtung neigen ja auch längst dazu, Waffen zu segnen -, aber es ist im Konzilssinne unritterlich. Es ist Kriegsverbrechen. Einige US-Völkerrechtler haben das jetzt vor dem Kongress ausgesagt. Die CIA rechtfertigt sich natürlich: Die Anti-Terror-Operationen entsprechen dem Recht. Und wo kein Gericht ist, wird anderes Recht nicht gesprochen. Die USA erkennen einschlägige internationale Gerichte nicht an.
    Quelle: FR
  16. TV-Tipp: Gier und Größenwahn – Wie die Politik bei der Banken-Rettung über den Tisch gezogen wurde
    Ein Film von Hubert Seipel, WDR Donnerstag, 06. Mai 2010, 14.15 – 15.00 Uhr (Wdh.)
    Quelle: WDR

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