Was steckt hinter der Privatisierung staatlicher Aufgaben?

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Zum Zeitgeist gehört die Forderung nach Privatisierung von bisher staatlich wahrgenommenen Aufgaben. Welche Motive stecken eigentlich dahinter? Wenn man genauer hinsieht, besteht zwischen Begründung und Wirklichkeit eine erhebliche Diskrepanz. Meist geht es dabei um ganz andere Ziele als behauptet wird, nämlich etwa um den Abbau von Planstellen, um Gehaltsaufbesserungen für Spitzenbeamte, um die Lockerung der Finanzkontrolle durch das Parlament. Ob Private die Aufgaben besser oder billiger erbringen als der Staat, kann kaum jemand kontrollieren.

Laut Presseberichten über eine bisher nicht veröffentlichte Übersicht der nordrhein-westfälischen Landesregierung gibt es dort insgesamt rund 400 kleinere und größere Gesellschaften, die dem Land gehören oder an denen es beteiligt ist. Das Land gibt dafür angeblich 800 Millionen Euro pro Jahr aus.

An Hand von drei Beispielen, die inzwischen in die öffentliche Kritik geraten sind, lassen sich die ganz konkreten Motive, die hinter dem Wortgeklingel vom “schlanken Staat”, vom “Outsourcing”, von der größeren Flexibilität und höherer Effizienz privat-unternehmerischer Aufgabenerfüllung stehen, ganz gut erkennen. Nordrhein-Westfalen steht dabei wiederum nur beispielhaft für andere Bundesländer, auch in CDU-CSU-regierten Ländern sieht es nicht anders aus.

  1. Da wurde vor zwei Jahren eine in der Staatskanzlei angesiedelte, eigentlich ziemlich schlagkräftige Gruppe für Medienwirtschaft in eine Medien-GmbH ausgelagert. Der Geschäftsführer wurde im Sinne des heute üblichen “Networkings” aus dem früheren beruflichen Umfeld des Regierungssprechers ausgewählt.

    Ursprünglich sollten aus allen Ministerien medienrelevante Haushaltstitel eingesammelt werden und die Gesellschaft sollte ein Haushaltsvolumen von 180 bis 190 Mio. Mark haben. Nachdem die Ressorts blockten, blieben für das Jahr 2002 gerade noch12 Millionen Euro.Die Gesellschaft hatte 4 Mio. Euro Fixkosten und ganze 8 Mio. Euro strategische Mittel. Zur “Verwaltung” dieses schmalen Budgets “verdiente” der Geschäftsführer – einschließlich eines Anteils für seine Alterversorgung – ein Jahresgehalt von 225 000 Euro, nebst einem Dienstwagen der Oberklasse und einem opulenten Büro am edlen Düsseldorfer Medienhafen. Da er den Vertrag selbst aufsetzte, war es natürlich klar, dass er neben seiner Geschäftsführertätigkeit auch seine bisherigen Teilhaberschaften an seinen eigenen Firmen und seine Tätigkeit als Medien-Rechtsberater weiterbetreiben durfte. Er hatte also locker ein weitaus höheres Einkommen als der Ministerpräsident des Landes.

    Die neue Gesellschaft sollte natürlich auch das inzwischen international etablierte NRW-Medienforum organisieren. Was jedenfalls im ersten Jahr fast in die Hose gegangen wäre, wenn nicht die erfahrenen ehemaligen Kollegen aus dem Staatsdienst und der Landesmedienanstalt nicht noch gerettet hätten, was zu retten war. Ein größerer Erfolg des Medienforums als in den Vorjahren unter staatlicher Regie, war jedenfalls nicht zu verzeichnen.
    Der Geschäftsführer weigerte sich zunächst, der zuständigen Staatsekretärin einen Geschäftsbericht vorzulegen, weil der sich als selbständiger “Medienbroker” dazu nicht verpflichtet sah. Ob das inzwischen erledigt ist, weiß ich nicht. Jedenfalls hat man sich eines besseren besonnen und hat sich vom Geschäftsführer im üblichen “Einvernehmen” getrennt und beschlossen, die GmbH wieder aufzulösen.

  2. Als Wolfgang Clement noch einfacher Wirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen war, wurde die Gesellschaft für Wirtschaftsförderung (GfW) erheblich ausgebaut. Sie sollte das Wirtschaftsmarketing des Landes nach innen wie im Ausland übernehmen. Die Begründung war: Eine private Gesellschaft mit unternehmerischer Leitungsstruktur könne die Aufgaben schneller und unbürokratischer erfüllen als die Öffentlichkeitsarbeiter des Wirtschaftsressorts.
    Ein angenehmer Nebeneffekt war, dass sich die Landesregierung den notorischen Streit mit der Opposition bei den Haushaltsberatungen um die Titel für die Öffentlichkeitsarbeit erleichtern konnte, weil die Zuschüsse an die GfW pauschal ergingen und die Kontrolle nur durch eine Art Aufsichtsrat erfolgten.

    Der Geschäftsführer (ein früherer Referatsleiter im Wirtschaftsministerium) konnte sein Einkommen auf das Gehalt eines Abteilungsleiters anheben, er durfte einen dicken Dienstwagen fahren, ein einem „Wirtschaftsunternehmen“ angemessen eingerichtetes Büro mit Designer-Möbel beziehen, täglich frische Blumen auf dem Schreibtisch verlangen und den Chef spielen. Vor allem konnte er seiner Leidenschaft frönen und ohne Dienstreiseantrag durch alle Welt reisen. Im damaligen Staatssekretär des Wirtschaftsministeriums hatte er einen kongenialen Reisegefährten. Damals war gerade Asien als wichtige Wirtschaftsregion für das “Industrieland auf Platz 1” angesagt. Die Zukunft von NRW lag also in China, Japan, Hongkong, Singapur oder Malaysia. Da musste man also mit millionenschweren Marketingmaßnahmen ansetzen und natürlich ständig hinreisen. So konnte man auf die „Sesselfurzer“ in den Ministerien, die sich um das Kleinkarierte kümmerten, weltmännisch hinabschauen und deren fehlende Visionen beklagen.Das Schöne beim Marketing in fernen Ländern ist, dass es keinerlei Erfolgskontrolle außer den eigenen Lobhudeleien gibt, und warum sollten sich Mitglieder einer Reisedelegation (mittelständische Unternehmer, Journalisten und Parlamentarier) auch beklagen, wenn sie mal mit dem Minister (oder dem Staatssekretär) in ferne Länder reisen durften und dort nett betreut wurden.

    Inzwischen wurde der Geschäftsführer entlassen und wieder in die Landesregierung aufgenommen. Ein Untersuchungsausschuss des Landtags beschäftigt sich mit seinem Geschäftsgebaren und mit der Frage, ob das zuständige Ressort seiner Aufsichts- und Auskunftspflicht ausreichend nachgekommen ist.

  3. Gehaltsaufbesserungen und Aufstiegschancen waren auch mit der Gründung einer Gesellschaft verbunden, die das Liegenschaftsmanagement des Landes betreiben sollte. Man wollte über dieses Management zu einem sparsameren Umgang sämtlicher Landesbehörden mit den Landesliegenschaften kommen und über Veräußerungen Riesengewinne für den Landeshaushalt erzielen.
    Geschäftsführer wurde ein leitender Mitarbeiter aus dem Bauministerium und einer aus dem Finanzministerium, beide habe auch die Kabinettsentscheidung zur Gründung dieser privaten Gesellschaft mit großem Engagement vorantrieben. Sie verdienten in ihren Vorstandsjobs jeweils mehr als ihre ehemaligen Staatsekretäre und haben dazu noch einen weiteren Geschäftsführer von einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (niemand würde sich wundern, wenn diese vorher gutachterlich tätig gewesen wäre) eingestellt, um den wirtschaftlichen Sachverstand zu ergänzen.
    Bisher hat die Gesellschaft keinerlei Gewinn erzielt, sondern nur Geld gekostet; für die nächsten drei Jahre wurde auf der Jahresbilanzpressekonferenz auch schon erläutert, warum es nicht gelingen könne, Gewinne zu erwirtschaften.Die ersten Korruptionsverdachtsfälle wurden bekannt. Ein Vorstandsmitglied ist inzwischen wieder auf seine Leerstelle als Abteilungsleiter seines früheren Ministeriums zurückgekehrt. Trotz aller unternehmerischer Risikobereitschaft war die Rückfahrkarte in den Landesdienst offenbar gesichert.

Was zeigen diese drei Beispiele für eine Verlagerung von Staatsaufgaben auf private Unternehmen:

  • Es gibt, wie die Süddeutsche Zeitung so schön schrieb, in der Politik “eine Vorverachtung gegenüber den eigenen Apparaten” und einen naiven Glauben, dass private Unternehmen alles besser machten als staatliche Einrichtungen.
  • Mit der Privatisierung von staatlichen Aufgabenwahrnehmungen können sich verdiente Mitarbeiter, die am Ende ihrer Karriereleiter angekommen sind, zwar keinen Karriere- aber immerhin einen deutlichen Einkommenssprung verschaffen.
  • Gleichzeitig kann der Staat oft sogar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Man kann Leitungspersonal austauschen und vielfach im Landeshaushalt zusätzlich den (allenthalben geforderten) Abbau von Personalstellen vorspiegeln. Die Gehälter der transferierten Mitarbeiter werden ja nicht mehr als Personalmittel, sondern als Zuschüsse ausgewiesen. Besonders elegant ist es, wenn diese Zuschüsse sogar noch als “investive” Mittel dargestellt werden können und damit die Verfassungskonformität der Haushaltsvorlage sichern.
  • Man kann “Personal-Networking” betreiben und Personen aus der privaten Wirtschaft mit gut bezahlten Jobs bedienen, natürlich nicht ohne die Hoffnung, dass diese Personal-Rotation keine Einbahnstraße bleibt.
  • Man hatte (jedenfalls bis es zu Untersuchungsausschüssen kam) die Hoffnung durch die “Flucht ins private Recht” mit öffentlichen Geldern großzügiger (“unternehmerischer”) umgehen zu können, also ohne ständige “bürokratische” Begründung gegenüber den Haushältern der Parlamente und ohne Bindung an die Auflagen des öffentlichen Dienstes, angefangen von öffentlichen Ausschreibungen für Auftragsvergaben an Dritte bis hin zu den Reisekostenverordnungen.
  • Ein ganz wichtiges Motiv der Privatisierung ist die Lockerung der Haushaltskontrolle durch das Parlament. Zwar lässt es sich häufig nicht umgehen, auch Parlamentarier in die Aufsichtsgremien aufzunehmen, doch diese sind dann an die bei privaten Unternehmen geltenden Verschwiegenheitspflichten gebunden und dürfen Meinungsverschiedenheiten nicht mehr öffentlich austragen und schließlich stimmen die Aufsichtsratstantiemen als kleine Nebeneinnahme auch ein wenig “friedlicher”.

Ob die Aufgaben durch das Outsourcing besser oder schlechter erfüllt werden, lässt sich kaum kontrollieren, denn eine wirkliche Bewährung auf dem Markt findet nicht statt und kann auch vielfach nicht stattfinden, weil es gar keine privaten Wettbewerber für die ausgelagerten Aufgaben gibt. Was man aber mit ziemlicher Sicherheit sagen kann, ist, dass die Aufgabenerfüllung dem Steuerzahler erheblich teurer kommt, wenn sich Leitung und Beschäftigte nicht mehr an das Tarifgefüge des öffentlichen Dienstes zu halten brauchen und sich die Ausstattung vom Büro bis hin zum Dienstwagen dem angeblich in der Wirtschaft üblichen Niveau anpassen (müssen).