Hinweise der Woche

Ein Artikel von:

Am Wochenende präsentieren wir Ihnen einen Überblick über die lesenswertesten Beiträge, die wir im Laufe der vergangenen Woche in unseren Hinweisen des Tages für Sie gesammelt haben. Nehmen Sie sich ruhig auch die Zeit, unsere werktägliche Auswahl der Hinweise des Tages anzuschauen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (CW)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Solidaritätszuschlag
  2. Petition: Schluss mit der Geheimhaltungsverpflichtung der Rentenkommission
  3. “Thanks for leaving Germany!” – Richard Grenell und der US-Truppenabzug
  4. Der transpazifische Kalte Krieg
  5. „Wir müssen uns selbst retten“
  6. Vorwahlen in Argentinien: Hoher Wahlsieg für die Peronisten – Niederlage für Präsident Macri
  7. Ich schließe die Kanzlei
  8. CO₂-Steuer braucht gute Juristen
  9. Private Energiewende
  10. Wohnen
  11. Demokratie? Schön wär’s!
  12. Was sind für Sie Pseudolinke?
  13. Das Letzte: Schiffe, Panzer, gern! Oder doch lieber Kitas? – Die Mythen der deutschen Zwei-Prozent-Debatte

Vorbemerkung: Ursprünglich hatten wir geplant, in unserer Wochenübersicht auch auf die lohnendsten redaktionellen Beiträge der NachDenkSeiten zu verweisen. Wir haben jedoch schnell festgestellt, dass eine dafür nötige Vorauswahl immer damit verbunden ist, Ihnen wichtige Beiträge vorzuenthalten. Daher möchten wir Ihnen raten, am Wochenende doch einfach die Zeit zu nutzen, um sich unsere Beiträge der letzten Wochen (noch einmal) anzuschauen. Vielleicht finden Sie dabei ja noch den einen oder anderen Artikel, den es sich zu lesen lohnt. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Solidaritätszuschlag
    1. Abschaffung des Soli: Paritätischer kritisiert Pläne von Finanzminister Scholz und fordert steuerpolitischen Kurswechsel
      Als kurzsichtig und in der Sache völlig unverständlich kritisiert der Paritätische Wohlfahrtsverband die Pläne von Bundesfinanzminister Olaf Scholz zur fast kompletten Abschaffung des Solidaritätszuschlags ohne Kompensation. Der Verband fordert eine solidarische steuerliche Gegenfinanzierung.
      Ohne Gegenfinanzierung gingen dem Haushalt durch diese Maßnahme rund zehn Milliarden Euro verloren, die dringend für die Infrastruktur in Deutschland gebraucht werden, warnt der Paritätische. „Schon jetzt gibt es einen milliardenschweren Investitionsstau, sei es im Kita-Bereich, der Pflege oder der Mobilität. Auch die großen gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit wie die steigende Altersarmut oder die wachsende Wohnungsnot lösen sich nicht zum Nulltarif“, so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. Vor diesem Hintergrund sei es überhaupt nicht nachvollziehbar, wie die Koalition auf zehn bis zwölf Milliarden Euro pro Jahr verzichten könne.
      Der Paritätische bewertet die Pläne darüber hinaus auch als sozialpolitisch kontraproduktiv. Geringverdiener*innen und Hartz-IV-Beziehende gingen bei diesem Steuergeschenk völlig leer aus; im Ergebnis würden die Armen noch weiter abgehängt. „Es ist eine Steuerpolitik, die den ohnehin erodierenden Zusammenhalt dieser Gesellschaft weiter gefährdet. Nicht nur sozial, sondern auch regional ist Deutschland ein tief gespaltenes Land. In diesen Zeiten braucht es mehr statt weniger Solidarität“, so Schneider.
      Der Verband fordert nicht nur eine volle Kompensation der Einnahmeausfälle durch Abschaffung des Solis, sondern einen grundsätzlichen Kurswechsel hin zu einer solidarischen Steuer- und Finanzpolitik. Notwendig sei eine stärkere Heranziehung hoher Einkommen sowie großer Vermögen und Erbschaften, um den Sozialstaat nachhaltig zu finanzieren.
      Quelle: Der Paritätische Wohlfahrtverband
    2. Falsche Propaganda zum “Soli”
      Die CDU/CSU-SPD-Koalition will den Solidaritätszuschlag weitgehend abschaffen. Sie verkauft das als Entlastung der niedrigen und mittleren Einkommen. Lobbyverbände der Reichen und Unternehmen kritisieren, dass der „Soli“ nicht komplett abgeschafft wird, also auch für die ganz Reichen und die Unternehmen. Dann würden Singles mit einer Million Euro Einkommen im Jahr 24.000 Euro sparen. Wozu?
      Der Soli ist in Wirklichkeit die gerechteste aller Steuern. Die einkommensärmere Hälfte der Bevölkerung zahlt ihn gar nicht. Zwei Drittel des Aufkommens werden durch die reichsten zehn Prozent bezahlt. Auch von der jetzt geplanten Änderung würden höhere Einkommen am stärksten profitieren. Singles würden noch mit bis zu 9000 Euro brutto im Monat bessergestellt. Ein Single mit 1550 Euro oder ein Paar mit zwei Kindern und 4500 Euro brutto im Monat würde dagegen überhaupt nicht entlastet. Ein Single mit 6000 Euro würde 77 Euro sparen, bei 3000 Euro wären es nur 23 Euro. Gleichzeitig würden dem Staat zehn Milliarden Euro jährlich fehlen, die für besseren Verkehr, Pflege, Bildung, Wohnungsförderung, Renten gebraucht werden.
      Quelle: ver.di
    3. Soli: Attac fordert Integration in Einkommensteuertarif
      (…) Nach Medienberichten sieht der Gesetzesvorschlag von Bundesfinanzminister Olaf Scholz vor, ab 2021 90 Prozent der Steuerzahler vom Soli zu befreien. „Anders als die Politiker der großen Koalition uns glauben machen wollen, profitieren von dieser Abschmelzung des Soli aber nur die Wohlhabenden und Reichen. Die Behauptung der Bundesregierung, damit vor allem die unteren und mittleren Einkommen zu entlasten, ist nachgewiesen falsch“, sagt Detlev von Larcher von der bundesweiten Attac-Arbeitsgruppe Finanzmärkte und Steuern. „Statt den Soli abzuschaffen, muss der Bund stärker die Kommunen unterstützen und dazu beitragen, die sozialen Sicherungssysteme zu finanzieren.
      Das Bundesfinanzministerium hat für den jetzt vorgeschlagenen Schritt zur Abschaffung des Soli zehn Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen angesetzt. Diese zehn Milliarden Euro, die der Bund weniger einnehmen würde, sollten nach Ansicht von Attac zur Finanzierung des ökologischen Umbaus ausgegeben werden anstatt die Einkommensunterschiede zu vergrößern.
      Soli-Abschaffung käme den obersten vier Prozent zugute
      Die CDU will den Soli später sogar ganz abschaffen. Damit würden nur vier Prozent der Steuerzahler in der höchsten Einkommensgruppe entlastet…
      Quelle: Attac
  2. Petition: Schluss mit der Geheimhaltungsverpflichtung der Rentenkommission
    Die Erfahrungen mit der Rürup-Kommission (Rentensenkungsprogramm), der Hartz-Kommission (Agenda 2010 mit Hartz I bis IV), der Fratzscher-Kommission (Privatisierung staatlicher Aufgaben), oder zuletzt die Kommission zur Erarbeitung des sogenannten Betriebsrentenstärkungsgesetzes, haben die Regierenden gelehrt: Am besten und geräuschlosesten können Gesetze gegen die Interessen von Bevölkerungsmehrheiten durchgesetzt werden, wenn sie durch „unabhängige“ Kommissionen geheim vorbereitet und verhandelt werden.
    Die Ergebnisse können dann als ausgewogene von Fachleuten intensiv und ungestört erarbeitete Konzepte verkauft werden. Die Einflussnahme von Interessengruppen und Lobbyistenvertretern bleibt dabei völlig im Verborgenen.
    Seit 16 Monaten arbeitet die Rentenkommission „verlässlicher Generationenvertrag“ in völliger Geheimhaltung. Es dringt nichts an die Öffentlichkeit. Das soll bis März 2020 so bleiben, dann soll das Konzept für die Altersversorgung nach 2025 aus dem Hut gezaubert werden. Wie üblich wahrscheinlich wieder mit einem Minderheitenvotum der Gewerkschaftsvertreterin, das, ebenso üblich, keine Bedeutung haben wird.
    Dieses Vorgehen ist nicht akzeptabel, es ist schlicht antidemokratisch.
    Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Zukunftsinteressen von über 70 Millionen Menschen in diesem Land. Es geht um die Lebensgrundlage der jetzigen und der zukünftigen Rentnerinnen und Rentner. Das erfordert eine intensive und öffentliche gesellschaftliche Debatte um den besten Weg. Die Betroffenen dabei auszuschliessen ist undemokratisch. Ihnen jegliche Information vorzuenthalten kann nur als antidemokratisch bewertet werden.
    Quelle: Seniorenaufstand

    dazu: Petition: Die Geheimhaltungsverpflichtung der Rentenkommission sofort beenden.
    Quelle: openPetition

  3. “Thanks for leaving Germany!” – Richard Grenell und der US-Truppenabzug
    Die Trump-Administration zieht gegenüber dem rüstungsfaulen Verbündeten in Mitteleuropa ab sofort andere Saiten auf: Der als Botschafter verkleidete US-Gouverneur in Deutschland droht mit Truppenabzug – und der Mainstream zittert. Wieso eigentlich?
    (…) Da der Skandal schon seit Längerem andauert und der deutsche Rüstungsanteil trotz wiederholter devoter Versprechen sich immer noch auf lumpige 1,36 Prozent des Bruttoinlandsproduktes beschränkt, hat sich die Trump-Administration nun offenbar entschlossen, andere Saiten aufzuziehen. So tönte Grenell:
    Es ist wirklich beleidigend, zu erwarten, dass der US-Steuerzahler weiter mehr als 50.000 Amerikaner in Deutschland bezahlt, aber die Deutschen ihren Handelsüberschuss für heimische Zwecke verwenden.
    Und der Mainstream sprang ihm und seinem Chef prompt hilfreich zur Seite. So hieß es in der Süddeutschen Zeitung:
    Die Bundesrepublik ist das Land, in dem die meisten US-Truppen in Europa stationiert sind: Insgesamt sind es 35.000 Soldaten. Hinzu kommen 17.000 amerikanische und 12.000 deutsche Zivilisten, die von den US-Truppen beschäftigt werden.
    Dies ist, da Deutschland nach wie vor von Freunden umzingelt ist, in der Tat ein Skandal, aus dem es umgehend die Konsequenzen zu ziehen gilt: Die Amerikaner sollten dem guten Beispiel der Russen folgen, die ihre Truppen bekanntlich schon vor einem Vierteljahrhundert aus Deutschland abgezogen haben!
    Der Charme des amerikanischen Versprechens besteht zudem darin, sowohl Deutschland als auch den USA Vorteile zu gewähren: Deutschlands Infrastruktur und Staatssäckel würden geschont – und die USA wären näher am prospektiven Schlachtfeld. Eine Win-Win-Situation also!
    Mein Vorschlag zur Güte: Teilen wir den USA mit, wir sind einverstanden! Unter einer Bedingung: Wenn ihr eure Truppen abzieht, dann bitte zusammen mit den noch hier im rheinland-pfälzischen Büchel lagernden 20 Atomsprengköpfen! Und nehmt Eure Airbase in Ramstein gleich mit. Und last but not least: Eure Kommandozentrale in Stuttgart, das Hauptquartier in Wiesbaden und den Truppenübungsplatz in Grafenwöhr bitte auch noch schließen und besenrein übergeben.
    Wenn schon, denn schon! Wir bestehen auf dem All-inclusive-Paket!
    Oder, in Watte verpackt: “Thanks for leaving Germany!”
    Quelle: Leo Ensel auf RT Deutsch

    Anmerkung Jens Berger: Absurd ist auch, dass der Mainstream Grenell gleich doppelt auf den Leim geht – denn natürlich denken die USA im Traum nicht daran, ihre Stützpunkte in Deutschland freiwillig zu räumen.

  4. Der transpazifische Kalte Krieg
    Die NATO baut ihre Zusammenarbeit mit Australien weiter aus. Dies ist das Ergebnis von Gesprächen, die NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg Mitte vergangener Woche in der australischen Hauptstadt führte. Stoltenberg zufolge zielt die Kooperation insbesondere darauf ab, sich in der zunehmenden Großmächterivalität zu positionieren – gegen Russland, vor allem aber gegen China. Deutschland begleitet die NATO-Kooperation mit Canberra seit einigen Jahren mit dem Ausbau der bilateralen militärischen Zusammenarbeit, die Australien ausdrücklich als ein “strategisches Sprungbrett in den asiatisch-pazifischen Raum” begreift. Aktuell drohen die Spannungen dort zu eskalieren, weil Washington Mittelstreckenraketen in Australien stationieren will; diese wären in der Lage, chinesisches Territorium unmittelbar zu treffen. Strategen dringen in zunehmendem Maße darauf, die Asien-Pazifik-Aktivitäten der NATO zu intensivieren: Sie könnten sich sogar zu einer Kernaufgabe des Kriegsbündnisses entwickeln, urteilt der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik.
    Quelle: German Foreign Policy
  5. „Wir müssen uns selbst retten“
    Black Lives Matter und der Widerstand gegen Trump
    (…) Doch der ungeheuerlichste Rassismus zeigte sich teilweise in den Handlungen der Trump-Regierung selbst…
    Aber all dies geschieht nicht in einem Vakuum, sondern zeitgleich mit dem Angriff auf die Lebensstandards von Arbeitern und Armen in den USA. Es wird begleitet von der dramatischsten Vermögensumverteilung von den 99 zum einen Prozent seit zwei Generationen. Islamophobie und Rassismus gegen Einwanderer werden in zynischer Weise genutzt, um das erstaunliche US-Militärbudget zu rechtfertigen, das dieses Jahr 717 Mrd. US-Dollar überstieg. Der rassistisch aufgeladene Kriminalitätsdiskurs in den Vereinigten Staaten soll legitimieren, dass die Budgets der Polizeidienststellen im ganzen Land weiter aufgebläht werden, während das öffentliche Sozialsystem mit weniger Mitteln mehr leisten muss.
    Eine Herausforderung für den Trumpismus
    Auf diese Weise nutzt die politische Rechte also den Rassismus, um Arbeiter und Arme zu spalten. Das hat die soziale und wirtschaftliche Ungleichheit in den USA vertieft. Aber dies ist zugleich alles andere als eine einseitige Geschichte: Im vergangenen Jahr sind eine Reihe von bedeutsamen sozialen Kämpfen in den USA ausgebrochen, beginnend mit den Lehrerstreiks, die von der Basis angeführt wurden und sich von West Virginia im Osten des Landes über Kentucky, Los Angeles und Denver bis nach Oakland an der Westküste ausgebreitet haben und die in immer weiteren Regionen aufflammen. Diese Streiks treffen ins Herz des Klassengegensatzes in den Vereinigten Staaten: Der Personalabbau im öffentlichen Sektor, die erbärmlichen Arbeitsbedingungen in amerikanischen Schulen und die Verarmung von Pädagogen resultieren daraus, dass Städte, Bundesstaaten und die Zentralregierung sich weigern, die Reichen so zu besteuern, wie es ihrem Vermögen entspricht.
    Quelle: Blätter

    Anmerkung Marco Wenzel: Lesenswert. Besonders für die, die glauben, dass der Kampf für individuelle Rechte und Freiheiten isoliert von der Sozialen und letztendlich damit auch der Eigentumsfrage, erfolgreich geführt werden könnte. Alles hängt mit Allem zusammen.

  6. Vorwahlen in Argentinien: Hoher Wahlsieg für die Peronisten – Niederlage für Präsident Macri
    Die Vorwahlen zur Präsidentschaftswahl in Argentinien hat mit 47 Prozent überraschend deutlich das peronistische Oppositionsbündnis “Front für Alle” gewonnen. Der amtierende neoliberale Präsident Mauricio Macri erlitt eine klare Niederlage…
    Damit ist der endgültige Sieg bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober für Alberto Fernández und dessen Vize-Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner zum Greifen nah. Die Vorwahlen der Kandidaten für die Präsidentschaft und die Provinzregierungen gelten in Argentinien allgemein als Vorschau zu den Hauptwahlen.
    “Wir wollen ein neues Argentinien schaffen, in dem die Risse, die Spaltungen und die Rachegedanken keinen Platz mehr haben”, rief der Kandidat Fernández vor einer Menge von euphorischen Anhängern. Und: “Wir werden wieder aufbauen, was andere zerstört haben.”
    Die Reaktion der Finanzmärkte auf den Wahlsieg der Progressiven war am Montag entsprechend panisch. Der argentinische Peso wurde um 30 Prozent abgewertet. Noch am vergangenen Freitag, als die letzten Umfragen Mauricio Macri begünstigten, stiegen alle Werte in die Höhe. Die argentinische Börse beendete diesen Tag mit einem hohen Abschluss, der Vertrauensindex in die argentinische Wirtschaft stieg an, ebenso der Dollar.
    (…) Es wird sich in den nächsten Tagen und Wochen zeigen, inwieweit das große internationale Kapital bereit und in der Lage sein wird, demokratische Wahlen zu respektieren, ohne das entsprechende Land durch Wirtschafts- und Finanzsanktionen in den Abgrund zu treiben.
    Quelle: RT Deutsch

    dazu: Argentinien: Finanzmärkte gehen von Staatspleite aus
    (…) Die Finanzmärkte fürchten, dass Kirchner und Fernandez Anlauf nehmen werden, die Schulden des Landes zum wiederholten Mal neu zu verhandeln. Macri hatte das Vertrauen der Investoren in den vergangenen Jahren mühsam errungen.
    Zahlungsausfall gilt als sehr wahrscheinlich
    Der Markt beginne, einen abermaligen Zahlungsausfall einzupreisen, sagte Edwin Gutierrez, Leiter der Abteilung für Staatsanleihen aus Schwellenländern der Fondsgesellschaft Aberdeen der Nachrichtenagentur Bloomberg. Der Markt sei nicht willens, Fernandez einen Vertrauensvorschuss zu gewähren. Die Preise der Kreditabsicherungen stiegen deutlich an. Implizierten sie am Freitag noch eine Ausfallwahrscheinlichkeit von immerhin 49 Prozent, so sind es am Dienstag schon 75 Prozent. Argentinien hatte erst 2016 unter Macri mit den Nachwehen der Staatspleite von 2001 abschließen können.
    Quelle: Frankfurter Allgemeine

    Anmerkung Marco Wenzel: Eine neue Regierung ist noch nicht einmal gewählt, schon entziehen die „Märkte“ ihnen das Geld und das „Vertrauen“, um eine einigermaßen verteilungsneutrale Politik finanzieren zu können. Fernandez und Kirchner sind ja nun durchaus keine Revolutionäre, die das Kapital enteignen wollen. Sie wollen nur eine gerechtere Verteilung der geschaffenen Werte im Rahmen des bestehenden Systems. Selbst das ist schon zu viel. Das Kapital „vertraut“ nur einer Regierung, die den Kapitalisten alles gibt und nichts an die Arbeiterschaft weitergibt. Nach der bereits von Adam Smith angeprangerten Devise: „alles für uns und nichts für die Anderen.“

  7. Ich schließe die Kanzlei
    …weil zu viele Gespräche mit Blicken voller Verzweiflung geendet haben. Zu viele meiner Mandantinnen und Mandanten wurden in Elend, Lebensgefahr und Not abgeschoben. Sie mussten unbeschreibliche Menschenrechtsverletzungen ertragen, in Afghanistan, im Iran, in Syrien, in Somalia und dann am Weg hierher, in Libyen, in der Türkei, in Griechenland oder in Ungarn. Ihre Hoffnungslosigkeit und die Abneigung, die ihnen allerorts entgegenschlägt, wollen mir nicht aus dem Kopf gehen. Es sind mittlerweile zu viele Fälle von Menschen, die keinen Zufluchtsort finden können, deren Anspruch auf Gewährung von internationalem Schutz juristisch nicht durchgesetzt werden kann, weil es politisch nicht opportun ist. In zu vielen Gesprächen musste ich diesen Unwillen eines Rechtssystems, Rechte anzuerkennen, Menschen vermitteln, deren Existenz damit ins Wanken geriet. Dabei geriet nun meine Verbundenheit mit diesem Rechtssystem ins Wanken. Als Rechtsanwalt bin ich Teil davon. Das möchte ich nicht mehr sein.
    …weil ich nicht mehr ständig mit dem Kopf gegen die Wand rennen will. In den vierzehn Jahren meiner juristisch-anwaltlichen Arbeit habe ich mich auf die Verfassung von Rechtsbehelfen an die Höchstgerichte spezialisiert. Ich habe jede Kritik angenommen, mich bemüht zu lernen, ich kenne jede Rechtsprechungslinie in asylrechtlichen Fragen, bin mit allen Formalismen vertraut. Und dennoch – oder vielleicht auch: deshalb – werfen sie mir alles zurück. Meine Bilanz ist erschreckend. Der Verwaltungsgerichtshof hat in den Jahren seit 2015 so gut wie alle meine asylrechtlichen Revisionen zurückgewiesen. Bei den an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerden sieht es nicht besser aus. Ich bin selbstbewusst und reflektiert genug, um zu wissen, dass es nicht an meinem juristischen Handwerkszeug liegen kann. Ich bin es aber auch leid, über die Ursache zu sinnieren. Ich mag nicht mehr…
    Quelle: Ronald Frühwirth
  8. CO₂-Steuer braucht gute Juristen
    Die Einführung einer CO2-Steuer sei laut dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags verfassungswidrig, titeln mehrere Magazine. Das ist, mit Verlaub, nicht das, was in dem Gutachten steht.
    “CO2-Steuer: umstritten – und verfassungswidrig”, titelte gestern die Wirtschaftswoche. Der Focus zog heute nach und schrieb: “Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages: CO2-Steuer ist verfassungswidrig”. Auch der Deutschlandfunk meldete: “Bundestagsexperten sehen CO2-Steuer als verfassungswidrig an”. Und der Tagesspiegel sprach von “verfassungsrechtlichem Zweifel”. […]
    Ganz so einfach ist es nicht.
    Das lässt sich auch nachlesen. Das Gutachten steht seit dem 30. Juli auf der Website des Deutschen Bundestags zum Download bereit. Es umfasst elf Seiten und trägt den Titel “Einzelfragen zur steuersystematischen Einordnung einer CO2-Steuer”.
    Genau darum handelt es sich. Das Papier legt dar, wie eine CO2-Steuer ausgestaltet sein müsste, um rechtlich wasserdicht zu sein. Sowohl national als auch auf EU- und internationaler Ebene. […]
    Allerdings könnte man eine CO2-Steuer an den Verbrauch CO2-intensiver Güter anknüpfen zu lassen, so das Papier. Dann würde es sich nicht um eine – von den Gutachtern ausgeschlossene – unmittelbare Besteuerung von CO2-Emissionen handeln. Sondern um eine Verbrauchssteuer auf den Verbrauch von Kohle, Erdgas, Benzin, Diesel.
    Auch als Aufschlag auf die bestehende Energiesteuer wäre eine CO2-Steuer laut Gutachten möglich. Ein solches Modell wird etwa vom Umweltbundesamt vorgeschlagen. Auch die Wirtschaftsweisen haben ihre Vorschläge in dieser Richtung formuliert.
    Zudem gäbe es die Möglichkeit, die Verfassung mit der nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit entsprechend zu ändern.
    Fazit: Eine CO2-Steuer so auszugestalten, dass sie einerseits dem Klimaschutz nützt und andererseits juristisch einwandfrei ist, ist keine leichte Aufgabe. Unmöglich ist es aber nicht.
    Quelle: klimareporter
  9. Private Energiewende
    Die Grünen setzen auf vollständige Zerschlagung des Bahn-Konzerns
    Die Grünen haben die Parole ausgegeben: »Mehr Wettbewerb bei Fernzügen.« Ihr Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Fraktionsvorsitzender Oliver Krischer forderte gegenüber dem Spiegel Zugriff für private Bahngesellschaften wie Flixtrain auf das Vertriebssystem und die Fahrkartenautomaten der bundeseigenen Deutschen Bahn AG (DB). Damit sollten Kunden ihre Tickets für Privatbahnen auch aus DB-Automaten ziehen können. Darüber hinaus verlangt Krischer, dass Privatbahnen beim Aufstellen der Fahrpläne für die Trassennutzung eine Art »Erstzugriffsrecht« gegenüber der DB für attraktive Fernverbindungsstrecken bekommen sollten.
    Hintergrund des Vorstoßes ist die Tatsache, dass die DB im Bereich Personenfernverkehr mit Zügen der Gattung ICE, IC und EC nach wie vor einen Marktanteil von über 99 Prozent hält. Aus neoliberaler Sicht ist diese »Monopolstellung« besorgniserregend und ärgerlich. Grüne drängen daher ebenso wie FDP, Unionsparteien und AfD auf eine rasche weitere Liberalisierung des Schienenfernverkehrs und Stärkung der Konkurrenz zur DB.
    (…) Angesichts des hartnäckigen grünen Rufs nach »mehr Wettbewerb« gehen viele Eisenbahner davon aus, dass eine mögliche künftige Bundesregierung mit Beteiligung der Grünen den Konzern Deutsche Bahn endgültig zerschlagen und faktisch das britische Modell der Bahnprivatisierung durchsetzen wird. Grundgedanke ist, dass die teure und zuschussbedürftige Infrastruktur (Netz und Bahnhöfe) in Staatshänden bleiben und aus dem Bundesetat finanziert werden soll. Profitable Transportgesellschaften und Serviceunternehmen sollen nach dieser Denke ruhig in privaten Händen ruhen. Dass der ruinöse Wettbewerb zwischen Schienenverkehrsunternehmen jedoch das Gesamtsystem Schiene im Wettbewerb mit den besonders umweltschädlichen Verkehrsträgern Straße und Luftverkehr schwächt und somit auch »grüne« Ziele unterläuft, zeigt die weltweite Erfahrung in allen Ländern, in denen die Bahnprivatisierung besonders weit und ungehindert vorangetrieben wurde.
    Quelle: junge Welt
  10. Wohnen
    1. Zahl der Sozialwohnungen geht erneut zurück
      Städte und Kommunen bekommen den Wohnungsmangel nicht in den Griff. Das ist besonders für einkommensschwache Familien ein Problem, denn gleichzeitig fallen immer mehr Wohnungen aus der Sozialbindung.
      Der Bestand an Sozialwohnungen in Deutschland schrumpft weiter. Bis zum Jahresende 2018 ging die Zahl der Sozialwohnungen im Vergleich zum Vorjahr um fast 42.500 zurück, ein Minus von 3,5 Prozent. Das geht aus der Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage aus der Linksfraktion hervor. Insgesamt wurden zum Jahreswechsel fast 1,18 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland vermietet.
      Bei diesen Wohnungen sind die Mieten staatlich reguliert und dadurch vergleichsweise niedrig. Sie sind gedacht für Bürger, die soziale Unterstützung benötigen. Zentrales Kriterium ist das Haushaltseinkommen – allerdings sind die Einkommensgrenzen von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. In der Regel dürfen die Mieter auch dann in der Sozialwohnung bleiben, wenn sie nach einiger Zeit mehr verdienen.
      Sozialwohnungen bleiben aber nicht ewig Sozialwohnungen. Nach üblicherweise 30 Jahren fallen sie aus der Bindung und können normal am Markt vermietet werden. In den vergangenen 15 Jahren hat sich ihre Zahl etwa halbiert. Inzwischen werden mit staatlicher Förderung zwar wieder vermehrt Sozialwohnungen gebaut – doch das reicht bei weitem nicht, um die Gesamtzahl konstant zu halten. Allein im vergangenen Jahr fielen der Statistik zufolge bundesweit rund 70.000 Sozialwohnungen aus der Bindung, etwa 27.000 wurden neu gebaut.
      Quelle: Spiegel Online

      Anmerkung JK: Die katastrophale Situation auf dem Wohnungsmarkt spitzt sich weiter zu. Die Reaktion der Politik, der Regierungskoalition, außer heißer Luft, bisher keine. Ein Lösungsansatz steht seit Jahren zur Diskussion, die Wiedereinführung, der, durch die Kohl-Regierung abgeschafften Gemeinnützigkeit beim Wohnungsbau. Und nun eine sicher ungern gehörte Frage: Kommt hier die Klimadiskussion den politisch Verantwortlichen nicht gerade recht? Auch bei anderen drängenden politischen Themen?

      dazu: Bestand an Sozialwohnungen sinkt weiter deutlich
      „Der Bund muss ein Rettungsprogramm für den Sozialen Wohnungsbau auflegen. Es braucht endlich mehr Mittel für den Sozialen Wohnungsbau. Statt der geplanten Absenkung der Großen Koalition auf nur 1 Milliarde Euro, braucht es ein öffentliches Wohnnungsbauprogramm in Höhe von 10 Milliarden Euro für 250.000 neue Sozialwohnungen pro Jahr. Einmal geförderte Sozialwohnungen müssen künftig immer Sozialwohnungen bleiben.“
      Quelle: Caren Lay (MdB, die Linke)

    2. Alarmsignal: Weniger Baugenehmigungen als im Vorjahr
      Vor allem in den Ballungsräumen ist bezahlbarer Wohnraum knapp – und Entspannung ist nicht in Sicht. Denn die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen liegt unter Vorjahresniveau.
      Der Mangel an bezahlbaren Wohnungen vor allem in Ballungsräumen in Deutschland könnte sich noch verschärfen: Trotz hoher Nachfrage nach Immobilien erteilten die Behörden im ersten Halbjahr 2019 weniger Baugenehmigungen als im Vorjahreszeitraum. Von Januar bis einschließlich Juni wurde der Neubau oder Umbau von gut 164.600 Wohnungen bewilligt, wie das Statistische Bundesamt mitteilt. Das waren nach Berechnungen der Wiesbadener Statistiker 2,3 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.
      In neu zu errichtenden Wohngebäuden wurden in den sechs Monaten knapp 142.400 Wohnungen genehmigt. Das waren 3,1 Prozent oder gut 4.500 Einheiten weniger als ein Jahr zuvor. Während das Niveau bei den Einfamilienhäusern fast unverändert blieb (minus 0,1 Prozent), sank die Zahl der Baugenehmigungen für Zweifamilienhäuser (minus 4,7 Prozent) und Mehrfamilienhäuser (minus 3,2 Prozent) deutlicher.
      “Insbesondere der Rückgang der Baugenehmigungen bei Mehrfamilienhäusern ist alarmierend. Denn hier gibt es den größten Bedarf”, kommentiert der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), Robert Feiger, die Zahlen. Teures Bauland mache den Bau bezahlbarer Wohnungen vielerorts unmöglich.
      Quelle: T-Online

      Anmerkung unseres Lesers J.A.: Es werden also nicht nur viel zu wenige Sozialwohnungen gebaut, sondern auch viel zu wenige “normale” Wohnungen für die Mittelschicht. Die Große Koalition hatte über die vierjährige Legislaturperiode 1,5 Millionen Wohnungen versprochen – schon das ist gerade der Ersatzbedarf für wegfallenden Wohnraum und war viel zu wenig angesichts von Hunderttausenden fehlen Wohnungen. 1,5 Millionen in vier Jahren sind im Durchschnitt 375.000 pro Jahr. Genehmigt wurden im ersten Halbjahr 2019 also 142.400 Wohnungen, extrapoliert auf das Gesamtjahr ca. 285.000 Wohnungen. Gebaut werden ca. 90% davon, das sind ca. 250.000 Wohnungen, fehlen noch mal 125.000 Wohnungen zusätzlich zu (je nach Schätzung) 500.000 bis 2 Millionen Wohnungen. Die Wohnungsnot verschärfen sich Jahr für Jahr weiter, und die Große Koalition schaut tatenlos zu.

    3. Spekulanten den Boden entziehen
      Ein Quadratmeter ist nicht gleich ein Quadratmeter: Der Boden steigt im Wert, wo eine Stadt attraktiver wird. Es war nicht immer selbstverständlich, dass davon nur Spekulanten profitieren. Mit der Weimarer Verfassung kümmerte sich vor 100 Jahren erstmals der Staat um bezahlbaren Wohnraum. Doch zentrale Forderungen blieben unerfüllt. […]
      Der große Durchbruch kam dagegen 1924 mit der Hauszinssteuer. Sie wurde auf Einnahmen aus Grundeigentum erhoben, da Grundbesitzer als einzige von der Inflation nicht betroffen waren. Die Steuer trug wesentlich dazu bei, dass in Stuttgart von 1925 bis 1930 insgesamt 5650 städtische Wohnungen entstanden und nochmal so viele genossenschaftliche und private Wohnbauten gefördert wurden. Sie war die wesentliche Finanzierungsgrundlage des “Neuen Frankfurt” und der Berliner Weltkulturerbe-Siedlungen, also der größten Wohnbauprogramme der Weimarer Republik. Hier, und nicht am Bauhaus, das erst relativ spät, ab 1927, mit Hannes Meyer auf den Zug aufsprang, entstanden die Grundlagen der schmucklosen modernen Architektur.
      Das Ende des sehr erfolgreichen Finanzierungsmodells kam mit der Weltwirtschaftskrise. Die Nationalsozialisten griffen die Idee der ländlichen Kleinsiedlungen auf, die gut in ihre Blut-und-Boden-Ideologie passten. Von der Bodenreformbewegung blieb dagegen nur wenig übrig. Zwar hatte es immer auch völkische, ebenso aber auch jüdische Bodenreformer gegeben wie Michael Flürscheim oder Franz Oppenheimer. Die Nazis wollten nicht enteignen, sie setzten auf “Reichserbhöfe”, die dauerhaft im Besitz der Bauern bleiben sollten. Der Deutsche Bund für Bodenreform passte sich an. Adolf Damaschke starb 1935.
      Heute verbindet sich der Begriff der Bodenreform eher mit der Erinnerung an die Enteignung von Großgrundbesitzern in der DDR, deren Erben nach der Wende versuchten, ihr Land zurückzuerhalten. Das Reichsheimstättengesetz wurde 1993 aufgehoben. Eine staatliche Überwachung, die Missbrauch in der Verwertung von Grund und Boden verhindert, sucht man in der gegenwärtigen Gesetzgebung vergeben. Dabei ist Grund und Boden noch immer ein begrenztes Gut. Wo die Nachfrage steigt, machen Immobilienspekulanten Gewinne und die Mieten schießen durch die Decke – wie es Henry George schon 1881 beobachtet hat.
      Mit der Grundsteuerreform böte sich eine Gelegenheit, hier gegenzusteuern. Doch selbst zu einer Bodenwertsteuer, die hinter Georges “Single Tax” weit zurückbleibt, konnte sich die Politik bisher nicht durchringen. Noch immer ist Grundbesitz eine heilige Kuh und die Haus- und Grundbesitzer schreien Zeter und Mordio, wenn jemand versucht, daran auch nur ein Jota zu ändern. Da war die Weimarer Republik bereits weiter.
      Quelle: Kontext: Wochenzeitung
  11. Demokratie? Schön wär’s!
    Weniger als die Hälfte der Deutschen ist noch zufrieden mit dem Funktionieren unserer „Demokratie“, nämlich 47 Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Umfrage von Infratest Dimap.
    Wenig überraschend: Je mehr Geld jemand hat, desto zufriedener ist er. So finden Befragte aus der oberen Mittel- und der Oberschicht zu 57,5 Prozent, dass unsere „Demokratie“ gut funktioniert. Für sie wird ja auch Politik gemacht. Bei den Arbeitern und Geringverdienern dagegen sind weniger als ein Drittel zufrieden. Kein Wunder, denn die Entscheidungen, die die Volksvertreter von CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen im Bundestag in den vergangenen Jahren getroffen haben – etwa die Agenda 2010, der größte Sozialabbau nach dem Kriege (FAZ) – haben ihre Lebensbedingungen erheblich verschlechtert. Für höhere Löhne, höhere Renten und bessere soziale Leistungen, für eine Politik für die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung also, finden sich keine Mehrheiten im Bundestag. Demokratie?
    Aber wenn Banken Milliarden in den Rachen geworfen werden sollen und immer weiter aufgerüstet wird, heben die braven Parlamentarier von CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen immer die Hand. Kein Wunder, dass 42 Prozent der Befragten sagen, am besten sei es, wenn die Bürgerinnen und Bürger in regelmäßigen Volksentscheiden Gesetze verabschiedeten. Im Parlament können sich die oberen Zehntausend mit Wohltaten und Parteispenden die notwendigen Mehrheiten sichern. Das ganze Volk aber kann man nicht kaufen.
    Demokratie heißt eine Gesellschaft, in der sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen, sagte der griechische Staatsmann Perikles. Die Interessen der Mehrheit setzen sich bei uns aber schon lange nicht mehr durch. Millionen Menschen leben in Armut, 40 Prozent haben heute weniger Geld als Ende der Neunziger Jahre. Die 45 reichsten Haushalte „besitzen“ so viel, wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Lobbyisten schreiben fleißig an Gesetzestexten mit, Konzerne halten sich Parteien mit Spenden bei Laune. Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass immer noch 47 Prozent zufrieden sind mit dem Funktionieren unserer „Demokratie“.
    Das Ganze hat System. Wie sagte einst James Madison, der spätere US-Präsident, der große Teile der US-Verfassung geschrieben und das parlamentarische System der USA mit aus der Taufe gehoben hat? „Die vorrangige Funktion einer Regierung ist es, die Minderheit der Reichen vor der Mehrheit der Armen zu schützen.“ Und wie man sieht, sind parlamentarische Regierungen damit nicht nur in den USA, sondern in der ganzen Welt sehr erfolgreich.
    Quelle: Oskar Lafontaine via Facebook
  12. Was sind für Sie Pseudolinke?
    Philosoph Robert Pfaller spricht mit uns über Gendersternchen als neoliberales Distinktionsinstrument von Kulturlinken.
    taz FUTURZWEI: Fangen wir mit einer komplizierten Frage an, Herr Pfaller: Gibt es einen Zusammenhang zwischen einer allgemeinen Infantilisierung der Menschen und einer Erosion von Demokratie?
    ROBERT PFALLER: Ja. Denn Demokratie beruht auf dem Prinzip, dass alle sich um das kümmern, was alle angeht. Wenn durch Infantilisierung Leute zunehmend dazu erzogen werden, sich nur noch um das zu kümmern, was sie persönlich betrifft, dann ist eine Voraussetzung von Demokratie zerstört. Sie hören dann auf, politische Bürger, Citoyens, zu sein, und werden zu bloßen Bourgeois – oder, wie man die nur um das Eigene Besorgten im alten Griechenland nannte: zu Idioten. Um das zu regeln, was alle betrifft – wie zum Beispiel die zunehmende Entdemokratisierung innerhalb der EU –, muss man in der Lage sein, von seinen persönlichen Betroffenheiten abzusehen und sich mit anderen zusammenzuschließen, die ganz andere Betroffenheiten haben. Erst indem alle ihren persönlichen Ärger klein halten, kommen sie überhaupt in die Lage, sich über das zu ärgern, was sie klein hält.
    Quelle: taz

    Anmerkung Jens Berger: Sehr lesenswert. Dass dieses Interview ausgerechnet in der taz erschien, entbehrt freilich nicht einer gewissen Ironie.

  13. Das Letzte: Schiffe, Panzer, gern! Oder doch lieber Kitas? – Die Mythen der deutschen Zwei-Prozent-Debatte
    Ebenfalls erstaunlich ist der Verweis einiger Parlamentarier, dass der Bundestag dem Zwei-Prozent-Versprechen in der Nato nicht zugestimmt habe und es deshalb ignorieren könne. Sie verkennen, dass Beschlüsse der Nato auf Regierungsebene entschieden werden und nur in Ausnahmefällen – etwa bei der Aufnahme neuer Mitglieder – die Zustimmung des Parlaments erfordern. So hat der Bundestag etwa auch dem 1978 von den Nato-Regierungschefs unterzeichneten «Long Term Defense Program», in dem sogar drei Prozent vom BIP als Richtzahl festgeschrieben waren, nicht zustimmen müssen.
    Pikanterweise hat der Bundestag sich aber doch mit der Zwei-Prozent-Frage befasst. Im November 2018 brachte die Fraktion der Linken einen Antrag ein, der die Bundesregierung aufforderte, die in Wales gegebene Zustimmung zu den zwei Prozent im Nato-Rat öffentlich zu widerrufen. Dieser Antrag wurde am 8. November 2018 mit 520 zu 128 Stimmen abgelehnt. Die überwältigende Mehrheit des Bundestages hat sich demnach für den Erhalt des Zwei-Prozent-Versprechens ausgesprochen.
    Quelle: NZZ

    Anmerkung André Tautenhahn: Karl-Heinz Kamp von der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin hat in der NZZ einen Gastbeitrag geschrieben und behauptet mal eben, dass Zusagen von Regierungen das Haushaltsrecht des Parlaments aushebeln.

Rubriken:

Hinweise des Tages

Schlagwörter:

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!