Edward Snowden und die Medien: Benutzt, gepriesen, totgeschwiegen

Edward Snowden und die Medien: Benutzt, gepriesen, totgeschwiegen

Edward Snowden und die Medien: Benutzt, gepriesen, totgeschwiegen

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Der US-Whistleblower Edward Snowden hat aktuell zahlreiche Interviews gegeben. Das lenkt den Blick auf den Umgang großer Medien mit Info-Aktivisten wie Snowden oder Julian Assange – dieser Umgang ist von Widersprüchlichkeit geprägt: Einerseits werden Snowden und Assange für die Steigerung der Auflagen genutzt, andererseits wird ihnen die Solidarität und das Asylrecht verweigert. Von Tobias Riegel.

Der Umgang westlicher Medien und Politiker mit dem US-Whistleblower Edward Snowden offenbart die Heuchelei um die westliche Pressefreiheit und um die Beurteilung der US-Geheimdienste – so, wie dies auch die Fälle Julian Assange und Chelsea Manning tun. Snowden hat sich aktuell in einer bemerkenswerten Offensive in zahlreichen Interviews geäußert. Am morgigen Dienstag wird er sein Buch „Permanent Record“ in zwanzig Ländern veröffentlichen, darunter in Deutschland beim Fischer Verlag. Aus diesem Anlass hat der Ex-Analyst des US-Geheimdienstes NSA Gespräche geführt, unter anderem mit dem „Deutschlandfunk“, dem ZDF, der „Welt“ (Paywall) und dem „Spiegel“. Da das „Spiegel“-Interview ebenfalls hinter der Bezahlschranke liegt, sollen weiter unten im Text einige zentrale Aussagen Snowdens daraus zitiert werden.

Endlich Asyl für Snowden in Deutschland?

Für die deutsche Debatte besonders interessant sind Snowdens aktuelle Versuche, in Deutschland Asyl zu erhalten, über die etwa „Telepolis“ berichtet. Demnach sagte Snowden der „Welt“:

“Ich glaube, dass jeder, der einigermaßen objektiv auf die Geschichte blickt, erkennen wird, dass, wenn Deutschland mich aufnehmen würde, es inzwischen nicht mehr als ein feindlicher Akt gegen die USA aufgefasst würde. Asyl in der Europäischen Union würde bedeuten, dass Europa für die Vereinigten Staaten eintritt, auch in Augenblicken, wenn diese gerade nicht für sich selbst und ihre Werte einstehen können.“

Keine Gnade für „Verräter“

Die Reaktionen aus Teilen der Politik auf diese zutreffende Analyse sind so erwartungsgemäß wie fragwürdig. So sagte der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jürgen Hardt, der „Verrat“ von Staatsgeheimnissen sei in jedem Land strafbar, „selbst wenn der Verräter ehrenwerte Motive damit verbindet, gefährdet er die Sicherheit seines Landes und in unabsehbarer Weise auch das Leben von eigenen Agenten und Informanten“.

Ähnlich argumentiert der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Mathias Middelberg (CDU). Er sehe „nach wie vor keine Gründe für eine Aufnahme von Herrn Snowden in Deutschland“ und habe „keinen Zweifel, dass er ein rechtsstaatliches Verfahren bekäme, sollte er in die USA zurückkehren“. LINKE, Grüne und SPD fanden dagegen unterstützende Worte.

„Snowden wird von den USA nicht politisch verfolgt“

Die Form der nur scheinbaren Naivität wählte FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der Snowdens Ansinnen ebenfalls für rechtlich unzulässig hält: Deutschland könne ihm „kein Asyl gewähren, weil er von den Vereinigten Staaten nicht politisch, sondern strafrechtlich verfolgt wird.“ Kubicki betonte, die Vereinigten Staaten seien „im Übrigen nicht nur mit Deutschland seit Jahrzehnten eng verbunden, sondern auch ein Rechtsstaat“.

Snowden fand darauf die richtige Antwort. Dass CDU-Politiker seinen Wunsch nach Asyl in Deutschland ablehnen, überrasche ihn nicht, wie er Medien sagte: Die bekannteste Position der CDU sei, keine Position zu beziehen. In den USA erwarte ihn kein faires Verfahren, weil das ein Anti-Spionage-Gesetz von 1918 verhindere. Danach dürfe er sich nicht in einem öffentlichen Prozess vor einer Jury verteidigen. Statt eines ordentlichen Strafverfahrens drohe ihm politische Verfolgung, so Snowden.

Medien und Whistleblower: Erst abschöpfen, dann als „Staatsfeinde“ diffamieren, dann totschweigen?

Die Rolle der Medien beim Schicksal von Informations-Aktivisten wie Julian Assange oder Edward Snowden ist alles andere als unbefleckt, wie auch die NachDenkSeiten geschrieben haben:

„Medien wie ‚Spiegel‘, ‚Guardian’ oder ‚New York Times‘ haben Assange und Edward Snowden jedoch erst für ihren Ruhm benutzt, dann teils als ‚Staatsfeinde‘ diffamiert und sie weitgehend – in ihren jeweiligen Asylen in London und Moskau – medial begraben.“

Schizophrenie in den Medien

Die Rezeption der diversen aktuellen Snowden-Interviews ist dementsprechend zwiespältig: Zum einen ist sehr zu begrüßen, dass der mutige und von der US-Justiz drangsalierte Whistleblower aktuell eine solch große mediale Bühne erhält – auch wenn in einigen Artikeln die Motivation der „Werbung“ für sein Buch unterstellt wird. Zum anderen offenbart aber eben diese Bühne eine mediale Schizophrenie: wenn sie etwa von der „Welt“ vermutlich aus Gründen der Auflagensteigerung gewährt wird – während sich die Zeitung ansonsten darin gefällt, Snowden als „Verräter“ zu diffamieren.

Diese Widersprüchlichkeit ist auch etwa beim „Deutschlandfunk“ zu beobachten. Während das Interview streckenweise auch Empathie für Snowden signalisiert, wird ein anderes Gespräch mit der hinlänglich bekannten Moskauer Ex-Korrespondentin Gesine Dornblüth dazu gestellt. Unter dem Titel „Der Whistleblower und der Kreml“ beschreibt Dornblüth, „für den Kreml habe Snowden bis heute einen immensen politischen Nutzen“. Sie führt weiter aus:

„Der politische Nutzen war und ist immens, viel größer als ein eventueller geheimdienstlicher. Und vor allem hat es für Russland einen innenpolitischen Nutzen, denn seit Snowden in Russland auftauchte und Schutz bekam, redete eben niemand mehr über Menschenrechtsverletzungen in Russland, oder wenige, sondern die Welt sprach damals über Menschenrechtsverletzungen in den USA.“

Snowdens „Steilvorlage für Putin“

Des Weiteren unterstellt sie Snowden direkte propagandistische Schützenhilfe für den russischen Präsidenten Wladimir Putin:

“Und dann gab es noch einen ominösen Auftritt Snowdens bei Putins Fernsehsprechstunde 2014. Auch da war Snowden zugeschaltet und hat Putin eine Steilvorlage geliefert mit der Frage, ob Russland denn auch seine Bürger massenhaft abhöre und das hat Putin dann auch dementiert und gesagt, das sei überhaupt  nicht möglich in Russland. Dabei wusste man schon, dass Russland das sehr wohl tut.“

Angesichts dieser Versuche der Kanalisierung studiert man Snowdens Äußerungen am besten im Wortlaut und ohne Interpretation. Das erwähnte Interview im „Spiegel“ gibt dazu Gelegenheit.

Dort erklärt Snowden etwa, die größte über ihn erzählte Lüge sei nicht, dass er ein russischer Spion sei:

„Sondern, dass es mein Plan gewesen sei, in Russland zu enden.
Sogar die NSA räumt ein, dass Russland nie mein eigentliches Ziel war. Aber die Lüge hat sich verselbstständigt, weil es so einleuchtend wirkt. Es ist Teil einer typischen Kriegsführung, die gerade aktuell ist. Fakten spielen keine Rolle mehr. Was du weißt, ist weniger wichtig als das, was du fühlst. Es ist zerstörerisch für die Demokratie. Wir können uns immer seltener auf Dinge einigen. Wenn wir nicht mal anerkennen können, was passiert, wie können wir dann eine Debatte darüber führen, warum es passiert?“

„Sollte ich jemals aus einem Fenster fallen, dann seien Sie sicher: Ich wurde geschubst.“

Vehement betont er, dass er nicht depressiv oder suizidgefährdet sei:

„Nein! Das ist wichtig fürs Protokoll: Weder bin ich noch war ich suizidal. Ich habe einen philosophisch begründeten Einwand gegen die Idee der Selbsttötung. Sollte ich jemals aus einem Fenster fallen, dann seien Sie sicher: Ich wurde geschubst.“

Über seinen Umgang mit dem Vorwurf, er sein ein Verräter, sagt Snowden:

“Man muss davon überzeugt sein, dass das, was man macht, einem guten Zweck dient. Es reicht nicht, lediglich an etwas zu glauben, wenn man Dinge verändern will. Man muss auch in der Lage sein, Risiken einzugehen.“

Einmischungen durch Russland und die USA

Zu politischen Einmischungen durch Russland und die USA:

„Russland ist für sehr viele verurteilenswerte Aktivitäten in der Welt verantwortlich. Hat es Wahlen manipuliert? Ziemlich sicher. Aber haben die USA Wahlen manipuliert? Natürlich. Das tun sie seit Jahrzehnten. Jedes Land, das größer ist als Island, wird versuchen, in entscheidende Wahlen einzugreifen, und alle werden das immer leugnen, weil Geheimdienste das so machen.“

Über die Verselbstständigung jener Geheimdienste:

„Meines Erachtens ist das größte Problem in der Welt der Geheimdienste die Vermischung von verdeckter Manipulation und Propaganda mit dem Sammeln von Informationen. Wir brauchen Informationen, sie reduzieren die Gefahr von Kriegen.
Problematisch wird es, wenn Geheimdienste sich verselbstständigen, sich dem Einfluss der Politik, des Gesetzes und der Öffentlichkeit entziehen und stattdessen darauf Einfluss nehmen. Sie werden immer sagen: Wenn dieses oder jenes bekannt wird, sterben Menschen. Aber das ist fast immer gelogen.“

Die Medien-Lektion des Whistleblowers

Auf die Frage, warum Journalisten ihm, dem Spion Snowden, auch nur ein Wort glauben sollten, gibt der Whistleblower den „Spiegel“-Mitarbeitern zum Abschluss noch Lektionen in journalistischen Selbstverständlichkeiten:

„Das sollen Sie gar nicht. Es war schwer, das Buch zu schreiben, und ich glaube, dass ich dabei sehr ehrlich war. Aber die Lehre, die Sie aus der Lektüre ziehen sollten, ist: Seien Sie skeptisch, stellen Sie mich infrage, zweifeln Sie an mir – aber tun Sie das bitte auch mit den Leuten, die an den Schalthebeln der Macht sitzen.“

Titelbild: Rena Schild / Shutterstock

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