Historischer ARD-Streik – und kein Wort in der „Tagesschau“

Historischer ARD-Streik – und kein Wort in der „Tagesschau“

Historischer ARD-Streik – und kein Wort in der „Tagesschau“

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Die Programme von ARD, ZDF und Deutschlandradio wurden gerade von einem in seinen Ausmaßen historischen Streik getroffen. Der ARD-Sendung „Tagesschau“ war das keinen Bericht wert. Die Beschäftigten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verdienen in diesem Arbeitskampf Solidarität, bei aller berechtigter Kritik an vielen Inhalten der Sender. Diese berechtigte Kritik an verzerrender Berichterstattung sollte zudem nicht das öffentlich-rechtliche Prinzip in Frage stellen. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Bundesweite Streiks vor allem in zahlreichen ARD-Sendern, aber auch beim ZDF und beim Deutschlandradio, haben in dieser Woche die Programme der Sender getroffen, wie die Gewerkschaft Verdi mitteilt. Dieses Ausmaß des Streiks sei „bislang einmalig in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, so die Gewerkschafter. Demnach haben 3000 streikende Beschäftigte beim BR, WDR, SWR, MDR und NDR für zahlreiche Beeinträchtigungen im Hörfunk- und Fernsehprogramm gesorgt. Weitere Details zu den aktuellen Vorgängen hat Verdi in diesem Artikel zusammengetragen.

Rundfunk: Wichtiges Prinzip, berechtigte Bezahlung, kritikwürdige Inhalte

Die Betrachtung der öffentlich-rechtlichen Sender und damit auch des aktuellen Arbeitskampfes ist ambivalent: Zum einen gibt es zu Recht geradezu vernichtende Kritik an zahlreichen Inhalten der Sender. Zum anderen sollte diese sehr berechtigte Kritik am Inhalt nicht zur Diffamierung des gesamten Prinzips des öffentlich-rechtlichen Rundfunks führen. Zu dieser Frage später mehr im Text.

Es herrscht auch teils der Mythos, die Journalisten von ARD, ZDF und Deutschlandfunk würden sich auf Kosten der Rundfunkbeitragszahler bereits ein luxuriöses Gehalt leisten, die Streiks seien also maßlos. Es mag sein, dass manche ARD-Redakteure besser verdienen als einige Kollegen bei den Privat- und Konzernmedien. Aber das ist kein Grund, hier eine Spirale der Gehaltsentwicklung nach unten zu fordern: Im Gegenteil, die Kollegen der öffentlich-rechtlichen Sender sollten in ihrem Arbeitskampf unterstützt werden, damit auch eventuell benachteiligte Kollegen darauf verweisen und sagen können: „Seht her: So angemessen kann und sollte Journalismus bezahlt werden.“

Laut Verdi sind der Grund für den historischen bundesweiten Ausstand die festgefahrenen Tarifverhandlungen. Die ARD-Sender seien mit ihren Angeboten bisher deutlich unter den Abschlüssen im Öffentlichen Dienst (ÖD) geblieben, der in den vergangenen Jahren als Maßstab auch für die Tarifsteigerungen im öffentlichen-rechtlichen Rundfunk gegolten habe. Die Beschäftigten befürchten nun eine Abkoppelung von der Lohnentwicklung im ÖD.

Historischer Streik: Die „Tagesschau“ schweigt

Auf Berichte aus dem ARD-Nachrichten-Flaggschiff „Tagesschau“ konnten die arbeitskämpfenden ARD-Mitarbeiter dieser Tage nicht zählen: Die Sendung hat den aktuellen Streik laut interner Suche bisher mit keinem Wort erwähnt – ganz im Gegensatz zum „Klimastreik“. Dieses Verschweigen eines wichtigen gesellschaftlichen Vorgangs widerspricht (einmal mehr!) dem Programmauftrag, die für die Bürger relevanten Informationen zu vermitteln. Andererseits passt dieses Verhalten zu dem teils fragwürdigen Umgang der ARD mit anderen Streiks. Etwa mit dem Streik der Lokführer 2015. Unter vielen negativen Berichten über die GDL und ihren Chef Claus Weselsky kommentierten damals etwa die „Tagesthemen“:

„Bei diesem Streit geht es aber schon lange nicht mehr darum, ob die Lokführer, die wir eben gesehen haben, mehr Geld bekommen oder weniger arbeiten müssen. Es geht um Macht. Es geht ums Prinzip. Für die GdL ums Überleben. (…) Weselsky gegen die Bahn – Weselsky gegen andere Gewerkschaften – Weselsky gegen die Politik. Weselskys Neunte geht zu weit und beschädigt den Ruf der Gewerkschaften.“

Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ändern! Nicht abschaffen!

Doch die berechtigte Kritik an vielen Inhalten sollte, wie gesagt, nicht in eine prinzipielle Verdammung des wichtigen öffentlich-rechtlichen Systems münden. Warum ARD, ZDF und Deutschlandfunk trotz zahlreicher Verfehlungen und Kampagnen nicht abgeschafft werden sollten, haben die NachDenkSeiten etwa in diesem Artikel beschrieben:

„Wer vom Ausland unterstützte islamistische Kämpfer über Jahre als syrische ‚Rebellen‘ bezeichnet, oder ganz offen den Regime-Change in der Ukraine 2014 unterstützt wie ARD, ZDF und Deutschlandfunk, hat seine Seriosität vorerst verspielt – diese Redakteure können sich auch nicht mit ‚Fehlern, die eben unterlaufen‘, rechtfertigen. Hier wurden mutmaßlich langfristige Kampagnen gefahren. Auch die häufigen Positionierungen gegen den Wagenknecht-Flügel der Linkspartei, ein anscheinend starker transatlantischer Einfluss und eine unangebrachte mutmaßliche Regierungsnähe widersprechen dem Programmauftrag.“

Der Artikel fährt fort:

„Mit einer Abschaffung oder Schwächung des öffentlich-rechtlichen Systems würden diese Kritikpunkte aber nicht abgestellt. Denn fallen die Öffentlich-Rechtlichen weg, dominieren private Medienkonzerne wie Bertelsmann und Springer – und diese Konzernmedien haben sich bei den oben erwähnten Themen ebensowenig mit journalistischem Ruhm bekleckert wie ARD, ZDF und Deutschlandfunk.“

Öffentlich-Rechtliche: Immer noch besser als Konzernmedien

Dazu komme, dass Bürger die Vorgänge innerhalb der großen Privat- und Konzernmedien praktisch gar nicht beeinflussen könnten. Im Vergleich dazu hätten (wenigstens in der Theorie!) die Gremien von ARD, ZDF und Deutschlandfunk eine demokratische Verfassung.

Andere Medien, auch der öffentlich-rechtliche Sender ZDF, haben durchaus über die aktuellen Streiks berichtet, etwa „Bild”, „Focus”, „Welt“, „Süddeutsche“, oder „Spiegel“. Der Deutschlandfunk warnt derweil vor den Folgen des Streiks:

„Mehr Gehalt bedeutet Kürzungen in Programm und Verwaltung. Tatsächlich müssen höhere Gehälter und Honorare de facto zu Einsparungen an anderer Stelle führen. Denn Geld bekommt der Sender durch die Rundfunkbeiträge – und die liegen seit vier Jahren konstant bei monatlich 17,50 Euro pro Haushalt und waren davor sogar gesenkt worden.“

ARD sieht keinen Spielraum im Tarifkonflikt

Diese Aussagen decken sich mit der offiziellen Verhandlungsposition. So sieht laut DPA die ARD wenig Spielraum im Tarifkonflikt: Die Sender könnten sich nicht mehr an den Steigerungen des öffentlichen Dienstes der Länder orientieren, sagte demnach der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm. Stattdessen werde ein „fairer Inflationsausgleich“ zwischen 1,7 und 2,1 Prozent für jeweils ein Jahr angeboten.

Eindeutige Solidarität erfuhren die Streikenden von der Linkspartei:

„Gute Arbeit verdient gute Entlohnung! Wir begrüßen es, dass ver.di in der laufenden Verhandlungsrunde den berechtigten Forderungen der Beschäftigten durch einen Streik Nachdruck verleiht. Der Bayerische Rundfunk sollte unter den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine Vorbildrolle bei guten Arbeitsbedingungen einnehmen, statt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die täglich das Programm erstellen, mit mageren zwei Prozent Tariferhöhung abspeisen zu wollen. Guter Journalismus ist entscheidend für das Funktionieren der Demokratie. Euer Arbeitskampf hat deshalb Bedeutung für die ganze Gesellschaft.“

Die nächste Verhandlungsrunde findet beim BR am 27. September statt.

Titelbild: Sharaf Maksumov / Shutterstock