Das ist die Welt, in der wir leben. Dabei dachten wir 1990, das Kriegsspiel habe ein Ende.

Das ist die Welt, in der wir leben. Dabei dachten wir 1990, das Kriegsspiel habe ein Ende.

Das ist die Welt, in der wir leben. Dabei dachten wir 1990, das Kriegsspiel habe ein Ende.

Albrecht Müller
Ein Artikel von: Albrecht Müller

1990 und noch einige Monate danach gab es in Deutschland eine vernünftige Große Koalition, die von Willy Brandt bis zu Helmut Kohl reichte. Sie und viele mit uns glaubten, jetzt gäbe es eine Zusammenarbeit in Europa, von Lissabon bis Wladiwostok, also nicht nur im Westen Europas und in Mitteleuropa, sondern einschließlich Russlands. Aber wir sind um diese „Friedensdividende“ betrogen worden. Albrecht Müller

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

(Aus: Die Rheinpfalz vom 23.9.2019)

Schon Anfang der Neunzigerjahre wurde diese Hoffnung mit Füßen getreten. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl erlebte das bei seinen Washingtonbesuchen. Dort dachte man in den Kategorien des Kalten Krieges. Auch Russland sollte in die „Obhut“ des Westens einbezogen werden. Das war Imperialismus pur und ist es bis heute. Eigentlich wurde das damals von Beratern wie Brzeziński ja auch verkündet. Aber viele glaubten das nicht, weil dagegen ihre Hoffnung stand: die Hoffnung auf Zusammenarbeit in Europa, auch zwischen uns und Russland.

Zunächst sah das für den Westen und insbesondere die USA ja auch ganz gemütlich aus. Man hatte den damaligen russischen Präsidenten Jelzin in der Hand und wirkte bis in die innere Gestaltung Russlands ein. Wie weit das ging, hat Naomi Klein in „Die Schock-Strategie“ analysiert und beschrieben. Ich habe schon mehrmals darauf hingewiesen und tue das immer wieder, weil ihr Buch wirklich eine Quelle der Aufklärung ist und gerade zum Verständnis der heutigen Aggression gegen Putins Russland wichtig ist.

Beispielhaft gebe ich hier zwei Seiten aus diesem Buch wieder:

Mit der Wahl Putins zum russischen Präsidenten fanden diese imperialen Spielchen ein Ende. Die Aggression gegenüber Putin, die heute den führenden Kreisen des Westens eigen ist, hat etwas damit zu tun, dass damit der direkte Zugriff auf die innere Gestaltung Russlands und seine Ressourcen gestoppt war. Das muss man immer im Gedächtnis behalten, wenn man die heutige Diskussions- und Aggressionslage verstehen will.

Putin selbst hat seltsamerweise trotz dieser Erfahrung und übrigens auch trotz des NATO-Kriegs gegen Restjugoslawien, dem Russland eng verbunden war, an den guten Willen und die Möglichkeit der Zusammenarbeit geglaubt. Das wird zum Beispiel in der Rede im Deutschen Bundestag sichtbar, die Putin am 25. September 2001 gehalten hat; vor allem wird es sichtbar beim Blick auf die Regierungsbank.

Putin schlägt hier ab Minute 5:00, nachdem er noch artig die Zusammenarbeit des Westen Europas mit den USA positiv gewürdigt hat, auch eine engere Zusammenarbeit zwischen diesem Europa und Russland vor.

Wörtlich:

“Niemand bezweifelt den großen Wert der Beziehungen Europas zu den Vereinigten Staaten. Aber ich bin der Meinung, dass Europa seinen Ruf als mächtiger und selbstständiger Mittelpunkt der Weltpolitik langfristig nur festigen wird, wenn es seine eigenen Möglichkeiten mit den russischen menschlichen, territorialen und Naturressourcen sowie mit den Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungspotenzialen Russlands vereinigen wird.

(Beifall)”

Wenn Sie sich auf dem oben verlinkten Video die Minute 6:6-8 Sekunden anschauen, dann erkennen Sie auf der Regierungsbank die gelangweilte bis abweisende Haltung des damaligen Außenministers Joschka Fischer und die nicht begeisterte Reaktion des damaligen Innenministers Otto Schily und der Justizministerin Herta Däubler-Gmelin.

Offenbar wussten diese, dass die deutsche Regierung das Angebot Putins nicht annehmen darf, oder wie im Falle Joschka Fischers zu vermuten ist, das auch gar nicht will.

Spätestens die erkennbare Reaktion eines Teils des deutschen Bundeskabinetts hätte den russischen Präsidenten damals schon warnen müssen: Mit diesem Wurmfortsatz von NATO und USA in Europa lässt sich das gemeinsame, friedliche und kreative Europa ohne Rüstung und Abschreckung nicht aufbauen. Putin hat weitere fünfeinhalb Jahre gebraucht, bis er dann bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 seiner Enttäuschung über die Zurückweisung der ausgestreckten Hand öffentlich Luft verschaffte.

Jetzt sind wir leider bei der gegenseitigen Rüstung und militärischen Übung angekommen, die der Ausschnitt aus der „Rheinpfalz“ von heute signalisiert: es wird die militärische Konfrontation geübt und nicht die ökonomische, geistige und kulturelle Zusammenarbeit.