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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (WM/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Deutsche Waffen beim türkischen Militär
  2. Krieg um Nordsyrien (III)
  3. Erdogan bekämpft auch die Demokratie-Experimente der Kurden
  4. Alexandria Ocasio-Cortez on Why She Backed Bernie Sanders Over Elizabeth Warren
  5. Die soziale Marktwirtschaft war nie sozial
  6. Hilfe, Polizei!
  7. Metaller-Lohnverhandlungen – Nach Rekorddividende wollen auch Arbeitnehmer ihren Anteil
  8. Ulrich Schneider: Hohe Kinderarmut in Deutschland ist Menschenrechtsverstoß
  9. Equal Pay Day: Warum der Gender Pay Gap nur ein Teil des Problems ist
  10. Ausbau von Windkraftanlagen an Land geht dramatisch zurück
  11. Lenkung, Aufkommen, Verteilung: Wirkungen von CO2-Bepreisung und Rückvergütung des Klimapakets
  12. Warum 13 Millionen Schweine im Müll landen
  13. EURO-Balkan: EU zerbricht und will doch größer werden
  14. Protest gegen deutsche Rohstoffsicherung in Bolivien
  15. Uniform heißt Unterordnen
  16. Saudischer Kampfjet löscht Familie im Nordjemen aus
  17. Schlechte Zahlungsmoral – Freie Journalisten beklagen erschwerte Recherche
  18. Journalisten und Politiker: Weltanschaulich eng miteinander verbunden

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Deutsche Waffen beim türkischen Militär
    Deutsche Rüstungsexporte in die Türkei befinden auf dem höchsten Stand seit 14 Jahren – so titelt selbst „die Zeit“ Kriegsgerät im Wert von 250 Millionen € erhielt das türkische Militär zwischen Januar und August 2019. Dabei zählte die Türkei bereits schon in den letzten Jahren zu den größten Abnehmern der deutschen Rüstungsindustrie: „Im vergangenen Jahr machten die Lieferungen an die Türkei mit 242,8 Millionen Euro fast ein Drittel aller deutschen Kriegswaffenexporte (770,8 Millionen Euro) aus. Damit war die Türkei klar die Nummer eins unter den Empfängerländern deutscher Rüstungsgüter. “Bei den völkerrechtswidrigen Angriffskriegen der Türkei (euphemistisch bezeichnet als „Operation Olivenzweig“ im Jahr 2018 und nun „Operation Friedensquelle“) verwendet das türkische Militär Kriegsgerät, welches häufig in unserer unmittelbaren Umgebung entwickelt, getestet oder hergestellt wird…

    • Rheinmetall
      Bekannt dürfte die Beteiligung am Leopard 2 Panzer sein, den Rheinmetall mit der 120 mm Glattrohrkanone (120 mm Waffenanlage L44 und der nun verlängerten L55) ausstattet. Im Jahr 2005 erhielt die Türkei von der Bundesregierung 354 Kampfpanzer des Typs Leopard 2 A4 – zuvor erhielt das türkische Militär bereits 397 Panzer des Typs Leopard 1, an dessen Produktion Rheinmetall ebenfalls durch die Glattrohrkanone beteiligt war…
    • Daimler AG
      Wie aus einer Anfrage der kritischen Aktionär*innen bei der Daimler AG hervorgeht, steigerte die Daimler AG den Export von Militärfahrzeugen im Jahr 2016 um fast ein Drittel: 4.571 Militärlastkraftwagen (Vorjahr 3465) wurden an 22 (Vorjahr 16) Staaten ausgeliefert. Mercedes-Militär-Unimogs und Actros-Panzertransporter wurden demnach u.a. nach Algerien, Saudi-Arabien und an die Türkei geliefert. Abgesehen davon produziert Daimler bzw. Mercedes-Benz Türk A.?. seit 1986 selbst LKW im Werk Aksaray/Mittelanatolien…
    • Heckler und Koch
      Das aktuelle Standardgewehr der türkischen Armee beruht auf dem von Heckler & Koch (HK) entwickelte Modell G-3 und wird ebenso wie das Sturmgewehr HK33 vom staatseigenen türkischen Unternehmen MKEK (Makina ve Kimya Endüstrisi Kurumu) in Lizenz gefertigt…
    • VW/Renk und MTU Friedrichshafen
      Das von VW übernommene Rüstungsunternehmen Renk ist bereits mit seinem Fahrzeuggetriebe HSWL 354 in den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg involviert…
    • ThyssenKrupp Marine Systems
      „Seit knapp 50 Jahren ist die türkische Marine Kunde von thyssenkrupp Marine Systems GmbH (TKMS) – ehemals HDW – mit Sitz in Kiel“- so formuliert es die Linke in ihrer Kleinen Anfrage. Zugzeit baut die Türkei in der Gölcük Schiffswerft mit deutscher Herstellungslizenz sechs Jagd-U-Boote des Typs 214 – von HDW entwickelt…
    • SIG Sauer GmbH & Co. KG
      Im Juli 2003 erhielt der Waffenhersteller Sig Sauer mit Sitz in Eckernförde die Genehmigung, Pistolen im Wert von 3.376€ an die Türkei zu liefern. Im Jahr 2017 bestellte die Türkei für die Leibwächter Erdogans Waffen im Wert von 1,2 Millionen $ bei dem Tochterunternehmen Sig Sauer Inc. in den USA…
    • Deutsche Nickel AG
      Im Jahr 2003 erhielt die Deutsche Nickel AG mit Sitz in Schwerte im Ruhrgebiet eine Exportlizenz für die Herstellungsausrüstung Munition im Wert von 1.031.000 €.

    Team Spezialgeräte Vertriebs GmbH…
    Weitere Ausfuhrlizenzen von Rüstungsgütern an die Türkei erhielten in der Vergangenheit folgende Unternehmen: Hensoldt Systemtechnik GmbH, Sundwiger Messingwerke GmbH, Diehl Avionik Systeme GmbH, AMP Technical Services GmbH, MAN Ferrostaal Industrieanlagen GmbH, Eurocopter Deutschland GmbH, Numerics GmbH und die Fritz Werner GmbH…
    Quelle: IMI

    Anmerkung Jens Berger: Eine alte Börsenweisheit lautet „Kaufen, wenn die Kanonen donnern“. Ein Blick auf den Chart des Rüstungskonzerns Rheinmetall zeigt, wer von der Spannungs- und Kriegspolitik am meisten profiitiert.

    Die größten Aktionäre von Rheinmetall sind übrigens – wie bei den meisten großen deutschen Unternehmen – fast ausschließlich große amerikanische und britische Vermögensverwaltungsgesellschaften und Fonds …

  2. Krieg um Nordsyrien (III)
    Die Bundeswehr soll im Norden Syriens intervenieren. Dies verlangen einflussreiche deutsche Politiker im Zusammenhang mit der Forderung von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die europäischen NATO-Staaten sollten in dem Gebiet, mit dessen Eroberung die Türkei vor zwei Wochen begonnen hat, eine Besatzungszone errichten. Die Rede ist von mehreren zehntausend Soldaten. Das eröffnete Berlin eine eventuell langfristige militärische Präsenz auf syrischem Territorium und sicherte Deutschland neue Einflusshebel im Nahen und Mittleren Osten, wo der Westen zuletzt eine Schwächung seiner Stellung gegenüber Moskau hinnehmen musste. Die Stationierung deutscher Soldaten in Nordsyrien brächte außerdem die bereits vor Jahren verkündeten Pläne der Berliner Außenpolitik voran, in der Region nachzurücken und die westlichen Positionen auszubauen, während die Vereinigten Staaten ihre militärischen Kräfte vor allem auf den Machtkampf gegen China fokussieren. Allerdings haben sich am gestrigen Dienstag Moskau und Berlin auf ein Konzept geeinigt, das die militärische Kontrolle über die fraglichen Gebiete zwischen der Türkei und Russland aufteilt.
    (…) In letzter Sekunde
    Im Hinblick auf ihren Vorstoß zur Schaffung einer westlichen Besatzungszone in Syrien legt die Verteidigungsministerin Wert auf die Feststellung, es handle sich um einen “Impuls und eine politische Initiative von Deutschland”. Tatsächlich tritt die Bundesrepublik, die bislang gegenüber der Öffentlichkeit stets vorgegeben hatte, lediglich an der Seite der USA (Kosovo, Afghanistan) oder Frankreichs (Mali, Krieg gegen den IS) zu operieren, nun erstmals offiziell als militärische Führungsmacht auf. Kramp-Karrenbauers Vorstoß erfolgt gleichsam in letzter Sekunde: Am gestrigen Dienstag haben sich der russische Präsident Wladimir Putin und sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdo?an darauf geeinigt, den Abzug der syrisch-kurdischen YPG aus einem 30 Kilometer breiten Landstreifen südlich der syrisch-türkischen Grenze zu erzwingen, um dann die militärische Kontrolle über die betreffenden Gebiete Nordsyriens de facto zwischen Russland und der Türkei aufzuteilen. Wie sich dieses Vorhaben zu einer potenziellen westlichen Besatzungszone verhält, ist nicht klar.
    Quelle: German Foreign Policy

    Dazu: Endlich Engagement
    Das muss man Annegret Kramp-Karrenbauer lassen: Mut hat sie. Ihr Vorschlag für eine internationale Sicherheitszone im Norden Syriens ist nicht weniger als eine außenpolitische Sensation, eine Zäsur in der deutschen Sicherheitspolitik, ein Bruch mit Deutschlands “Kultur der militärischen Zurückhaltung”, die bisher trotz aller Forderungen nach größerer Verantwortung in der Welt seine Politik bestimmt hat. Noch nie kam die Initiative für einen internationalen Friedenseinsatz aus Deutschland, noch nie – vielleicht mit Ausnahme der Reaktion auf 9/11 – hat Deutschland von sich aus seine Beteiligung an einer Militäraktion in Aussicht gestellt. Militärische Lösungen? Dafür fühlte sich Deutschland bisher nie zuständig, selbst wenn es sich explizit um Friedenseinsätze handelte. Wenn es irgendwie möglich war, sich herauszuhalten, tat Deutschland das.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung unseres Lesers Sebastian A.: Furchtbar wie hier für einen weiteren Auslandseinsatz, bzw. das Übernehmen von “Verantwortung” geworben wird. Alleine der nicht enden wollende Einsatz in Afghanistan ist doch mittlerweile Beweis genug, dass sich die Konflikte so nicht lösen lassen.

    Dazu auch: Annegret macht Weltpolitik
    Mit niemandem abgestimmt hat die außenpolitisch unerfahrene Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer eine international kontrollierte Sicherheitszone unter Einbeziehung der Türkei und Russlands in Syrien vorgeschlagen. “Viele Außen- und Sicherheitspolitiker trauten ihren Augen und Ohren nicht”, meint der “Tagesspiegel”. In den Reihen der SPD macht das Wort vom “Harakiri” der CDU-Vorsitzenden die Runde.
    Der zuständige Außenminister wusste von nichts. Deutsche Diplomaten befürchten, dass Kramp-Karrenbauer wegen dieses tölpelhaften Vorstoßes Schaden anrichtet.
    Der Vorschlag ist so genial wie die Ideen, einen gemeinsamen deutsch-französischen Flugzeugträger zu bauen und die deutschen Ausgaben für Rüstung und Kriegsführung auf zwei Prozent des BIP zu steigern.
    Es ging der Verteidigungsministerin wohl nicht in erster Linie darum, den Menschen in Syrien zu helfen, sondern angesichts ihrer sinkenden Zustimmung in der CDU und ihrer schwindenden Popularitätswerte im Rennen um die Kanzlerkandidatur in die Schlagzeilen zu kommen. Das ist voll in die Hose gegangen. So mir nichts, dir nichts die Bundeswehr in einen sehr gefährlichen Einsatz schicken zu wollen, lässt auch ihr Wohlgesonnene den Kopf schütteln. Militärisch ausgedrückt: Gäbe es eine Musterung für Kanzlerkandidaten, dann wäre der Befund: untauglich! Wegtreten!
    Quelle: Oskar Lafontaine

  3. Erdogan bekämpft auch die Demokratie-Experimente der Kurden
    In Rojava streben die Kurden nach Gleichheit der Geschlechter. Sie respektieren Christen und andere Minderheiten.
    Die USA lassen in Syrien nicht nur Kurden im Stich, die im Kampf gegen die fundamentalistischen IS-Terroristen über 10’000 Tote und noch mehr Verletzte zu beklagen haben. Die USA gefährden auch eine Entwicklung zu demokratischen Strukturen, welche die Kurden in Nordsyrien seit einigen Jahren aufbauten. Das berichtet die Journalistin Jenna Krajeski in der New York Times. Sie hatte das von den Kurden «Rojava» bezeichnete Gebiet mehrmals besucht.
    Der Rückzug der US-Truppen aus Nordsyrien hat weltweit Unverständnis ausgelöst. Aber es wäre zu kurzsichtig, diesen Entscheid bloss als Verrat an Verbündeten zu betrachten. In Nordsyrien steht viel mehr auf dem Spiel: In der angehenden kurdischen autonomen Region wächst ein äusserst ambitiöser, wenn auch junger und kontroverser Versuch in Demokratie, Gleichberechtigung und Stabilität heran. Während die Mitglieder der YPG (kurdische Volksverteidigungseinheiten) und ihre Mitstreiterinnen in den Frauenverteidigungseinheiten an der Front kämpfen, bemühen sich Kurden und Kurdinnen in Rojava darum, die seit drei Jahrzehnten angestrebte kurdische Demokratie zu verwirklichen. Der Plan umfasst gleiche Vertretung von Frauen und Minderheiten, eine gerechte Verteilung von Land und Vermögen, ein ausgeglichenes Rechtssystem, selbst die ökologische Bewahrung der Landschaft Nordsyriens…
    Quelle: Infosperber

    dazu: US-Truppen müssen Irak verlassen
    Das nächste Problem für die Syrien-Strategie von Präsident Trump: Die aus den Kurdengebieten abgezogenen Truppen dürfen nicht im Irak bleiben. So hat es die Regierung in Bagdad beschlossen.
    Die US-Truppen, die aus Syrien kommend in den Irak wollen, dürfen dies nur, wenn sie anschließend den Irak wieder verlassen. Das hat das irakische Militär mitgeteilt. “Es gibt keine Genehmigung für diese Truppen, im Irak zu bleiben”, hieß es in einer Mitteilung.
    Schon 5000 US-Soldaten im Irak
    Die Mitteilung zeigt, wie offenbar unvorbereitet der Abzug der US-Truppen aus Nordyrien erfolgt. US-Verteidigungsminister Mark Esper hatte am Samstag erklärt, dass alle der nahezu 1000 im Norden Syriens stationierten Soldaten im westlichen Irak erwartet würden, um den Kampf gegen die IS-Miliz fortzusetzen und dabei zu helfen, den Irak zu verteidigen. Doch ganz so einfach scheint das nun nicht zu sein…
    Quelle: Tagesschau

    und: Russia replaces US as Mideast power broker
    American troops pelted with tomatoes as they abandon former Kurdish allies in NE Syria
    Less than 48 hours after US troops were pelted with tomatoes and stones as they abandoned their former Kurdish allies in northeastern Syria, Russia has moved in as the region’s new referee.
    Russian President Vladimir Putin, after marathon six-hour talks with his Turkish counterpart, secured an agreement to halt a Turkish invasion of the border area – instead offering joint patrols with his forces in specific border towns.
    Turkish Foreign Minister Mevlut Cavusoglu acknowledged the joint patrols would not apply to the Syrian city of Qamishli, where Syria’s armed forces have maintained an airbase throughout the war.
    Quelle: Asia Times

  4. Alexandria Ocasio-Cortez on Why She Backed Bernie Sanders Over Elizabeth Warren
    On stage at a rally in Queens on Saturday, and in interviews beforehand with The Intercept, NBC News, and CBS News, Rep. Alexandria Ocasio-Cortez expounded on her decision to endorse Sen. Bernie Sanders in the presidential primary. Perhaps as important as her endorsement was the motivation behind it: If Ocasio-Cortez portrayed Sanders as the only trustworthy candidate in a field of sellouts and shills, it could make uniting the party after the nomination — either behind Sanders or one of his opponents — that much more difficult. But Ocasio-Cortez went a different route.
    (…) By endorsing Sanders in order to help build his movement, Ocasio-Cortez is taking seriously the campaign’s motto, “Not me, us.”
    “For me, it wasn’t even about helping the senator. It was a moment of clarity for me personally in saying, What role do I want to play?” Ocasio-Cortez told NBC. “And I want to be a part of a mass movement.”
    “It was less about personalities and more about values, more about strategy, more about not just, Are we going to defeat Donald Trump? But how are we going to defeat him? And so that’s a process that I think every American needs to go through,” she told The Intercept. “I’m proud to be part of this movement.”…
    For Ocasio-Cortez, Democratic victories are hollow if they’re not helping push the country in a more progressive direction.
    Quelle: The Intercept

    Anmerkung Anette Sorg: Not me, us! So heißt die Kampagne der Demokraten. Sehr schön. Sehr lesenswert

  5. Die soziale Marktwirtschaft war nie sozial
    Der Mythos von der “sozialen Marktwirtschaft” verdeckt bis heute außerordentlich geschickt, wie ungerecht es in der Bundesrepublik zuging und zugeht. Statt auf sozialen Ausgleich zu setzen, vertrauten Ludwig Erhard und seine Nachfolger blind dem Markt und verfestigten so die ungleiche Vermögens- und Einkommensverteilung.
    Bis heute sind die allermeisten Deutschen überzeugt, dass sie in einer “sozialen Marktwirtschaft” leben, die von Ludwig Erhard höchst persönlich erfunden wurde. Diese soziale Marktwirtschaft, so geht die Legende, sei einzigartig in Europa, und nur ihr wäre das “Wirtschaftswunder” zu verdanken. Nichts davon stimmt. Deutschland war nie besonders sozial – und eine besondere Wirtschaftsverfassung gab es hier auch nicht. Stattdessen ging es nach dem Zweiten Weltkrieg weiter wie zuvor: In den Großkonzernen dominierten die alten Eliten.
    Der Slogan “soziale Marktwirtschaft” fand sich erstmals 1949 im CDU-Wahlprogramm und sollte angeblich einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus weisen. Das klang nach Ausgleich und nach Mitte und wirkte sympathisch auf ein erschöpftes Volk, das von politischen Extremen genug hatte.
    Ludwig Erhard hielt Sozialpolitik für überflüssig, ja schädlich.
    Den meisten Wählern fiel gar nicht auf, wie missverständlich das Konzept war. Die „soziale Marktwirtschaft“ strebte nämlich mitnichten eine ausgebaute Sozialpolitik an, sondern behauptete im Gegenteil, dass der freie Markt an sich schon sozial sei. Man müsste nur für ungehinderten Wettbewerb sorgen und schon sei der „Wohlstand für alle“ garantiert…
    Wettbewerb sei „der tragende Pfeiler der sozialen Marktwirtschaft“ versprach Erhard immer wieder, der damals als Wirtschaftsminister amtierte. Während er Rede um Rede hielt, geschah jedoch das Gegenteil: Die bundesdeutschen Großkonzerne wuchsen weiter und konsolidierten ihre Macht.
    (…) Großkonzerne kontrollieren 66,7 Prozent des Umsatzes in Deutschland
    Die alten Strukturen in den Großkonzernen waren also längst wieder gefestigt, als 1958 Erhards „Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ in Kraft trat…
    Die bundesdeutsche Wirtschaft ist extrem konzentriert, wie sich an einer einzigen trockenen Zahl erkennen lässt, die sich im neuesten Statistischen Jahrbuch findet: Die Großkonzerne machen nur 0,7 Prozent aller Firmen in Deutschland aus – aber sie kontrollieren 66,7 Prozent des Umsatzes.
    (…) Die “soziale Marktwirtschaft” konnte dennoch zur zentralen Legende der Bundesrepublik werden, weil ein enormer Aufschwung einsetzte, der bis heute gern „Wirtschaftswunder“ genannt wird. Die Zahlen sind tatsächlich beeindruckend: Von 1950 bis 1973 legte die bundesdeutsche Wirtschaft pro Kopf um durchschnittlich fünf Prozent zu. Ein Rekord war es dennoch nicht. Italien kam ebenfalls auf fünf Prozent, und Spanien erreichte sogar 5,8 Prozent pro Jahr und Kopf. Fast alle europäischen Staaten erlebten starkes Wachstum.
    Die Vermögensverteilung in Deutschland kann nur als Skandal bezeichnet werden
    Völlig unerheblich war übrigens, ob die Regierungen an die “freie Marktwirtschaft” glaubten oder Schlüsselindustrien verstaatlicht hatten. Der Aufschwung setzte überall ein, ohne dass die jeweilige offizielle Wirtschaftspolitik den Ausschlag gegeben hätte…
    Die “soziale Marktwirtschaft” hat nie existiert und war nicht mehr als ein Slogan, mit dem die CDU ihre Wahlkämpfe bestritt. Trotzdem war diese Legende nicht folgenlos. Denn sie verdeckte außerordentlich geschickt, wie ungerecht es in der Bundesrepublik zuging. Bereits 1955 klagte der Präsident des Statistischen Landesamts von Baden-Württemberg, dass “die Vermögensverteilung in der Bundesrepublik nur als ein Skandal bezeichnet werden” könne…
    Quelle: Ulrike Herrmann auf Gegenblende
  6. Hilfe, Polizei!
    (…) Der französische Staat geht mit einer bisher nicht gekannten Gewalt gegen die neue Bürgerbewegung vor. Da die Gelbwesten nur eine sehr lose Organisationsstruktur haben und es daher kaum Verantwortliche gibt, die belangt werden können, setzt man auf Zermürbung und massive Abschreckung. Dazu wurden die Einheiten von Polizei und Gendarmerie sowie die kasernierten Kräfte der Compagnies Républicaines de Sécurité (CRS) mit neuen Waffen ausgerüstet, die als »noch nicht tödlich (sublétale)« bezeichnet werden. Besonders gefährlich ist eine Granate mit der Bezeichnung GLI-F4. Sie enthält außer Tränengas 25 Gramm Sprengstoff (TNT), der eine heftige Druckwelle auslöst und mit 165 Dezibel extrem laut ist. Die Waffe, von der es angeblich nur noch Restbestände gibt, hat bei Demonstranten schwere Verletzungen wie abgerissene Hände verursacht.
    Sehr beliebt ist bei den Polizeieinheiten das Schweizer LBD 40. Im Dezember 2018 bestellte das Innenministerium 1280 neue Exemplare des monströsen Gewehrs, das Hartgummikugeln mit 40 Millimetern Durchmesser verschießt. Circa 20 der Geschosse riefen bei den Opfern schwere Augenverletzungen hervor, bei einigen konnte das Auge nicht gerettet werden. Seit Beginn der Gelbwestenbewegung wurden fast 10.000 dieser Gummiprojektile verschossen. Frankreich ist bisher das einzige europäische Land, das solche Waffen einsetzt. Ärzte und Krankenhauspersonal haben sich wiederholt über die Schwere der Verletzungen eingelieferter Demonstranten empört. Aber selbst in den Notaufnahmen ist der Staat präsent. Krankenhäuser wurden verpflichtet, die Namen der Verletzten weiterzuleiten. Anfang Februar wurde im Eilverfahren das »loi anticasseurs« verabschiedet, ein »Gesetz gegen Randalierer«, das vor allem die Teilnehmer an den Demonstrationen der Gelbwesten einschüchtern soll und sie in die kriminelle, ja terroristische Ecke stellt.
    (…) Traditionell sind Polizisten eher dem rechten politischen Lager zuzuordnen. Anlässlich der französischen Präsidentschaftswahlen 2017 hat das Meinungsforschungsinstitut IFOP herausgefunden, dass 51 Prozent der Gendarmen für die Partei von Marine Le Pen stimmen wollten.
    Quelle: Ossietzky
  7. Metaller-Lohnverhandlungen – Nach Rekorddividende wollen auch Arbeitnehmer ihren Anteil
    Bereits vier Runden der Metaller-Lohnverhandlungen wurden abgebrochen und blieben ohne Ergebnis. Die Gewerkschaft fordert ein Plus von 4,5 %. Die Arbeitergeberseite ist dagegen und bietet mit 1,8% gerade einmal die Inflation – und das, obwohl heuer an die Aktionäre so hohe Dividenden ausgeschüttet wurden wie noch nie. Außerdem fordert die Gewerkschaft ein besseres Verhältnis aus Arbeitszeit und Freizeit. Dazu gehören die leichtere Erreichbarkeit der sechsten Urlaubswoche und das Recht auf die 4-Tage-Woche. Weiter verhandelt wird erst am 28. Oktober – bis dahin sollen Österreichweit Betriebsratskonferenzen abgehalten werden.
    Jeden Herbst dasselbe Spiel: Gute Geschäftszahlen werden gefeiert und die ATX-Konzerne schütten neue Rekord-Dividenden an die Aktionäre aus. Kurz vor Beginn der Lohnverhandlungen in der Metallindustrie ist plötzlich alles anders. Von Industrievertretern heißt es dann, die Prognosen seien nicht so gut wie erwartet – leider müsse man heuer bei den Löhnen auf die Bremse steigen.
    Die Verhandlungen in der Metall-Branche sind besonders wichtig, da sie als Gradmesser für die Abschlüsse der anderen Sparten gelten; darum wird hier auch besonders hart gefeilscht.
    (….) Die Party fand in den Chefetagen statt – jetzt müssen beschäftigte Metaller ihren Anteil erhalten.
    „Anscheinend hat die Party vor allem in den Chefetagen und bei den Aktionären stattgefunden, denn bei Managergehältern und Gewinnausschüttungen war man nicht zurückhaltend. Während dort gefeiert wurde, haben die Beschäftigten mit ihrer Arbeit dazu beigetragen, dass die österreichischen Unternehmen weiterhin auf Erfolgskurs sind. Jetzt ist es endlich an der Zeit, dass auch die ArbeitnehmerInnen ihren Anteil bekommen.“…
    Quelle: Kontras.at
  8. Ulrich Schneider: Hohe Kinderarmut in Deutschland ist Menschenrechtsverstoß
    Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, kritisiert die Bundesregierung bei der Armutsbekämpfung von Kindern. “Wenn in dem fünftreichsten Land der Welt fast die Hälfte der Alleinerziehenden und ein Drittel der kinderreichen Familien in Armut leben müssen, ist das ein politischer Verstoß gegen Menschenrechte”, sagte er der Tageszeitung “neues deutschland” (Mittwochsausgabe). Anlass ist der am Dienstag veröffentlichte Bericht “Die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland” an die UN der “National Coalition Deutschland”, dem Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention. Er kritisiert insbesondere die hohe Kinderarmut in Deutschland. Schneider forderte gegenüber dem “neuen deutschland”: “Die Zeit ist reif für eine Kindergrundsicherung und dafür, im Kinder- und Jugendhilfegesetz endlich einen Rechtsanspruch auf Teilhabe zu verankern.”
    Quelle: Presseportal
  9. Equal Pay Day: Warum der Gender Pay Gap nur ein Teil des Problems ist
    Alle Jahre wieder: Mehrere Monate vor Jahresende ist mit dem Equal Pay Day jener Tag erreicht, ab dem Frauen gratis arbeiten würden, hätten sie bis dahin den gleichen Lohn wie Männer erhalten. In Österreich fällt der Tag heuer auf den 21. Oktober. Dass Frauen weniger als Männer verdienen, ist keine Neuigkeit. Dass sich daran nichts ändert, liegt auch daran, dass die wahren Probleme nicht diskutiert werden, schreibt Teresa Petrik.
    (…) Andererseits spricht es auch dafür, dass der Pay Gap nur ein Symptom einer viel größeren gesellschaftlichen Schieflage ist. Es gibt in Österreich nach wie vor eine nach Geschlecht differenzierte Arbeitsteilung, und unbezahlte Arbeit ist zwischen Männern und Frauen extrem ungleich verteilt. So sind es nach wie vor Frauen, die den Großteil der Hausarbeit, Kinderbetreuung bis hin zur Pflege von Eltern und Angehörigen übernehmen. Obwohl es sich dabei um lebenswichtige Arbeit handelt, ohne die unsere Gesellschaft nicht funktionieren würde, ist es noch immer nicht selbstverständlich, auch unbezahlte Arbeit als Arbeit zu benennen. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist zwar eine sinnvolle Forderung, kratzt jedoch nur an der Oberfläche der sozialen Ungleichheit, die zwischen Männern und Frauen herrscht.
    Quelle: Mosaik

    Dazu: Studie zeigt: Frauenquote bedeutet weniger unqualifizierte Männer in Top-Jobs
    Die Frauenquote bringt top qualifizierte Frauen in Positionen – und sortiert beim männlichen Personal aus: wer für seinen Job nur mittelmäßig qualifiziert ist, der muss öfter das Feld räumen. Insgesamt werden Teams durch die Frauenquote kompetenter und effizienter – wie WissenschaftlerInnen in Schweden untersucht habe.
    (…) Eine Frauenquote durchbricht dieses Muster. Denn: Einerseits sucht man für die für Frauen gedachten Positionen die qualifiziertesten aus, zum anderen setzen sich für die verbliebenen Positionen (z.B. bei Kandidatur-Listen) die sehr gut qualifizierten Männer gegenüber den mittelmäßigen durch. Ein weiterer Nutzen ergibt sich durch die größere Durchmischung von Teams und Gremien – sowohl was Diskussionsverhalten und Erfahrungsschatz…
    Quelle: kontrast at.

  10. Ausbau von Windkraftanlagen an Land geht dramatisch zurück
    Deutschland braucht erneuerbare Energien, doch der Ausbau von Windkraftanlagen liegt für 2019 etwa 82 Prozent unter dem Durchschnitt der letzten Jahre.
    Die Ausbaukrise bei der Windenergie an Land hat sich verschärft. Nach einer Analyse der Fachagentur Windenergie an Land gingen von Januar bis Ende September 2019 nur 148 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 507 Megawatt ans Netz. Dieser Wert sei in den vergangenen fünf Jahren jeweils schon im ersten Quartal erreicht worden. Die bisherige Neuanlagenleistung in diesem Jahr liege um 82 Prozent unter dem Durchschnitt der Vergleichszeiträume zwischen 2014 und 2018.
    (…) Mehr Hürden
    Der Umweltverband WWF sprach von einem Zusammenbruch des Windenergie-Ausbaus in Deutschland. Dies sei verheerend, sagte Michael Schäfer. “Statt bestehende Hürden für den Windenergie-Zubau abzubauen, hat die Bundesregierung mit ihrem ‘Klimapäckchen’ mit der Abstandsregelung eine neue angekündigt. Von diesen Plänen muss sie jetzt Abstand nehmen.” Der Ausbau der Erneuerbaren ist laut Schäfer der Grundpfeiler für den Klimaschutz nicht nur im Stromsektor, sondern auch im Verkehr, in der Wärme und in der Industrie. “Zudem wird ein zukunftsfähiger Wirtschaftszweig an den Abgrund gedrängt.”
    Quelle: Heise
  11. Lenkung, Aufkommen, Verteilung: Wirkungen von CO2-Bepreisung und Rückvergütung des Klimapakets
    Am 20. September hat die Bundesregierung ein Klimapaket beschlossen, mit dem die Klimaziele 2030 in den Sektoren Verkehr und Gebäude erreicht werden sollen. Doch bereits jetzt ist absehbar, dass der vorgeschlagene CO2-Preispfad und der anschließende Emissionshandel mit festgelegter Preisobergrenze als alleinige Instrumente nicht ausreichen. Insbesondere im Verkehrssektor werden die Maßnahmen die Emissionen nicht annähernd genügend mindern, zeigen die Berechnungen des DIW Berlin zur Lenkungswirkung. Trotz Senkung der EEG-Umlage und erhöhter Entfernungspauschale werden die öffentlichen Haushalte durch die die CO2-Bepreisung per Saldo bis zu zwölf Milliarden Euro im Jahr mehr einnehmen. Die privaten Haushalte mit niedrigen Einkommen werden dabei deutlich stärker belastet als die hohen Einkommen.
    (…) Fazit: Geringverdienende sollten stärker entlastet werden
    Die vorliegenden Berechnungen zeigen zum einen, dass der im Klimapaket vorgeschlagene CO2-Preispfad und der anschließende Emissionshandel mit festgelegter Preisobergrenze nicht ausreichen, um die Klimaziele 2030 in den Sektoren Verkehr und Gebäude zu erfüllen. Ein höherer CO2-Einstiegspreis wäre sinnvoller, um die Klimaziele wirkungsvoller zu erreichen…
    Zum anderen zeigen die Berechnungen, dass die CO2-Bepreisung trotz der Entlastungen bei EEG-Umlage und Entfernungspauschale per Saldo zu Mehreinnahmen der öffentlichen Haushalte führen. Belastet werden vor allem die privaten Haushalte mit niedrigen Einkommen…
    Quelle: DIW
  12. Warum 13 Millionen Schweine im Müll landen
    Nottötungen in der Mast
    Jedes fünfte in Deutschland für die Fleischindustrie geborene Schwein erreicht nicht einmal den Schlachthof. Die Haltung macht sie so krank, dass Millionen Tiere notgetötet werden. Ursache sind auch die Billigpreise im Handel.
    Jedes fünfte in Deutschland für die Fleischindustrie geborene Schwein erreicht das Schlachtalter gar nicht, weil es erkrankt oder verletzt wird. In Zahlen bedeutet das: Mehr als 13,5 Millionen sogenannter Falltiere werden vorzeitig “notgetötet”.
    Schon länger gibt es Hinweise darauf, dass kranke oder verletzte Schweine in der Intensivtierhaltung nicht fachgerecht getötet werden. Die aktuellen Aufnahmen zeigen die Grausamkeit: Offensichtlich leidende, kranke Schweine werden mangelhaft betäubt und verenden langsam und qualvoll.
    (…) Der Betrieb in Drebkau gehört zur Spreefa GmbH, die wiederum Teil der LFD Holding ist. Die LFD (Landwirtschaftliche Ferkelzucht Deutschland) führt unter anderem die Betriebe des niederländischen “Schweinebarons” Adrianus Straathof weiter, gegen den seit 2014 in Deutschland ein Tierhalteverbot besteht. Straathof gab seine LFD-Anteile an einen Treuhänder ab und zog sich aus der Geschäftsführung zurück. Die Aufnahmen legen nahe, dass auch fünf Jahre später die Missstände nicht vollständig behoben sind…
    Die aktuellen Videos aus den sogenannten Krankenbuchten belegen Plange zufolge, dass die Betriebe massiv gegen das Tierschutzgesetz verstoßen.
    (…) “Die Tierindustrie ist ein rechtsfreier Raum”
    Juristisch ist die Lage allerdings verzwickt: Das deutsche Tierschutzgesetz stellt klar, dass kein Tier unnötig leiden darf, die EU-Verordnung 1099/2009 präzisiert: “Aus Sicht der Ethik ist es zwingend erforderlich, stark leidende Nutztiere zu töten, wenn es wirtschaftlich nicht tragbar ist, das Leiden der Tiere zu lindern.” Wirtschaftlich ist es bei einem Preis von weit unter zwei Euro pro Kilogramm Schlachtgewicht so gut wie nie tragbar, kranke Schweine zu behandeln.
    Quelle: SPIEGEL Online
  13. EURO-Balkan: EU zerbricht und will doch größer werden
    Sie haben ihn noch mal verschoben, die EU-Staats- und Regierungschefs, doch beim West-Balkan-Gipfeltreffen im Mai 2020 soll er endlich erfolgreich auf die Tagesordnung: Der Beitritt von Albanien und Nordmazedonien wird in normierten Medien angemahnt, als wären die beiden Länder das Eldorado der Neuzeit und Jean-Claude Juncker der Pizarro unserer Tage. Sollen die beiden Armenhäuser das reiche, aber fliehende England ersetzen?
    (…) Weder gibt es handfeste ökonomische Gründe für die EU-Erweiterung noch eine neue Option in der EU-Einwanderungspolitik. Denn nicht wenige der Bettler auf den Straßen Westeuropas kommen aus eben jenen Staaten, die ein bewußtloser Mainstream so gern aufnehmen würde, obwohl jeder, der bei Verstand ist, weiß: Armen Ländern und Menschen hilft man besser an der Quelle der Armut, nicht durch Auswanderung. Doch der neunmalkluge SPIEGEL gibt eine Antwort auf die Frage nach dem WARUM der Aufnahme-Drängelei: “Die EU will mit einem neuen Anlauf bei der Erweiterung auf dem Westbalkan auch dem wachsenden Einfluss Russlands und Chinas in der Region entgegenwirken.”
    (…) Immer noch suchen die westlichen Strategen nach Vorfeldstaaten für einen Krieg mit Russland, nach Landeplätzen und Aufmarschgebieten. Dass die Sowjetunion längst verschwunden und ihr Nachfolgestaat nicht sozialistisch ist, spielt keine Rolle. Auch die Wandlung Chinas zu einer Marktwirtschaft mit staatlichen Anteilen scheint an den Ideologen in den Denkfabriken des Westens vorbeigegangen zu sein: Zu gut lässt sich das alte Vorurteil in der neuen Konkurrenz-Situation benutzen. Zur Mobilisierung für einen EURO-Balkan, der weder den Völkern des Balkans noch denen West-Europas nützt.
    Quelle: Rationalgalerie
  14. Protest gegen deutsche Rohstoffsicherung in Bolivien
    In Bolivien erhebt sich massiver Protest gegen ein Joint Venture mit deutscher Beteiligung zur Gewinnung von Lithium für E-Auto-Batterien. Das Gemeinschaftsunternehmen, an dem der deutsche Mittelständler ACI beteiligt ist, sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, die Gemeinden rund um die Lithium-Lagerstätten im bolivianischen Hochland unter Bruch bolivianischer Gesetze nicht an den Exporterlösen zu beteiligen. Auch wachsen die Zweifel daran, ob das Joint Venture (“YLB ACISA E.M.”) tatsächlich eine komplette Lithium-Wertschöpfungskette bis hin zur fertigen Autobatterie in Bolivien aufbaut; dies hatte die Regierung von Präsident Evo Morales ursprünglich gefordert. Zusätzlich nähren Ansprüche des deutschen Projektpartners auf Patentrechte und auf die Kontrolle der Finanzströme wachsendes Misstrauen gegenüber dem mittelständischen Betrieb aus Baden-Württemberg, der sich bei der Ausschreibung – mit massiver Unterstützung der bundesdeutschen Politik – gegen Konsortien aus China, Russland und den USA hatte durchsetzen können…
    Quelle: German Foreign Policy

    dazu: In Bolivien dürfen Kinder nicht mehr arbeiten – und das ist ein Problem
    (…) Sie putzen Schuhe, verkaufen Zeitungen oder Süßigkeiten; sie werben auf Märkten Kunden für Restaurants, arbeiten als Hausmädchen oder schuften als Hauer in den Silberminen der Bergbaustadt Potosí. In Bolivien arbeiten Kinder in allen Teilen des Landes und in vielen Branchen. Mitunter malochen Mädchen und Jungen dort schon, sobald sie fünf Jahre alt sind.
    Arbeitende Jungen und Mädchen gibt es in allen Ländern Lateinamerikas – vor allem auch in den beiden größten Volkswirtschaften Brasilien und Mexiko. Aber in Bolivien, dem ärmsten Land Südamerikas, ist die Kinderarbeit besonders tief verwurzelt. Mehr als 700.000 Kinder arbeiten in dem Land, sie müssen zum Überleben ihrer Familien beitragen.
    Um sie dabei zu schützen, erließ die sozialistische bolivianische Regierung vor fünf Jahren ein Gesetz, das Kinderarbeit ab zehn Jahren unter bestimmten Bedingungen erlaubte. Kinderrechtler stuften es als fortschrittlich ein.
    Doch die Regelung stand von Anfang an unter internationalem Druck, vor allem von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Sie hat sich den Kampf gegen Kinderarbeit seit Langem auf die Fahnen geschrieben.
    Inzwischen hat die bolivianische Regierung das Gesetz in den umstrittenen Passagen weitgehend zurückgenommen, aber der Streit bleibt. In ihm konkurrieren zwei Sichtweisen: Die der EU und der Vereinten Nationen, ihnen gilt Kinderarbeit als Ausbeutung, die schnellstmöglich abgeschafft werden sollte; und die bolivianische, in der Kinderarbeit als gesellschaftliche Realität und kulturelle Besonderheit akzeptiert wird, die es zu regulieren gilt. Mittendrin: Hunderttausende Kinder, von denen so manches für ein Recht auf Arbeit kämpft…
    Quelle: SPON

  15. Uniform heißt Unterordnen
    (…) Uniformiert auftretende Abgeordnete depriorisieren ihre Verpflichtung der Gesamtbevölkerung gegenüber, wenn sie in ihrem öffentlichen Auftreten ihre Zugehörigkeit, Identifikation und vor allem Loyalität mit einer Organisation in den Vordergrund stellen, die per definitionem eben nicht „die Zivilgesellschaft“ ist – sie verkörpern im wahrsten Sinne des Wortes militärische Interessen.
    Insta sagt mehr als tausend Worte: Mitte Juni 2019, die grünen Spitzenpolitiker Cem Özdemir und Tobias Lindner überlegen, wohin mit der Europawahl-Euphorie. Quo vadis? Logisch, Bundeswehr. Ein inhaltlich wie strategisch überragender Schachzug – in einer Partie Räuberschach. Ihre Einschätzung der Zielgruppe, die ihnen den Stimmenzuwachs verschafft hat und bei der es sich folglich mit der Inszenierung im Flecktarn anzubiedern gälte, ist gelinde gesagt zweifelhaft. Die bedrückende Schönheit der Bilder von Grünen im Grünen reiht und gliedert die beiden in erlauchte Gesellschaft ein: Bei Abgeordneten in Deutschland und einigen Nachbarländern ist momentan eine sich verstärkende Vorliebe für das Tragen meist militärischer Uniformen zu beobachten. Diese verlangt nach einem Kommentar aus antimilitaristischer Perspektive.
    (…) Wo man auch hinschaut, militärisch uniformierten Regierenden und Regierungen mit hohem Anteil uniformiert auftretender Mitglieder eilt tendenziell nicht gerade der Ruf übergroßer Gerechtigkeit voraus – ob dem Deutschland des Dritten Reichs, Italien unter Mussolini und Spanien unter Franco, der ehemaligen UdSSR, Nordkorea, oder natürlich expliziten Militärdiktaturen wie in Chile unter Pinochet, der argentinischen Junta oder Myanmar bis 2011, der aktuellen de facto-Militärdiktatur in Thailand, dem ägyptischen General und Präsidenten al-Sisi oder der südsudanesischen Regierung unter Salva Kiir Mayardit. Dass die Regierungsformen dieser Staaten nicht ganz als auf der Höhe einer Zeit empfunden werden, die den demokratischen Nationalstaat als irgendetwas zwischen geringstem Übel, kleinstem gemeinsamen Nenner und Nonplusultra betrachtet, ist vielleicht zumindest teilweise der Uniform und dem was mit ihr einhergeht geschuldet.
    (…) Soldatengesetz (SG) §15 Abs. 3: „Der Soldat darf bei politischen Veranstaltungen keine Uniform tragen.“ Ausnahmen bilden die befohlene Teilnahme zur offiziellen Vertretung der Streitkräfte beziehungsweise des Verteidigungsministeriums, sowie die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Das heißt: Wer in der Öffentlichkeit im politischen Rahmen in Uniform auftritt, ist dort explizit Vertreter*in der Bundeswehr…
    Quelle: justice now
  16. Saudischer Kampfjet löscht Familie im Nordjemen aus
    Bei einem Luftschlag der Saudi-Emirate-Koalition wurden am Montag fünf Zivilisten in einem Minivan getötet, darunter zwei Kinder und eine Schwangere.
    Gestern bombardierte ein saudischer Kampfjet im Jemen einen Minivan und tötete alle fünf Insassen der Alazi-Familie, wie eine Quelle im jemenitischen Gesundheitsministerium gegenüber JusticeNow! erklärt. Bei dem Angriff wurden der Fahrer Yehia Ghaleb Alazi, seine Frau, ihre zwei kleinen Kinder sowie eine weitere Frau der Alazi-Familie getötet, so Dr. Yousef Alhadri, der Sprecher des Gesundheitsministeriums, gegenüber dem Autor. Mehrere Passanten seien verletzt worden.
    Eine der getöteten Frauen sei schwanger gewesen. Der Angriff ereignete sich im Kitaf-Direktorat im Nordwesten des Jemen im Sa’da-Gouvernement. Zwei Quellen vor Ort bestätigten den Angriff per Telefon gegenüber der chinesischen Xinhua News Agency.
    „Das Gesundheitsministerium verurteilt den Angriff der Saudi-Emirate-Kriegskoalition auf das Auto eines Zivilisten aufs Schärfste“, so Dr. Alhadri weiter gegenüber JusticeNow!. Der Angriff ereignete sich auf einer öffentlichen Überlandstraße, es waren keine Houthi-Kämpfer in der Nähe, als die Bomben auf den Minivan abgeworfen wurden.
    „Überall waren Leichenteile verstreut“, heißt es in einem Statement des jemenitischen Gesundheitsministeriums, das für diesen Artikel aus dem Arabischen übersetzt wurde. (Dr. Alhadri übermittelte dem Autor auch mehrere Bilder der Leichen und des Tatorts, die jedoch um Längen zu grausam sind, um hier veröffentlicht zu werden.)
    Weiter „verurteilt“ das Gesundheitsministerium „das internationale Schweigen gegenüber dem Leiden im Jemen, das durch verschiedenste Verbrechen fortgeführt wird – sei es durch ein direktes Blutbad wie dieses, oder die ökonomische Abriegelung des Landes.“
    Quelle: JusticeNow!
  17. Schlechte Zahlungsmoral – Freie Journalisten beklagen erschwerte Recherche
    Ausstehende Honorare in vierstelliger Höhe haben den Journalisten Christian Gesellmann zu einem wütenden Text bewogen. Auch Kollegen von ihm beschweren sich über säumige Auftraggeber – und die negativen Folgen für die Berichterstattung. […]
    Denn Journalisten mit Geldsorgen haben keine Zeit für aufwendige Themen. Christian Gesellmann zum Beispiel hat überregionale Geschichten geschrieben, auch für große Zeitungen. Das macht er inzwischen kaum noch.
    Anfang Oktober ist dem freien Journalisten aus Leipzig der Kragen geplatzt. Seinem Ärger hat er auf Facebook Luft gemacht. Anlass für den langen Post war „der übliche Blick aufs Konto, halt so in der zweiten Woche vom Monat. Und das halt wieder eine Woche, wo vier, fünf Leute, die mir hätten Geld überweisen sollen, also Auftraggeber, das wieder nicht gemacht haben“.
    Er habe Honorare in vierstelliger Höhe ausstehen, zum Teil noch aus dem Juni, schreibt Christian Gesellmann auf Facebook – und das im Oktober. Sein Dispo sei fast ausgereizt. Wenn er bei Auftraggebern nachfrage, sei niemand zuständig. Es sei erniedrigend, auf diese Art betteln zu müssen: […]
    Der 35-Jährige steht mit seinem Problem nicht allein da. Das zeigen zum einen die Kommentare unter seinem Facebook-Eintrag. „Einen Post der so oft geteilt wird, habe ich noch nie geschrieben“, sagt er.
    Das zeigen aber auch Berichte vom Verband Freischreiber, der sich für die Belange von freien Journalistinnen und Journalisten einsetzt. Seit zwei Jahren landen dort besonders viele Anfragen von Mitgliedern, die an säumigen Auftraggebern verzweifeln.
    Quelle 1: Deutschlandfunk
    Quelle 2: Der Facebook-Beitrag von Christian Geselmann

    Anmerkung Jens Berger: Dieses Problem kenne ich aus meinen Zeiten als freier Journalist selbst zu Genüge. Interessanterweise waren es damals fast ausschließlich größere, kommerzielle Medien, deren Zahlungsmoral erbärmlich war – darunter die Wochenzeitung eines Verlagserben, der sich in der Öffentlichkeit gerne als soziales Gewissen der Nation inszeniert – während alternative Medien in diesem Punkt geradezu vorbildlich waren.

  18. Journalisten und Politiker: Weltanschaulich eng miteinander verbunden
    Die Wächter der Demokratie erblinden zunehmend und werden immer unfähiger, zentrale politische Weichenstellungen zu kritisieren
    Dieses Foto muss man auf sich wirken lassen: Da steht der SPD-Politiker Olaf Scholz (Teilnehmer an der Bilderberg-Konferenz) im edlen Zwirn auf einem roten Teppich, rechts neben ihm direkt an der Seite Caren Miosga, Journalistin und Moderatorin der Tagesthemen, und links neben ihm Julia Jäkel, die mächtige Verlagsfrau von Gruner + Jahr (Teilnehmerin an der Bilderberg-Konferenz). Die drei präsentieren sich vor versammelten Fotografen.
    Es ist der 28. April 2017. Jener Tag, an dem in Hamburg der Henry-Nannen-Preis an herausragende Journalisten verliehen wird. Miosga hat an diesem Abend die Moderation übernommen. Zu sehen sind Bilder von Spitzen aus Medien, Kultur, Wirtschaft und Politik. Bilder wie diese, auf denen sich Journalisten bei unterschiedlichen Anlässen ablichten lassen, ganz so, als seien sie Teil der Celebrities, als seien sie Stars, Hollywoodschauspielern gleich, finden sich viele im Netz. Da spielt die Frage, ob sich ein Journalist gemeinsam lächelnd mit einem Politiker auf einem “Laufsteg” präsentieren und fotografieren lassen sollte, längst keine Rolle mehr. Die zu sehenden Journalisten haben die Frage offensichtlich für sich beantwortet.
    Teile der journalistischen Elite in Deutschland scheinen kein Problem damit zu haben, gemeinsam am Abend mit Politikern zu feiern – ganz so, als ob hier jene roten Warnlampen, die die Grenzen zwischen Journalisten und Politikern markieren, nicht existierten. So lässt sich auch erklären, dass der Spiegel seine “Hauptstadtparty” gemeinsam mit Politikern feierte. Unter dem Link finden sich Bilder, die der Spiegel selbst publiziert hat. Sie zeigen etwa, wie Spiegel-Redakteur Ralf Neukirch mit Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer um die Wette strahlt, sich der Leiter des Spiegel-Hauptstadtbüros, René Pfister, unter anderem mit Bundesjustizministerin Katarina Barley oder der Bundesfamilienministerin Franziska Giffey charmant lächelnd unterhält, oder der FDP-Parteivorsitzende Christian Lindner die Hände von führenden Spiegelredakteuren schüttelt.
    Quelle: Marcus Klöckner auf Telepolis

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