SPD-Vorsitz – Die Schnappatmung der konservativen Medien

SPD-Vorsitz – Die Schnappatmung der konservativen Medien

SPD-Vorsitz – Die Schnappatmung der konservativen Medien

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

„Eine fatale Wahl“, ein“ Bild des Schreckens“, ein „Trauerspiel“, „alles gaga, alles wurscht“ – so kommentieren die konservativen Zeitungen den Sieg der sozialdemokratischen Politiker Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans beim Mitgliedervotum der SPD zum designierten Parteivorsitz. Warum diese Schnappatmung? Wollen Esken und Walter-Borjans etwa eine Räterepublik auszurufen und Springer und Co. enteignen? Die harschen Reaktionen zeigen einmal mehr, wie brachial Teile der Medien jede potentielle Hoffnung auf eine progressive Politik niederzutrampeln versuchen. Frei nach Lenin könnte man vage optimistisch formulieren: „Sage mir, wer dich kritisiert, und ich sage dir, was du richtig gemacht hast“. Von Jens Berger.

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In den wesentlichen Punkten sind sich nahezu alle Kommentatoren einig. Die SPD-Mitglieder hätten einen „radikalen Linksruck“ beschlossen und die alles dominierende Frage sei nun der Fortbestand der Großen Koalition. Albrecht Müller hatte dies schon treffend kritisiert.

Lesen Sie dazu auch: Albrecht Müller – „Scholz will die neue SPD-Führung unterstützen. Gut so. Die Konsequenz wäre, das Amt des Finanzministers und Vizekanzlers zur Verfügung zu stellen.
Und: Albrecht Müller – „Doch eher trübe Aussichten und eine himmelschreiende Qualität unserer Medien. Eine Nachlese zum Parteivorsitz der SPD und zum Echo. Plus Leserbriefe.

Erstaunlich ist zudem, welche Sorgen sich vor allem die konservativen Presseorgane über die Zukunft der SPD machen. Frank Pergande unkt in der FAZ, die SPD „schaffe sich ab“, sein Kollege Jasper von Altenbockum sieht in der Wahl ein „Trauerspiel für die SPD und [die] Koalition“. Christoph Schwennicke beschreibt die Wahl im Cicero als „fatal“ – die „SPD [habe] ihren Untergang gewählt“. „Diese Partei [habe] sich selbst abgewählt als maßgebliche Kraft des politischen Betriebs in Deutschland.“ Der Cicero-Chefredakteur Alexander Maguier sekundiert: „Die Partei nimmt sich damit politisch aus dem Spiel“. Das Ergebnis sei „in der Tat so verheerend, dass es völlig unklar ist, wie die deutschen Sozialdemokraten damit je wieder auf die Beine kommen wollen“. Das ist freilich eine interessante Frage, wenn man bedenkt, dass die SPD zur Zeit in den Umfragen bei 14% steht – und dies, „obwohl“ sie stets den Empfehlungen von FAZ und Co. gefolgt ist.

Untergangsphantasien plagen auch Thomas Schmid von der WELT – „Die SPD gibt es nicht mehr“. „Was bleibt, ist eine Sozial-NGO und das Gefühl: alles gaga, alles wurscht“. Die BILD lässt stellvertretend sogar Willy Brandts „entsetzte“ Witwe Brigitte Seebacher zu Wort kommen: „Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie Willy Brandt und Helmut Schmidt jetzt im Himmel sitzen und das Drama mitansehen müssen…“ – gerade so, als hätte Willy auf seiner Wolke den neoliberalen Kurs und die Abkehr seiner Partei von seiner Friedenspolitik mit Wohlwollen verfolgt.

Seit wann ist der FAZ, dem Cicero, der WELT oder der BILD eigentlich etwas am Wohl der SPD gelegen? Die Ideale der Sozialdemokratie sind diesen Medien doch eigentlich so fern wie dem Mitgliedsblatt der Schlachterinnung die Ideale des Veganismus. Der große Nutzen für diese Blätter war ein ganz anderer. Im Englischen gibt es das Sprichwort „Only Nixon could go to China“. Im Deutschen würde man wohl sagen: „Nur die SPD konnte den Sozialstaat demontieren“. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan. Die Krokodilstränen der Edelfedern wirken da doch angestrengt aufgesetzt.

Andersherum könnte man sagen: Wenn die SPD von Jasper von Altenbockum, Christoph Schwennicke, Thomas Schmid oder Paul Ronzheimer gelobt würde, würde sie sicherlich nicht sozialdemokratisch agieren. Kein Wunder, dass alle vier Autoren lobende Worte für Olaf Scholz finden und sich nun große Sorgen um seine politische Zukunft machen.
Für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans haben diese vier Blätter – was wenig überraschen dürfte – keine lobenden Worte übrig. Alexander Marguier nennt Esken im Cicero „eine intellektuell eher einfach gestrickte Hinterbänklerin“ und ein BILD-Autorenteam beschreibt sie als „wenig teamfähige Hardcore-Linke“. Der stellvertretende BILD-Chef Ronzheimer rückt sie gar in die Nähe von „Fidel Castro, Erich Honecker und Nicolas Maduro“ und wünscht ihr nun in der Opposition eine „Dienstreise zur Weiterbildung nach Venezuela“. Dort könne „sie sich dann vor Ort ein Bild machen, wie der Sozialismus funktioniert“. Geh´ doch nach drüben, wenn es dir hier nicht passt. Die alten, bösen Lieder wurden nie begraben.

Walter-Borjans ist für den Cicero schlicht ein „Polit-Rentner“. BILD nennt ihn einen „Wirtschaftstheoretiker“, der als NRW-Finanzminister „rekordverdächtiges geschaffen [habe]: drei verfassungswidrige Haushalte, gerichtlich kassiert. Zu viele Schulden!“. Die FAZ formuliert dies vorsichtiger: Walter-Borjans habe das Amt „mittelprächtig ausgefüllt“ und fragt sich, wie er nun „aber Autorität gegenüber einem Bundesfinanzminister entwickeln [solle], der zehnmal so viel Erfahrung hat wie er.“ Eine Informatikerin und ein Wirtschaftstheoretiker an der Spitze einer Partei? Nun ja. Die letzten Vorsitzenden der SPD waren eine Germanistin, ein Buchhändler und ein Volkshochschullehrer. Und es soll ja sogar Physikerinnen geben, die Politik machen.

Die Vita der designierten SPD-Vorsitzenden treibt Thomas Schmid in der WELT zu einem geradezu tollkühnen Vergleich: „Die SPD hat in ihrer langen Geschichte immer darauf geachtet, dass an ihrer Spitze Persönlichkeiten standen, die in die bürgerliche Gesellschaft hinein ausstrahlten: Lassalle, Liebknecht, Bebel, Ebert, Wels, Brandt, auch Schröder auf seine Weise noch“. Nun waren zwar weder Lassalle noch Liebknecht (gemeint ist hier wohl Wilhelm Liebknecht) Vorsitzende der SPD, aber es sollte klar sein, dass mit Ausnahme von Gerhard Schröder keiner der genannten Politiker „in die bürgerliche Gesellschaft hinein ausstrahlte“ – die genannten Politiker wurden vielmehr bis aufs Messer von der bürgerlichen Gesellschaft und der bürgerlichen Presse bekämpft. Würde ein Schüler diesen Satz im Fach Geschichte schreiben, würde er wohl durchfallen – aber dafür stünde ihm einen Karriere als WELT-Chefredakteur und -Herausgeber offen.

Die große Frage, die sich diese vier Medien stellen, ist jedoch, wie es denn nun mit der Koalition weitergeht. Dass die SPD die Union zu inhaltlichen Kompromissen bewegen könnte, steht dabei noch nicht einmal zu Debatte. WELT und BILD favorisieren bereits jetzt eine Minderheitsregierung der CDU. „Der Populismus [der SPD habe] gegen [die] Vernunft gesiegt“ und deswegen müsse die CDU nun „darüber nachdenken, wie bis auf weiteres ohne SPD regiert werden kann“, so die BILD in ihrem Stakkato-Deutsch. Die WELT empfiehlt der Union nun „die SPD-Minister durch eigene Leute zu ersetzen und sich in aller Ruhe auf einen Urnengang 2021 vorzubereiten“. „Merkel [könne] mit einer Vizekanzlerin Annegret Kramp-Karrenbauer das Land durch die EU-Ratspräsidentschaft führen“. So weit müsste es jedoch gar nicht kommen, wenn der Parteitag der SPD Jasper von Altenbockum folgt. „Inmitten der fortgesetzten Selbstbeschäftigung und Hassliebe zur Regierung könnte der Parteitag dann doch noch auf die Idee kommen zu sagen: Lasst uns das Trauerspiel beenden. Esken und Walter-Borjans könnten nicht wirklich widersprechen“. Aus diesen Zeilen spricht das ganze Demokratieverständnis der FAZ – lasst sie doch wählen, was sie wollen, wir machen eh, was wir wollen.

Diese eindeutigen Stimmen sind nur ein Vorgeschmack darauf, mit welcher Härte diese Medien nun Stimmung gegen jedes noch so kleine Fünkchen Hoffnung an einer inhaltlichen Neuorientierung der SPD machen werden. Die Kampagnenmaschine läuft sich warm. Es bleibt abzuwarten, ob Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans die Kraft und vor allem den Rückhalt in der Partei haben, um das Stahlgewitter der Edelfedern zu überstehen.

Titelbild: photocosmos1/shutterstock.com