In Bayern werden nun doch Schülerdatenbanken eingeführt

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Am 19.05. hat der Bayerische Landtag die umstrittene Schülerdatenbank verabschiedet. Dem entsprechenden Gesetzentwurf [PDF – 511 KB] stimmten CSU und FDP zu; Freie Wähler, SPD und Grüne lehnten ihn ab. Die Einführung einer Schülerdatenbank wird von CSU und FDP mit folgender Begründung gerechtfertigt: „Das neue Verfahren soll schulübergreifende Verwaltungsabläufe vereinfachen, Berichtswege vereinheitlichen und damit übersichtlicher machen, die Bildungsplanung durch rascher verfügbare und valide Daten optimieren und die Schulstatistik modernisieren. “ Der bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) sagte: „Wir schlagen einen Weg ein, der bundesweit beispielgebend ist“. Die Landeselternvereinigung bayerischer Gymnasien (LEV) behält sich eine Klage beim Verfassungsgericht vor und zieht alternativ ein Volksbegehren in Erwägung. Die Bildungsgewerkschaft GEW und die Landesschülervertretung protestieren ebenfalls gegen das Gesetz, ebenso Elternverbände und Elternbeiräte. Das Gesetz tritt am 1. Juni in Kraft, ein bayernweiter Betrieb des neuen Verfahrens soll zu diesem Zeitpunkt noch nicht umgesetzt werden. Nach Inkrafttreten der Rechtsgrundlage beginnen die notwendigen Vorbereitungsarbeiten an ausgewählten Testschulen, die zwei Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes abgeschlossen sein sollen. Von Christine Wicht

Das Gesetz sieht vor die Schülerdaten nicht nur in Schulen sondern auch in einer zentralen Datenbank im Rechenzentrum Süd des Statistischen Landesamtes zu speichern. Dort sollen die Daten anonymisiert gespeichert werden. Es handelt sich dabei um einen so genannten Stammdatensatz und um einen erweiterten Datensatz (Erhebungsmerkmale). Der Stammdatensatz enthält personenbezogene Daten des Schülers, die bei der Schule noch 6 Jahre nach dem Ausscheiden eines Schülers gespeichert und erst dann gelöscht werden sollen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Schüler die Schule unterbrechen kann (Auslandsaufenthalt, Lehre) und dann wieder an die Schule zurückkehren kann, ohne dass es einer nochmalige Datenerfassung bedarf.
Außerdem speichert die Schule:

  1. nicht schuljahresbezogene Daten,
    wie Name, Vornamen, Tag der Geburt, Geburtsort, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, Migrationshintergrund (Geburtsland, Jahr des Zuzugs nach Deutschland, Muttersprache deutsch/nicht deutsch), Religionszugehörigkeit (soweit in der Schulpraxis erforderlich), Jahr der Ersteinschulung, erworbene Abschlüsse, Adressdaten, schulische Daten, Leistungsdaten, Daten zur schulischen und beruflichen Vorbildung sowie zur Berufsausbildung, bei den Lehrkräften insbesondere Name und Angaben zur Lehrbefähigung und zum Unterrichtseinsatz, von den Erziehungsberechtigten Name und Adressdaten
  2. und schuljahresbezogene Daten
    wie Daten zur Förderung (sonderpädagogische Förderung, Teilleistungsstörungen, sonstige Fördermaßnahmen), ganztägige Betreuung, Schülerheim oder Internat, Gastschulverhältnis, übertrittsrelevante Daten zur Schullaufbahn (aktuell besuchte Schule, Schulpflicht, Feststellung zur Übertrittseignung betreffend Hauptschule, Realschule und Gymnasium, Vorbildung, Austrittsdatum, Zielschule), Daten zum aktuellen Unterricht (Jahrgangsstufe, Bildungsgang, Fremdsprachen, Berufsausbildung, Erreichen des Ziels der Jahrgangsstufe [ja/nein], Art der Wiederholung, Art des Vorrückens).

Die Daten über Schulleistungen werden 1 Jahr nach Abschluss des jeweiligen Schuljahres gelöscht (beispielsweise werden Daten, die in der 10. Klasse erfasst werden, am Ende der 11. Klasse gelöscht). Die Schule erfasst den Stammdatensatz und den erweiterten Datensatz und schickt dann beide Datensätze an das Statistische Landesamt Süd. Diese Daten werden dort sofort getrennt und anonymisiert und mit so genannten Kennziffern versehen. Wodurch anonyme statistische Abfragen ermöglicht werden sollen.

Die bayerischen Landtagsgrünen lehnen die Pläne der Staatsregierung, eine Schülerdatenbank zu schaffen, vehement ab: “Bayern braucht eine gute Bildungspolitik und keinen gläsernen Schüler”, sagte die Sprecherin für Datenschutz Christine Kamm, außerdem sei die missbräuchliche Verwendung der Daten nicht auszuschließen. Dieses Risiko stehe in keinerlei Verhältnis zum fragwürdigen Nutzen des Projekts. Der pädagogischen Nutzen einer lückenlose Erfassung von Bildungsverläufen sei nicht nachzuvollziehen. Die Grünen kritisierten insbesondere die strikte Verpflichtung der Schülerinnen und Schüler und deren Eltern, alle geforderten Daten zum Migrationshintergrund zwingend abgeben zu müssen. Auch die SPD-Bildungspolitikerin Margit Wild, Mitglied im Landtagsausschuss für Bildung, Jugend und Sport, lehnt die Einführung einer Schülerdatenbank kategorisch ab, da die Gefahr von Stigmatisierung und Missbrauch nicht auszuschließen seien und mit der bisherigen Erstellung von Schülerstatistiken dem Anliegen der Schulverwaltung ausreichend gedient sei. Nicht verstehen könne sie die Haltung der FDP, die noch nach Abschluss des Koalitionsvertrages mit der CSU bei diesem Thema getönt hatte: “Diese Kuh ist vom Eis!” Nach Meinung der Vertreterin der Freien Wähler, Eva Gottstein MdL, seien notwendige Schülerdaten schon jetzt in den Schulen vorhanden, in verschlossenen Aktenschränken, obwohl dies altmodisch wirke, sei das eine sehr sichere Maßnahme (Quelle: Main Post).

SPD, Grüne und Freie Wähler sprechen von einem „Gläsernen Schüler“, während CSU und FDP lediglich von einem gläsernen Verfahren sprechen. Diejenigen, die Hoffnung in die FDP gesetzt haben, die seit Herbst 2008 gemeinsam mit der CSU Bayern regiert und bekanntermaßen liberale Werte und Bürgerrechte gern nach vorne stellt, sind herb enttäuscht worden. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) äußerte sich in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung, warum die FDP nach anfänglicher Ablehnung nun doch dem Gesetz zugestimmt hat. Es handele sich nicht mehr wie von der CSU gefordert um eine allgemeine Datenbank, sondern es werden die Daten, die sowieso gesammelt werden, nun systematisch erhoben. Daten würden heute an Schulen einfach so herumliegen auf Zetteln, Karteikarten, auf welche die jeweilige Schule zugreifen könne, nicht aber Schulbehörden. Nur wenige Personen sollen die Daten abrufen dürfen. Jede Abfrage müsse nun protokolliert werden. Dem Vorwurf der Opposition die FDP sei umgefallen, entgegnete Leutheuser-Schnarrenberger, dass es keine gläsernen Schüler mit Identifikationsnummer gebe (Quelle: SZ).

Die Piratenpartei hat sich in der Vergangenheit vehement gegen eine Schülerdatenbank ausgesprochen und eine E-Mail-Aktion gestartet, bei der sich Bürger an die bayerischen Landtagsabgeordneten wenden und ihre Bedenken bezüglich der zentralen Datensammelwut und der Gefahr des Missbrauchs äußern sollten. Die Piratenpartei Ingolstadt forderte alle Landtagsabgeordneten der Region dazu auf, gegen das Gesetz zu stimmen, da die zentrale Sammlung von personenbezogenen Daten die Gefahr eines Missbrauchs mit sich bringe und das Recht der Schüler auf informationelle Selbstbestimmung verletze. Außerdem würden persönliche Daten der jetzigen und auch der ehemaligen Erziehungsberechtigten gesammelt sowie Ursachen für Nichtversetzung, Religionsangehörigkeit der Eltern, bei Kindern mit Migrationshintergrund das Herkunftsland und das Jahr des Zuzugs und viele weitere nicht den Unterricht betreffende persönliche Daten. Diese würden dann an eine zentrale Datenbank weitergeleitet und bis zum sechsten Jahr nach Abschluss der Schulausbildung des Kindes gespeichert. Des Weiteren sehen die Piraten die Sicherheit der Daten kritisch, denn auch wenn der Landesdatenschutzbeauftragte Bayerns in einer Diskussion zusicherte, dass die Daten sicher seien, weil ein Missbrauch “de jure” nicht möglich sei, waren nach Meinung der Piraten Daten noch nie sicher, nur weil ein Gesetz ihren Missbrauch verbiete. Dass das Rechenzentrum Süd des Landesamtes für Statistik, bei dem diese Daten gesammelt werden, dem Innenministerium unterstehe, mache die Nutzung der Schülerdaten einzig zum Zweck der Verbesserung der Bildung dabei nicht wahrscheinlicher (Quelle: Piratenpartei Ingolstadt). Laut Aussage von Andreas Fischer, FDP, habe der jetzige vorgelegte Gesetzentwurf der Staatsregierung nichts, aber auch rein gar nichts mehr mit dem Gesetzentwurf zu tun, den die FDP im Winter 2008/2009 gestoppt habe. Tatsächlich ist der Plan einer Schülerdatenbank mit Schüleridentifikationsnummer vom Tisch. Die FDP stützt sich darauf, dass der nun abgestimmte Gesetzentwurf von der bayerischen Datenschutzbehörde akzeptiert worden sei. Der Bayerische Datenschutzbeauftragte, Thomas Petri, erörterte in einem Telefongespräch welche datenschutzrechtlichen Bedingungen seine Behörde für die Einführung einer Schülerdatenbank gestellt hat:

Zunächst wurde der Forderung der bayerischen Datenschutzbehörde, auf eine personenbezogene Datenverarbeitung zu verzichten, nach mehreren Gesprächen, nachgekommen. Es gibt nun auch keine zentrale Stelle mehr, die einen Zugriff auf die sensiblen Daten hat, ebenso lehnt Petri einen erweiterten Zugriff auf die persönlichen Daten ab. Auch das Kultusministerium kann nicht auf die Daten zugreifen, weder im Landesamt für Statistik noch an den Schulen. Die Schülerdaten dürfen nur von autorisierten Personen (Rektor, Sekretärin) an Schulen abgerufen werden, zuvor muss ein Passwort eingegeben und jeder Zugriff protokolliert werden, damit soll jeder Missbrauch sofort auffallen. Die anonymisierten Daten werden zentral beim Statistischen Landesamt gehostet. Der im Landesamt für Statistik angesiedelte IT-Dienstleister „Rechenzentrum Süd“ entspreche, so Petri, höchsten Datenschutzanforderungen. Es werden zwar die persönlichen Daten von den Schulen an das Landesamt für Statistik geschickt, doch werden die Daten dort sofort einem technischen Prozess unterzogen, in welchem die Daten (Stammdaten und Erhebungsmerkmale) getrennt und eine Anonymisierung nach technischen Merkmalen, vorgenommen wird. Thomas Petri war im Rahmen der gesetzlichen Mitwirkung in das Gesetz eingebunden. Eine seiner zentralen Forderungen war ein pseudonymisiertes Verfahren, das so angelegt sein muss, dass keine Rückschlüsse ermöglicht werden können, diese Forderung sei nun erfüllt. Vor allem war ihm wichtig, dass keine Bildungsverläufe der Schüler erstellt werden können. Das abgestimmte Gesetz sei in Übereinstimmung mit dem statistischen Landesgesetz. Petri legt Wert darauf, dass dies eine rein politische Entscheidung war, die Sinnhaftigkeit der Datenbank kann er nicht beurteilen, er habe das Gesetz rein datenrechtlich auf die Zulässigkeit überprüft und wird in zwei Jahren, wenn die Evaluation angesetzt ist, das Verfahren datenrechtlich genauestens prüfen.

Der Bürgerwiderstand hat die Schülerdatenbank nicht verhindern können. Ein kleiner Trost ist zumindest, dass der Zugriff auf die Schülerdatenbank datenschutzkonform geregelt wurde. Doch Daten können nie hundertprozentig vor Missbrauch sicher sein, es besteht immer ein Risiko. Fachleute aus der Piratenpartei weisen darauf hin, dass Daten noch nie sicher waren, nur weil ein Gesetz ihren Missbrauch verbietet. Es ist nicht auszuschließen, dass auch ohne persönliche Identifikationsnummern eine Missbrauchsgefahr besteht oder sich Hacker Zugang zur Schülerdatenbank verschaffen. Von Datendiebstahl einmal ganz abgesehen.

Von Seiten der Regierung scheinen die Gefahren der Datenspeicherung vollkommen ausgeblendet zu werden, im Vordergrund steht die Erstellung von Statistiken. Ob es überhaupt Sinn macht eine teure Datenbank zu etablieren, die auch dauerhaft verwaltet werden muss, wird sich zeigen. Außerdem ist die Erstellung von Statistiken eine kostspielige Angelegenheit. Nachdem sich die Vorstellungen der CSU, nämlich eine Schülerdatenbank zu etablieren, um Rückschlüsse ziehen und Lebensläufe nachvollziehen zu können, nicht durchsetzen konnten, ist die Sinnhaftigkeit des jetzigen Verfahrens ohnehin in Zweifel zu ziehen.

Höchst problematisch ist, dass das Gesetz keine Einspruchsmöglichkeiten vorsieht, mit welchen die Datenweitergabe verhindert werden kann. Das verstößt gegen rechtsstaatliche Prinzipien und widerspricht dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Man darf gespannt sein, ob das einer gerichtlichen Überprüfung standhält.
Die Regierungspartein in Bayern erwecken den Eindruck als wäre die mangelnde Datenerfassung eine wesentliche Ursache von Schulproblemen. Damit wird aber eher davon abgelentk, dass auch im bayerischen Bildungssystem Vieles im Argen liegt. Statt erhebliche politische Energie und Ressourcen in die Datensammlung zu investieren, wäre es viel wichtiger, dass von den Akteuren der Bildung die Nöte der Lehrer, Schüler und Eltern endlich ernst genommen würden und nach Abhilfe gesucht würde. Statt in eine Schülerdatenbank zu investieren, deren Nutzen zweifelhaft ist, wäre das bayerische Kultusministerium besser beraten ein Schulsystem zu etablieren, das die hinreichend bekannte Benachteiligung von Kindern aus ärmeren Familien und Migrantenfamilien endlich abbaut, statt – wie es en vogue ist – Eliten zu fördern. Chancengleichheit ist ein wichtiges Element von sozialem Wohlstand, innerer Sicherheit und innerem Frieden. Solange diese Zusammenhänge von politischer Seite nicht erkannt und vorausschauende Lösungsangebote entwickelt werden, sind Schülerdatenbanken bestenfalls Archive für das Versagen der Bildungspolitik und der nachträglichen Erfassung des individuellen Scheiterns von Bildungslaufbahnen.

Quelle: Gesetzentwurf der Bayerischen Staatsregierung vom 23.02.2010, Drucksache 16/3827 [PDF – 511 KB]

Rubriken:

Bildungspolitik

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