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Heute unter anderem zu folgenden Themen: USA drängen Deutschland zum Schuldenmachen; Banken bekamen vier Billionen Euro aus Rettungspaket; Hypo – Aufsichtsräte mitschuldig; Otte: wo man mehr Staat braucht; USA-Aufschwung macht Angst; Beziehungspflege mit Arabien; Wirtschaftsinteressen militärisch durchsetzen; Müntefering warnt vor Krieg der Generationen; Kopfpauschale; Gesundheitswesen; Sparvorschläge des BDI; Amnesty rügt Berlin; BP hat mehr Macht als US-Regierung; extremer als die Polizei erlaubt; CDU laufen die Mitglieder weg; Jugendliche mit Migrationshintergrund am Arbeitsmarkt doppelt benachteiligt; Streitpunkt Studiengebühren; Massenproteste gegen Sarkozys Reformen. (WL)

  1. USA drängen Deutschland zum Schuldenmachen
  2. Banken bekamen vier Billionen Euro aus Rettungspaket
  3. Hypo-Fehlkauf: BayernLB-Aufsichtsräte mitschuldig
  4. Max Otte: Wir brauchen hier unbedingt viel mehr Staat!
  5. USA: Dieser Aufschwung macht Angst
  6. Beziehungspflege mit Arabien
  7. Köhler: Wirtschaftsinteressen militärisch durchsetzen
  8. Müntefering warnt vor Krieg der Generationen
  9. Kopfpauschale: Sozialausgleich verursacht mindestens 250 Millionen Euro Verwaltungskosten pro Jahr
  10. Gesundheitswesen
  11. Die Sparvorschläge des BDI. So soll sich auch weiter an den Löhnen der abhängig Beschäftigten vergriffen werden.
  12. Menschenrechtsorganisation rügt Berlins Praxis in Folterstaaten abzuschieben
  13. “BP hat mehr Macht als die US-Regierung”
  14. Den Bankensektor neu ordnen – und mit der Vergesellschaftung beginnen
  15. Extremer als die Polizei erlaubt
  16. CDU laufen auch noch die Mitglieder weg!
  17. DGB: Jugendliche mit Migrationshintergrund: Am Arbeitsmarkt doppelt benachteiligt
  18. Nordrhein-Westfalen: Streitpunkt Studiengebühren
  19. Massenproteste gegen Sarkozys Pensionsreform

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. USA drängen Deutschland zum Schuldenmachen
    Transatlantische Misstöne: Die USA und Deutschland streiten offen über notwendige Finanzreformen und das weltweite Krisenmanagement. So fordert US-Finanzminister Timothy Geithner von der Bundesregierung, endlich für mehr Wachstum zu sorgen – notfalls auch auf Pump. Sein deutscher Kollege widerspricht.
    Einen Monat vor dem entscheidenden G20-Finanzgipfel in Kanada gibt es zwischen Deutschland und den USA Differenzen über das weltweite Krisenmanagement und schärfere Finanzmarktregeln. Dies wurde bei einem Treffen zwischen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und seinem US-Kollegen Timothy Geithner in Berlin deutlich. Beide Minister betonten nach ihrem Treffen zwar den Willen zu einer gemeinsamen Lösung und lobten das „intensive Gespräch“. Sie verwiesen aber auf unterschiedliche Ansätze.
    Beim G-20-Gipfel Ende Juni geht es darum, international abgestimmt das Finanzsystem und die Weltwirtschaft krisenfester zu machen. Die von der Bundesregierung geforderte globale Steuer auf Finanzgeschäfte lehnt Washington bislang ab. Die Amerikaner fürchten auch, dass übermäßige Sparanstrengungen in Deutschland und Europa die Erholung der Weltwirtschaft gefährden könnten. Nach Meinung Washingtons könnten vor allem Deutschland und China mehr tun.
    Schäuble verteidigte den Kurs Berlins und anderer Euro-Staaten, die Staatsdefizite drastisch zu verringern. Diese seien eine Hauptursache der Euro-Krise. „Sie müssen maßvoll reduziert werden.“ Gleichzeitig wolle die Bundesregierung Anreize für mehr Beschäftigung geben. Schäuble erklärte, anders als die USA habe Deutschland mit einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung zu kämpfen – bei gleichzeitig gedämpften Wachstumsperspektiven. „Das muss beim Defizit mehr berücksichtigt werden, als bei einem Land mit einer weit stärkeren Wachstumsdynamik wie den USA“.
    Geithner sagte dagegen, Wachstum und Beschäftigung dürften nicht aus dem Blickfeld geraten. Es sei eine „ausgewogene Strategie“ nötig. Ausdrücklich hob Geithner China hervor. Die Chinesen hätten erkannt, dass die Inlandsnachfrage gestärkt werden müsse.
    Quelle: Die Welt
  2. Banken bekamen vier Billionen Euro aus Rettungspaket
    Auf dem Höhepunkt der Krise hätten die Banken im Durchschnitt 30 Prozent ihrer Gesamtfinanzierung aus dem europäischen Rettungsfonds bestritten, sagte der Kommissar. Inzwischen sei der Anteil auf vier Prozent zurückgegangen. Es sei entscheidend, dass die Banken nicht mehr von öffentlicher Finanzierung abhängig seien. Insgesamt habe die Kommission bisher 4.131 Mrd. Euro an staatlicher Unterstützung abgesegnet. Drei Viertel davon seien Garantien gewesen.
    Quelle: Die Presse.com
  3. Hypo-Fehlkauf: BayernLB-Aufsichtsräte mitschuldig
    Die BayernLB-Führung hätte sich vor dem Kauf der Hypo nicht genügend über die Risiken informiert, sagt ein Gutachten. Nun wird geklärt, inwieweit Vorstand und Verwaltungrat haftbar gemacht werden können.
    Ein deutsches Gutachten deutet an, dass die Verwaltungsräte (Aufsichtsräte) der Bayerischen Landesbank (BayernLB) eine Mitverantwortung für den Kauf der österreichischen Hypo Group Alpe Adria HGAA) tragen. Sie hätten sich informieren müssen, fasst das “Handelsblatt” in seiner Dienstagausgabe aus dem Gutachten zusammen. Der Experte fragt sich auch, ob die gesamte Expansion überhaupt vom öffentlichen Auftrag gedeckt war. Die Expertise wird als Munition für Bayerns Opposition gewertet, die den Kontrollorganen der Bayern-Bank Versagen vorwirft.
    Mitglieder des Verwaltungsrates waren damals unter anderem der ehemalige Innenminister Günther Beckstein (CSU), Staatssekretär Georg Schmid (CSU), Ex-Wirtschaftsminister Erwin Huber (CSU) sowie der ehemalige bayerische Finanzminister Kurt Faltlhauser (CSU). Einige der Politiker bekleiden weiterhin hohe Ämter. So ist Huber Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses des bayerischen Landtags. Schmid ist CSU-Fraktionschef.
    Quelle: Die Presse.com
  4. Max Otte: Wir brauchen hier unbedingt viel mehr Staat!
    Der Staat ist gerade im Hinblick auf die wirklich großen Fragen mittlerweile zu einer Lachnummer geworden. Wir brauchen kompetentere Beamte, wir brauchen Beamte, die dagegenhalten. Denken Sie nur einmal an die Runde, die sich zur Rettung der Hypo Real Estate (HRE) getroffen hat: Das waren die Vorstandsvorsitzenden der großen Privatbanken, ein paar Leute aus dem Kanzleramt und dem Finanzministerium. Das war eine geheime Runde, die auch gar nicht bekannt werden sollte, bis der “Spiegel” das Ganze aufgedeckt hat. Die Bankwirtschaft hat in dieser Runde gesagt: “Wir beteiligen uns am Schaden!”
    Der Staat hat wirklich abgedankt und hat sich aus zentralen Fragen der Verantwortung zurückgezogen. Auf der anderen Seite gibt es wiederum viel zu viel Staat bei der Reglementierung des täglichen Lebens beim normalen Bürger. Dort jedoch, wo es um Regeln für die Konzerne geht und um den Schutz des Bürgers vor den Konzernen, gibt es nur ganz, ganz wenig Staat. Dementsprechend sah in dieser Runde dann ja auch das
    Verhandlungsergebnis aus. Die Privatwirtschaft, die Bankenwirtschaft hat gesagt: “Wir beteiligen uns mit 40 Prozent am Schaden, der durch die Hypo Real Estate entstanden ist. Dies aber nur bis zu einer Obergrenze des Gesamtschadens von zehn Milliarden Euro.” Das heißt, die private Bankwirtschaft hat sich mit vier Milliarden an den Kosten beteiligt. Da es dann am Ende über 110 Milliarden geworden sind und ein Ende immer
    noch nicht abzusehen ist, muss gesagt werden, dass dieses Verhandlungsergebnis für den Staat absolut jämmerlich war. Und da waren wirklich die höchsten Vertreter unseres Staates eingespannt. Hier sieht man recht gut, wer da mit wem spielt.
    Ich fordere also nicht mehr Staat, sondern ich fordere, dass der Staat qualifizierter handelt, dass die Beamten besser qualifiziert sind, dass dort in diesen Ministerien das qualitativ gute Personal aufgestockt wird. Wir könnten den Staat zum Ausgleich in vielen Bereichen auch zurückfahren und in der Fläche reduzieren, wo er wirklich ausgeufert ist. Aber in diesen Kernfunktionen, bei denen der Staat ordnungspolitische Aufgaben
    übernehmen muss, brauchen wir einen stärkeren Staat und nicht “mehr Staat”…
    Wir stehen hier vor einer Gefährdung der Demokratie, wir befinden uns z. T. bereits in einer Geldwirtschaft, in einer Interessenwirtschaft, in der sich immer nur die starken Akteure durchsetzen, in der das Politische, in der der Kern des Politischen als Gegengewicht mehr und mehr aufgeweicht wird und z. T. schon gar nicht mehr vorhanden ist.
    Quelle: Bayerischer Rundfunk Alpha-Forum [PDF – 52 KB]
  5. USA: Dieser Aufschwung macht Angst
    Die amerikanische Wirtschaft wächst mit drei Prozent. Das reicht den Anlegern erst mal. Dabei bieten die US-BIP-Zahlen ein Bild des Grauens. Dass ein Land, dessen gesamtwirtschaftliche Investitionsquote um 4,5 Prozentpunkte unter der “Norm” liegt, einen negativen Außenbeitrag von 3,4 Prozent des BIPs fabriziert, sagt im Grunde alles über seine realökonomische Lage aus. Noch schlimmer scheint jedoch die finanzielle Seite der Medaille. Denn da die 14.601-Mrd.-$-Volkswirtschaft, deren nichtfinanzielle Sektoren – Verbraucher, Firmen, Staat – auf Schulden von 240 Prozent des BIPs sitzen, weiterhin eine nationale Nettoersparnis – brutto minus Abschreibungen – von minus 2,6 Prozent des BIPs aufweist, könnte sie aus eigener Kraft nicht mal ihren Kapitalstock erhalten. Doch was tun die Amerikaner, wenn ihre Zentralbank den Aufkauf von Wertpapieren in Billionenhöhe mal kurz einstellt? Sie sorgen sich um die Situation in der Euro-Peripherie. Lächerlich.
    Quelle: FTD
  6. Beziehungspflege
    Am heutigen Donnerstag beendet die deutsche Kanzlerin ihre Reise an den Persischen Golf zur Festigung des antiiranischen Bündnisses mit den Fürstentümern der Arabischen Halbinsel. Man werde den Druck auf Teheran aufrechterhalten, im Atomstreit mit den westlichen Industriestaaten nachzugeben, bekräftigten Regierungsvertreter in Abu Dhabi und in Riad im Anschluss an Gespräche mit Angela Merkel. Deutsche Außenpolitik-Experten erklären, die Zusammenarbeit mit den Feudalstaaten der Arabischen Halbinsel sei der einzige Weg, um den Aufstieg Irans zur Regionalmacht in den Ressourcengebieten rings um den Persischen Golf zu verhindern. Gelänge es Iran, sich zur Vormacht in Mittelost aufzuschwingen, dann dürfte sich der westliche Zugriff auf die dortigen Rohstoffe erschweren. Deutschland sieht sich zugleich auf der Arabischen Halbinsel einem rasch wachsenden Einfluss Chinas gegenüber. Man werde die Beziehungen zu den Staaten in Mittelost in Zukunft “intensiv pflegen”, um einen Einflussverlust gegenüber “asiatischen Ländern” zu vermeiden, kündigte die Bundeskanzlerin in Abu Dhabi an. Dies gilt nicht bloß für die wirtschaftliche, sondern auch für die militärpolitische Kooperation. Der Ausbau der deutsch-arabischen Militärzusammenarbeit erfolgt, während die Vereinigten Staaten verdeckte Operationen im gesamten Mittleren Osten starten. Damit sollen subversive Beziehungen zu verbündeten Kräften hergestellt und Vorbereitungen für einen Militärschlag gegen Iran ermöglicht werden.
    Die geostrategischen Hintergründe der deutschen Aktivitäten am Persischen Golf lassen sich an einem Positionspapier ablesen, das die Bertelsmann-Stiftung, einer der bedeutendsten deutschen Thinktanks auf dem Gebiet der Außenpolitik, gemeinsam mit dem Gulf Research Center (Dubai) kurz vor der Reise der Kanzlerin veröffentlicht hat. Das Dokument fasst die zentralen Ergebnisse einer Konferenz zusammen, die im Rahmen des Al Jisr-Projekts Mitte März in Berlin abgehalten wurde. Das Al Jisr-Projekt ist im Juli 2008 unter anderem vom Gulf Research Center und von der Bertelsmann-Stiftung initiiert worden, um die Beziehungen zwischen der EU und dem GCC zu intensivieren.
    Quelle: German Foreign Policy
  7. Köhler: Wirtschaftsinteressen militärisch durchsetzen
    Der Bundespräsident schwadroniert über Auslandsmissionen deutscher Soldaten – und bricht ein Tabu: Horst Köhler hält militärische Einsätze auch zur Verteidigung von ökonomischen Interessen für legitim. Imperialistische Töne vom deutschen Staatsoberhaupt?
    Entsprechend entsetzt ist die Opposition von den Äußerungen des Bundespräsidenten. “Köhler schadet der Akzeptanz der Auslandseinsätze der Bundeswehr”, sagte Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Bundestag zu Spiegel Online. Deutschland führe in Afghanistan keinen Krieg um Wirtschaftsinteressen, es gehe dort um die Sicherheit Deutschlands. Wer anderes behaupte oder fordere, “redet der Linkspartei das Wort. Wir wollen keine Wirtschaftskriege”, so Oppermann.
    Grünen-Fraktionsvize Frithjof Schmidt sagte: “Die Äußerungen von Bundespräsident Köhler sind brandgefährlich. Sie entsprechen weder der Rechtsgrundlage noch der politischen Begründung des Afghanistan-Einsatzes.” Köhlers Ausführungen offenbarten ein für das Präsidentenamt inakzeptables Verständnis von Verteidigungs- und Sicherheitspolitik.
    Der CDU-Politiker Ruprecht Polenz mühte sich um Schadensbegrenzung und räumte ein, Köhler habe sich wohl “etwas missverständlich” ausgedrückt. Das Interesse Deutschlands an freien Handelswegen stehe in keinem Zusammenhang mit dem Militäreinsatz in Afghanistan, stellte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages im Deutschlandfunk klar. Dort gehe es um die regionale und internationale Sicherheit.
    Horst Köhler hat sich weit aus dem Fenster gelehnt. Ob er wirklich sagen wollte, was er gesagt hat, ist nicht klar. Vom Bundespräsidialamt kam noch keine Klarstellung.
    Quelle: SZ

    Anmerkung WL: Merkwürdig moderate Reaktionen auf einen “Tabubruch”, der eher ein Verstoß gegen die Verfassung darstellt, weil damit die Bundeswehr von einer Verteidigungs- und  Parlamentsarmee zu einer imperialen Interventionsarmee umgedeutet wird.

  8. Müntefering warnt vor Krieg der Generationen
    Ein halbes Jahr nach seinem Rückzug als SPD-Bundesvorsitzender meldet sich Franz Müntefering mit der eindringlichen Mahnung zu Wort, sich stärker als bislang mit den Konsequenzen der alternden Gesellschaft auseinanderzusetzen. “Bislang sagt niemand in aller Deutlichkeit, wie schwerwiegend und folgenreich dieser Wandel sein wird. Die Zahlen liegen zwar vor, aber die Zusammenhänge werden nicht ausreichend beschrieben”, sagte Müntefering der Süddeutschen Zeitung.
    In einem 33 Seiten starken Arbeitspapier verlangt Müntefering einen “Gesellschaftsentwurf” zu der Frage, wie der Wandel ohne größere soziale Verwerfungen gestaltet werden kann und stellt einige Forderungen auf. An erster Stelle verlangt er mehr Unterstützung für Familien und Kinder, Ganztagsschulen seien unverzichtbar. Er bekräftigt die SPD-Forderung aus dem Bundestagswahlkampf nach einem neuen Bundesministerium für Bildung und Integration. Das sei eine “Schlüsselaufgabe” für Bund und Länder.
    Deutschland müsse künftig nicht nur einzelnen Bewerbern, sondern auch ganzen Familien die Zuwanderung gestatten, Nicht-Deutschen ein kommunales Wahlrecht einräumen und auch die Möglichkeit zu doppelter Staatsbürgerschaft. Damit könne man dem in den nächsten Jahren drohenden Fachkräftemangel entgegenwirken. Zugleich setzt sich Müntefering für mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für ältere Menschen ein. Auch Senioren könnten ein soziales Jahr absolvieren. Eine solche soziale Tätigkeiten könnte älteren Menschen auch helfen, der Isolation und Einsamkeit entgehen.
    Quelle 1: SZ
    Quelle 2: Demografischer Wandel und Fortschritt (Müntefering Papier) [PDF – 130 KB]

    Anmerkung WL: Wie schon in seinen Zeiten als Sozialminister stützt sich Müntefering auf Vorausberechnungen für die Jahre bis 2050. Er unterstellt eine Schrumpfung der Bevölkerung auf 65 Millionen oder – ohne positiven Wanderungssaldo – gar auf 61 Millionen und er rechnet vor, dass auf 100 Personen im Alter von 20 bis 64 im Jahr 2050 65 Personen kommen, die älter als 65 Jahre sein werden. Wieder einmal werden langfristige Rechnungen mit Modellcharakter als Prognosen und sozusagen aus unausweichliche Entwicklungen unterstellt, als seien sie ein unausweichliches demografisches Naturgesetz. Der Statistiker Gerd Bosbach hat dargestellt, dass 50 Jahres-Prognosen “moderne Kaffeesatzleiserei” seien [PDF – 183 KB]. Sie seien in der Vergangenheit unmöglich gewesen und das seien sie auch in der Zukunft. Was die Unsicherheit von Bevölkerungsprognosen anbetrifft, so habe etwa das Statistische Bundesamt seine Verausberechnungen kurzfristig um mehrere Millionen korrigiert. Selbst wenn die Vorausberechnungen einträfen, vernachlässigt Müntefering einmal mehr die Tatsache, dass bei der von den Erwerbstätigen zu “versorgenden” Bevölkerung nicht nur der Altenquotient, sondern auch der Jugendquotient eine Rolle spielt. Wenn man den Gesamtquotienten nähme habe sich die Dramatik schon halbiert.
    Niemand könne auch vorhersagen, wie 2050 das tatsächliche Renteneintrittsalter aussehe. Und weiter wird der Produktivitätsfortschritt – der es ermögliche, dass mehr zwischen Erwerbstätigen und zu Versorgenden verteilt werden könnte – vernachlässigt.
    Müntefering verweist darauf, dass heute in Deutschland 44 Millionen im Erwerbsalter sind, während es 2050 nur noch 26 Millionen sind. “Das klingt nicht mehr harmlos”, fügt er hinzu. Er versäumt aber darauf hinzuweisen, dass derzeit “nur” etwas über 27 Millionen Menschen in einem einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis sind.
    Auch in 2050 wird entscheidend sein, wie viele Menschen im Erwerbsalter in Beschäftigung sein werden, inklusive Frauen und womöglich inklusive Ältere.
    Unbestreitbar ist die demografische Entwicklung ein Faktor für die zukünftige Entwicklung unserer Gesellschaft, aber es ist ein gestaltbarer und auch politisch beeinflussbarer Faktor und es gäbe eine Menge Stellschrauben mit denen man die Dramatik der Alterung der Gesellschaft entdramatisieren könnte. Da wäre zunächst die Frage der Beschäftigung, da wäre die Steigerung des technischen Fortschritts, da wäre eine Wirtschaftspolitik die Produktivität und Arbeitskraft ausschöpft, da wären kinder- und familienfreundliche Lebensbedingen etc.
    An vielen Stellen das Arbeitspapiers wird erkennbar, dass Franz Müntefering damit seine vorausgegangene Politik der Agenda 2010, der Rente mit 67 oder der Einführung der privaten Riester-Rente zu verteidigen versucht. So wenn er davon redet, dass mit der Agenda die Langzeitarbeitslosigkeit gesenkt worden sein (?) oder dass mehr Ältere erwerbstätig seien, “durch konkrete Programme der Unternehmen und der Politik”. Er behauptet, dass das Regel-Rentenalter 67 im Jahre 2030 ein Plus von rd. 2 Millionen Erwerbstätigen bedeute. Woher kennt er eigentlich den Arbeitsmarkt in zwanzig Jahren? Müntefering fordert: “Zusätzliche Altersversorgung muss rechtzeitig, ergänzend zur prioritären Gesetzlichen Rentenversicherung, selbstverständlich werden. Ich meine: Obligatorisch.” Er ist also nach wie vor der irrigen Auffassung, dass eine kapitalgedeckte Altersvorsorge der Ausweg aus der demografischen Entwicklung sei.
    Auch wenn man viele der Prämissen, die Müntefering zugrunde legt, mit Fug und Recht bezweifeln kann und er nach wie vor die demografische Entwicklung eindimensional als Gegebenheit unterstellt, soll nicht bestritten werden, dass manche seiner Vorschläge richtig und Vernünftig sind. Insbesondere was die Integration und die Bildung der Bevölkerung mit Migrationshintergrund, die Einwanderungspolitik oder die Förderung einer kinder- und familienfreundlicheren Lebens- und Arbeitswelt anbetrifft.

  9. Kopfpauschale: Sozialausgleich verursacht mindestens 250 Millionen Euro Verwaltungskosten pro Jahr
    Wenn eine Pauschalprämie in der Krankenversicherung eingeführt würde, müssten viele Arbeitnehmer mehr zahlen. Ein Sozialausgleich über Steuern wäre sehr kompliziert und teuer: Allein die nötige neue Bürokratie würde mindestens 250 Millionen Euro im Jahr kosten. Nennenswerte Impulse für mehr Effizienz oder Qualität im Gesundheitswesen bringt eine Kopfpauschale nicht. Zu diesem Ergebnis kommen Gesundheitsforscher des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung (WSI), der Hochschule Fulda und des Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie (IGKE) der Universität zu Köln in neuen Untersuchungen.
    “In überschaubaren Schritten”, so will die Bundesregierung eine Pauschalprämie in der Krankenversicherung einführen. Wie groß der erste Schritt ausfällt, dafür gibt es bislang nur Anhaltspunkte: Im März war von 29 Euro pro Monat die Rede. Neue Berechnungen des IGKE zeigen: Schon diese “kleine” Kopfpauschale würde Menschen mit geringerem und mittlerem Einkommen deutlich stärker belasten – auch wenn im Gegenzug der Arbeitnehmer-Zusatzbeitrag von 0,9 Prozent des Lohnes entfiele. Für Versicherte, die 1.000 Euro brutto im Monat verdienen, steige der Gesamtbeitrag zur Krankenversicherung beispielsweise um monatlich 20 Euro. Das entspricht rechnerisch einer Erhöhung des Beitragssatzes von heute 14,9 auf 16,9 Prozent, kalkuliert IGKE-Direktor PD Dr. Markus Lüngen. Erst ab einem Monatsbrutto um die 3.500 Euro brächte die Kopfpauschale eine finanzielle Entlastung, die mit steigendem Einkommen bis zur Bemessungsgrenze wächst (mehr Informationen in einer Infografik im Böckler Impuls 8/2010; Link unten).
    Und auf Dauer würde es wohl nicht beim ersten Schritt bleiben. “Auch die kleine Pauschale wird schnell groß”, erläutern Prof. Dr. Stefan Greß und Dr. Simone Leiber ein Ergebnis der Forschung zu Kopfpauschalen in den Niederlanden und der Schweiz. Der Gesundheitsökonom an der Hochschule Fulda und die Gesundheitsexpertin des WSI skizzieren einen “schleichenden Systemwechsel”: Wenn die Bundesregierung ihre Absicht umsetzen würde, die Beiträge der Arbeitgeber zur Krankenversicherung einzufrieren, müsste der Anteil der Arbeitnehmer steigen, um die Kosten des medizinischen Fortschritts und der demografischen Entwicklung zu tragen. Es liegt nahe, dass dazu die Pauschale erhöht würde. Und zwar in deutlich spürbaren Schritten, rechnen Greß und Leiber vor: Mit jeder Milliarde Euro, um die sich die Gesundheitsausgaben erhöhen, stiege die Pauschale bei rund 50 Millionen gesetzlich Versicherten um 20 Euro pro Kopf und Jahr. Zur Einordnung: Zwischen 2007 und 2010 sind die Ausgaben der gesetzlichen Kassen um rund 20 Milliarden Euro gewachsen.
    Befürworter der Pauschalprämie versprechen, Mehrbelastungen durch Zahlungen an die Versicherten auszugleichen. Das Geld dafür soll aus Steuermitteln kommen. Doch bislang gibt es in Deutschland keine Institution, die solch einen Ausgleich organisieren könnte. Weder Finanzbehörden noch Krankenkassen oder Kommunen wären dazu in der Lage, konstatieren Greß und Leiber. Auf Basis der niederländischen Erfahrungen schätzen sie allein die laufenden Kosten für die administrative Abwicklung des Sozialausgleichs auf mindestens 250 Millionen Euro pro Jahr. Diese Kalkulation sei “konservativ”, weil die niederländischen Finanzbehörden, anders als die deutschen, schon vor Einführung der Pauschale Erfahrung mit der Erhebung von Krankenkassenbeiträgen hatten, betonen die Wissenschaftler. Und Einmalausgaben für den Aufbau der Verwaltung sind in der Schätzung noch nicht einmal enthalten. Weitere gravierende Probleme prognostizieren die Fachleute beim Datenschutz und mit säumigen Prämienzahlern. Denn in den Nachbarländern ist zu beobachten, dass mit der Höhe der Pauschale auch die Zahl der Nichtzahler wächst.
    Darüber hinaus spreche auch ein grundsätzlicher Aspekt gegen die Kopfpauschale mit Solidarausgleich: Sie bricht mit dem bewährten Versicherungsprinzip in der Gesundheitsversorgung: Zahlreiche Patienten, die sich heute als Versicherungsnehmer betrachten können, würden zu Empfängern einer steuerfinanzierten Fürsorgeleistung und müssten sich auf “Bedürftigkeit” prüfen lassen. “Dies geht in der Regel einher mit Problemen wie Angst vor Stigmatisierung und Scham vor der Inanspruchnahme”, beobachten Simone Leiber und Stefan Greß. Betroffen wären große Teile der Bevölkerung, wie der Blick in die Niederlande zeigt. Dort empfingen 2008 etwa 70 Prozent aller Haushalte einen “Gesundheitszuschuss”.
    Zudem wäre das Gesundheitssystem bei Einführung einer Kopfpauschale mehr denn je von einem fachfremden Akteur abhängig: dem Finanzminister. Wie reagiert der auf steigende Ausgaben? Erfahrungen insbesondere aus den Niederlanden deuteten auf wachsende Konflikte hin: Dort “werden derzeit eine drastische Ausweitung der Selbstbeteiligungen von 150 Euro auf 750 Euro pro Jahr und eine Reduzierung des Leistungskatalogs diskutiert”.
    Fazit der Forscher: Der Einstieg in ein Pauschalprämiensystem brächte massive Probleme. Dagegen seien die angeblichen positiven Wirkungen, mit denen Befürworter eines Systemwechsels argumentieren, meist zweifelhaft (mehr Informationen im Böckler Impuls; Link unten). In Ländern, die bereits eine Kopfpauschale haben, beobachten Greß und Leiber keine substanziell größere Nachhaltigkeit der Gesundheitsfinanzierung. Auch das in der deutschen Debatte vorgebrachte Argument, eine Abkopplung der Gesundheits- von den Arbeitskosten könne für mehr Beschäftigung sorgen, spiele “in den Niederlanden und der Schweiz keinerlei Rolle”. Und für mehr Effizienz und Qualität bringe die Kopfpauschale keine nennenswerten Impulse, so die Gesundheitsforscher von WSI und Hochschule Fulda. Viel wichtiger sei es, den Krankenkassen mehr Möglichkeiten einzuräumen, ihre Verträge selektiv mit guten Leistungserbringern, wie etwa Ärzten, abzuschließen – und die überkommene Trennung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung aufzuheben.
    Quelle: Böckler Impuls 08/2010
  10. Gesundheitswesen
    1. Arzneimittelpreise in Deutschland
      Deutschland hat einen Rekord aufgestellt im vergangenen Jahr: 32 Milliarden Euro haben die Krankenkassen für Medikamente ausgegeben. So viel wie nie zuvor. Kosten, die letztlich die Solidargemeinschaft der Krankenversicherten aufbringen muss – durch immer weiter steigende Versicherungsbeiträge.
      Wird ein neuer Wirkstoff zugelassen, dürfen die Pharmafirmen den Preis dafür selbst festlegen. Die Kassen müssen den verlangten Preis bezahlen – egal, wie hoch er ist. Das treibt die Gesamtausgaben für Medikamente enorm in die Höhe. Kritiker bemängeln: Nur die Hälfte der neu zugelassenen Wirkstoffe hätten einen Zusatznutzen für die Patienten.
      Quelle: ZDF reporter
    2. Gesundheit: Arbeit geht an die Nerven
      In den vergangenen zehn Jahren ist die Anzahl psychisch bedingter Krankschreibungen um fast 40 Prozent gestiegen, teilte die Techniker Krankenkasse (TK) am Donnerstag in Berlin mit. „Von den gut zwölf Tagen, die jeder im vergangenen Jahr krank geschrieben war, waren 1,6 Tage psychisch bedingt“, berichtete Thomas Grobe vom Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsforschung in Hannover, der den Gesundheitsreport für die TK erstellt hat. Damit sind psychische Störungen nach Atemproblemen wie Bronchitis und Muskel- und Skeletterkrankungen wie Bandscheibenvorfälle inzwischen der dritthäufigste Grund für Fehlzeiten.
      „Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmt immer mehr“, sagte TK-Chef Norbert Klusen. Dank Handy und Notebook seien Arbeitnehmer mittlerweile rund um die Uhr und an fast jedem Ort erreichbar. „Unsere Arbeitswelt ist schneller geworden“, kritisierte Klusen. „Das geht an die Nerven“. Aber auch befristete Arbeitsverhältnisse und unsichere Beschäftigungsverhältnisse würden zu psychischen Probleme führen. Die Angst um den Arbeitsplatz macht krank, sie verhindert aber – anders als früher – nicht, dass Arbeitnehmer sich den gelben Schein vom Arzt holen. Im vergangenen Jahr fehlten die TK-Versicherten im Schnitt 12,39 Tage, deutlich mehr als im Vorjahr (11,57) und 2007 (11,2 Tage).
      Quelle 1: Tagesspiegel
      Quelle 2: Techniker Kasse
    3. Satte Gewinne für Ärzte
      Die Einkommen der niedergelassenen Ärzte steigen geradezu explosionsartig. Nach internen Berechnungen des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen, die der Frankfurter Rundschau vorliegen, wird jeder Praxisinhaber in diesem Jahr im Schnitt einen Reinertrag von 164.000 Euro verbuchen. Das sind 22.000 Euro beziehungsweise 15 Prozent mehr als 2007.
      Gegenüber 2003 ergibt sich sogar ein Plus von 30 Prozent. In dieser Zeit sind die Bruttoverdienste der Arbeitnehmer lediglich um ungefähr fünf Prozent auf durchschnittlich 27.650 Euro gestiegen.
      Quelle 1: FR
      Quelle 2: Deutscher Bundestag mit einer Tabelle aus dem Jahr 2008 [PDF – 126 KB]
    4. Wenn der Profit vor dem Patientenwohl kommt
      Seit die öffentlichen Kassen leer sind, werden immer mehr Krankenhäuser in Deutschland privat betrieben. Die Privatkliniken versprechen Leistungsfähigkeit für das deutsche Gesundheitswesen. Das Credo: Spitzenmedizin für jedermann.
      Oberärzte einer hessischen Klinik beklagen die “schlechten Arbeitsbedingungen” und den “Personalmangel” seit der Privatisierung. Mehr Patienten müssen von immer weniger Personal versorgt werden. Auf der Strecke bleibt die Pflege und vor allem der Mensch. Eine Krankenschwester aus Marburg erzählt von Überforderung und Stress: “Am meisten belastet mich, dass ich die Patienten nicht mehr adäquat versorgen kann, würdevoll pflegen kann und Sterbende alleine sterben lasse. Da kommen mir selber Tränen.”
      Quelle: ZDF

      Achtung: Der Film wird heute, Freitag, den 28.05.10 um 14.00 Uhr bei Phoenix wiederholt.

  11. Die Sparvorschläge des BDI. So soll sich auch weiter an den Löhnen der abhängig Beschäftigten vergriffen werden …
    … und zwar an dem Teil der Beiträge, die aus den Löhnen an die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) gezahlt werden, indem man fordert, den sogenannten Bundeszuschuss an die GRV zu kürzen oder ganz zu streichen.
    Aber einen Bundeszuschuss kürzen, den es gar nicht gibt?
    Es wird mit den so genannten Zuschüssen nur vertuscht, dass versicherungsfremde Leistungen die Rentenkasse seit 1957 übergebührend belasten.

    Grafik: Versicherungsfremde Leistungen 2008

    Quelle 1: Duckhome
    Quelle 2: Versicherungsfremde Leistungen in der Arbeiter- und Angestelltenrentenversicherung, Aktion demokratische Gemeinschaft

  12. Menschenrechtsorganisation rügt Berlins Praxis in Folterstaaten abzuschieben
    Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat am Mittwoch in Berlin ihren aktuellen Jahresreport veröffentlicht. Er dokumentiert 2009 begangene Menschenrechtsverletzungen in 159 Ländern. Die deutsche Bundesregierung wird darin u. a. kritisiert, Flüchtlinge weiterhin der Gefahr von Verfolgung und Mißhandlung ausgesetzt zu haben, weil sich Behörden bei Abschiebungen auf »diplomatische Zusicherungen « verlassen. Diese können seit Oktober aufgrund neuer Verwaltungsvorschriften eingeholt werden.
    Quelle: junge Welt
  13. “BP hat mehr Macht als die US-Regierung”
    Umweltschützer würden ausgebremst, Helfer fahrlässig Giften ausgesetzt, sagt Riki Ott im Interview. Die US-Meeresforscherin kämpft seit Jahrzehnten gegen die Öl-Lobby.
    “Die US-Regierung hat keinerlei Werkzeug, um auf ein solches Desaster zu reagieren. Wir sind vollständig von BP abhängig, und das ist vollkommen inakzeptabel. Es ist, als ob man einem betrunkenen Autofahrer die Verantwortung für die Unfallermittlung und die Rettungsmaßnahmen übertragen würde …
    Unsere Gesetze sind nicht ausreichend, um BP zu zwingen, sein Versprechen einzuhalten, alle Kosten zu tragen. Als BP im Kongress aussagen musste, hieß es, man werde die Verantwortung für die Ölpest übernehmen, sofern dies rechtlich vorgesehen ist. Das ist das gleiche Spiel, das wir auch nach der Exxon-Valdez-Katastrophe gesehen haben. Es wird in einem jahrelangen Kampf vor den Gerichten enden – und BP wird mit Sicherheit niemals die kompletten Kosten für all die Schäden zahlen. Unsere Regierung buckelt vor dieser zu reich und mächtig gewordenen Industrie.”
    Quelle: Zeit Online
  14. Den Bankensektor neu ordnen – und mit der Vergesellschaftung beginnen
    Die Sparkassen und Genossenschaftsbanken zeigen, dass eine Bank sehr erfolgreich sein kann, wenn in ihrer Satzung als Geschäftszweck nicht abstrakt Renditeorientierung, sondern die Ausübung eines bestimmten Geschäftsmodells in einem bestimmten Territorium festgelegt ist.
    Während die Sparkassen formal einer Gemeinwohlorientierung unterworfen sind, ist es Ziel und Zweck der Genossenschaftsbanken, ihren Mitgliedern zu dienen. Der Nutzen für das einzelne Genossenschaftsmitglied ist aber eben nicht darüber definiert, welchen Ertrag das Mitglied für seinen Anteil am Genossenschaftskapital erhält, sondern darüber, dass das Mitglied aus der Inanspruchnahme der Dienstleistungen der Bank
    einen Nutzen als Kunde zieht. Hierin liegt der zentrale Unterschied zwischen einer Bank als Aktiengesellschaft einerseits und einer Bank als Genossenschaft andererseits, auch wenn beide Banken formal eine private Eigentumsform haben.
    Quelle: Die Linke im Bundestag [PDF – 119 KB]

    Anmerkung WL: Man mag dieses Diskussionspapier an vielen Punkten kritisieren und teilweise sogar blauäugig nennen, bevor man jedoch wieder der Schreckbild von DDR-Staatsbetrieben an die Wand malt, sollte man sich das Papier einfach einmal ansehen und sich ein Bild vom Diskussionsstand dieser Partei machen.

  15. Extremer als die Polizei erlaubt
    Ein Begriff, der nichts Relevantes über seinen Gegenstand aussagt, ist untauglich. Diese Binsenweisheit trifft auf den Begriff des »Extremismus« vollkommen zu. Der Begriff lässt sich nur heranziehen, wenn man ihn in Bezug zu etwas setzt, in diesem Falle zu den »Rändern« des politischen Spektrums. Die Idee vom »linken und rechten Rand« der politischen Landschaft – die sich, so spinnen manche die Idee fort, angeblich »berühren« können – hat nur Sinn, wenn man sie auf die Vorstellung einer Mitte oder eines Zentrums bezieht: Es handelt sich um die vom jeweiligen Zentrum aus am weitesten entfernten Orte.
    Bezogen auf linke Aktivisten, Organisationen oder Inhalte hat dieser Begriff schlicht keinerlei Aussagekraft. Unter dem Gesichtspunkt ihrer »Entfernung zur politischen Mitte« betrachtet, erscheinen der stalinistische Kader und der Anarchosyndikalist, die libertäre Kommunistin, der trotzkistische Intellektuelle und die militante Antiimperialistin, die radikale Basisgewerkschafterin oder der Maoist der siebziger Jahre als ungefähr gleich. Alle würden sie im Verfassungsschutzbericht in der Rubrik »Linksextremismus« auftauchen, zusammen mit RAF-Anhängern, Parteikommunisten, DDR-Nostalgikern und Autonomen, wenngleich in verschiedenen Unterkapiteln.
    Was ist dadurch über ihr Gesellschaftsmodell und dessen Beurteilung, etwa unter dem Gesichtspunkt der individuellen und kollektiven Emanzipation, ausgesagt? Schlichtweg überhaupt nichts…Es geht darum, festzuschreiben, wer gerade noch so links ist, »wie es die Polizei erlaubt«, und wer »zu weit links steht«.
    Quelle: Jungle World
  16. CDU laufen auch noch die Mitglieder weg!
    Wurden im August 2009 noch 523374 Unions-Mitglieder (ohne CSU) gezählt, so waren es im Februar 2010 nur noch 518284.
    Bei Antritt von Angela Merkel als CDU-Bundesvorsitzende vor zehn Jahren bekannten sich noch rund 616000 Unions-Anhänger zum CDU-Parteibuch. Danach ging es stetig bergab. Nach Merkels Wahl zur Kanzlerin 2005 waren es nur noch knapp 572000.
    Der anhaltende Mitgliederschwund belastet die durch eine Serie schlechter Wahlergebnisse angespannte Finanzlage der Union zusätzlich.
    Nur mit einem Trick komme die Bundes-CDU zur Zeit noch an Entlassungen vorbei, heißt es: Nach Informationen von BILD.de wurden rund 30 Mitarbeiter im Konrad-Adenauer-Haus an Ministerien, Behörden und Bundestag „ausgeliehen“. Im Klartext: Die Gehälter zahlt der Steuerzahler!
    Quelle: Bild.de

    Anmerkung WL: Eine beachtliche Indiskretion der Bild-Zeitung. Nicht nur dass CDU-Bedienstete vom Steuerzahler finanziert werden. Könnte es sein, dass die Allianz zwischen Merkel und Bild brüchig wird?

  17. DGB: Jugendliche mit Migrationshintergrund: Am Arbeitsmarkt doppelt benachteiligt
    Ein Viertel der Jugendlichen im ausbildungsfähigen Alter (15 bis 25 Jahre) verfügt über einen Migrationshintergrund. Sie sind die Kinder eines bzw. zweier eingewanderter Elternteile und jung nach Deutschland gekommen oder hier geboren. Sie sind deutsche Staatsbürger/innen oder besitzen eine andere Staatsbürgerschaft. Bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund handelt es sich um eine sehr heterogene Gruppe. Je nach Herkunftsland und Einwanderergeneration bestehen große Unterschiede hinsichtlich des Bildungsstandes, der Deutschkenntnisse, der Ausbildungs- und Erwerbsbeteiligung, der Familienstrukturen, der Wohnsituation, des Aufenthaltsstatus und dem Grad ihrer Integration. Am Arbeits- und Ausbildungsmarkt treffen viele von ihnen auf besondere Probleme.
    Quelle: DGB arbeitsmarktaktuell 06/2010
  18. Nordrhein-Westfalen: Streitpunkt Studiengebühren
    Die Hochschulrektoren in NRW sehen jedoch ihre Felle davonschwimmen. Deshalb haben sie kurz vor Beginn der schwarz-roten Sondierungsgespräche in einem Offenen Brief an die Fraktionsvorsitzenden ihre Forderung auf den Tisch gelegt: keine ersatzlose Streichung der Campus-Maut.
    Als Kompromiss schlägt Freimuth als Vorsitzender der Landeskonferenz der NRW-Universitäten das Hamburger Gebührenmodell vor: erst studieren, später zahlen. In diesem Fall müsste aber das Land in Vorleistung treten. 250 Millionen Euro bringen die Gebühren den NRW-Hochschulen bislang jährlich ein. Rennen-Allhoff, die auch Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz der Fachhochschulen ist, misstraut dem Versprechen der SPD, ein Wegfall der Studiengebühren werde über den Landeshaushalt kompensiert. “Angesichts der angespannten Finanzlage aller Länder sehe ich zurzeit nicht, wo das herkommen soll.”  
    Quelle: FR

    Anmerkung WL: Ein Musterbeispiel für die Froschperspektive des politischen Denkens der Hochschulleitungen und ein Beleg wie sich das „unternehmerische“ Denken in den Köpfen schon festgesetzt hat. Die „Präsidenten“ greifen natürlich gern nach dem Strohhalm der Studiengebühren. Sie haben schon komplett ausgeblendet, warum die öffentlichen Kassen so knapp sind. Dass das etwas mit dem Steuersenkungswahn der letzten Jahre zu tun haben könnte, kommt in ihrer Wahrnehmung nicht mehr vor. Sie haben sich schon eingerichtet als Unternehmensführer auf dem Bildungsmarkt, die Geld abholen, wo es zu holen ist. Über die Funktion von Studiengebühren und ihre bildungspolitische Bedeutung wird schon gar nicht mehr nachgedacht.

  19. Massenproteste gegen Sarkozys Pensionsreform
    In ganz Frankreich sind am Donnerstag nach Gewerkschaftsangaben rund eine Million Menschen auf die Straße gezogen, um gegen die geplante Anhebung des Rentenalters zu protestieren. “Einzig eine Demonstration der Stärke auf den Straßen kann das Renteneintrittsalter von 60 Jahren und die sozialen Errungenschaften beschützen, die von Präsident Nicolas Sarkozy systematisch angegriffen werden”, sagte der Generalsekretär der Gewerkschaft CGT, Bernard Thibault. Schätzungsweise legten zwischen zehn und 20 Prozent der Mitarbeiter an Schulen, bei der Post und beim Telekom-Konzern France Telecom ihre Arbeit nieder.
    Quelle: Der Standard

    Anmerkung WL: Bei uns liest und hört man relativ wenig darüber. Aus Angst oder weil man nicht wahrhaben will, dass sich unsere Nachbarn gegen eine Politik wehren, die sich bei uns schon längst durchgesetzt hat.

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