Wie kroatische Emigranten die politische und wirtschaftliche Landschaft der Anden verwandelten – Teil 1: Die faschistische Bastion Santa Cruz in Bolivien

Wie kroatische Emigranten die politische und wirtschaftliche Landschaft der Anden verwandelten – Teil 1: Die faschistische Bastion Santa Cruz in Bolivien

Wie kroatische Emigranten die politische und wirtschaftliche Landschaft der Anden verwandelten – Teil 1: Die faschistische Bastion Santa Cruz in Bolivien

Frederico Füllgraf
Ein Artikel von Frederico Füllgraf

Viel ist über den christlich-fundamentalistischen Fanatismus des herausragenden, jungen Führers des Staatsstreichs in Bolivien, Luis Fernando Camacho, geschrieben worden, doch kaum über die Ursprünge dieses Fanatismus und die Beziehungen Camachos zur kroatischen Einwanderer-Szene in Oriente, dem Osten Boliviens. Ein Bericht von Frederico Füllgraf.

Retronarrativ erzählt fällt als Erstes auf, dass die Camachos eine vielzitierte, weil mehrfach in den Panama-Papers-Skandal involvierte Familie ist. Luis Fernandos Vorfahren machten mit Boliviens Erdgasreserven ein Vermögen, verloren jedoch einen Teil davon, als Präsident Evo Morales die Erdöl- und Gasvorkommen verstaatlichte.

Hellhörig macht Camachos kulturelle und politische Ausbildung in der Unión de la Juventud Cruceña (Jugendbund von Santa Cruz – UJC). Die faschistisch ausgerichtete Gruppe sorgte bereits vor Jahrzehnten für Schlagzeilen wegen des Hitlergrußes ihrer Mitglieder. Doch die UJC war niemals bloß ein extemporärer rechtsradikaler Spinnerverein, sondern vor allem ein paramilitärischer Kampfverband, mit erwiesener Beteiligung an mehreren Verschwörungen zur Ermordung von Evo Morales sowie an Angriffen auf linke Aktivisten, indigene Bauern und Journalisten.

Gerade dreiundzwanzigjährig wurde Camacho im Jahr 2002 zum stellvertretenden Vorsitzenden der UJC gewählt. Zwei Jahre später verließ er die Organisation, um sich dem Aufbau eines Familienzentrums und dem Aufstieg in das Pro-Santa-Cruz-Bürgerkomitee zu widmen. Das harmlos klingende Komitee war jedoch eine rechtsradikale Separatisten-Organisation, die mit dem Vorwand stärkerer regionaler Autonomie Evo Morales mit der Abspaltung der gesamten Media Luna, also dem als Halbmond bekannten Zentrum und Osten Boliviens, drohte. Einer der führenden Köpfe der Separatisten war der Bolivianer kroatischer Abstammung, Branko Marinkovic, Camachos Vorgänger im Bürgerkomitee Pro Santa Cruz.

Im Dezember 2010 erhob die bolivianische Generalstaatsanwaltschaft wegen einer mutmaßlichen Verschwörung zur Ermordung von Evo Morales und der Planung terroristischer Anschläge Anklage gegen 39 Personen, darunter Marinkovic, nun als früherer Bürgermeister von Santa Cruz. Der illustre Angeklagte bestritt seine Involvierung und setzte sich zunächst in die USA ab, ließ sich aber bald im benachbarten Brasilien nieder, dessen Justiz beide Augen vor den schweren Beschuldigungen zudrückte. Zu den Vorwürfen der Volksverhetzung, des Separatismus, ferner der Bildung und Finanzierung einer terroristischen Vereinigung paarte sich außerdem eine Anklage wegen schwerer Steuervergehen durch Eröffnung von Offshore-Konten mit dem Ziel der Geldwäsche.

Marinkovic lebt in Brasilien, steht jedoch nach wie vor in enger Verbindung mit seinem „camarada“ aus der faschistischen Szene, Luis Fernando Camacho. Dieser machte sich jüngst stark für eine Änderung des Gesetzes, das einen zweijährigen Wohnsitz in Bolivien als Voraussetzung für die Aufstellung einer Kandidatur vorschreibt, damit Marinkovic sich wahlpolitisch betätigen kann.

Vom Salpeter zur Ustaša: zwei Wellen kroatischer Einwanderung

Die annähernd 5.000 Nachkommen kroatischer Emigranten werden im bolivianischen Osten durch eine zahlenmäßig kleine, jedoch sehr mächtige Gruppe von Familien-Clans vertreten. Sie beherrschen die Molkerei-Industrie, Brauereien und sind mit dem Banken-Kapital verflochten. Zu den führenden Köpfen zählen unter anderem der ehemalige Präsident des Bürgerkomitees für Santa Cruz, Branko Marinkovic, der Unternehmer und ehemalige Vizepräsidentschaftskandidat Ivo Kuljis, der Unternehmer und Eigentümer der Tageszeitung Zeitung Pagina Siete, Raul Garafulic, sowie der Besitzer der Firma Atocha, Pablo Ivanovic, und der Unternehmer Zvonko Matkovic; allesamt Millionäre.

Die erste Welle kroatischer Einwanderer nach Bolivien begann zwischen Ende des 19. Jahrhunderts und dem Ersten Weltkrieg. Angezogen vom damaligen Salpeter-Boom in der Atacama-Wüste und ausgestattet mit österreichischen Reisepässen gingen damals rund 25.000 Kroaten, zumeist aus verarmten bäuerlichen Verhältnissen, in der vormals bolivianischen Hafenstadt Antofagasta von Bord. Nach dem Zusammenbruch des Salpeter-Tagebaus verblieb nur eine Minderheit in der seit 1883 zu Chile gehörenden Atacama-Wüste an der Küste des Pazifiks und gründete Familien, zu deren Nachkommen Chiles reichster Luksic-Clan, mit einem geschätzten Vermögen von annähernd 15 Milliarden Euro, gehört und Gegenstand des zweiten Teils dieser Chronik ist. Viele Kroaten versuchten jedoch einen neuen Anfang im bolivianischen Osten und wirkten fast 50 Jahre später, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als Anziehungspol für die zweite Einwanderungswelle.

Die „Ratten“

Die zweite Woge hatte andere Gründe. „Noch bevor das Schiff, das heißt Nazideutschland, sank und seine Verbündeten sich dem antifaschistischen Block ergaben, verließen die Ratten ihre Länder. Nicht nur Deutschland, auch Litauen, Polen, die Tschechoslowakei und vor allem Kroatien waren Heimat tausender von Kollaborateuren, Opportunisten und überzeugter Faschisten, die sich während des Krieges als Folterer ihrer eigenen Völker betätigt hatten. Dieser ganze Abschaum musste fliehen und er tat es wie die Ratten, die nachts durch die Kanalisation entkommen“, beschrieb der Publizist Markus Besser in einem Essay die Nachkriegs-Besiedlung des bolivianischen Ostens.

In den Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges setzten die USA die bolivianische Regierung unter Druck, sie möge den in den sowjetisch besetzten Gebieten, aber auch den von der westeuropäischen Justiz verfolgten Mitgliedern der faschistischen kroatischen Ustaša Zuflucht gewähren. So leitete die CIA, neben dem Deutschen Klaus Barbie – alias „Altmann“ – hunderte kroatische Faschisten nach Bolivien, die sich als Helfershelfer der Wehrmacht und der SS des Völkermordes schuldig gemacht hatten; Verbrechen, die exemplarisch in der historischen Dokumentation “The Last Bullet for the Last Serb”: The Ustaša Genocide von Michele Frucht Levy dargestellt sind.

Am Startloch der Rattenlinien – die Fluchtrouten, von den US-Geheimdiensten rat lines genannt – agierte der kroatische Priester Krunoslav Draganovic. Er organisierte die Flucht von Deserteuren aus Deutschland unter russischer Besatzung, die sich nach dem österreichischen Salzburg und von dort nach Italien zum Preis von 1.000 bis 1.500 US-Dollar pro Flüchtling absetzten. Mit Hilfe der US-amerikanischen Geheimdienste und dem Segen der katholischen Kirchenhierarchie stattete Draganovic die „Ratten“ mit falschen Papieren aus, vor allem mit Transitgenehmigungen, Pässen des Roten Kreuzes und Visa aus lateinamerikanischen Ländern.

Kroatischer Faschismus in Santa Cruz

Das waren die Großeltern derjenigen, die heute im bolivianischen Osten die Zügel in der Hand haben und derzeit die relevanten Entwicklungsprojekte in der prosperierenden Öl-, Agrar-, Viehzucht- und Industrieregion überwachen. Branko Marinkovic gehört dazu und Luis Fernando Camacho war sein Novize.

„Die Enkel dieser berühmten Völkermörder sind Menschen, die mit harten rassistischen und antikommunistischen Ideologien erzogen und ausgebildet wurden, und sie fühlen sich als die Garanten des rasanten und beachtlichen wirtschaftlichen Fortschritts ihrer Provinzen. Sie haben sich Mühe gegeben, ihre Mitglieder vom Drogen- und Geldwäschegeschäft fernzuhalten und sind stolz darauf, als legitime Gruppe von den USA anerkannt zu werden. Sie pflegen direkte Kontakte zum CIA und haben mit der (Drogenbekämpfungsbehörde) DEA zusammengearbeitet, um die Coca-Pflanzungen und den Kokainhandel zu kontrollieren. Sie waren die großen Verbündeten von (Diktator) General Hugo Banzer während seiner gesamten politischen Laufbahn und wurden von diesem mit großzügigen Zuschüssen für ihre Infrastruktur während seiner beiden Regierungen unterstützt“, kommentierte der chilenische Historiker und Publizist Antonio Gil in einer Chronik aus dem Jahr 2008.

Doch der Text Gils enthält eine Schlüsselpassage zum Verständnis des zugleich finsteren und lächerlichen religiösen Fundamentalismus der derzeitigen Putschisten in La Paz; nicht nur Camachos, sondern auch der sich selbst zur Nachfolgerin Evo Morales‘ erklärten Jeanine Añez. „Symptomatisch haben sie in Anlehnung an den kroatischen Halbmond – der 1482 die letzte Hochburg Europas gegen die Expansion des Osmanischen Reiches darstellte – ihre Gegend mit dem Symbol des Halbmonds versehen, worunter sie auch geografisch bekannt wurde“, erinnert Gil.

Diesmal wurde der Halbmond jedoch als „Wahrzeichen der Zivilisation” gegen die Feinde der Globalisierung und des Fortschritts eingesetzt, nämlich gegen die indigenen Collas und ihren Präsidenten Evo Morales. Es war bekannt, dass für die kroatischen Faschisten der Sturz des – rassistisch betont – Indios Evo nach ihrer Niederlage im Jahr 2008 keine Priorität besaß, doch der Plan wurde niemals ad acta gelegt. Für die Kroaten und ihre weißen Landsleute spanischer Abstammung stand von jeher fest: Sie wollen eine weiße, „tüchtige“, „aufgeklärte“ Nation schaffen, die nichts mehr mit dem Colla-Plateau im Westen – mit der Hauptstadt La Paz – gemein hat, für das sie „täglich Steuern zahlen“ müssen.

„Es gibt Leute im Weißen Haus und im Pentagon, die die Schaffung eines neuen Landes in der Region mit freudigen Augen sehen … Es ist damit zu rechnen, dass die Kroaten nicht zögern werden, auf die alten Praktiken ihrer Großeltern zurückzugreifen, falls Morales den von ihnen entworfenen strategischen, regionalen Ansprüchen gewaltsam widerspricht. Für die Kroaten des bolivianischen Ostens gilt General Custers Devise: Der einzige gute Indianer ist ein toter Indianer“, schlussfolgerte Gil mit bitterer Ironie. Und behielt recht. Auf Evo Morales waren Ende November 50.000 Dollar Kopfgeld ausgesetzt worden. Er konnte nicht anders, er musste nach Mexiko fliehen.

Titelbild: Moyano Photography/shutterstock.com

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