Heile Welt. Wie der Bundesarbeitsminister das Scheitern seiner Beschäftigungspolitik gesundbetet

Heile Welt. Wie der Bundesarbeitsminister das Scheitern seiner Beschäftigungspolitik gesundbetet

Heile Welt. Wie der Bundesarbeitsminister das Scheitern seiner Beschäftigungspolitik gesundbetet

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Seit einem Jahr ist das Teilhabechancengesetz in Kraft. Die Bundesregierung will damit Langzeitarbeitslosen zu einem festen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt verhelfen. Die Verantwortlichen feiern das Programm medienwirksam ab, obwohl zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine gewaltige Lücke klafft. Statt der versprochenen 150.000 wurden bislang nur 42.000 Menschen erreicht, abzüglich der „Verluste“ noch deutlich weniger. Mancherorts in Deutschland wird der soziale Arbeitsmarkt sogar geschleift. Wie das geht, zeigt sich in Hamburg. Von Ralf Wurzbacher.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Sätze wie diesen hört sich Hubertus Heil (SPD) gerne sagen: „Mit dem Teilhabechancengesetz finanzieren wir Arbeit statt Arbeitslosigkeit – mit guten, sozialversicherungspflichtigen Jobs.“ Bei seinem Gastbesuch am Berliner Ostbahnhof am Montag, umringt von Kameras und Mikrofonen, gibt der Bundesarbeitsminister gleich mehr davon zum Besten.
„Arbeit ist mehr als Broterwerb“, befindet er, „sie gibt Struktur, Anerkennung und sorgt für soziale Kontakte.“ In seiner heilen Welt haben neben dem Minister an diesem Morgen auch ganz einfache Menschen Platz. Solche, denen bisher kaum Beachtung geschenkt wurde, geschweige denn ein fester Arbeitsplatz.

Einer davon ist Mike Jordan. Der an Epilepsie erkrankte alleinerziehende Vater war fünf Jahre lang raus aus dem Erwerbsleben, musste sich und seine Familie mit Ach und Krach und Hartz-IV über Wasser halten. Bis er dieses Angebot der Deutschen Bahn (DB) erhielt und seit November am Bahnhof Friedrichstraße als Reinigungskraft tätig ist. Er erzählt davon, dass er sich lange für seine Lage geschämt hatte und wie der neue Beruf sein Leben veränderte. „Aber jetzt ist es natürlich ein anderes Gefühl, wenn man wieder gebraucht wird, wenn man was machen kann.“

Vorreiter Deutsche Bahn?

Fälle wie seinen gibt es nach offizieller Zählung 42.000. So viele Langzeitarbeitslose sollen im zurückliegenden Jahr im Rahmen des zum 1. Januar 2019 aufgelegten sogenannten Teilhabechancengesetzes in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis gelangt sein. Damit werden Menschen, die für einen langen Zeitraum ohne Job waren, auf eine Stelle vermittelt, die entweder nach Tarif oder Mindestlohn bezahlt wird. Die Arbeitgeber erhalten dabei für höchstens fünf Jahre staatliche Lohnkostenzuschüsse sowie Zulagen für Qualifizierungs-, Weiterbildungs- und Coachingmaßnahmen.

Die Förderung umfasst zwei Programmlinien: Die erste – „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen“ – richtet sich an Personen, die mindestens zwei Jahre erwerbslos sind. Ihr Lohn wird im ersten Jahr zu 75 Prozent und im zweiten mit 50 Prozent subventioniert. Die zweite – „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ – zielt auf den harten Kern der verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit, jene, die seit sechs Jahren und mehr von Sozialleistungen abhängig sind und sich allenfalls für kurze Dauer als Teilzeitkraft verdingt haben. Ihre Vergütung übernimmt der Staat im ersten und zweiten Jahr zu 100 Prozent, ab dem dritten Jahr schmilzt der Beitrag um jährlich zehn Prozent ab auf schließlich 70 Prozent im fünften.

Die Deutsche Bahn stellt jährlich im Schnitt 20.000 neue Mitarbeiter ein. Davon profitierten 2019 ganze 17 von dem neuen Förderinstrument. Das entspricht 0,085 Prozent. Da ließ sich der Staatskonzern Heils PR-Show sicherlich gerne gefallen. Einen frohen Neujahrsgruß sandte vor knapp vier Wochen der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, ans Publikum. „Das Gesetz ist rundum erfolgreich“, frohlockte er. Es helfe vor allem in den Brennpunktstädten des Ruhrgebiets, in der strukturschwachen früheren Kohleregion um Saarbrücken oder in Städten wie Bremerhaven. Jetzt müsse man abwarten, was passiere, „wenn die Förderung sinkt“. Zumindest mit Blick aufs begonnene Jahr ist er optimistisch. „Wir können möglicherweise noch 10.000 weitere Arbeitsplätze fördern, aber dann werden wir wahrscheinlich langsam an die Grenze dessen kommen, was finanzierbar ist.“

Weit weg vom Ziel

Für Heils Geschmack war das vielleicht eine Spur zu ehrlich. Eigentlich hatte die Regierung die Marschrichtung ausgegeben, durch ein „neues unbürokratisches Regelinstrument im Sozialgesetzbuch II“ bis zum Ende der Legislaturperiode 150.000 „Arbeitsverhältnisse im sozialen Arbeitsmarkt“ zu schaffen. So steht es im Koalitionsvertrag von Union und SPD und so haben es die Verantwortlichen bis zuletzt bei jeder Gelegenheit propagiert. Wenn dagegen in der Vorstellungswelt des BA-Chefs bloß noch für 10.000 Stellen mehr Raum ist, käme man nach derzeit 42.000 bis zum Jahresende auf 52.000, womöglich 55.000 und in zwei Jahren mitunter auf 60.000 Arbeitsplätze. Zu fragen wäre dann allerdings: Wo bleiben die restlichen 90.000?

Aber gut: 60.000 Menschen zu einem sicheren und ordentlich bezahlten Job zu verhelfen, ist ja auch nicht ohne. Und dass Politiker den Mund schon mal zu voll nehmen, kennt man ja. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zum Beispiel hält bereits eine Zielgröße von „rund 100.000 geförderten Arbeitsplätzen“ für „problemgerecht“, wie es in einer Auswertung vom November heißt. Vertrauen wir also dem DGB: Schon 100.000 neue Stellen wären aller Ehren wert. Wenngleich die Ausgaben im Jahr eins „eine eher zurückhaltende Nutzung der neuen Möglichkeiten“ belegten, demonstrierte der Gewerkschaftsdachverband dennoch Zuversicht. Bliebe es bei der Anzahl der Eintritte ins Förderprogramm auf dem Juni-Niveau (3.460), könne das angepeilte Gesamtvolumen bis Mai 2021 erreicht werden.

Allerdings gibt es andere Zahlen, die das als reine Illusion entblößen. Sie stammen von der Nürnberger BA, wo Scheele das Zepter schwingt, fanden in der Medienberichterstattung über „Heil und die 17 Bahnarbeiter“ aber keine Würdigung. Unter ging dabei insbesondere, dass mit Inkrafttreten des Gesetzes vor einem Jahr zwei andere, auf denselben Personenkreis zugeschnittene Maßnahmen einfach weggefallen sind. Das betrifft das Bundesprogramm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ und die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen nach der alten Fassung von Paragraph 16e des Sozialgesetzbuches II. Das erste endete auf einen Schlag für alle Teilnehmer am 31. Dezember 2018, die zweite läuft sukzessive aus.

Keine Rücksicht auf Verluste

Noch im Oktober 2018 wurden mit beiden Instrumenten zusammen 36.000 Langzeiterwerbslose gefördert. Zieht man die von Heils „Erfolgsbilanz“ ab, bleibt von der nicht mehr viel übrig. Das heißt: Im Gegenzug für neu geschaffene Stellen sind allerhand Jobs wieder verschwunden oder im Begriff zu verschwinden. Leidtragende sind vor allem die bisher nach dem Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ Geförderten. Dieses war zwar auf die praktisch identische Klientel gemünzt, eben Menschen mit Erkrankungen, Behinderungen und ähnlich schweren „Vermittlungshemmnissen“, wie es im Amtsdeutsch heißt. Im Unterschied zum Nachfolger „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ mussten die Arbeitsverhältnisse jedoch den Kriterien „zusätzlich“, „wettbewerbsneutral“ und „im öffentlichen Interesse“ genügen. Woraus im Umkehrschluss folgt: Keine Förderung – kein Arbeitsplatz. Ergo landeten die Beschäftigten mit dem Schlussstrich prompt wieder auf der Straße.

Dabei hätten die Ausgestoßenen unter den neuen Bedingungen durchaus eine Anschlussförderung für eine andere Stelle erhalten können. Das allerdings blieb die große Ausnahme. „Wir haben schwere Kämpfe geführt, damit man diese Leute nicht einfach fallen lässt“, beklagte am Donnerstag Petra Lafferentz, Vorstandsmitglied der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Arbeit Hamburg e. V., im Gespräch mit den NachDenkSeiten. Viel gebracht hat es nicht. „In ganz Hamburg kamen von 380 Betroffenen mal eben drei auf einem anderen Platz unter.“ Überhaupt spürt man in der von Rot-Grün regierten Hansestadt nichts von einer frischen Förderkultur. Mit dem neuen Instrumentarium wurden gegenüber Oktober 2018 gerade einmal 38 Stellen mehr geschaffen. Berücksichtigt man die ganze Maßnahmenpalette, ging der Beschäftigungsstand sogar zurück – so wie die Ausgaben. Die sind laut Lafferentz um vier Prozent eingebrochen. „Faktisch hat der Senat die Umstellung genutzt, den sozialen Arbeitsmarkt zu schleifen.“ Dabei gehe es auch anders, wie das Beispiel Thüringen mit Mehrausgaben von 15,2 Prozent zeige.

Auch in der Gesamtsicht lässt der verhießene Aufbruch auf sich warten. Das Bundesnetzwerk für Arbeit und soziale Teilhabe, ein Verbund von über 330 sozialen Beschäftigungsträgern, hat die realen Beschäftigungszugewinne anhand amtlicher Statistiken ermittelt. Die Aufstellung liegt den NachDenkSeiten vor und beziffert die Zahl der zwischen Oktober 2018 und Dezember 2019 „zusätzlich geförderten sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze“ auf 13.982. Das sind 28.000 weniger als besagte 42.000 Stellen, mit denen der Bundesarbeitsminister hausieren geht. Seine Zahl unterschlägt dabei nicht nur die Verluste, sondern unterschlägt zudem die darin enthaltenen 8.000 Geförderten nach Paragraph 16e SGBII. Das Instrument richtet sich wie oben beschrieben an Menschen, die lediglich zwischen zwei und fünf Jahren ohne Job sind und damit als noch recht gut vermittelbar gelten.

Leere Versprechungen

Adressiert ist der soziale Arbeitsmarkt eigentlich an jene, die aus unterschiedlichen Gründen länger nicht oder noch nie in Erwerbsarbeit gewesen sind. Gemäß der offiziellen, bekanntlich reichlich geschönten Statistik soll dies bei aktuell 727.000 Langzeitarbeitslosen insgesamt etwa 570.000 Personen betreffen. Auf dem Papier haben sie allesamt Anspruch auf Unterstützung nach dem Teilhabechancengesetz. Eine echte Chance erhalten aber die allerwenigsten. Bei derzeit 34.000 Hilfsempfängern bekamen bis dato nur 5,9 Prozent einen Zuschlag. Setzte die Bundesregierung ihre Ansage um und schaffte 150.000, wofür nichts spricht, gingen immer noch 75 Prozent der potenziellen Anwärter leer aus.

Illusionen macht man sich beim Bundesnetzwerk für Arbeit und Teilhabe deshalb keine. „Die Integration von Langzeitarbeitslosen findet in der Realität schon lange nicht mehr statt.“ Der Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit sei seit Jahren getrieben von der Demografie und anderen Abgängen in die Nichterwerbstätigkeit. „Regelmäßig münden sogar mehr Personen aus Erwerbstätigkeit in das SGB II ein, als sie es in Richtung Arbeit wieder verlassen.“ Auch Lafferentz ist entäuscht: „In der Gesamtsicht bleibt der Beschäftigungsaufbau weit hinter den Versprechungen zurück.“ In dieselbe Kerbe schlägt Sabine Zimmermann von der Linksfraktion im Bundestag: Die Zahlen blieben „erheblich hinter der vollmundigen Ankündigung im Koalitionsvertrag von 150.000 zurück“. Nötig wäre ein wesentlich größerer öffentlich geförderter Beschäftigungssektor „mit existenzsichernden und voll sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen.“

Aber selbst wenn es der großen Koalition wirklich ernst wäre mit der Sache, sind immer noch die Länder beziehungsweise die Kommunen für den Vollzug zuständig. Und da gehen die meisten mit wenig Elan zu Werke. Nach einer Aufstellung des DGB auf Grundlage von BA-Daten vom vergangenen Oktober geizen Hamburg und Hessen mit einer Förderquote von 2,6 Prozent, auf zwischen vier und 4,5 Prozent bringen es Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Acht Länder bewegen sich zwischen fünf und sechs Prozent, dann folgt Schleswig-Holstein mit 6,4 Prozent und nur Thüringen (9,1 Prozent) sowie das Saarland mit 10,3 Prozent ragen – auf immer noch bescheidenem Level – heraus.

Fachliche Begleitung fehlt

Am fehlenden Geld kann das nicht liegen. Für das Projekt sozialer Arbeitsmarkt stellt der Bund gestreckt auf fünf Jahre vier Milliarden Euro zur Verfügung. Davon wurde 2019 nach Regierungsangaben allerdings bloß eine halbe Milliarde Euro abgerufen. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr steckten die Jobcenter zehnmal so viel Geld in sogenannte Aktivierungsmaßnahmen, die bestenfalls über Umwege und viel zu selten in einen regulären Job führen, wie in die „Teilhabe am Arbeitsmarkt“. Lafferentz von der LAG Arbeit Hamburg geht da der Hut hoch. „Bei Maßnahmen mit Zukunft wird geknausert, obwohl das Geld vorhanden wäre. Das fließt dann ungenutzt zurück in den Bundeshaushalt, während zugleich Unsummen für unsinnige Programme verpulvert werden.“

Überdies sieht sie einen „gravierenden Konstruktionsfehler“, den, dass die Gelder sich vornehmlich in Lohnzuschüssen erschöpfen. Ihr fehlen flankierende Maßnahmen, die die Nachhaltigkeit der Beschäftigung über den Fünf-Jahres-Zeitraum sicherstellen. Denn das ist ja der Endzweck: Dass die Menschen auch ohne Bezuschussung am Ball bleiben können und dürfen. Mittel- und langfristig gehe es darum, dass der Betreffende seinen Beitrag zum Betriebsergebnis leistet, dazu, dass der Laden wirtschaften kann. „Wer so viele Jahre nicht mehr in einem Betrieb ›Mehrwert abliefern‹ durfte, hat es oft schwer, sich in der Hektik und bei den hohen Erwartungen zurechtzufinden“, gab Lafferentz zu bedenken. Deshalb müssten auch „Assistenzkosten“ wie die für Arbeitsplatzausstattung, Verwaltung und speziell die „fachliche Begleitung im Arbeitsprozess“ getragen werden. Andernfalls drohten viele der Geförderten ihren Job nach spätestens fünf Jahren wieder zu verlieren.

Hart ins Gericht geht Lafferentz dagegen mit den gesponserten Coachingkursen. Diese würden in der Regel von „Bildungsanbietern in Billigkonkurrenz“ zentral in großen Gruppen fernab des Arbeitsplatzes ausgerichtet und wären „völlig abgehoben von der Lebenslage“ der Teilnehmer. „In Hamburg wurden Leute schon mit der Ansage konfrontiert, sie seien ja gar nicht behindert, was das wohl solle.“ Was diese Träger am besten könnten, seien Bewerbungstrainings. „Das tun sie dann auch als erstes, mit Menschen, die sich gerade erfolgreich auf einen Arbeitsplatz beworben haben und froh sind, jetzt eine Perspektive zu haben. Da fehlen einem die Worte.“

Von wegen Privatwirtschaft

Anders SPD-Vize Heil, der (nicht) weiß, wovon er spricht: „Ein wesentliches Instrument, damit der soziale Arbeitsmarkt erfolgreich ist, ist das begleitende Coaching. Zu deutsch: dass Menschen Unterstützung bekommen, Rat und Hilfe. Um Probleme, die sie neben der Tatsache, dass sie keine Arbeit haben, die aufgelaufen sind, auch zu adressieren. Arbeitgeber melden uns, dass das sehr hilfreich ist in vielen Bereichen.“ Auch sonst nimmt der Minister es nicht ganz so genau mit der Wahrheit. Nach seiner Darstellung sind „fast drei Viertel der Arbeitsplätze, etwa 30.000, (…) in der Privatwirtschaft entstanden“. In der Presse tauchte wiederholt eine Quote von 70 Prozent auf. Das macht natürlich Eindruck. Hört, hört! Die deutschen Unternehmer sind sich nicht zu schade, Bedürftigen und Abgehängten eine Chance zu geben. Fast noch schöner mutet freilich die Botschaft an, Langzeitarbeitslose könnten mit Unterstützung der Regierung (der SPD) auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen und sich dort dauerhaft behaupten.

Das dürfte aber ein ziemlich seltenes Phänomen sein. Mit „privatem Sektor“ sind nämlich nicht Bayer, Daimler oder die Telekom gemeint, sondern in weit überwiegendem Maß gemeinnützige soziale Beschäftigungsträger – neben ein paar wenigen gewinnorientiert Gewerbetreibenden, die sich für benachteiligte Menschen engagieren. In der Hansestadt etwa fallen allein 70 Prozent der fraglichen Stellen auf die Mitgliedsorganisationen der LAG Arbeit Hamburg. Den Rest stellen öffentliche Akteure wie die Stadtreinigung, städtische Integrationsfirmen, Bildungsträger oder Wohlfahrtsverbände.

Damit bewahrheiten sich offenbar auch die Befürchtungen auf Seiten der Linken nicht, mit dem Teilhabechancengesetz werde ein neuer Billiglohnsektor auf Staatskosten ins Werk gesetzt und die kommerzielle Wirtschaft vor allem auf Mitnahmeeffekte lauern. Wenngleich es auch unter Sozialunternehmen schwarze Schafe gibt und Leiharbeitsfirmen mit Langzeitarbeitslosen schon gutes Geld gemacht haben, verlangt die besondere Hilfsbedürftigkeit der adressierten Menschen eher umgekehrt, dass man sie „mitnimmt“ auf ihrem Weg zurück in Arbeit und dies den Arbeitgeber am Ende allemal mehr kostet, als er im Gegenzug an Lohnzuschüssen einstreicht.

Regierungsteilhaber

Und wäre es anders, wäre das neue Gesetz gewiss ein größerer Renner. Stand jetzt, reiht es sich nahtlos ein in die Liste der vielen Arbeitsmarktmaßnahmen, die wenig bringen, weil sie schlecht durchdacht sind und nicht zu viel Geld kosten dürfen. Konsterniert stellt man deshalb beim Bundesnetzwerk fest: „Leider bleibt dies eine Idee ohne Bezug zur Wirklichkeit. Trotz Förderung wollen wie auch in den vergangenen Jahren die meisten Unternehmen Fachkräfte einstellen, keine Langzeitarbeitslosen.“ Dazu wäre der Leistungsdruck in den Unternehmen für gesundheitlich beeinträchtigte Menschen sehr belastend. „Das Ergebnis ist traurig: weniger „sozialer Arbeitsmarkt!“.

Aber eines hat das Ganze doch gebracht. Laut Lafferentz „war nur die Aussicht auf dieses Gesetz für viele innerhalb der SPD ausschlaggebend für ihren Entschluss, beim damaligen Mitgliedervotum für eine große Koalition zu stimmen“. So wurde immerhin Hubertus Heil zum „Teilhaber“ – und seine nächste „Chance“ bekommt er bestimmt.

Titelbild: rudall30 / Shutterstock

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