Wochenrückblick: Referentenentwurf zur Grundrente liegt jetzt in einer neuen Fassung vor. Daran gibt es massive Kritik. Mit Recht.

Wochenrückblick: Referentenentwurf zur Grundrente liegt jetzt in einer neuen Fassung vor. Daran gibt es massive Kritik. Mit Recht.

Wochenrückblick: Referentenentwurf zur Grundrente liegt jetzt in einer neuen Fassung vor. Daran gibt es massive Kritik. Mit Recht.

Albrecht Müller
Ein Artikel von: Albrecht Müller

Es gab viel Wichtiges in dieser Woche, zum Beispiel das seltsame Davos und eine schreckliche, aber wichtige Rede des US-Präsidenten – ein Dokument und Beleg dafür, dass der totale Egoismus einer Nation zur Wegweisung erklärt werden kann. Dann sickerten „existenzgefährdende“ Informationen zum Grundrenten-Projekt durch. Die Deutsche Rentenversicherung formulierte einen 16-seitigen Verriss. Das Dokument finden Sie beim Portal Sozialpolitik, das immer wieder mit ausgesprochen guten Informationen und Dokumenten glänzt. Respekt und Dankeschön für diese aufklärende Arbeit. Albrecht Müller.

Zunächst vorweg noch der Link auf die schriftliche Fassung der Rede des US-amerikanischen Präsidenten in Davos. Mit der Verlinkung müssen wir uns entschuldigen. Die schriftliche Fassung auf Deutsch war nur auf einer Webseite, die wir sonst nur mit spitzen Fingern anfassen, zu finden: ach gut.

Wichtige Informationen zum Thema Grundrente finden Sie hier.

Hier ist der Link zum neuen Referentenentwurf zur Grundrente vom 20.1.2020.

und hier folgt der Link zur Stellungnahme der Deutschen Rentenversicherung.

und hier der Link zur Stellungnahme des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.

Wenn Sie das Thema interessiert, dann schauen Sie sich zumindest die 16 Seiten der Deutschen Rentenversicherung an. Dort werden die faktischen Schwächen des Grundrenten-Konzepts schonungslos offengelegt. Vor allem wird gezeigt, dass die Politiker in Berlin und auch die Administration im Berliner Ministerium wenig Ahnung von den administrativen Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Grundrenten-Konzepts haben. Es ist zu erwarten, dass die Bürokratie und der Minister die nachgeordnete Einrichtung Deutsche Rentenversicherung (eine Behörde ist es nicht!) bestrafen wollen. Bitte achten Sie darauf und intervenieren Sie zum Beispiel bei ihren Abgeordneten, wenn sich eine solche Gängelung der Deutschen Rentenversicherung abzeichnet. Das 16-Seiten-Papier ist ein Dienst an der Sache und den Rentnern und den Beitragszahlern!

Es ist durchaus denkbar, dass das Vorhaben noch scheitert. Zusätzlich zur Kompliziertheit der Umsetzung und der mangelnden Rücksicht auf die administrativen Schwierigkeiten kommt noch das Finanzierungsproblem. Die Kosten für die Grundrente sollten ja aus einer Transaktionssteuer bezahlt werden. Diese Transaktionssteuer gibt es aber nicht und sie wird sehr wahrscheinlich auch nicht durchkommen.

Auch an diesem Beispiel ist der Mangel an konzeptioneller Fähigkeit sichtbar. Auf den NachDenkSeiten haben wir vermutlich schon mehrmals darauf hingewiesen, dass es in der Finanzwissenschaft ein vernünftiges Prinzip gibt, das sogenannte Non-Affektionsprinzip. Das meint Folgendes: Es ist aus fachlichen Gründen geboten, einzelne Ausgaben des Staates nicht an einzelne Einnahmen zu knüpfen. Dafür gibt es maßlos viele Gründe, Ausgaben und Einnahmen können variieren usw. Vor allem aber sollte als Prinzip gelten, dass die politisch Verantwortlichen in Regierung und Parlament eine Sachentscheidung über die optimale Struktur der Einnahmen und eine Sachentscheidung über die Ausgaben treffen, und eben nicht über einzelne Ausgaben gebunden an einzelne Einnahmen. Wie vernünftig dieses Prinzip ist, sieht man jetzt an diesem aktuellen Fall: wenn das Projekt Grundrente vernünftig wäre, dann dürfte es nicht daran scheitern, dass es möglicherweise nicht gelingt, die Transaktionssteuer durchzusetzen.

Der Hinweis auf dieses Prinzip ist notwendig, weil es mehr und mehr üblich wird, spezielle Ausgaben an spezielle Einnahmen zu binden. Das ist ein Irrweg, ein Irrweg, der sehr viel sagt über die Kompetenz bzw. mangelnde Kompetenz der in Berlin handelnden Personen.

In diesem Zusammenhang wäre noch auf die vor Weihnachten aufgenommene Systemdebatte hinzuweisen. Die NachDenkSeiten haben ja am 30. Dezember eine Zusammenstellung der Leserbeiträge zur Systemfrage gebracht. Am 16. Dezember hatten wir gefragt: „Systemänderung – was ist das? Wie soll das neue System aussehen?“. Spiegeln Sie jetzt mal die Debatte um die Umsetzung des Beschlusses zur Grundrente auf Vorstellungen davon, dass wir dringend das System verändern müssten. Das mag ja richtig sein. Es tut aber auch gut, darauf zu achten, dass unser Zusammenleben über weite Strecken auf Regeln und Regelsystemen aufbaut, die wir uns in einem mühsamen, manchmal irreführenden Prozess der Meinungs- und Entscheidungsfindung ausdenken. Ich fand es immer hilfreich, in diesem Zusammenhang den Begriff Social Technique in die Debatte und vor allem ins Denken einzuführen; wenn man das mal begriffen hat, dass unser Zusammenleben auf vielfältige Weise von solchen Regelungstechniken oder Regelungen abhängt, dann weiß man zusätzlich, wie schwierig die Antwort auf die Frage ist, was eine Systemänderung ist.

Social Technique – so könnte man das Kindergeld und die Schulpflicht, die Regelung, rechts zu fahren und in Ortschaften nicht über 50, das Kartellrecht und das Erbrecht, die Förderung der privaten Vorsorge und die Minderung der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente durch neue Regelungen, die Ökosteuer, die Existenz von Börsen, den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk und vieles, vieles mehr nennen. Das alles zusammen macht das jetzige System aus. So könnte man‘s zumindest sehen. Und die Qualität des Systems hängt wesentlich davon ab, wie gut die einzelnen Regelungen gestaltet sind.

Das ist eine erste Äußerung meinerseits zur Systemdebatte. Nur ein Denkanstoß, nichts mehr. Vielleicht aber noch die Anregung, mal zu überlegen, was angesichts der Realität, dass unsere Gesellschaft von einer Vielfalt von Social Technique geprägt ist, die Absicht heißt, den Kapitalismus abzuschaffen und zu ersetzen. „Social Technique im Kapitalismus, Social Technique ohne Kapitalismus“– das wäre ein ansprechendes, aber schwieriges Thema für eine Diplomarbeit oder eine Doktorarbeit.

Titelbild: photocosmos1 / Shutterstock

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