Der Iran-Deal – ein Abschiedsbrief

Der Iran-Deal – ein Abschiedsbrief

Der Iran-Deal – ein Abschiedsbrief

Jakob Reimann
Ein Artikel von Jakob Reimann

Das Atomabkommen mit dem Iran hätte als Meilenstein einer lösungsorientierten Diplomatie den Weg in eine friedlichere Zukunft weisen können. Mit seinem Ausstieg aus dem Iran-Deal im Mai 2018 setzte Donald Trump eine Eskalationsspirale in Gang, die die Welt so nahe an einen US-Iran-Krieg brachte wie zu keinem anderen Zeitpunkt in den 41 Jahren Spannungen beider Länder zuvor. Die europäischen Vertragsparteien genau wie China und Russland duckten sich weg und waren entweder nicht willens oder nicht in der Lage, dem Trumpschen Sanktionsregime etwas entgegenzusetzen. Vergangene Woche beschuldigten Deutschland, Großbritannien und Frankreich unter Artikel 36 des Deals den Iran offiziell des Vertragsbruchs und drängten Teheran so weiter in die Ecke – ein Schritt, der als letzter Sargnagel des so wichtigen Abkommens betrachtet werden sollte. Von Jakob Reimann.

In der chaotischen Trump-Ära wird eines gerne vergessen: Barack Obama hatte eine katastrophale Außenpolitik- und Menschenrechtsbilanz. Seinen Friedensnobelpreis sollte er umgehend nach Oslo zurückschicken. Neben all dem Unheil, das Obama über die Welt brachte, gab es jedoch eine kleine Handvoll positiver Errungenschaften, die er hinterließ: Nach fast 90 Jahren Konfrontation beider Länder die Normalisierung der Beziehungen zu Kuba etwa, oder seinen Anteil an der Erreichung des Pariser Klimaabkommens, doch allen voran ist das historische Nuklearabkommen mit dem Iran zu nennen. In seiner Obama-Obsession – die Jahre zurückreicht; Stichwort „Birther Movement“ – begann Donald Trumps Präsidentschaft mit Tag 1, die wenigen positiven Errungenschaften seines Vorgängers in Stücke zu reißen.

Trump zerreißt den Iran-Deal

Am 8. Mai 2018 trat Donald Trump aus dem JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action, „Iran-Nukleardeal“) aus. Der 2015 zwischen China, Frankreich, Großbritannien, Russland, USA (P5-Mächte), sowie Deutschland, der EU und dem Iran geschlossene Deal sollte eine potentielle iranische Atombombe unmöglich machen, wofür Irans ziviles Atomprogramm maximal beschnitten, reglementiert und überwacht wurde. Im Gegenzug sollten die harschen Sanktionen und in diesem Zuge die weltweite Isolation des Landes enden. Der Deal funktionierte, die zuständige Internationale Atomenergiebehörde verifizierte in sämtlichen Quartalsberichten Irans lückenlose Einhaltung des Deals. Das Abkommen ist sicher nicht perfekt – in der internationalen Politik gibt es so etwas nun mal nicht – doch bewies es, dass selbst jahrzehntelange Feinde, die sich maximal misstrauten und aus ihrer Wahrnehmung jeweils einer untragbaren Situation gegenübersahen, ein konkretes Problem anstatt auf dem Schlachtfeld am Verhandlungstisch lösen konnten. An anderer Stelle bezeichnete ich den Deal daher als „Blaupause für friedliche, lösungsorientierte Diplomatie im 21. Jahrhundert“: Mehr Diplomatie wagen – was auch sonst?

Trump hat das JCPOA-Dokument natürlich nie gelesen, sondern hat den Rechtsaußen-Einflüsterern auf FOX News, in kriegstreiberischen Thinktanks und in seinem Stab deren Lügen über den Deal geglaubt und bezeichnete ihn wiederholt als „schlechtesten Deal aller Zeiten“. Einige Male unterschrieb auch Trump noch den Quartalsbericht und bestätigte so widerwillig Irans Einhaltung aller Vorgaben, bis er im Mai 2018 schließlich als Medienzirkus inszeniert aus dem Deal ausstieg. Die moderaten Reformer um Präsident Hassan Rouhani und Außenminister Javad Zarif wurden durch Trumps fatale Entscheidung massiv geschwächt. Die einzigen Profiteure im Iran waren anti-amerikanische Hardliner wie Revolutionsführer Ali Khamenei und der jüngst durch eine US-Drohne getötete General Soleimani, die von Beginn an gegen Verhandlungen mit Obama waren. Khamenei einen Tag nach Trumps Austritt aus dem Deal: „Ich sagte es vom ersten Tag an: Ihr könnt Amerika nicht trauen“.

Trumps Ausstieg folgte das Wiedereinsetzen der US-Sanktionen gegen den Iran und unter dem Label „maximum pressure“ schließlich eine Eskalationskaskade aus neuen Sanktionen, militärischem Säbelrasseln bis hin zu offenen Kriegshandlungen und Washingtons Drängen aller anderen Länder dieser Welt, ihre Wirtschaftsbeziehungen zum Iran ebenfalls einzustellen, wollten sie nicht mit drakonischen US-Sekundärsanktionen bestraft werden. Diese Eskalationsspirale brachte die Welt zu Beginn des neuen Jahrzehnts so nahe an den Abgrund eines möglichen US-Iran-Kriegs wie zu keinem anderen Zeitpunkt in 41 Jahren Spannungen beider Länder zuvor (wie ich ausführlich auf den NachDenkSeiten analysierte). Zentral in dieser „maximum pressure“-Strategie war das Ziel, Irans Ölexporte auf Null herunterzufahren und so Teherans mit Abstand wichtigste Einnahmequelle auszuschalten. Ein Land nach dem anderen fügte sich der Vorgabe aus Washington.

Ende September 2019 sanktionierte die Trump-Regierung erneut speziell chinesische Firmen, die weiterhin geringe Ölgeschäfte mit dem Iran abwickelten, mit dem Ergebnis, dass iranische Ölexporte Richtung China vom Peak im April 2019 (fast 900.000 Barrel pro Tag/bpd) auf 140.000 bpd einbrachen. China kauft damit etwa die Hälfte der 300.000 bpd, die Iran aktuell noch absetzen kann (über Trucks oder kleinere Schiffe geschmuggelt, durch Ausschalten der Tracker, umetikettiert als irakisches Öl oder an ebenfalls sanktionierte Paria wie Assad). Angesichts von Exporten von weit über 2,5 Millionen bpd vor Trumps Austritt aus dem Deal – einem Einbruch um fast 90 Prozent also – muss konstatiert werden, dass Trumps Politik des Herunterfahrens iranischer Exporte auf Null ihr Ziel nahezu erreicht hat. Dass US-Satelliten (Japan, Südkorea) oder unterwürfige Partner (die Länder Europas) ihre Importe einstellten, mag nicht sonderlich überraschen, dass jedoch vor Selbstbewusstsein strotzende (Erdoğans Türkei) oder schier riesige Länder (Indien, China) dasselbe taten, dann schon etwas mehr.

Die Folgen der „maximum pressure“-Politik sind katastrophal. 2018 schrumpfte die iranische Wirtschaft um 4,8 Prozent und 2019 schließlich um rund 9,5 Prozent, der Iranische Rial verlor in den letzten zwei Jahren gut zwei Drittel an Wert, Inflationsraten von je über 30 Prozent wurden gemessen. Benzinpreise stiegen um die Hälfte, Nahrungsmittelpreise um knapp zwei Drittel, Kosten für lebensnotwendige Medikamente schossen in die Höhe genau wie jene für medizinische Behandlungen: Die Sanktionen zerstören nicht nur die iranische Volkswirtschaft, sondern haben auch fatale Folgen für die humanitäre Lage im Land. Die „umfassenden Sanktionen der Trump-Regierung“, schreibt Human Rights Watch in seinem jüngsten Bericht, hatten „negative Auswirkungen auf die humanitäre Not und das Recht auf Gesundheit von Millionen von Iranern“.

Eine Woche nach Unterzeichnung des JCPOA in Wien wurde der Iran-Deal am 20. Juli 2015 einstimmig auch in Resolution 2231 des UN-Sicherheitsrats verbrieft und ist nach Artikel 25 der UN-Charta damit völkerrechtlich bindend für alle 193 UN-Mitgliedsstaaten (plus der Heilige Stuhl und Palästina). Es ist zentral, sich diesen Umstand zu vergegenwärtigen: Unabhängig von Trumps Aussteigen aus dem JCPOA selbst war jeder seiner im Mai 2018 folgenden Eskalationsschritte völkerrechtswidrig – alle US-Sanktionen gegen den Iran sind illegal. Als Reaktion auf diesen Völkerrechtsbruch seitens der USA – sowie Europas, Chinas und Russlands, die ebenfalls vertragsbrüchig wurden, da sie nicht willens oder im Stande waren, dem Iran die zugesicherten wirtschaftlichen Vorteile zu verschaffen (siehe unten) – begann der Iran im Mai 2019 in fünf Schritten, seine technischen Verpflichtungen unter dem JCPOA ebenfalls auszusetzen (etwa im Anreicherungsgrad des Urans oder der Anzahl erlaubter Zentrifugen). Nach jeder weiteren Stufe ließ Teheran den verbleibenden Vertragsparteien, insbesondere den europäischen, jeweils 60 Tage Zeit, entsprechende abfedernde Maßnahmen zu implementieren und versicherte korrekt, alle Schritte seien problemlos reversibel (höher angereichertes Uran kann umgehend mit schwach angereichertem verdünnt werden, überschüssige Kilogramm können nach Russland oder Europa exportiert werden usw.), doch wurde jedes Mal im Stich gelassen, da nichts passierte. Die iranische Führung berief sich in ihrem Handeln stets auf Artikel 36 des JCPOA, der jeder Vertragspartei das Recht einräumt, „ihre Verpflichtungen ganz oder teilweise auszusetzen“, wenn sich die anderen Parteien einer „signifikanten Nichterfüllung“ ihrer Vertragsverpflichtungen schuldig machen – handelte also stets im Einklang mit dem Völkerrecht.

Es mag westliche Beobachter verwirren, doch: China, Deutschland, die EU, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA haben den Iran-Deal und damit UN-Resolution 2231 verletzt, nicht der Iran. Erneut unter Berufung auf Artikel 36 verkündete Teheran am 5. Januar schließlich die Implementierung der fünften und letzten Stufe und hat damit wie vor 2015 ein ziviles Nuklearprogramm, das keinerlei JCPOA-Restriktionen mehr unterliegt – Donald Trump kann sich auf die Schulter klopfen.

Europa drängt Iran in die Ecke

Vermeintlich als Reaktion auf diese fünfte und letzte Abkehr Teherans von den JCPOA-Auflagen verkündeten die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens in einer gemeinsamen Erklärung am 14. Januar schließlich unter Berufung auf denselben Artikel 36 des JCPOA, den Streitschlichtungsmechanismus auszulösen und Teheran so weiter in die Ecke, weiter in die Handlungsunfähigkeit zu drängen. Die iranische Argumentation, aufgrund der unterstellten europäischen Nicht-Erfüllung des Deals seinerseits Artikel 36 zu bemühen, „akzeptieren wir nicht“, so die drei Außenminister, die weiter erklären, sie hätten „unermüdlich auf eine Förderung des legitimen Handels mit Iran hingearbeitet, auch durch die Zweckgesellschaft INSTEX“. (INSTEX ist ein Tauschmechanismus, der am Dollar vorbei den iranisch-europäischen Handel abwickeln sollte.) Allein der letzte Satz ist eine derart massive Irreführung der Öffentlichkeit, dass es schwerfällt, ihn nicht als offene Lüge zu bezeichnen.

Hier die Zahlen: Hat sich der beiderseitige Handel zwischen EU und Iran von 2015 – dem Jahr vor Inkrafttreten des Deals – von 7,7 Milliarden US-Dollar auf 21,0 Milliarden im Jahr 2017 fast verdreifacht, so fiel er 2018 – dem Jahr von Trumps Ausstieg aus dem Deal – bereits leicht auf 18,4 Milliarden, um 2019 schließlich vollkommen einzubrechen. Bis Oktober 2019 stürzte der EU-Iran-Handel um 75 Prozent ins Bodenlose, so die Zahlen der Deutsch-Iranischen Industrie- und Handelskammer. Die iranischen Exporte Richtung EU lösten sich gar um 94 Prozent nahezu in Luft auf und beliefen sich auf 586 Millionen Dollar – Peanuts im Vergleich zu den fast 11 Milliarden in die EU exportierter Waren in 2017. Das pan-europäische Nachrichtenportal Euractiv berichtet unter Berufung auf verschiedene Quellen in der EU gar, dass entgegen der blumigen Worte aus Europa bislang keine einzige Transaktion über INSTEX abgewickelt wurde – zu groß ist die Angst vor Trumps Sekundärsanktionen. INSTEX existiert also nur auf dem Papier, ist ein Hirngespinst. Wenn diese katastrophalen Handelsbilanzen und ein impotentes INSTEX-Phantom das Ergebnis „unermüdlicher Arbeit“ seitens der drei Außenminister sind, so sind Heiko Maas, Jean-Yves Le Drian und Dominic Raab (beziehungsweise Hunt und Johnson vor ihm) ganz offensichtlich maximal unfähig und sollten umgehend von ihren Posten als Vorzeigediplomaten Europas zurücktreten.

Entgegen dem in der gemeinsamen Erklärung der drei wiederholt vorgetragenen Commitment zum Iran-Deal und der Bekräftigung, „durch konstruktiven diplomatischen Dialog einen Weg aus dieser Sackgasse zu finden“, sollte die Initiierung des Streitschlichtungsmechanismus als Todesstoß des JCPOA insgesamt betrachtet werden, da es für Teheran nun kaum ein mögliches Szenario mehr gibt, an den vielfach beschworenen Verhandlungstisch zurückzukehren, ohne vollständig das Gesicht zu verlieren. Durch ein selbstbewusstes Auftreten und ein forciertes Eintreten für die eigenen Positionen hätte Europa diese „Sackgasse“ verhindern können – doch es entschied sich einmal mehr für das Unterwerfen unter Washingtons Diktat.

Auch Russland und China lassen den Iran im Stich

Doch auch Russland und China dürfen von ihrer Verantwortung für das Scheitern des Deals nicht entbunden werden, da auch diese zwei Verbündeten des Iran sich dem Druck Washingtons unterwarfen und die im JCPOA zugesicherten wirtschaftlichen Vorteile nicht liefern konnten. Russland ist traditionell zwar politisch eng mit dem Iran verbunden, doch spielt als Handelspartner eine eher untergeordnete Rolle – der Anteil von Importen aus Russland in den Iran liegt im unteren Prozentbereich aller iranischen Importe, und der Anteil iranischer Exporte Richtung Russland gar im unteren Promillebereich. In den ersten sieben Monaten 2019 stieg der Handel zwischen beiden Ländern im Vergleich zum Vorjahr zwar um ein Viertel auf 1,33 Milliarden US-Dollar, wie die iranische Financial Tribune berichtete, doch ist dieses Plus ausschließlich auf gestiegene Exporte aus Russland zurückzuführen – Ausfuhren aus dem Iran sanken gar um über 6 Prozent. Besonders ist das Einstellen einiger Prestigeprojekte schmerzhaft für den Iran. So zog sich der zweitgrößte russische Ölproduzent Lukoil bereits im Mai 2018 aus seinen Iran-Geschäften zurück, während der Energieriese Gazprom zwar mehrere nichtbindende Absichtserklärungen mit dem Iran unterzeichnete, doch wurden auch daraus bislang keinerlei Kooperationen geschlossen. Dem konkreten Projekt des Baus einer iranisch-omanischen Gaspipeline erteilte die Gazprom-Führung eine Abfuhr.

Bereits oben wurde erwähnt, dass China zwar weiterhin geringe Mengen iranischen Öls abnimmt (rund 140.000 bpd), dass dieser Wert im Vergleich zur Zeit vor Trumps Sanktionen jedoch um über fünf Sechstel eingebrochen ist. Auch bezahlt China den Iran nicht direkt, sondern nutzt die Öllieferungen zur Bedienung von Kreditlinien. China ist weiterhin der mit Abstand wichtigste Handelspartner für den Iran, doch brach auch der sino-iranische Handel 2019 massiv ein: In den ersten zehn Monaten fielen chinesische Exporte in den Iran um 39 Prozent, während iranische Exporte nach China um 36 Prozent zurückgingen; im Oktober 2019 fiel das Handelsvolumen beider Länder auf den schlechtesten Wert seit über zehn Jahren.

Laut den Datenbanken des IWF gingen iranische Exporte insgesamt nach beeindruckenden zweistelligen Wachstumsraten 2015 und 2016 im Jahr 2018 um 17 Prozent zurück und brachen 2019 um 37 Prozent ein (IWF-Prognose), während die iranische Volkswirtschaft insgesamt massiv schrumpfte. Statt dem im JCPOA zugesagten ökonomischen Bergauf trat also das genaue Gegenteil ein. Natürlich wurde dieser Wirtschaftskrieg gegen den Iran im Weißen Haus initiiert, doch müssen auch alle anderen Vertragsparteien für das Scheitern des Deals zur Rechenschaft gezogen werden. Wie aus den anderen Hauptstädten sind auch aus Moskau und Peking stets blumige Worte des Commitments zum Iran-Deal zu vernehmen, doch übersetzen sich diese nicht in konkretes Handeln und sind für den Iran damit wertlos: Auch Russland und China haben den Iran im Stich gelassen.

Die Demütigung Europas

Am Mittwoch vergangener Woche enthüllte die Washington Post eine Geschichte, die für Europa nicht nur äußerst peinlich, sondern – mal wieder – eine regelrechte Demütigung war. „Eine Woche bevor Deutschland, Frankreich und Großbritannien den Iran offiziell der Verletzung des Atomabkommens von 2015 beschuldigten“, so die Washington Post unter Berufung auf anonyme europäische Funktionäre, „äußerte die Trump-Regierung eine private Drohung an die Europäer, die die Funktionäre in allen drei Ländern schockierte“. Wenn Europa „sich weigern sollte, Teheran anzuprangern und einen geheimen Streitmechanismus zu initiieren, würden die USA europäische Automobile mit Zöllen in Höhe von 25 Prozent belasten“. Entgegen den diplomatischen Protokollen wurde die Drohung nicht über die jeweiligen Botschaften in Washington übermittelt, sondern direkt nach Berlin, London und Paris gefunkt. „Die Zolldrohungen sind eine Mafia-artige Taktik“, zitiert die Washington Post Jeremy Shapiro vom European Council on Foreign Relations, und weiter einen der anonymen europäischen Funktionäre: „Wir wollten nicht schwach wirken und entschieden uns daher, die Existenz der Drohungen geheim zu halten“.

Zwar sind Sanktionen und Strafzölle in der Tat das einzige Tool im diplomatischen Werkzeugkasten des US-Präsidenten, auch würde eine derart anmaßende Dreistigkeit ins Trumpsche Profil passen, doch müssen wir aus langer Erfahrung höchst wachsam sein, wenn US-Medien etwas derart Brenzliges ausschließlich auf Angaben „anonymer Quellen“ gründen. Auch US-Botschafter Richard Grenell bemühte eben diese Argumentation und diffamierte auf Twitter die Enthüllungen der Washington Post reflexartig als „Fake News“. Doch dann kam AKK. Die nicht unbedingt für ihre diplomatische Finesse bekannte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) bestätigte nach einem Besuch bei ihrem britischen Amtskollegen in London die Vorwürfe der Washington Post: „Die Drohung stand im Raum“. Dieser diplomatische Fauxpas der Verteidigungsministerin – schließlich sollte „die Existenz der Drohungen geheim“ bleiben – führte schließlich zu einem zehnminütigen Rumdrucksen und Ausweichen im Duett zweier Ministeriumssprecher auf der Bundespressekonferenz am vergangenen Freitag. Arne Collatz (Verteidigung) bestätigte zunächst die Aussage seiner Chefin in London, während Rainer Breul (Auswärtiges) widersprüchlich erklärt: „Ich kann ihnen versichern, es gab keine Einflussnahme der USA auf die Auslösung des Streitbeilegungsmechanismus“. Die Drohung, einen multimilliardenschweren Angriff auf die europäische Autoindustrie zu fahren, hatte also keinerlei Einfluss – anstatt die Machtspielchen aus Washington offen zu kritisieren, verspielt die Bundesregierung den letzten Funken an Glaubwürdigkeit, den sie im Kontext des Iran-Deals noch hatte.

Nach der Ankündigung der Europäer vom 14. Januar bezeichnete Irans Revolutionsführer Ajatollah Khamenei in seinem ersten Freitagsgebet in Teheran seit acht Jahren Donald Trump als „Clown“. Deutschland, Frankreich und Großbritannien seien „schwach“ und würden „nur Lippenbekenntnisse abgeben und Lügen erzählen“, sie seien die „Bauern der USA“ und „Lakaien der Amerikaner“, denen „nicht getraut werden kann“. Irans Außenminister Javad Zarif kommentierte die Rückgratlosigkeit Europas weniger polternd, doch so bitter wie zutreffend: „Wenn Ihr Euch Eure Integrität abkaufen lassen wollt, nur zu. Aber beruft Euch nicht auf großartige moralische oder rechtliche Prinzipien“.

Selbstgewählte Unterwürfigkeit – oder: der Tod auf Raten des JCPOA

Gebetsmühlenartig fordern die europäischen Vertragsparteien Teheran auf, zu den Vorgaben des Deals zurückzukehren, da nur so eine positive Entwicklung möglich sei. Im Sinne dieses Arguments folgendes Gedankenspiel: Angenommen, Teheran würde morgen früh beginnen, seine fünf Schritte umzukehren und so wieder vollumfänglich alle JCPOA-Statuten zu implementieren: Nichts würde sich für die ökonomische Lage im Iran ändern. Dank des aggressiv-übergriffigen US-amerikanischen Wirtschaftsimperialismus gepaart mit einer kriecherischen Unterwürfigkeit aller anderen Länder, die – als hätten die letzten dreißig Jahre „Oligopolisierung“ der Welt schlicht und ergreifend nicht stattgefunden – sich noch immer ohne jedes Aufbegehren unter der imperialistischen Drohgebärde hinwegducken, würde sich für den Iran nicht das Geringste ändern: Es blieben die angedrohten Sekundärsanktionen eines wild um sich schlagenden Weißen Hauses gegen jede Entität, die es wagt, mit dem Iran Geschäfte zu machen. Es bliebe ein impotenter INSTEX-Mechanismus gepaart mit den ewig gleichen Phrasen aus Berlin, London, Paris und Brüssel, die gebetsmühlenartig das Commitment zum Deal bekräftigen sollen, mittlerweile jedoch so hohl klingen, dass sie in der Wahrnehmung der internationalen Politik wie ein messbedingtes Grundrauschen einfach weggeschnitten werden. Es bleibt der Fakt, dass sich sämtliche Länder (außer ein klein wenig China und der Paria Assad) Trumps Diktat unterwerfen, null Barrel iranischen Öls zu importieren. Ob sich der Iran weiter vom Deal verabschiedet oder zur Rolle des Musterschülers, die er dreieinhalb Jahre innehatte, zurückkehren würde – es macht keinen Unterschied für die durch US-Sanktionen bedingte Misere im Land.

Die EU ist die größte Wirtschaftsmacht und der größte Handelsblock der Welt sowie Nummer Eins sowohl bei weltweiten Inbound- genau wie Outbound-Investitionen. Sie ist der Top-Handelspartner für 80 Länder, die USA nur für knapp über 20 Länder. China hat die USA bereits vor Jahren als größte Handelsnation abgelöst, ist gleichauf mit Japan Gläubiger an über 1,1 Billionen Dollar US-amerikanischer Schulden und hält 25 Mal so viele ausländische Währungsreserven wie die USA. Russland ist der mit Abstand größte Exporteur fossiler Brennstoffe der Welt (Öl + Gas + Kohle), hat weit mehr als doppelt so große Öl- und mehr als dreimal so große Gasvorkommen wie die USA. Vereint sowieso, doch auch einzeln sind Europa, China und Russland mächtige globale Player, doch sind sie faktisch entweder nicht willens oder nicht fähig, diese ökonomische Macht in diplomatische Verhandlungsmacht gegenüber den USA zu übersetzen.

Die Gründe für diese selbstgewählte Unterwürfigkeit unter die USA – Übermacht des US-Militärs, weiterhin Übermacht des US-Dollars, im Falle Europas die historisch gewachsene transatlantische Beziehung und Abhängigkeit – mögen von außen betrachtet auch weiterhin wirkmächtig sein, doch sind sie keinesfalls derart omnipotent, um in einer längst oligopolaren Welt das Duckmäusertum all dieser mächtigen Akteure zu erklären. Der Iran-Deal ist nicht „nur“ ein völkerrechtlich bindender Vertrag, er ist nicht nur ein historischer Meilenstein auf dem Weg zu einem nachhaltigen Frieden in Nahost und nicht nur ein Lehrbuchbeispiel, an dessen Entstehungsgeschichte junge Studierende der internationalen Beziehungen in den Universitäten dieser Welt ihre späteren Jobs in der Diplomatie gelehrt bekommen sollten, auch ist er entgegen der Darstellung der US-Falken rund um den Präsidenten kein Almosen an die Mullahs in Teheran – nein, der Iran-Deal ist im ureigenen Interesse der europäischen Signataren genau wie Russlands und Chinas, da er mit einem aus der Isolation befreiten Iran dazu beitragen kann, die Integration des eurafrasischen Wirtschaftsraums maßgeblich voranzutreiben.

Der Fakt, dass sich Europa wieder und wieder von der Trump-Regierung demütigen lässt, ohne auch nur zu erwägen, seine faktische Verhandlungsmacht auszuspielen (dasselbe gilt geringfügig abgestuft für Russland und China), lässt nicht nur tief in die Seele sämtlicher Akteure blicken, sondern war jedes Mal der Tod auf Raten vom JCPOA. Die kurzsichtige Entscheidung der europäischen Vertragsparteien, nun den Sanktionsmechanismus zu initiieren, war der letzte Sargnagel des Abkommens. Lieber Iran-Deal, wir werden dich schmerzlich vermissen.

Titelbild: Anton Watman/shutterstock.com