Combat 18 – ein Verbot mit ungewollten Offenbarungen

Combat 18 – ein Verbot mit ungewollten Offenbarungen

Combat 18 – ein Verbot mit ungewollten Offenbarungen

Wolf Wetzel
Ein Artikel von Wolf Wetzel

Am 23. Januar 2020 wurde die neonazistische Organisation „Combat 18“ vom Bundesinnen- und Heimatminister Horst Seehofer (CSU) verboten. Das Verbot wurde bereits Mitte des letzten Jahres angekündigt. Als Begründung für die „Verspätung“ nannte man, dass man „gerichtsfeste“ Beweise sammeln wollte, um das Verbotsverfahren ausreichend zu begründen. Warum diese Begründung noch mehr eine Farce ist als das Verbot. Von Wolf Wetzel.

Am 23. Januar 2020 wurde „Combat 18“ vom Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verboten. Combat 18 versteht sich als bewaffneter Arm von Blood & Honour, eine neonazistische Organisation, die im Jahr 2000 verboten wurde.

Angekündigt wurde das Verbot Mitte letzten Jahres, als die antifaschistische Rechercheplattform „Exif“ Bilder von Stephan Ernst veröffentlichte, dem die Ermittler den Mord an Walter Lübcke 2019 vorwerfen. Auf diesen ist er bei einem konspirativen Treffen von Combat 18 im Jahr 2019 zu sehen. Bilder, die das Gegenteil von dem beweisen würden, was der Verfassungsschutz angeblich von dem stadtbekannten Neonazi wusste: Nichts. Stephan Ernst sei dem Verfassungsschutz seit 2009 „vom Schirm gerutscht“.

Im Rahmen ehrenamtlicher „Erinnerungsarbeit“ wurde wenig später auf derselben Plattform ein weiteres Bild veröffentlicht, das Stephan Ernst in Chemnitz zeigt, im Rahmen einer Pegida-Demonstration im Herbst 2018.

All das will dem Verfassungsschutz entgangen sein?

Stattdessen wurde Stephan Ernst sofort und faktenfrei als „Einzeltäter“ und zurückgezogener Familienvater gehandelt. Aufgrund dieser Veröffentlichungen mussten die polizeilichen Ermittlungen einen kleinen Schwenk vollziehen: Was kaum noch zu leugnen ist, wird in eine neue Version eingearbeitet. Nun habe sich Stephan Ernst völlig unentdeckt und heimlich „spontan radikalisiert“.

Bemerkenswert an diesem Vorgang ist also, dass polizeiliche Ermittler zu Veröffentlichungen schweigen, die belegen, dass Stephan Ernst bis zu seiner Festnahme fest in Strukturen eingebunden war, die als „Terrormaschine“ besungen werden. Dass Stephan Ernst lange und enge Beziehungen zu Combat 18 hatte, war den „Sicherheitsbehörden“ bekannt. Gleichzeitig dementierte Combat 18 in einem Video, dass Stephan Ernst bei diesem Combat-18-Treffen 2019 dabei war. Ein gänzlich ungewöhnlicher Vorgang.

Und obwohl es also laut „Sicherheitsbehörden“ keine aktuellen Verbindungen von Stephan Ernst, dem Mord an Walter Lübcke und Combat 18 gibt, kündigte der Bundesinnenminister Seehofer ein Verbot von Combat 18 an. Ein eklatanter Widerspruch: Stephan Ernst soll ein Einzeltäter sein und gleichzeitig droht man mit dem Verbot von Combat 18?

Die Lücke zwischen dem, was man zugibt, und dem, was man weiß, dürfte extrem groß sein. Man kann es auch anders durchbuchstabieren: Das angedrohte Verbotsverfahren ist eine ungewollte Anerkennung all der Fakten, von denen der Verfassungsschutz nichts gewusst haben will.

Der bewusste Bruch einer „goldenen Regel“

Das Verbot wurde also lange angekündigt und ließ ganze sechs Monate auf seine Umsetzung warten. Dafür gab es auch eine Begründung, die beschämend und entlarvend zugleich ist:

„Die Fachleute im Bundesinnenministerium wollten sichergehen, dass das Verbot auch gerichtsfest ist.“ (FAZ vom 24. Januar 2020) Mit dem Suchen nach Gründen wurde der Verfassungsschutz beauftragt.

Wenn also der Verfassungsschutz tatsächlich erst Mitte 2019 Beweise suchen musste, um einen „Verein“, der seit Jahrzehnten offen den „Führerlosen Widerstand“ (wie der NSU) propagiert, das Dritte Reich und Adolf Hitler verehrt und in konspirativen Zellen organisiert ist, dann gäbe es doch nur eine vernünftige Konsequenz: Die sofortige Auflösung des Verfassungsschutzes!

Selbstverständlich ist diese Begründung absurd, denn der Verfassungsschutz weiß nicht nur viel über Combat 18 – er weiß mehr als genug. Denn genau das ist die (eigentliche) Aufgabe von V-Leuten, die der Verfassungsschutz „führt“: Das Anwerben von Combat-18-Mitgliedern, um über sie Informationen zu erhalten, die verhindern sollen, dass (schwere) Straftaten geplant bzw. begangen werden können.

Und genau diese V-Leute bewegen sich seit Jahren in Combat-18-Zusammenhängen. Sie gibt es und dieses Wissen auch! Dazu gehört unter anderen V-Mann und Combat-18-Mitglied Sebastian Seemann, der vom Verfassungsschutz NRW „geführt“ wurde.

Wenn also nicht nur antifaschistische Recherchegruppen über Mitglieder, Strukturen, Treffen und Zielsetzungen von Combat 18 Bescheid wissen, sondern eben auch der Verfassungsschutz, dann stellt sich die Frage, warum hat man mit der Verbotsverfügung so lange gewartet, bis auch das letzte belastende Material beiseitegeschafft werden konnte.

Dass dieses Verbot mit Ansage kein Fehler ist und auch nicht auf fehlendes Beweismaterial zurückzuführen ist, weiß auch die FAZ:

„In den Sicherheitsbehörden gibt es eine goldene Regel: Über die Prüfung von Verboten bestimmter Vereine wird nicht gesprochen. Doch diese Regel ist nicht die erste, die Horst Seehofer sehr eigenwillig interpretierte.“ (Faz vom 24. Januar 2020)

Das Combat-18-Feld säubern

Warum wird also die „goldene Regel“ gebrochen? Warum lässt man Combat 18 alle Zeit der Welt, um tipptopp die Verbotsverfügung entgegenzunehmen? Wenn die offizielle Begründung haltlos ist, dann gibt es andere schwerwiegende Gründe, so lange mit der Verbotsverfügung zu warten, bis alles zu spät ist. Die Rechercheplattform hat bereits im August 2019 eine Antwort für diese jahrzehntelange Betreuung von neonazistischen Strukturen gegeben:

„Der Staat versucht derzeit das Thema C18 (Combat 18, d.V.) auszusitzen. Allenfalls werden Möglichkeiten sondiert, wie man – um dem öffentlichen Druck nachzugeben – C18 Deutschland verbieten könnte ohne es zu zerschlagen, was meint: ohne die Positionen der Spitzel zu schwächen und ohne die Fäden aus der Hand zu geben. In der Logik seiner Geheimdienste, die B&H/C18 mit Spitzeln durchsetzt haben, funktioniert alles nach Plan. Deswegen gilt: Never change a running system.“

Dass wichtige, bedeutsame neonazistische Organisationen von V-Leuten als Spitzel durchsetzt sind, lässt sich an zwei Beispielen sehr eindringlich belegen:

Das NPD-Verbotsverfahren 2000 ist nicht daran gescheitert, dass es an „gerichtsfesten“ Beweise gefehlt hätte, sondern an dem Fakt, dass zu viele V-Leute in der NPD „mitwirkten“ und auf diese Einfluss nehmen konnten. Aufgrund dieses Staatsanteils kam das Gericht 2003 zu dem Schluss, dass „von Staatsfreiheit der Führungsebenen der Antragsgegnerin nach Einleitung des Verbotsverfahrens keine Rede sein (…) Also kann der Senat nicht beurteilen, welche Teile des ihm im Verbotsverfahren vorgelegten Materials von staatlich geführten V-Leuten stammen und welche nicht.

Der Thüringer Heimatschutz/THS war in den 1990er Jahren eine sehr einflussreiche neonazistische Kameradschaft in Thüringen. Aus ihr ging der NSU hervor. Im Zuge der Ermittlungen und unabhängiger Recherchen konnten über zwei Dutzend V-Leute enttarnt werden. Obwohl es also „Quellen“ im Überfluss gab, wurde dieses nicht für ein Verbotsverfahren genutzt. Und obwohl der Verfassungsschutz über genau diese V-Leute erfahren hat, wie der NSU entstanden ist, wie er sich im „Untergrund“ einrichtet, will der Inlandsgeheimdienst dreizehn Jahre nichts von der Existenz des NSU gewusst haben. Gleichzeitig brüsteten sich V-Leute damit, dass sie mit dem Geld vom Verfassungsschutz ihre Organisation füttern konnten und dass man im Schutz des Verfassungsschutzes machen kann, was man will. Einer der wichtigsten V-Leute im THS war Tino Brandt, der im Laufe seiner V-Mann-Tätigkeit über 140.000 Euro kassierte. Gegenüber dem Kameraden und Combat-18-Mann Thorsten Heise lobte er dieses traumhafte Zusammenwirken. Dieser fasst zusammen:

„Du hast Thüringen aufgebaut, ohne Dich würde in Thüringen nicht eine Struktur stehen. Ich bin ehrlich davon überzeugt, dass Du immer ein nationaler Kamerad gewesen bist bis heute. Ich glaube nicht, dass Du für den Verfassungsschutz gearbeitet hast und Informationen weitergegeben hast, die die nicht sowieso schon wussten. Sondern ich weiß ja selber augenzwinkernd, wir haben so viele Sachen zusammen gemacht, äh, äh … wenn dann es an dem wäre, dann äh würden wir jetzt beide nicht hier sitzen.“ („Heimatschutz – Der Staat und die Mordserie des NSU“ Stefan Aust/Dirk Laabs, S.122).

Und wer noch daran glauben will, dass der Verfassungsschutz im Fall des NSU oder im aktuellen Fall „blind“ sei, dem dürfte es angesichts der folgenden Zahlen schwarz vor Augen werden: Im NSU-Netzwerk bewegten sich über 40 enttarnte V-Leute. Dabei kam es schon einmal vor, dass sich drei Neonazis trafen, von denen alle auch V-Leute waren.

Wenn man diese Erfahrungen und diese Praxis zusammennimmt, dann ist es naheliegend, dass die „goldene Regel“ aus einem anderen Grund gebrochen wurde: Man brauchte die Zeit, um alle (gefährdeten) V-Leute abzuziehen, um Spuren zu verwischen, um sich Erklärungen, also Legenden, zurechtzulegen, um das Terrain zu „säubern“, das man dann besenrein der Polizei überlässt. Der „Quellenschutz“ hat höchste Priorität, wie man im NSU-Prozess ein ums andere Mal erleben musste. Zugleich muss der „Staatsanteil“ möglichst unsichtbar gemacht werden, will man ein Debakel wie beim NPD-Verbotsverfahren vermeiden. Das ist eine sehr komplexe Aufgabe und braucht Zeit.

Es muss wohl diese sehr begründete Annahme sein, die „das Erste“ sofort auf den Plan gerufen hat. Anstatt das zu tun, was in einem solchen Fall angemessen wäre, die dafür genannten Fakten zu prüfen, wurde Geisterbeschwörung betrieben. Der ARD-Bericht bezieht sich auf die bereits angeführten EXIF-Recherchen und führt dazu aus:

„Dem Verfassungsschutz wird darin unterstellt, er habe in Wahrheit kein Interesse an einem Verbot. Die Organisation werde vielmehr bewusst am Leben gehalten, um als “Honeypot” extrem gewaltbereite Rechtsextremisten anzulocken, um diese mit Hilfe von Spitzeln in der Organisation kontrollieren zu können.“

Anstatt also Antworten darauf zu liefern, warum eine neonazistische Terrororganisation nicht bereits im Jahr 2000 verboten wurde, anstatt die Rolle von V-Leuten und die Bedeutung des „Quellenschutzes“ zu beleuchten, gibt man dem Verfassungsschutz das Wort, der bekanntermaßen die Quelle aller Erkenntnis ist:

„Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios und des SWR heißt es dazu im Verfassungsschutzverbund, dies sei ‚die übliche Verschwörungstheorie‘. Tatsächlich haben sowohl das Bundesamt für Verfassungsschutz als auch das Bundeskriminalamt in den vergangenen Monaten den Kampf gegen den Rechtsextremismus zur Priorität erklärt. Ziel ist, gewaltbereite rechtsextremistische Netzwerke besser zu erkennen und so rechtsterroristischen Attentätern zuvor zu kommen.“ (tagesschau.de vom 23.01.2020)

Wurde Combat 18 „vergessen“ zu verbieten?

Es gibt eine weitere wichtige Frage, die man in Verbindung mit diesem Verbot von Combat 18 stellen muss, die sich eigentlich aufdrängt: Warum wurde Combat 18 erst jetzt verboten?

Im Jahr 2000 wurde „Blood & Honour“ verboten, während Combat 18, der bewaffnete Arm dieser neonazistischen Organisation unbehelligt blieb. Katharina König-Preuss, Sprecherin für Antifaschismus der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag, meinte in der Presseerklärung der Partei DIE LINKE, dass „beim ‚Blood & Honour‘-Verbot schlicht vergessen oder nicht beachtet (wurde), deren militanten und bewaffneten Arm ‚Combat 18’ mit in die Verbotsverfügung aufzunehmen.

Man kann nur hoffen, dass das im besten Fall spaßig gemeint war. Sie müsste es besser wissen und man sollte dazu mehr sagen können. Es wäre doch mehr als naheliegend zu fragen, warum Combat 18 nicht im Zusammenhang mit der Selbstenttarnung des NSU 2011 verboten wurde?

Im gesamten NSU-Komplex tauchen als einflussreiche, treue Unterstützer und Wegbegleiter immer wieder Combat-18-Mitglieder auf. Das ist kein Zufall, sondern ihrer gemeinsamen antisemitischen Überzeugung, ihrer gemeinsamen faschistischen Strategie geschuldet. Beide vertreten das Konzept des „führerlosen Widerstandes“, also des Kampfes im Untergrund, in unabhängig voneinander operierenden Zellen, die mit allen Mitteln, auch mithilfe von Terror für ein „Viertes Reich“ kämpfen. Combat-18-Mitglieder haben den NSU im Untergrund unterstützt, die Band „Oidixie“ hat den faschistischen Terror besungen.
Stanley R. verkörpert wie kein anderer das enge Verhältnis zwischen NSU und Combat 18. Stanley R., dessen Wohnung in Eisenach im Zuge der Verbotsverfügung durchsucht wurde, gilt als „Deutschland-Chef“ von Combat 18.

„Auf seiner Geburtstagsfeier im Jahr 2006 sollen auch die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gewesen sein.“ (FAZ vom 24. Januar 2020)

Dasselbe enge Verhältnis zum NSU hat Robin S., dessen Wohnung ebenfalls durchsucht worden war. Robin S. unterhielt (oder unterhält) Briefkontakt zu Beate Zschäpe, dem angeblich letzten Mitglied des NSU. Laut polizeilichen Ermittlern arbeitet Robin S. am Wiederaufbau des verbotenen „Blood & Honour“-Netzwerkes: „Schon auf seinem Weg in den Untergrund war das „Blood & Honour“-Netz in Chemnitz für das Terrortrio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe eine unverzichtbare Stütze. Ihr erste Geheimwohnung stellte ihnen ein Mitglied der hochkonspirativ agierenden Rechtsrockszene zur Verfügung.“ (s.o.)

Dem ließen sich noch zahlreiche Beispiele hinzufügen. Es gab also genug Gründe, bereits nach der Selbstenttarnung des NSU 2011 Combat 18 zu verbieten! Wenn also nicht die Beweise fehlten, dann gab es ganz offensichtlich andere Hindernisgründe.

Wenn man sich den NSU nicht selbst zusammengestellt hätte, wenn man ihn als das genommen hätte, was er ist: „Ein Netzwerk von Kameraden“, wenn man die ideologischen, politischen und persönlichen Übereinstimmungen zwischen NSU und Combat 18 nicht geleugnet hätte, wäre die „Trio-Version“ nicht mehr zu halten gewesen und in sich zusammengefallen.

Es fehlte also nicht an Beweisen, um 2012ff Combat 18 zu verbieten oder gar wegen Mitgliedschaft/Unterstützung einer terroristischen Vereinigung anzuklagen. Man wollte und musste um jeden Preis die Terror-Trio-Version vom NSU schützen.

Diese Strategie wird bis heute auf Biegen und Brechen durchgehalten und von allen Regierungsparteien gedeckt. Das hat nicht nur zu NSU 2.0 (die Polizeizelle in Frankfurt) geführt, zum Erstarken von neonazistischen Gruppierungen, die den „führerlosen Widerstand“ propagieren, wie Combat 18. Diese Strategie hat den Mord an Walter Lübcke mit zu verantworten, ein Mordfall, im dem alles auftaucht, was im Zuge der NSU-Aufklärung verleugnet wurde.

Titelbild: Alexandros Michailidis/shutterstock.com

Quellen und Hinweise:

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