Debatte um Lebensmittelpreise – scheinheilig und zynisch

Debatte um Lebensmittelpreise – scheinheilig und zynisch

Debatte um Lebensmittelpreise – scheinheilig und zynisch

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Fleisch- und Milchprodukte sind in deutschen Supermärkten billig – zu billig, wie zahlreiche Stimmen aus Politik, Gesellschaft und insbesondere der Bauernschaft immer wieder feststellen. Die Kollateralschäden der Dumpingpreise sind Umweltschäden, Nitrate im Grundwasser, schlechte Löhne und natürlich nur noch katastrophal zu nennende Tierwohlbedingungen. All dies ist Fakt, jedoch würde ein höherer Preis an diesen negativen Rahmenbedingungen monokausal erst einmal gar nichts ändern. Geradezu zynisch ist zudem, wie Politik und Handel nun die Armut instrumentalisieren, um den Status Quo zu verteidigen. Zeit für ein grundsätzliches Umdenken. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„In Deutschland leben rund 13 Millionen Menschen in Armut oder an der Armutsgrenze. Günstige Lebensmittelpreise ermöglichen diesen Menschen eine gesunde und sichere Ernährung. Das wollen und werden wir als Lebensmittelhändler auch in Zukunft sicherstellen“, so der Rewe-Chef Lionel Souque. Sozialpolitik vom Discounter? Das ist schon einigermaßen grotesk. Demnach sind also die armen Menschen in Deutschland dafür verantwortlich, dass viel zu viele Lebensmittel unter den genannten negativen Begleiterscheinungen produziert und vermarktet werden. Gleichzeitig instrumentalisiert man damit Armut als Ausrede für den Missbrauch der Marktmacht der großen Handelskonzerne, die ihrerseits den Bauern Dumpingpreise abpressen, zu denen nun einmal ökonomisch gar keine verantwortungsbewusste Produktion der Lebensmittel möglich ist.

Wie schon bei der Klimadebatte wird die Soziale Frage einmal mehr als Totschlagargument ins Feld geführt – diesmal gegen eine nachhaltigere Agrarpolitik und das Tierwohl. Die naheliegende Alternative wird dabei von den üblichen Verdächtigen aus der Politik noch nicht einmal angedacht. Wenn Produkte aus nachhaltiger Produktion an der Ladentheke teurer sind, dann müssen die damit verbundenen Effekte auf die Lebenshaltungskosten natürlich auch in den vom Staat festgelegten Sätzen berücksichtigt werden. Dann muss halt der Regelsatz für Hartz IV, die Grundrente und der Mindestlohn steigen, so dass jeder Verbraucher sich gesund, nachhaltig und mit gutem Gewissen ernähren kann und die Kollateralschäden der Agrarindustrie sich minimieren lassen. Den Schwarzen Peter für politische Versäumnisse einfach den Bedürftigen und Niedriglöhnern zuzuschieben, die ja ihrerseits ebenfalls ein Produkt politischer Fehler und Versäumnisse sind, ist ein gesellschaftliches Armutszeugnis.

Teurer ist nicht automatisch gleich besser

Diese Fragen spielen beim eilends einberufenen „Supermarktgipfel“ der Kanzlerin jedoch erwartungsgemäß keine Rolle. Dort geht es nicht um die Soziale Frage und auch nicht um die Kollateralschäden, sondern um den Preis. Man ist sich vom Bauern bis zum taz-Redakteur offenbar darin einig, dass Agrarprodukte an der Supermarktkasse zu billig sind. Auch das ist grotesk. Aldi, Lidl, Rewe und Co. könnten auch die Preise erhöhen, ohne dass dies direkte Auswirkungen auf die Produktionsbedingungen hat. Schon heute sind die Margen bei diesen Produkten oftmals verschwindend gering. Discounter und Supermärkte verzichten bei diesen Produkten sogar häufig auf Margen und nutzen Aktionsangebote, um die Kunden in den Markt zu locken und dann über die höheren Margen der anderen verkauften Produkte Renditen zu erzielen. Wenn diese Möglichkeit – wie beispielsweise durch Gesetze wie neuerdings in Frankreich – wegfallen sollte, steigen zwar die Supermarktpreise für Milch, Fleisch und Co. – an den Einkaufspreisen und den Kollateralschäden ändert sich dadurch jedoch erst einmal gar nichts.

Viele Agrarprodukte sind nämlich nicht zu billig, sondern vor allem zu schlecht; schlecht im Sinne der Qualität und vor allem schlecht im Sinne der Nachhaltigkeit. Leider ist der Preis jedoch in sehr vielen Fällen kein geeigneter Indikator für Qualität und Nachhaltigkeit, ein teureres Produkt ist nicht automatisch besser oder nachhaltiger. Das macht es vor allem der gar nicht mal so kleinen Zahl von Konsumenten schwer, die gerne gezielt qualitative und nachhaltige Produkte kaufen würden. Hier sind Handel und vor allem die Politik gefragt, neue Konzepte auf den Tisch zu legen. Eine Überarbeitung des Tierwohllabels und eine Ausweitung dieses Labels auf alle Produkte mit tierischen Bestandteilen, wie beispielsweise Wurst- und Milchprodukte und vor allem Halbfertig- und Fertigprodukte, wäre ein möglicher Ansatz.

Es ist ja richtig, dass viele Kunden für Lebensmittel nicht mehr bezahlen können; viele Kunden würden jedoch auch gerne mehr bezahlen, wissen aber nicht wofür und ob der Mehrpreis auch wirklich mit einer besseren Qualität und Nachhaltigkeit einhergeht. Einfach nur höhere Lebensmittelpreise zu fordern und dann zu denken, dass sich Qualität und Nachhaltigkeit der Produkte schon verbessern wird, ist naiv und nicht sonderlich hilfreich.

Ein Umdenken beim Verbraucher ist nötig

Auch wenn Handel und Politik die Schuld gerne auf einkommensschwache Konsumenten abwälzen und sie für die Dumpingpreise instrumentalisieren; es sind ja beileibe nicht nur Einkommensschwache, die zuschlagen, wenn es Nackensteaks für 2,99 Euro das Kilo gibt oder die Milch mal wieder zu Dumpingpreisen verhökert wird. Leider haben die Deutschen – vor allem im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn – vielfach nur sehr geringe qualitative Ansprüche an Lebensmittel. Da wird dann in der Neubausiedlung das Tönnies-Discount-Nackensteak vom Lidl auf den 1.000 Euro teuren Weber-Grill geworfen.

Eine befreundete Großhandelskauffrau aus der Lebensmittelbranche sagte mir mal, dass die obersten Qualitäten für Obst auf dem deutschen Markt gar nicht mehr erhältlich sind, da es hierzulande abseits kleiner Fachgeschäfte überhaupt keinen Markt dafür gibt. „Wer gibt schon 6 Euro für eine Ananas aus?“ Im internationalen Kaffeegroßhandel gibt es angeblich sogar den Begriff „German Quality“ für Arabica-Kaffeebohnen, die zwar in großen Mengen lieferbar, aber von der Qualität her für andere Märkte schlichtweg zu schlecht und damit spottbillig sind. Und wer einmal die Supermärkte in unseren Nachbarländern durchstöbert, weiß, wie groß die Qualitätsunterschiede häufig sind. Soziale Frage hin, Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit her – wenn wir nicht lernen, die Qualität von Lebensmitteln besser zu schätzen, sieht es mit der wünschenswerten Verbesserung des Lebensmittelangebots nicht gerade rosig aus. Denn wo keine Nachfrage ist, ist auch kein Angebot. Hier sind Politik, Handel und Verbraucher gefragt.

Titelbild: Angelo Cordeschi/shutterstock.com