Nach Hanau war schon vor Hanau

Nach Hanau war schon vor Hanau

Nach Hanau war schon vor Hanau

Emran Feroz
Ein Artikel von Emran Feroz

Was in Hanau geschah, war gewiss nicht die Tat eines isolierten Einzeltäters, sondern vielmehr das Resultat jenes menschenfeindlichen Diskurses, der seit Jahren in Deutschland stattfindet und mittlerweile zum Alltag gehört. Von Emran Feroz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Als ich am Donnerstagmorgen wach wurde und die Nachrichten sah, hatte ich ein mulmiges Gefühl. Rechter Terror in Hanau. Zehn Tote, neun davon Menschen mit Migrationserfahrungen.

Kurz darauf griff ich zum Telefon und rief meine Cousine an. Sie führt ein kleines Café in der Hanauer Innenstadt, und sie ist eine deutlich erkennbare Muslimin. „Alles ist gut, doch hier ist etwas Schreckliches passiert“, sagt sie mir. Währenddessen geht mir vieles durch den Kopf. „Wir“, dachte ich, obwohl ich ungern in diesen Kategorien denke, sind „hier“ nicht mehr sicher. Es war ein reiner Glücksfall, dass das Café meiner Cousine nicht zum Terrorziel geworden ist.

Wenige Minuten später spreche ich mit ihrem Bruder. Er befindet sich auf dem Weg ins Krankenhaus. Idrees, sein Mitarbeiter, Azubi und Freund, liegt im Koma. Wie durch ein Wunder blieb die Kugel in seinem Kiefer stecken und drang nicht weiter in den Kopf ein. Währenddessen hatte Nessar, Idrees’ Bruder, weniger Glück und erlag seinen Verletzungen. Sein Name wurde mittlerweile, gemeinsam mit jenen der anderen Opfer, tausendfach geteilt. Idrees’ und Nessars Familie stammen aus Afghanistan. Ihre Eltern hatten Krieg und Zerstörung hinter sich gelassen, um ihren Kindern in Deutschland ein besseres Leben zu ermöglichen. Dies gelang auch – bis zum 20. Februar 2020.

Während auch viele Menschen innerhalb Deutschlands mit Hanau wenig anfangen konnten, war dies in meinem Fall anders. Ich kenne die Stadt gut, und aufgrund meiner zahlreichen Verwandten, die dort leben, gab es Zeiten, in denen wir mindestens einmal im Sommer vorbeischauten. In Hanau leben viele Migranten aus den verschiedensten Ecken der Welt. Es gibt Türken, Kurden, Afghanen, Araber sowie zahlreiche Menschen aus afrikanischen Ländern. Alle lebten stets in Harmonie miteinander.

Am Ende konnte ein einzelner Mann, dessen Namen ich in diesem Text gar nicht nennen will, diese Harmonie zerstören. Nachdem er sein Massaker vollbracht hatte, tötete er seine Mutter und richtete sich selbst hin.

Es gibt vieles, was mich bereits vor Hanau wütend und hoffnungslos gemacht hat. Doch auch in diesem Fall ließ das mediale Déjà-vu nicht lange auf sich warten, und auch diesmal gab es nichts, was mich noch hätte überraschen können. Bereits in derselben Nacht hat die BILD-Zeitung fake news verbreitet, indem sie von einer „Milieu-Tat“ berichtete. Konkret bedeutet dies, dass Migranten sich allem Anschein nach gerne gegenseitig abknallen und dass das wohl auch in diesem Fall so gewesen sein muss. Andere Medien, etwa der Focus, berichteten von „Shisha-Morden“. Dass man das noch nach den bekannten „Döner-Morden“ – so wurde einmal der Terror des NSU genannt, bevor er aufgedeckt wurde – bringt, ist eine Klasse für sich. Hinzu kamen natürlich noch zahlreiche weitere Dinge, etwa die Tatsache, dass man von einer „fremdenfeindlichen“ Tat berichtete. Der Begriff „fremdenfeindlich“ bringt im Grunde genommen das ganze deutsche Problem auf den Punkt. In vielen anderen Sprachen gibt es gar kein Pendant dazu, so veraltet, schwachsinnig und realitätsfern ist das Wort mittlerweile geworden.

Doch all dies machte abermals deutlich, dass in vielen deutschen Redaktionen einfach keinerlei Sensibilisierung vorhanden ist – und daran wird sich wohl auch nichts ändern.

Das Geschehen in Hanau ist nämlich keineswegs als isolierte Tat eines rechtsterroristischen Irren zu bewerten, sondern als das Resultat eines jahrelangen Diskurses, der hierzulande zur Normalität geworden ist. Aus diesem Grund ist mir auch die geheuchelte Aufmerksamkeit der BILD-Zeitung oder die nervtötende Betroffenheit in deutschen Talkshows herzlich egal. Man kann nicht konstant von kriminellen Flüchtlingen, extremistischen Muslimen und zwielichtigen Moscheen oder Shisha-Bars berichten, ohne den Gedanken fortzuführen.

Doch der Mörder von Nessar und den anderen jungen Menschen aus Hanau hat genau diesen Gedanken zu Ende geführt.

Und es gibt auch andere, die dies tun, etwa die Mitglieder jener rechtsextremen Zelle, die kurz vor der Tat in Hanau festgenommen wurden und mehrere Moscheen in ganz Deutschland zum Ziel gemacht hatten. Ihre Waffenscheine erhielten sie übrigens dank eines Freundes bei der Polizei.

Und hiermit wären wir schon beim nächsten Punkt.

Wenn Angela Merkel vor versammelter Journalisten-Menge vom Gift des Rassismus spricht, kann ich damit so gut wie nichts anfangen. Es ist nämlich einfach falsch, wenn Merkel und andere etablierte Parteien und Politiker nun so tun, als ob dieser Rassismus einfach so vom Himmel gefallen sei und lediglich mit der AfD zu tun habe. All die tägliche Hetze gab es nämlich bereits vor dem Aufstieg der AfD. „Mekka Deutschland“ und Co. titelten keine rechten Ideologen oder Neonazis, sondern die zum Teil linksliberalen Blattmacher führender deutscher Medien.

Abgesehen vom medialen Diskurs existieren ganz klare, rassistische und neonazistische Strukturen innerhalb deutscher Sicherheitsorgane, sprich, Polizei, Bundeswehr und Verfassungsschutz. Mittlerweile ist all dies derart bekannt, dass man es an dieser Stelle nicht einmal mehr wiederholen muss. Geschehen ist trotzdem nichts. Absolut gar nichts.

„Einfach nur weg hier“

Wie schlimm das alles ist, kann man nur nachvollziehen, wenn man nicht als Teil der deutschen Mehrheitsgesellschaft betrachtet wird, sprich, als erkennbarer Mensch mit Migrationserfahrung. In letzter Zeit – lange vor Hanau – hatte ich immer wieder Gespräche mit Freunden und Verwandten. Eine große Portion von ihnen ist der Meinung, dass man hier, sprich, in Europa (Österreich, Deutschland) nicht mehr leben könne. Der Rassismus sei zu stark, zu gegenwärtig. Es werde immer unsicherer. Manche befürchten deshalb sogar einen baldigen Bürgerkrieg.

Einige von ihnen ziehen andere Länder in Erwägung, etwa Kanada. Andere wollen „zurück“ in die Türkei oder gar nach Afghanistan. Ich muss zugeben, dass ich mittlerweile auch zu jenen gehöre, die eine Auswanderung erwägen. Hauptsache, einfach weg von hier.

Die Gründe hierfür lassen sich zum Teil auch in meiner Arbeit wiederfinden. Das meiste, worüber ich schreibe, spielt sich nämlich nicht mehr in Deutschland ab. Der Krieg in Afghanistan, die Friedensgespräche mit den Taliban, der amerikanische „Krieg gegen den Terror“. Damit verbringe ich den Großteil meiner Zeit, und obwohl all diese Themen ziemlich düster sind, bin ich damit zufrieden.

Rassismus, Migration und der deutschsprachige Mediendiskurs diesbezüglich beschäftigen mich immer wieder. Das war nicht immer so, doch mittlerweile frage ich mich, was all das noch bringen soll. Früher stürzte ich mich auf diese Themen, mittlerweile bin ich ziemlich pessimistisch geworden. Ein Blick in die deutsche Twitterblase, die BILD-Zeitung oder die Berichterstattung von ZDF oder ARD reichen hierfür völlig aus.

Ob sich meine gegenwärtige Haltung noch ändern wird, wird sich zeigen. Nach Hanau wohl eher nicht.

Ich weiß allerdings, dass sich mittlerweile viele Menschen in diesem Land so fühlen. Sie sind müde. Sie fühlen sich nicht dazugehörig. Sie wollen weg, doch sie wissen nicht so recht, wohin es gehen soll. Doch auch hier wird es eng. Egal, ob in der Moschee, in der Shisha-Bar oder woanders.

Gleichzeitig sind viele dieser Menschen deutscher (oder in meinem Fall auch österreichischer), als sie es sich vorstellen können. Das betrifft auch mich, und genau das ist wohl das Dilemma.

Titelbild: © Westend Verlag

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