Weitere Manipulationen um „Giftgas-Angriff“ in Syrien: Falsch informiert oder bewusst gelogen?

Weitere Manipulationen um „Giftgas-Angriff“ in Syrien: Falsch informiert oder bewusst gelogen?

Weitere Manipulationen um „Giftgas-Angriff“ in Syrien: Falsch informiert oder bewusst gelogen?

Karin Leukefeld
Ein Artikel von Karin Leukefeld

Inspektoren der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) haben Ungereimtheiten eines OVCW-Berichts zu Syrien öffentlich gemacht. Als Reaktion wurden sie auch vom OVCW-Chef verleumdet. Neue Dokumente zeigen, dass er dabei nicht die Wahrheit gesagt hat. Von Karin Leukefeld.

Neue Dokumente aus dem Inneren der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) belegen, dass Generaldirektor Fernando Arias hochqualifizierte Mitarbeiter verleumdet und dabei nicht die Wahrheit gesagt hat. Warum?

Es geht um den offiziellen OVCW-Abschlussbericht über einen angeblichen Chemieangriff in Douma, einem Vorort von Damaskus in Syrien, im April 2018. Das ursprüngliche Untersuchungsteam war zu dem Eindruck gekommen, dass es sich vermutlich nicht um einen Chemiewaffenangriff gehandelt habe, es fehlten Beweise.

Daraufhin wurde das Douma-Team von der Arbeit abgezogen und ein „bearbeiteter“ vorläufiger Zwischenbericht wurde im Sommer 2018 veröffentlicht. Einwände des Douma-Teams – die entsprechend der OVCW-Arbeitsregeln nicht nur gehört, sondern auch im Bericht hätten erwähnt werden müssen – wurden nicht berücksichtigt und auch im Abschlussbericht im März 2019 ignoriert. Von der New York Times über die BBC bis zur Deutschen Presseagentur waren die Medien sich einig, dass bei dem Angriff auf Douma am 7. April 2018 Chlorgas eingesetzt worden war.

Im Mai 2019 wurde der ursprüngliche technische Bericht des Douma-Teams bekannt. Titel war: “Technische Bewertung von zwei Zylindern, die bei dem Douma-Vorfall beobachtet wurden – Zusammenfassung ”. Autor dieses Papiers war der aus Südafrika stammende Chemieingenieur und Ballistik-Experte Ian Henderson.

Henderson hatte in Douma zwei Zylinder untersucht, die – nach Augenzeugenberichten – mit chemischen Substanzen gefüllt gewesen und über zwei Häusern von der syrischen Luftwaffe abgeworfen worden sein sollen. Mehr als 40 Menschen sollen dabei ums Leben gekommen und viele weitere verletzt worden sein. Henderson kam in seinem achtseitigen Papier in Punkt 33 zu dem Ergebnis, „dass es eine höhere Wahrscheinlichkeit gibt, dass beide Zylinder manuell an den beiden Orten platziert wurden, als dass sie von einem Flugzeug abgeworfen wurden.“

Im Oktober 2018 äußerte sich ein weiterer OVCW-Ingenieur „Alex“, der ebenfalls an der Douma-Mission beteiligt war. Er präsentierte eine Fülle von Details und Korrespondenzen, die nahelegten, dass der Bericht manipuliert worden war.

Seitdem sind zahlreiche Erklärungen, Briefe und interne OVCW-Korrespondenzen an die Öffentlichkeit gelangt, die die Darstellungen bekräftigten, Besorgnis ausdrückten und immer wieder eine OVCW-interne offene Befassung mit den abweichenden Erkenntnissen der ursprünglichen Douma-Mission zum offiziellen OVCW-Abschlussbericht forderten. Ohne Erfolg.

Mitte Januar 2020 kam es am Sitz der Vereinten Nationen zu einem mehr als dreistündigen Seminar im UN-Sicherheitsrat. Bei dem öffentlichen Treffen im Arria-Format sprach neben anderen Rednern auch Ian Henderson per Videolink. Die Einreise war ihm nicht möglich gewesen, weil die US-Behörden ihm kein Visum erteilt hatten.

Die Folge der Präsentation vor dem UN-Sicherheitsrat war für die OVCW nicht, den vielen dargelegten Widersprüchen nachzugehen und eine Klärung herbeizuführen, der OVCW-Generaldirektor ging stattdessen zum Angriff über.

Am 6. Februar präsentierte Fernando Arias den Vertretern der Staatenkonferenz in Den Haag das Ergebnis einer internen Ermittlung über „mögliche Verstöße gegen die Geheimhaltung“. Die Untersuchung sei von „unabhängigen, professionellen Ermittlern von außerhalb der Organisation“ durchgeführt worden und habe von Juli 2019 bis Februar 2020 gedauert. Er habe nun ein Verfahren gegen zwei (ehemalige) Inspektoren „A“ und „B“ eingeleitet. Es lägen „Beweise in Form von Dokumenten, Interviews, Audioaufnahmen und forensische Analysen“ vor.

Im Laufe seiner Ausführungen wurde klar, dass es dem OVCW-Generaldirektor darum ging, die beiden angesehenen langjährigen Inspektoren unglaubwürdig zu machen. Sie seien „außer Kontrolle geraten“, wollten sich nur wichtigmachen. Tatsächlich hätten sie nur am Rande eine Rolle gespielt.

„Die Inspektoren A und B sind keine Whistle-Blower“, erklärte Arias. „Sie sind Individuen, die es nicht akzeptieren konnten, dass ihre Ansichten nicht von Beweisen untermauert waren. Als ihre Ansichten sich nicht durchsetzen konnten, nahmen sie die Sache selbst in die Hände und missachteten ihre Verpflichtungen gegenüber der Organisation. Ihr Verhalten ist umso unerhörter, weil sie offenkundig nur über unvollständige Informationen über die Douma-Untersuchung verfügten. Erwartungsgemäß sind daher ihre Schlussfolgerungen irreführend, uninformiert und falsch.”

Er als OVCW-Generaldirektor stehe weiter zu dem offiziellen OVCW-Douma-Abschlussbericht.

Beide Inspektoren reagierten mit persönlichen Briefen an ihren ehemaligen Vorgesetzten. Sie seien „lang gediente und verantwortungsvolle Unterstützer der OVCW“, schrieb Ian Henderson. Beide verfügten über umfangreiche Dokumente, die ihre Arbeit für die Organisation würdigten und auszeichneten. Warum sollte jemand ihren Ruf so beschmutzen wollen, so Henderson weiter: „Warum sollten zwei der Top-Inspektorenteam-Führer, beide mit tadellosen Zeugnissen … plötzlich „außer Kontrolle geraten“?“ Sie seien einzig den Fakten und der Wissenschaft verpflichtet. Wenn das erreicht sei, „werden wir mit Freude die bewiesenen und abgestimmten wissenschaftlichen Ergebnisse akzeptieren.“

Man versichere dem Generaldirektor, dass keiner der beiden jemals versucht habe, die OVCW zu schädigen, schrieb Inspektor „B“ in seinem Brief an Arias.

„Wir waren da, als sie gegründet wurde. Wir sind gewachsen, wie sie gewachsen ist. Wir haben drei Generaldirektoren kommen und gehen sehen und sind, bis heute, überzeugt von ihrer Aufgabe – einem gemeinsamen Ziel. Ihre Aufgabe ist es, das voranzutreiben und wir haben so viel dazu beigetragen.“

Und weiter: „Warum sollten wir plötzlich „außer Kontrolle geraten“, im Herbst unserer beruflichen Laufbahn. Nichts könnten wir davon gewinnen, aber alles verlieren, das entbehrt jeglicher Logik. Warum sollten wir so viel riskieren? Um eine persönliche „Sichtweise“ durchzusetzen? Wohl kaum.“ Schließlich fügt „B“ hinzu: „Sir, irgendetwas ist falsch gelaufen innerhalb der OVCW. Wir wollten, dass Sie das wissen. So einfach ist das.”

Die Reputation der beiden Inspektoren wird nun durch weitere interne Dokumente untermauert, die von dem Internetmagazin The Grayzone veröffentlicht wurden.

So heißt es in einem Schreiben von April 2018 aus dem Büro des damaligen OVCW-Generalsekretärs Ahmet Üzümcü zur Douma-Mission: „ODG freut sich, wenn die Besuche der Zylinder und des Krankenhauses von Ian Henderson geleitet werden.“ ODG steht für „Office of the General Director“.

In einem weiteren offiziellen Papier wird bei der Auflistung der Mitglieder der Douma-Mission bestätigt, dass Ian Henderson als Mitglied der FFM, der Fact-Finding-Mission der OVCW, an der Mission teilnahm. Schließlich wird ein Dokument der OVCW an die syrische Regierung veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass Ian Henderson ab dem 20. April 2018 offiziell als Mitglied der Douma-Mission bei der syrischen Regierung angemeldet wurde.

Alle diese Tatsachen wurden von Arias ignoriert. Stattdessen erklärte er, Henderson sei eher zufällig an der Douma-Mission beteiligt gewesen, weil er sich schon in Syrien befunden habe. Richtig ist allerdings, wie Henderson selber es bereits erläutert hatte, dass er später nach Damaskus kam, weil er sich noch auf einer Mission in Nepal befunden hatte. Offiziell übernahm Henderson das Kommando der OVCW-Mission in Damaskus am 3. Mai 2018, zwei Tage nachdem die zehntägige Douma-Mission der Fact-Finding-Mission beendet war. Auch dieses Dokument wird bei The Grayzone veröffentlicht.

Offensichtlich ist in Verbindung mit dem angeblichen Chemiewaffenangriff auf Douma im April 2018 etwas „schiefgelaufen“, wie Inspektor „B“ es ausdrückt. Warum weigert die Organisation sich, die Expertise und Erkenntnisse von zwei exzellenten, lang gedienten OVCW-Inspektoren zur Kenntnis zu nehmen? Warum werden beide verleugnet und diffamiert, warum wird gegen sie ermittelt?

Es könnte damit zu tun haben, dass ihre Expertise und Erkenntnisse die Interessen anderer stören. Die USA, Großbritannien und Frankreich – drei Veto-Mächte im UN-Sicherheitsrat – konnten damals den Bericht der OVCW-Untersuchungsmission in Douma nicht abwarten. Von Anfang an beschuldigten sie die syrische Regierung, Chemiewaffen eingesetzt zu haben. Eine Woche nach dem angeblichen Chemieangriff – das Douma-Untersuchungsteam war auf dem Weg nach Damaskus – flogen die drei westlichen Alliierten mehr als 100 schwere Luftangriffe auf syrische staatliche und militärische Einrichtung. Als „Vergeltung“ für einen angeblichen Chemiewaffenangriff, der nicht erwiesen war.

Die neuen Dokumente aus dem Inneren der OVCW belegen, dass Generaldirektor Fernando Arias nicht die Wahrheit gesagt hat. Warum? War er falsch informiert und wenn ja, von wem? Oder hat der Generaldirektor bewusst gelogen? Dann wäre zu klären, warum? In jedem Fall hat die OVCW ein erhebliches Glaubwürdigkeitsproblem.


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