Ukraine: Meine Datscha, meine Flagge – Interview über einen Konflikt der Symbole

Ukraine: Meine Datscha, meine Flagge – Interview über einen Konflikt der Symbole

Ukraine: Meine Datscha, meine Flagge – Interview über einen Konflikt der Symbole

Ulrich Heyden
Ein Artikel von Ulrich Heyden

Eine rote Fahne, gehisst über einer Datscha im Gebiet Odessa, macht in der Ukraine Schlagzeilen. Dem Datschen-Besitzer, Dmitri Lasarew, drohen wegen dem Hissen der Fahne am 1. Mai fünf Jahre Gefängnis. Ein Nachbar hatte ihn angezeigt. Diese Anekdote sagt viel aus über die politische Toleranz in der Ukraine. Mit Lasarew hat Ulrich Heyden gesprochen.

In der Ukraine kommt es immer wieder zu Fällen, bei denen Bürger von der Polizei gemaßregelt werden, weil sie an ihrem Auto oder an ihrer Kleidung Symbole haben, die an die Sowjetunion erinnern. Damit verstoßen diese Bürger gegen ein im Mai 2015 von dem damaligen Präsidenten Petro Poroschenko unterschriebenes Gesetz, welches die Propaganda für nazistische und kommunistische Regime und das Zeigen von Symbolen dieser Regime verbietet. In Folge dieses Gesetzes wurden zahlreiche Denkmäler aus der sowjetischen Zeit gestürzt. Städte und Dörfer mit Namen sowjetischer Militärs wurden umbenannt. Das neue Gesetz hat jedoch eine Schlagseite, denn mehrere Straßen in der Ukraine wurden nach den ukrainischen Hitler-Kollaborateuren Stepan Bandera und Roman Schuchewitsch benannt. Außerdem wird das Zeigen nazistischer Symbole, wie etwa der „Wolfsangel“ auf der Fahne des rechtsradikalen Asow-Bataillons, nicht bestraft.

Dmitri Lasarew, ein 52 Jahre alter Bürger aus dem Gebiet Odessa, kam nun mit dem Gesetz in Konflikt, weil er auf seiner Datscha eine rote Flagge mit Hammer und Sichel hisste.

Dmitri wurde in Odessa geboren. Seine Eltern sind Ukrainer. In Moskau hat er zu Sowjetzeiten eine Ausbildung im Bereich Automation gemacht. Er ist begeisterter Motorradfahrer und hat ein kleines Motorrad-Geschäft. Dmitris Datscha befindet sich 80 Kilometer nördlich von Odessa, im Dorf Bezilowo. Die Hälfte des Jahres wohnt der Biker in Deutschland, wo ein Teil seiner Familie lebt.

Sie haben am 1. Mai auf ihrer Datscha im Dorf Bezilowo eine rote Flagge mit Hammer und Sichel gehisst. Warum haben Sie das gemacht? Wie war die Reaktion?

Die Flagge hisste ich aus Anlass des 1. Mai, dem internationalen Feiertag der Arbeitenden. Die Fahne hatte ich an einem Mast zum Windsurfen befestigt. Die Polizei kam. Sie sagte, dass ich auf meinem eigenen Haus keine rote Fahne hissen darf. Die Fahne nahmen die Polizisten mit.

In der Ukraine gibt es ein Gesetz, das fünf Jahre Gefängnis und die Beschlagnahmung des Eigentums von Personen vorsieht, die den 1. Mai feiern und Flaggen hissen. So eine Demokratie haben wir in der Ukraine. Ich erkenne dieses Gesetz nicht an.

Noch eine Flagge mit Hammer und Sichel habe ich nicht. Aber ich hatte noch eine rote Flagge mit Ernesto Che Guevara drauf. Die habe ich jetzt gehisst. Mal sehen, wie es weitergeht.

Warum haben Sie die Fahne gehisst?

Nun, warum feiern die Menschen das Neue Jahr? Warum feiern die Menschen Weihnachten? Es werden Geburtstage und religiöse Feiertage gefeiert. Ich meine, das ist normal für jeden Menschen. Jeder hat irgendwelche Überzeugungen. Es können verschiedene Überzeugungen sein. Wir bauen doch eine Gesellschaft, in der man sich tolerant verhält. Religionskriege gibt es doch nicht mehr. Wir versuchen, uns bei politischen Themen zuzuhören und uns irgendwie zu einigen und nicht zu bestrafen. Das sind die Prinzipien, die es in Europa heute gibt. Ich weiß, dass der 1. Mai in Deutschland ein Feiertag ist für Linke, aber auch für die Anhänger der rechten Ideologie. Und die einen und die anderen veranstalten Demonstrationen. Mir gefällt der 1. Mai. Das ist der Feiertag der Menschen, die auf ehrliche Weise Geld verdienen.

Wie haben Ihre Nachbarn reagiert?

Die Nachbarn reagierten alle normal, gutnachbarlich. Die meisten unterstützen mich. Als die Polizei kam, hat keiner der Dorfbewohner sich als Zeuge zur Verfügung gestellt. In unserem Dorf leben wir wie eine große Familie. Der Großvater des Mannes, der mich angezeigt hat, arbeitete auf einer Hühnerfarm. Er hat mich als Kind in einer Schubkarre durch die Gegend gefahren.

Wer ist der Mann, der Sie anzeigte?

Der Mann, der mich anzeigte, nimmt am Bürgerkrieg in der Ukraine teil. Er erklärte, er sei mit meiner Fahne nicht einverstanden. Er müsste das der Polizei melden. Man muss wissen, dass die Flagge nur von meinem Grundstück aus zu sehen ist, weil in unserem Dorf große Bäume wachsen.

Der Mann, der mich anzeigte, hat am 1. Mai selbst die ukrainische Flagge gehisst. Ich habe ihn deswegen in Ruhe gelassen und ich habe nicht gesagt, wie er den 1. Mai zu feiern hat.

Ich habe viele Bekannte und Freunde, dessen Ansichten sich zum Teil sehr von meinen unterscheiden. Wir bemühen uns, einander zuzuhören. Ich kann nicht sagen, dass unsere Meinungen sich im Gespräch stark annähern. Aber wir versuchen, uns zu verständigen. Wir versuchen zu verstehen, was wir für Fehler machen und wie wir unser Leben besser gestalten können.

Wie ist die Polizei Ihnen gegenüber aufgetreten, war das zivilisiert oder grob?

Die Polizei verhielt sich sehr korrekt. Ich hatte den Eindruck, dass ihnen dieser Fall keinen besonderen Spaß machte.

Wie geht es jetzt weiter?

Wenn ich gegenüber dem Staatsanwalt erkläre, dass ich die Fahne eigentlich gar nicht aufhängen wollte, wird die Strafe auf Bewährung ausgesetzt. Aber ich werde mit dem Staatsanwalt keine Verständigung suchen. Ich habe die Fahne ganz bewusst gehisst. Ich bin der Meinung, es gibt das Gesetz des Gewissens und des gesunden Menschenverstandes. Und es gibt Gesetze, welche sich Menschen ausgedacht haben, um Menschen gegeneinander aufzubringen und der Gesellschaft zu schaden.

Ich frage, warum hat man das Gesetz über das Verbot der roten Fahne nicht schon 1991 erlassen? Damals wurde die Ukraine als Staat gebildet. Ich frage, wenn der erste Präsident der Ukraine, Leonid Krawtschuk, 1991 ein Gesetz gegen die rote Fahne initiiert hätte, wäre es dann überhaupt zur Bildung des ukrainischen Staates gekommen? Ich meine, wenn die Menschen damals gewusst hätten, welchen Weg dieser Staat Ukraine geht, dass es zu einem Bürgerkrieg kommt, dass eine der größten Volkswirtschaften Europas zerstört wird, dass die Menschen gezwungen sein werden, ihre Fabriken zu verlassen und sich in Europa als Tagelöhner zu verdingen, dann glaube ich, dass die Menschen so einen Staat nicht gewollt hätten.

Und was werden Sie jetzt tun?

Ich bin bereit, wenn der Staat mich bestraft, wenn der Staat meint, dass das nötig ist. Aber ich werde kämpfen. Ich meine, in einem zivilisierten Land darf es solche Gesetze nicht geben. In der Ukraine kann ein Mensch, der einen anderen getötet hat, mit einer geringeren Strafe rechnen, als jemand, der eine rote Flagge hisst.

Was bedeutet die rote Fahne mit Hammer und Sichel für Sie?

Für mich gab es in der Sowjetunion viele Unzulänglichkeiten, die man hätte korrigieren müssen. Aber als eine technologische Zivilisation steht die Sowjetunion auf einer hohen Stufe. Die rote Flagge hat für mich keine ideologische Bedeutung. Die rote Flagge symbolisiert für mich die Erfolge der Arbeiterklasse, was die Organisiertheit und viele andere Fragen betrifft. Außerdem ist die Flagge ein Symbol des Feiertags der Arbeitenden. Deutschland ist ein sozial sehr entwickeltes Land mit starken sozialen Programmen. Die Beziehungen zwischen den Arbeitenden und den Arbeitgebern sind in Deutschland schon sehr ähnlich, wie sie in der Sowjetunion waren.

Wie war die Reaktion der ukrainischen Medien auf Ihren Fall? Gibt es Solidarität?

Verschiedene ukrainische Medien haben über meinen Fall berichtet. Aber die Berichte waren sehr dünn. Es wurde nur berichtet, dass ein Bürger das Gesetz verletzt hat und das ihm eine Gefängnisstrafe droht. Ja, verschiedene Leute rufen mich an und bieten mir Hilfe an. Menschenrechtler haben über meinen Fall berichtet. Wir warten jetzt auf eine Reaktion der Macht. Weiter werden wir im gesetzlichen Rahmen handeln.

Was ist alles von diesem Gesetz betroffen, dass das Zeigen von bestimmten Symbolen verbietet?

Wenn zum Beispiel auf Ihrem Handy als Klingelzeichen die Hymne der Sowjetunion oder die Hymne der DDR spielt und Sie gerade mit den öffentlichen Nahverkehrsmitteln unterwegs sind und neben Ihnen befinden sich Personen, die andere Ansichten haben, kann das dazu führen, dass Sie strafrechtlich verfolgt werden.

Man kann darüber lachen. Die Gesellschaft reagiert auf solche Sachen mit dem gesunden Menschenverstand. Normale Leute beachten diese Symbole gar nicht. Wenn ich zum Beispiel in einem Autobus durch Europa fahre und ich habe ein Bändchen an der Kleidung, das mir deutsche Kommunisten geschenkt haben, passiert nichts. Auch in verschiedenen Gebieten der Ukraine kommen Leute nur und gucken. Es gibt keine Exzesse. Aber hier in meinem Dorf, in meiner Heimat, kam jemand, der das anders sieht.

Was haben Sie für eine Ausbildung und was für einen Beruf?

Ich habe in der Sowjetunion eine Ausbildung im Bereich Automation erhalten. In meiner Jugend – das ist kein Geheimnis – habe ich am Moskauer Forschungs-Institut für medizinische-biologische Probleme gearbeitet. Ich montierte zusammen mit älteren Kollegen Anlagen für die Simulierung des Klimas auf dem Mars. Leider ist der Staat zerfallen und es gab niemanden mehr, der sich um die Erforschung des Weltraums kümmert.

Sie sind im Dorf Bezilowo, wo Ihre Datscha steht, aufgewachsen?

Ja, in dem Dorf habe ich meine Jugend verbracht. Hier lebte meine Großmutter. Das Dorf wurde von meinen Vorfahren vor 300 Jahren gegründet. Hier lebten Menschen unterschiedlicher Nationalität. Aber sie haben immer eine gemeinsame Sprache gefunden. In der Nähe gab es ein deutsches Dorf. Es hieß Mühlendorf. Aber leider hat die faschistische Aggression 1941 nicht nur das Schicksal der Ukrainer zerschlagen, sondern auch das Schicksal der Deutschen. Meine Großväter kämpften in der Roten Armee und der Großvater meiner Frau kämpfte in einem Ausbildungsbataillon der Wehrmacht, aber nur kurze Zeit. Wir versuchen, aus den Fehlern der Geschichte zu lernen und unsere Zukunft zu bauen und unsere heutige Situation richtig zu verstehen.

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