Notbremse oder Notaufnahme. Wollte die Berliner Linke die S-Bahn retten, könnte sie das selbst retten.

Notbremse oder Notaufnahme. Wollte die Berliner Linke die S-Bahn retten, könnte sie das selbst retten.

Notbremse oder Notaufnahme. Wollte die Berliner Linke die S-Bahn retten, könnte sie das selbst retten.

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Der Hauptstadtsenat hat den finalen Beschluss zur Ausschreibung der Berliner S-Bahn gefasst. Damit sind die Weichen für eine Zerschlagung und Privatisierung des Schienennahverkehrs in der Metropolregion gestellt. Die mitregierende Linkspartei ist zwar gegen das Projekt, macht des lieben Koalitionsfriedens wegen aber trotzdem mit. Zur Milderung ihrer Bauchschmerzen hat sie ein paar Trostpflaster für die Beschäftigten ausgehandelt, denen aber trotzdem Ungleichbehandlung und Spaltung bevorstehen. Auch deshalb gewinnt der Widerstand gegen das Vorhaben weiter an Fahrt. Und die Genossen gehen in Deckung. Von Ralf Wurzbacher.

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Wenn dereinst im Berliner Nahverkehr britische Verhältnisse herrschen, nützen der Linkspartei alle Ausreden nichts. Dass die Hauptstadtsozialisten bei der Zerschlagung der S-Bahn nur mit „Kopfschmerzen“, „Bauchgrimmen“ und „schlechtem Gewissen“ mitgemacht haben, geht dann als Grund verminderter Schuldfähigkeit nicht durch. Mitregieren kann und muss für eine vermeintlich links tickende Partei an dem Punkt ein Ende haben, an dem der Preis eines politischen Projekts für die einfachen und schwächeren Menschen in der Gesellschaft, die man zu repräsentieren vorgibt, zu hoch wird. Ist ihr dagegen das Festhalten an der Macht wichtiger, dann tickt sie nicht mehr ganz richtig.

So wie es aussieht, hat die Partei Die Linke ihre Wahl getroffen – gegen das Gemeinwohl, für den Erhalt des Bündnisses mit SPD und Grünen. Und wieder einmal wird der Normalbürger – in Gestalt der Kunden, Steuerzahler und Beschäftigten – die Zeche eines neuerlichen Privatierungsabenteuers zahlen müssen. Mit der in der Vorwoche vom Senat beschlossenen Ausschreibung von zwei Dritteln des Netzes sind die Tage der S-Bahn in staatlicher und aus einer Hand gezählt. Nach den Plänen der federführenden Verkehrssenatorin Regina Günther (Grüne) könnten in Zukunft mehrere Unternehmen im Schienennahverkehr der Metropolregion nebeneinander und absehbar gegeneinander agieren.

Augenwischerei

Die Entscheidung markiere den „Schlussstrich unter die S-Bahn-Krise von vor einem Jahrzehnt mit all ihren Nachwirkungen – und es ist der Start in eine neue Ära“, ließ sie sich in einer Medienmitteilung zitieren. „Die Menschen erhalten so ein verlässliches, attraktives Angebot für leistungsfähige und umweltfreundliche Mobilität in Berlin und Brandenburg.“ Dass ausgerechnet eine Politikerin mit dem Parteibuch von Bündnis 90/Die Grünen, deren Ressort wohlgemerkt die Bereiche Umwelt und Klimaschutz einschließt, die Zerstückelung eines S-Bahn-Betriebs unter einem Dach zum Zwecke eines „effektiven Wettbewerbs“ forciert, ist schon ein Skandalstück sondergleichen. Um dem heraufziehenden Klimakollaps zu begegnen, eignet sich nichts besser als eine Eisenbahninfrastruktur in öffentlicher und im besten Sinne lenkender Regie – und nichts schlechter als wetteifernde, auf maximalen Profit ausgerichtete Investoren.

Zu behaupten, daraus erwüchsen im Ergebnis „vernünftige Preise bei dauerhaft guter Qualität“, wie Günther das tut, widerspricht allen gegenläufigen Erfahrungen aus dem In- und Ausland und ist ein schlimmer Fall von Augenwischerei. Jüngere Fälle aus Sachsen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen zeigen eindrücklich, dass immer da, wo auf der Schiene kommerzielle Anbieter verkehren, mindere Qualität und Chaos in Form von Verspätungen und Zugausfällen mitfahren. Klar: Das alles kennt man auch von der Deutschen Bahn. Aber gerade weil der Möchtegern-Börsenbahn die Renditen über die Interessen ihrer Fahrgäste und Mitarbeiter gehen, kann das Rezept doch nicht lauten, die Schiene zum Renditeobjekt für alle zu machen. Was es braucht, ist umgekehrt das Comeback einer echten Staatsbahn in Konkurrenz zur Auto- und Luftfahrtindustrie. „Grüne“ Amtsträger, die Privatinvestoren den roten Teppich ausrollen, braucht es hingegen nicht.

Prinzip Hoffnung

So wenig wie Linke-Poltiker, die das nicht zu verhindern versuchen und nicht zum letzten und stärksten Druckmittel greifen: dem Bruch der Koalition. „Wir wollen einen S-Bahn-Betrieb aus einer Hand und lehnen entsprechend eine Zerschlagung der S-Bahn ab“, hatte die Hauptstadt-Linke auf ihrem Landesparteitag am 23. November beschlossen. Daran anknüpfend bekräftigte der Landesvorstand noch am 22. Mai, also eine Woche vor dem finalen Senatsvotum zum „schnellstmöglichen“ Start des Vergabeverfahrens: „Die bereits in der Vergangenheit getroffene Entscheidung, die Vergabe der S-Bahn-Leistungen auf mehrere Lose für unterschiedliche Strecken aufzuteilen und getrennt für Betrieb und Instandhaltung vorzunehmen, halten wir weiterhin für eine falsche Entscheidung.“

Genau diese „falsche Entscheidung“ ist es jedoch, die die Hoffnung auf die aus Sicht der Linken beste Lösung ziemlich sicher zunichtemacht. Die bestünde darin, dass die DB AG wie schon bisher auch künftig als alleiniger Betreiber zum Zug kommt. Seit 2017 erledigt dies eine ihrer Töchter – die S-Bahn Berlin GmbH – auf Grundlage von Übergangsverträgen bis Ende 2027 beziehungsweise Frühjahr 2028. Machen bei der für Sommer angekündigten europaweiten Ausschreibung der Teilnetze Nord-Süd und Stadtbahn andere das Rennen, wird die Deutsche Bahn in sieben Jahren nur mehr für die Ringbahn zuständig sein.

Fairplay gegen DB AG

Dass überhaupt noch die theoretische Möglichkeit eines Betriebs aus einer Hand besteht, hält sich die Linkspartei derweil zugute. In den Verhandlungen hatte sie gemeinsam mit der SPD darauf hingewirkt, dass sich Interessenten sowohl um die vier Einzellose (Fahrbetrieb, Fahrzeuglieferung/Instandhaltung auf jeweils zwei Teilnetzen) bewerben als auch auf das Gesamtpaket bieten können. Das wäre nach Lage der Dinge nur durch die DB zu schultern. Allerdings traf der Verkehrssenat Vorkehrungen, um „Chancengleichheit“ herzustellen und die Vorteile des Staatskonzerns in puncto Personal und Infrastruktur auszuhebeln.

Anfang Mai hatten sich die Länder Berlin und Brandenburg, auf dessen Gebiet sich das S-Bahn-Netz zu zehn Prozent erstreckt, darauf geeinigt, „planerisch mindestens einen neuen optionalen Werkstattstandort pro Teilnetz zu entwickeln“. Hintergrund ist die Weigerung der DB, ihre Standorte der Konkurrenz zur Mitnutzung zu überlassen. Im Sinne „echten“ Wettbewerbs werden deshalb neue Kapazitäten aus dem Boden gestampft, die es eigentlich gar nicht braucht. Ursprünglich sollte dies sogar „obligatorisch“ geschehen, wogegen sich Brandenburg und ebenso die Berliner Linke sperrten. Die Hauptstadt will indes mit schlechtem Beispiel vorangehen und im Norden ein Werk hochziehen, von dem niemand weiß, ob es jemals gebraucht wird – alles im Namen der „Fairness“. Sollte sich am Ende wider Erwarten doch die Deutsche Bahn durchsetzen, müsste die im Gegenzug einen ihrer Standorte dichtmachen.

Zuständigkeitswirrwarr

Für die Kunden und Beschäftigten wäre das ein noch überschaubarer Schaden. Größeres Ungemach droht, sollten im sogenannten Kombinationsverfahren mehrere Mitbewerber beim Kampf um die Einzellose obsiegen. Dann könnten sich bald samt der S-Bahn Berlin GmbH und der für den U-Bahn-Verkehr zuständigen Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) bis zu sechs Eisenbahnunternehmen im Berliner Schienennahverkehr tummeln. Ein oder zwei Neulinge besorgen dann die Beschaffung und Unterhaltung von über 2.000 S-Bahn-Wagen. Ein bis zwei weitere erledigen den Fahrbetrieb auf den Teilnetzen Nod-Süd und Stadtbahn – und alle zusammen sollen laut Günther einen „S-Bahn-Verkehr mit viel engerer Taktdichte und deutlich weniger Störanfälligkeit ermöglichen“.

Das glaube, wer will. Viel wahrscheinlicher ist ein riesiges Zuständigkeitswirrwarr. Carl Waßmuth vom Verein Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) verweist in diesem Zusammenhang auf das Beispiel London. Dort habe die Privatisierung der Metro „auf technischer Ebene zum Stillstand geführt, mit Milliarden Pfund Verlusten für die britischen Steuerzahlenden“, bemerkte er am Donnerstag gegenüber den NachDenkSeiten. Im Falle einer Berliner S-Bahn in mehreren Händen wären die Betreiber über eine Vielzahl an Schnittstellen miteinander verbunden „oder voneinander getrennt“. So müssten die Wagen zu Betriebsbeginn und zur Nachtabstellung über diverse „Netzgrenzen“ hinweg disponiert und manövriert werden. Außerdem drohe ein „großes Durcheinander bei den Fahrplänen und Preisen“. Und wenn es im Betriebsablauf hake, zeige jeder mit dem Finger auf den anderen und am Ende lande der Streit vor Gericht.

Drohkulisse S-Bahn-Chaos

Die grüne Verkehrssenatorin gibt sich dagegen maximal blauäugig: „Wir lassen also Wettbewerb zu, um am Ende ein besseres ÖPNV-Angebot anbieten zu können“, sagte sie vor einem Monat der „Berliner Morgenpost“. Damit steht auch außer Frage, für wen ihr Herz nicht schlägt: die DB. Passend dazu malt Günther zu jeder Gelegenheit den Teufel an die Wand, das S-Bahn-Chaos von 2009 könnte sich in Verantwortung des Staatsbetriebs wiederholen. Zur Erinnerung: Damals war die S-Bahn im Zeichen des geplanten DB-Börsengangs technisch und personell voll auf Verschleiß gefahren worden. Nach Intervention des Eisenbahnbundesamtes mussten bisweilen drei Viertel der Fahrzeuge wegen Wartungsrückständen und Mängeln aus dem Verkehr gezogen werden. Noch über Jahre lief der Verkehr nur im Notbetrieb, mit verkürzten Zügen und gewaltigen Fahrplanlücken. Gleichwohl führte die S-Bahn Berlin GmbH in der Folgezeit weiter üppige Gewinne und Nutzungsgebühren für Gleise und Bahnhöfe an die Konzernmutter ab und strich in ähnlicher Höhe Zuschüsse durch die Länder Berlin und Brandenburg ein.

Das alles führte in der Berliner Politik zum Umdenken dahingehend, den S-Bahn-Verkehr ausschreiben zu müssen. Indem man möglichst viele Betreiber ins Boot holt, ließe sich auch der Platzhirsch im „freien Spiel der Marktkräfte“ zu mehr Qualität, Verlässlichkeit und günstigeren Preisen bewegen. So weit die Theorie, die aus Sicht ihrer Verfechter aber schon 2015 einen herben Dämpfer erhielt. Bei der ersten Vergaberunde um die Ringbahn blieb am Ende die DB als einziger Bieter übrig. Offenbar konnte die Konkurrenz nicht mithalten, weshalb man ihr jetzt mit größerem Entgegenkommen auf die Sprünge helfen will.

Schattenhaushalte und Schrottwaggons

Dazu zählt allem voran der Aufbau eines Fahrzeugpools in einer landeseigenen Gesellschaft. Die schrittweise Beschaffung der bis zu 2.160 Waggons soll dabei ebenso durch private Dritte erledigt werden wie später ihre Instandhaltung, wobei dies im Rahmen einer auf 30 Jahre angelegten öffentlich-privaten Partnerschaft (ÖPP) stattfinden soll. Berlin will die Wagen aufkaufen, um sie dann den für den Fahrbetrieb zuständigen Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Was laut Verantwortlichen den Ausstattungsvorsprung der DB kompensieren soll, halten Kritiker für einen hochriskanten Deal zum Schaden der Steuerzahler. Mehrkosten würden in Schattenhaushalte ohne parlamentarische Kontrolle verschoben und das Land erhalte nach 30 Jahren einen schrottreifen Fuhrpark zurück.

Manchmal ist es sehr vielsagend, wenn nichts gesagt wird. Nach dem Senatsentscheid vom 26. Mai war von der Berliner Linkspartei nichts zu hören. Eine offizielle Verlautbarung verkniffen sich sowohl der Landesverband als auch die Landtagsfraktion. Dafür meldete sich der Bezirksverband Neukölln zu Wort. „Die milliardenschwere Ausschreibung läuft darauf hinaus, die S-Bahn zu verramschen. Dagegen werden wir uns weiterhin wehren“, äußerte sich Sprecher Moritz Wittler. Das Projekt drohe sonst ein „Musterbeispiel dafür zu werden, wie auf dem Rücken der Beschäftigten und des Gemeinwesens Profit gemacht wird“.

Schulen für Spekulanten

Zum wiederholten Male sind es damit die Neuköllner Genossen, die der Landespartei bei einem zentralen politischen Projekt in die Parade fahren. So wendet sich der Bezirksverband auch vehement gegen die sogenannte Berliner Schulbauoffensive (BSO), die auf eine Quasi-Privatisierung des Schulbaus durch Einbezug der landeseigenen, privatrechtlich verfassten Wohnungsbaugesellschaft Howoge hinausläuft. Im Unterschied zur S-Bahn-Ausschreibung wird diese Operation allerdings mit voller Überzeugung durch die Regierungssozialisten und die Fraktion im Abgeordnetenhaus getragen. Wieso nur? Ein neueres Gutachten durch Rechtsanwalt Benno Reinhardt hat ergeben, dass die Konstruktion den Zugriff von Finanzinvestoren auf die Schulen möglich macht. Versteht man das unter linker Politik?

Ähnlich bedenklich fällt eine juristische Prüfung zu den beschäftigungspolitischen Konsequenzen einer zersplitterten S-Bahn aus. Hintergrund ist eine koalitionsinterne Auseinandersetzung in den Tagen vor dem Senatsbeschluss um die Frage der künftigen Sozialstandards im Falle der Übernahme von S-Bahn-Mitarbeitern durch neue Betreiberfirmen. Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) wollte sichergestellt sehen, dass diese nicht schlechter bezahlt werden als zuvor. Laut einem Bericht des Rundfunks Berlin-Brandenburg wurde schließlich per Protokollnotiz festgehalten, den „Arbeitnehmerschutz maximal“ zu gewährleisten. Ergänzend heißt es dazu in der Senatsmitteilung: „Vertraglich festgelegt werden klare Regelungen zur Arbeitsplatzsicherung, zum Personalübergang, zur Tariftreue, zum Mindestlohn und zur Ausbildungsverpflichtung, die sowohl den im Fahrgeschäft Beschäftigten als auch dem Werkstattpersonal zugute kommen.“

Spaltung der Belegschaft

Aus Sicht des Berliner Arbeitsrechtlers Benedikt Hopmann ist das ein faules Versprechen. Wie er in einer Stellungnahme für den Linke-Bezirksvorstand Neukölln feststellt, wäre die „beste Lösung“ für die Werktätigen „keine Ausschreibung“. Es sei jetzt schon absehbar, dass sich die Arbeitsbedingungen „verschlechtern werden“, und es sei nicht einmal klar, ob „die Übernahme aller Arbeitskräfte durch den neuen Betreiber gesichert werden kann“. Weiter befindet Hopmann, dass die bei der S-Bahn GmbH in langen Jahren erkämpften Tarifverträge „auf einen Schlag“ ihre Gültigkeit verlieren würden, es sei denn, das neue Unternehmen wäre an dieselben Tarifstandards gebunden. Dem Senat wirft der Jurist deshalb vor, die „Ungleichbehandlung und Spaltung“ des S-Bahn-Personals nicht auszuschließen. Und dann konstatiert er noch: „Eine Ausschreibung öffnet die Türen zur Privatisierung.“

Die Partei Die Linke betätigt sich als Türöffner. Nicht, weil sie das gerne täte, sondern weil sie gerne weiterregieren möchte, zusammen mit einer neoliberalen Senatorin Günther und einer SPD, mit der sie 2004, damals noch unter dem Namen PDS, riesige öffentliche Wohnungsbestände an Investoren verhökerte und damit den Boden für die heutige Wohnungskrise bereitete. Was die aktuellen Vorgänge noch bitterer macht: Auch Teile der Sozialdemokraten positionieren sich gegen die Ausschreibung. Dadurch drohe die „Zerschlagung“ der S-Bahn, befand der SPD-Abgeordnete Sven Heinemann am Wochenende gegenüber der „Berliner Zeitung“. Seinen Fraktionskollegen Tino Schopf zitierte das Blatt so: „Für neue Wagen und eine Taktverdichtung bedarf es keines Vergabeverfahrens dieser Größenordnung mit zusätzlichen Schnittstellenproblemen und Risiken in der Betriebsstabilität.“ Das Kombinationsverfahren sei ein „Vergabeexperiment mit ungewissem Ausgang“.

Breiter Widerstand

Wenn die Risiken so groß sind, warum hat man das Vorhaben dann nicht gestoppt – im Verbund mit der Linkspartei? Schließlich wollte auch die SPD durchsetzen, dass sich die Bewerber an den Haustarifverträgen für die S-Bahn Berlin orientieren, um so eine Schlechterstellung und Spaltung des Personals zu vereiteln. Dass das rechtlich nicht umsetzbar ist und Klagerisiken bestehen, wie die Senatsverwaltung meint, mag ja durchaus sein. Trotzdem bliebe dann noch immer der Ausweg, vom Gesamtprojekt abzulassen. Sobald in einem Dreierbündnis zwei gegen einen stehen: Wer hat dann die besseren Karten? Wohl kaum die Grünen-Partei, die beim Urnengang 2016 von den dreien die wenigsten Stimmen erhalten hat. Trotzdem läuft es genau so, weshalb SPD-Mann Schopf nicht mit einer weiteren Grundsatzdiskussion rechnet: „Das können wir uns nicht erlauben. In einer Dreierkoalition ist es normal, dass man Kompromisse findet.“

Dann bleibt nur noch der Aufstand der Straße. Im Bündnis „Eine S-Bahn für alle“ haben sich Eisenbahner, Gewerkschafter, Students for Future, Bahn für alle, Gemeingut in BürgerInnenhand, die Neuköllner Linke, die Linksjugend Solid und andere Initiativen zusammengetan, um die Senatspläne zu vereiteln. Dazu kommt eine Vielzahl an Verbänden und Organisationen, die sich ablehnend zu dem Vorhaben geäußert haben, darunter die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), der deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die Gewerkschaft ver.di, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), die Naturfreunde sowie die Fahrgastverbände Pro Bahn und IGEB.

Gemeinsam setzen sie auf einen Mix aus verschiedenen Protestformen. Eine davon ist die Einreichung von Einzelpetitionen. In Berlin ist es möglich, als Individuum Eingaben an die Politik zu machen, die dann vom Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses behandelt werden müssen. Dazu genügt es, auf der entsprechenden Webseite unter Nennung von Namen und Adresse sein Anliegen zu formulieren und an die fragliche Behörde zu adressieren. Auf den GiB-Webseiten finden sich Mustertexte und Argumente, aus denen man sich frei bedienen kann.

Reif zur Abwahl?

Als Alternativmodell schlagen die Aktivisten vor, die S-Bahn-Leistungen direkt zu vergeben. Dass dies rechtlich umsetzbar wäre, belegt ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, auf das sich auch die Bundestagsfraktion Die Linke beruft. Für eine Direktvergabe kommen laut GiB-Sprecher Waßmuth landeseigene Unternehmen in Frage. Dazu könnte das Land ein eigenes Unternehmen gründen, so war man auch im Energiesektor vorgegangen („Berlin Energie“). Auch eine Mehrheitsbeteiligung durch Berlin und Brandenburg an der S-Bahn Berlin GmbH würde eine Direktvergabe erlauben, ebenso wie eine Vergabe an die landeseigenen Verkehrsbetriebe, die BVG.

Mit einer Übernahme der S-Bahn durch das Land liebäugelte auch die Berliner Linke, mimt nun allerdings die Geschlagene im Spannungsfeld von Koalitionsraison und Sachzwängen. Es ginge auch anders: Wollte die Partei den Gang der Dinge noch aufhalten, müsste sie schleunigst, und zwar noch vor dem Start der Ausschreibung, in die Offensive gehen und, sofern sie auf dem Verhandlungsweg nichts erreicht, die Notbremse ziehen und das Regierungsbündnis platzen lassen. Lässt sie es bleiben, fällt im Herbst 2021 der Wähler sein Urteil. Das könnte heftig ausfallen.

Titelbild: elmar gubisch / Shutterstock