Bewegung gegen Rassismus: Bilder werden gestürmt, Systeme werden verschont

Bewegung gegen Rassismus: Bilder werden gestürmt, Systeme werden verschont

Bewegung gegen Rassismus: Bilder werden gestürmt, Systeme werden verschont

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Filme und Bücher werden verdammt, Denkmäler gestürzt, das Grundgesetz wird von der „Rasse“ befreit: Es scheint, als solle in einem „Kampf gegen die Sprache“ alles fallen, außer dem zugrundeliegenden Wirtschafts- und Rechtssystem. Die Wut über aktuelle Polizeigewalt und die Fixierung auf Symbolik und Historie sind nachvollziehbar – aber auch ablenkend und oberflächlich. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die aktuellen Proteste gegen Rassismus richten sich zum einen gegen akute Polizeigewalt. Eine weitere starke Strömung richtet den Blick auf die Vergangenheit und deren Spuren in Filmen, Büchern, Statuen und Gesetzestexten. Beide Sichtweisen sind einerseits sehr nachvollziehbar. Andererseits arbeiten sich aber beide an Symptomen ab, nicht an Ursachen, und verharren damit an der Oberfläche. Außerdem kann der Überschwang der historischen Korrekturen zum Teil auch als Zensur empfunden werden.

Denkmäler, Bücher, Filme auf dem Prüfstand

Es werden dieser Tage in den USA umstrittene Denkmäler angegriffen, wie Medien berichten, und die Diskussion darüber läuft auch in Deutschland. Hierzulande kommt noch die Debatte dazu, ob der Begriff „Rasse“ aus dem Grundgesetz gestrichen werden sollte. Die Bewegung gegen Rassismus hat auch den Kultur- und Unterhaltungsbetrieb erfasst: So nimmt laut Medienberichten der US-Streamingdienst HBO den Film “Vom Winde verweht” aus dem Programm und möchte ihn künftig mit kritischen Hinweisen versehen. Der britische Sender BBC nahm demnach die Comedy-Serie “Little Britain” aus ihrer Mediathek, weil weiße Darsteller als Asiaten oder Schwarze auftraten. Der Streaming-Dienst Netflix hat die BBC-Produktionen „The Mighty Boosh“ und „The League of Gentlemen“ aus dem Programm genommen, weil darin “blackfacing” vorkommt, bei dem sich Personen schwarz anmalen. In den Hinweisen des Tages hat Jens Berger kürzlich kritisch auf die Entfernung einer Episode der Serie „Fawlty Towers“ bei einem britischen Streaming-Dienst hingewiesen. Und auch Hollywood simuliert aktuell zumindest nach außen Betriebsamkeit in der Überprüfung der eigenen, teils rassistisch geprägten Geschichte.

Polizeigewalt stößt Kulturdebatte an

Da sich auch diese Kulturdebatte indirekt durch Polizeigewalt und den Fall George Floyd verschärft hat, hier noch einige Worte zur Debatte um die Rolle und die Verfassheit der Polizei. Das wohl infamste aktuelle Beispiel für eine prinzipielle Dämonisierung der Polizei und der dort arbeitenden einzelnen Personen findet sich in Form eines viel diskutierten Kommentars in der taz. Wegen dieses Beitrags hat die Gewerkschaft der Polizei laut Medien gar Anklage „wegen Volksverhetzung“ gestellt.

Dass eine prinzipielle Diffamierung einer öffentlichen Polizei nicht automatisch fortschrittlich ist, sondern eher neoliberal, das haben die NachDenkSeiten gerade in diesem Artikel beschrieben. Dort werden auch die Forderungen nach Kürzungen der Polizei-Budgets oder gar einer Abschaffung der öffentlichen Polizei zurückgewiesen: Diese Kürzungen treffen als erstes die benachteiligten Bürger und fördern eine abzulehnende Privatisierung der öffentlichen und der individuellen Sicherheit.

Mit dieser Haltung steht man nicht der konsequenten Verfolgung von individueller und (soweit vorhanden) struktureller Polizeibrutalität in den USA und in Deutschland entgegen. So nehmen viele Polizisten auch sehr problematische Rollen ein, jüngst etwa bei der Bekämpfung der „Gelbwesten“ in Frankreich. Diese Unterdrückungs-Gewalt darf nicht bagatellisiert werden und Exzesse dürfen nicht straflos bleiben. Hinterfragt werden müssen auch die Ausbildung des Nachwuchses und die Taktiken der Polizeiführungen. Sich andeutende rechte Strukturen wie aktuell beim deutschen KSK müssen radikal zurückgedrängt werden. Andererseits: Kämpfen bei Straßenschlachten nicht Werktätige gegen Werktätige? Und müssen viele Polizeibeamte nicht das ausbaden, was durch Wirtschaft, Medien und Politik an Ungerechtigkeiten angerichtet wurde? Um Straßengewalt langfristig zu verhindern, müssen zu allererst diese ökonomischen Ungleichheiten beseitigt werden.

Verkürzung der Rassismus-Debatte

Es ist in den USA, aber auch in vielen deutschen Medien, eine starke Verkürzung und Instrumentalisierung der Rassismus-Debatte festzustellen: Wer den US-Rassismus auf den aktuellen US-Präsidenten Donald Trump konzentriert, leitet die Debatte in die Irre. Die US-Demokraten haben sich in der Vergangenheit ebenso mit rassistischen Gesetzgebungen und ökonomischen Benachteiligungen die Hände schmutzig gemacht. Sie sind alles andere als geeignete Kronzeugen des Protestes, dürfen diese Rolle aber wegen eines starken Schutzes durch viele US-Medien nun einnehmen. Dieser Schutz besteht auch darin, dass die ökonomischen Gründe für die gesellschaftlichen Spaltungen und Ungleichheiten nicht angemessen thematisiert werden, sondern hinter symbolisch-sprachlichen Schlachten um Denkmäler, Bücher und Filme zum Teil verschwinden.

Die ganze Debatte ist eine heikle Gratwanderung: Einerseits ist antirassistischer Protest sehr berechtigt, aber man fragt sich, warum die für die Situation tatsächlich verantwortlichen Personen und vor allem die ökonomischen Strukturen durch die antirassistischen Protestierer nicht besser identifiziert werden. Indem die wirtschaftlichen Strukturen teilweise ausgeblendet werden: Stellen sich Teile des Protests nicht indirekt an die Seite der Neoliberalen? Sollte es darum tatsächlich verwundern, dass nun große US-Medien die Protestierenden teils unterstützen? Diese Frage stellt auch dieser Artikel, der fordert, „statt Statuen sollten die Protestierenden lieber Walmart stürzen“. Der Artikel thematisiert auch, dass die USA etwa die höchste Inhaftierungsrate der Welt haben. Dabei wird betont, dass diese Ära der massenhaften Inhaftierung unter dem demokratischen US-Präsidenten Bill Clinton die heutigen Ausmaße angenommen hätte. Vor allem auf Clinton würden jene Gesetze zurückgehen, die dafür sorgten, dass heute über zwei Millionen US-Amerikaner im Gefängnis sitzen würden.

Soziale Fragen werden nicht angemessen gestellt

Hier gibt es nochmals zwei zu unterscheidende Ebenen: Zum einen die rassistischen Gesetze und Praktiken im Justiz- und Gefängnissystem der USA, die schwarze US-Bürger im Vergleich ungleich härter treffen. Zum anderen die übergreifende soziale Frage, bei der benachteiligte Schwarze, Weiße, Latinos und Asiaten eigentlich gemeinsam gegen die US-Oligarchie kämpfen könnten.

Auf europäischer Ebene funktioniert diese Ablenkung von den zentralen sozialen und ökonomischen Fragen ähnlich, wie dieser Artikel beschreibt. Demnach würden, „während koloniale Statuen von den Sockeln gerissen werden“, wichtige Reformen etwa des „neokolonialen“ afrikanischen Währungsverbunds Franc CFA stocken.

„Pippi Langstrumpf“, „Die Kleine Hexe“, „Huckleberry Finn“, „Django Unchained“ – Die ewige Wiederkehr der kulturellen Rassismus-Debatte

Werden die sozialen und ökonomischen Fragen nicht ausgeräumt, werden auch die Debatten um Polizeigewalt und kulturellen Rassismus immer wiederkehren. So erinnert die aktuelle Kultur- und Sprachdebatte an eine Diskussion von 2013. Damals ging es um die „Reinigung“ von Klassikern der Jugendliteratur von rassistischen Begriffen. Unter anderem wurden die Bücher „Pippi Langstrumpf“ und „Die Kleine Hexe“ in überarbeiteten Fassungen veröffentlicht. Eine Gegenrede zu dieser Praxis findet sich hier. Eher Verständnis etwa für die Streichung des Wortes „Neger“ bei der „Kleinen Hexe“ von Otfried Preußler formulierte dieser Artikel.

Während diese beiden Beispiele des Eingriffs in literarische Werke (möglicherweise, gerade noch) nachvollziehbar waren, liegt die Sache beim damals auch diskutierten (und geänderten) Klassiker „Huckleberry Finn“ von Mark Twain anders. Die Ersetzung des im Buch häufig gebrauchten Wortes „Nigger“ durch „Slave“ kam einer Geschichtsfälschung gleich: Wie das ND damals schrieb, war es doch gerade die ungefilterte Sprache, die »Tom Sawyer« berühmt gemacht und zunächst auf den Index verbannt hatte. Es stehe einer eifrig-tugendhaften, jungen Generation nicht zu, diese unbequemen Zeitdokumente zu tilgen. Auch sollten hier wohl nicht zuerst »die Schwarzen« beschützt werden, sondern vor allem Teilen der weißen Leserschaft, die sich unbehaglich fühlen, werden die Verbrechen der Vorfahren auch noch in deren Sprache vorgetragen. Denn die Bücher Mark Twains erinnern auch durch die rassistische Sprache einiger Protagonisten daran, dass die Welt von Tom Sawyer und Huck Finn hässlich, bigott, verroht und auf Unterdrückung aufgebaut war.

Weichzeichnung der Geschichte?

Die Korrektur und Weichzeichnung der eigenen Geschichte durch die Unterschlagung der damals verrohten Sprache thematisierte auch Quentin Tarantino. Der US-Regisseur war 2013 wegen seines Sklaverei-Dramas „Django Unchained“ und der dortigen Verwendung rassistischer Sprache ebenfalls in die sprachlich-kulturelle Bredouille geraten. Tarantino reagierte im Sender „ABC“ folgendermaßen:

„Die Kritiker sagen ja nicht, dass die Menschen 1858 nicht so gesprochen haben. Alles was sie wollen, ist, dass es verdaulicher wird.“

Titelbild: Tverdokhlib / shutterstock.com

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