Stromsperren: Es fehlt am politischen Willen

Stromsperren: Es fehlt am politischen Willen

Stromsperren: Es fehlt am politischen Willen

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Im reichen Land Deutschland sperren Energieversorger jedes Jahr hunderttausenden Haushalten den Strom. Oft sind Menschen und Familien betroffen, die die hohen Kosten für den Strom nicht stemmen können. Es wird höchste Zeit, dass die Politik interveniert und dieser Praxis ein Ende bereitet. Für die Betroffenen sind die Folgen oft weitreichend. Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Lesen Sie dazu bitte auch das heute erschienene Interview mit der Leiterin des Projekts „Energiearmut“, Stephanie Kosbab.

Was es bedeutet, wenn Energieversorger Haushalten den Strom sperren, kann man sich leicht vor Augen führen: Der Kühlschrank taut ab, warmes oder heißes Wasser ist oft nicht mehr vorhanden, ein vernünftiges Mittagessen lässt sich nicht mehr zubereiten, am Abend steht nur noch Kerzenlicht zur Verfügung und Wäsche waschen geht auch nicht mehr. Das sind einige der Probleme, mit denen sich Menschen, denen Energieversorger den Strom gesperrt haben, konfrontiert sehen. Mit anderen Worten: Die Auswirkungen einer Stromsperre sind weitreichend. Man darf sie ruhig als das bezeichnen, was sie sind: ein brutaler Angriff auf ein menschenwürdiges, zivilisiertes Leben.

344.000 Haushalte waren 2018 von den Stromsperrungen betroffen, wie Medien berichteten. Jahr für Jahr bewegt sich die Zahl der Sperrungen im sechsstelligen Bereich. Diese Zahlen sind ein eindeutiger Hinweis, dass es in Deutschland ein Armutsproblem gibt. Wohl die Wenigsten dürften ihren Strom einfach aus einer Laune heraus nicht bezahlen. Wenn Menschen mit der Begleichung ihrer Stromkosten nicht hinterherkommen, ist häufig eine existenzielle Not der Grund. Das vorhandene Einkommen oder die staatliche Unterstützungsleistung reicht schlicht nicht aus, um Monat für Monat die Stromkosten zu begleichen. Gerade für Hartz-IV-Empfänger kann die Begleichung der Stromrechnung zu einer Herausforderung werden. In diesem Jahr deckt der Regelbedarf 38,32 Euro für Strom ab. Die durchschnittlichen Stromkosten für einen Singlehaushalt belaufen sich aber auf 43,30 Euro, laut der Plattform HartzIV.org. Alleine dieses einfache Beispiel zeigt, dass hier etwas Grundlegendes aus dem Ruder läuft. Doch bei Lichte betrachtet sind es nicht nur die „ein paar Euro“, die laut diesen Zahlen fehlen.

Auch eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze um den genannten Betrag würde an dem Grundproblem nichts ändern. Das Geld, gerade bei den Transferleistungsbeziehern, ist so gering, dass schnell die 40, 50 Euro, die eigentlich zur Begleichung der Stromrechnung verwendet werden müssten, für eine andere, ebenfalls dringende Ausgabe getätigt werden. Passiert das mehrmals hintereinander, beginnt der Teufelskreislauf für die Betroffenen.

Werden die aufgelaufenen Kosten samt entsprechenden Mahngebühren nicht beglichen, sperren die Versorger den Strom. Zu den aufgelaufenen Kosten kommen dann auch noch Sperr- und Entsperrungskosten. Wird der Betrag komplett aus den geringen finanziellen Mitteln beglichen, die zur Verfügung stehen, ist oft nicht einmal mehr Geld für Lebensmittel vorhanden. Einigt man sich mit dem Versorger auf einen Tilgungsplan oder bekommt einen Kredit vom Jobcenter, müssen von den ohnehin zu knappen finanziellen Mitteln noch zusätzliche Ausgaben gestemmt werden. Der erneute Zahlungsverzug beim Stromversorger ist vorprogrammiert, der Teufelskreislauf wird sichtbar.

Ein Vorfall in Saarbrücken, der sich im Jahr 2012 ereignete, zeigt, dass im schlimmsten Fall eine Stromsperre sogar zum Tod führen kann. Damals war einer siebenköpfigen Familie der Strom abgestellt worden. Am Abend kam es in der Dachgeschosswohnung zu einem Brand, bei dem vier Kinder starben. Die genaue Brandursache konnte nicht festgestellt werden, aber es wurden Kerzen als Lichtquelle benutzt. Der Fall hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt.

Nach dem Vorfall hat die Stadt Saarbrücken reagiert und eine Art „Frühwarnsystem“ für Bezieher von Transferleistungen etabliert. Dort werden, wenn die Transferleistungsbezieher zustimmen, Daten zwischen dem Jobcenter und dem lokalen Energieversorger ausgetauscht. Befindet sich ein Kunde des Jobcenters in Verzug, meldet der Energieversorger dies der Behörde, sodass, bevor es zu einer Sperre kommt, frühzeitig an einer Lösung des Problems zusammen mit den Betroffenen gearbeitet werden kann.

Das ist, immerhin, ein Ansatz. Doch bundesweit sperren Energieversorger weiterhin Haushalten den Strom. Wie kann es sein, dass die Politik noch immer keine einheitliche Lösung gefunden hat, damit es nicht mehr zu Stromsperrungen kommt? Die Corona-Krise hat gezeigt: Ein Staat kann in schier atemberaubender Geschwindigkeit handeln – wenn der Wille da ist. Was die Stromsperrungen angeht, fehlt es aber offensichtlich an diesem Willen.

Titelbild: Thesamphotography/shutterstock.com

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