Steinbrücks Fehler

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Gestern strahlte der NDR eine Personality-Show unter dem Titel „Steinbrücks Blick in den Abgrund – Macht und Ohnmacht eines Krisenmanagers“ aus. Die Inszenierung der Sendung war darauf angelegt, Steinbrücks Bild in den Geschichtsbüchern schön zu färben. Die Show zeigte prompt ihre Medienwirkung: von der Tagesschau über den Spiegel bis hinab zur Bild-Zeitung wurde die Sendung nahezu flächendeckend aufgegriffen. Die „Rentengarantie“ als Eingeständnis des „schwersten Fehlers“ wurde zur Schlagzeile. Bei viel wichtigeren Themen, wo Steinbrück selbstkritisch wurde, gab es allerdings kaum ein Medienecho. Wolfgang Lieb

Über Peer Steinbrücks Fehler als Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens und als Finanzminister haben wir in den „Kritischen Jahrbüchern“ ganze Kapitel gefüllt.
Unter anderem haben wir auch schon vor über einem Jahr kritisiert, dass Steinbrück am 10. Juli 2009, am Tag als die sog. „Rentengarantie“ den Bundesrat passierte, im ARD-Morgenmagazin und in der Frankfurter Rundschau seine Bedenken anmeldete, obwohl diese Gesetzesvorlage mit seiner Zustimmung in die Länderkammer eingebracht wurde.

Wir haben Steinbrück schon damals vorgerechnet, dass er offenbar nicht wusste, worüber er redete. Nämlich dass mit der sog. „Rentengarantie“ die drastischen Rentenkürzungen der vorausgegangen Jahre allenfalls vorübergehend eingefroren wurden und dass die damalige Rentenerhöhung ab 2011 wieder zurückgefordert würde und jahrelange „Nullrunden“ vorprogrammiert sind. (Lesen Sie dazu die einzelnen Fakten einfach nochmals nach)
Dass Steinbrück auch noch im Nachhinein die sog. „Rentengarantie“ als einen seiner „schwersten Fehler“ eingesteht und das noch mit dem Argument der Generationengerechtigkeit, ist nur ein Beleg dafür, dass er bis heute nicht nur an der Zerstörung der gesetzlichen Rente festhält, sondern dass er ignoriert, dass es gerade die Rentenpolitik von Rot-Grün und der Großen Koalition gewesen ist, die die künftigen Generationen am stärksten treffen wird. Denn gerade dieser Generation droht durch die Renten-„Reformen“ Altersarmut, weil ein Durchschnittsverdiener im Jahre 2030 nach über 35 Jahren Arbeit nur noch eine Rente auf Grundsicherungsniveau erreichen wird.

Ich habe also Steinbrück gewiss nicht zu verteidigen, aber es ist schon kennzeichnend für unsere Medienlandschaft, dass gerade die Kritik an der sog. Rentengarantie in die Schlagzeilen gefunden hat. Hier wurde mal wieder Stimmung für Brüderles Vorstoß gemacht.

Die Felder, auf denen Steinbrück gleichfalls Fehler eingeräumt hat, die nicht das Thema Abbau des Sozialstaats betreffen und die viel gravierender sind, für die künftige Entwicklung, werden bestenfalls unter „ferner liefen“ erwähnt.

Steinbrück räumte etwa ein, dass man nach dem Ausbruch der Finanzkrise „schneller und rigider“ hätte handeln und dass man etwa an die Hedge-Fonds hätte herangehen müssen. Die Umsetzung der G 20-Beschlüsse daure viel zu lang. Außer Kommuniques sei bisher nicht viel herausgekommen.
Wo er Recht hat, hat er Recht.

Eine viel bedeutendere Schlagzeile als die sog. „Rentengarantie“ hätte Steinbrücks Eingeständnis sein müssen, dass „die Märkte“ die Politik steuerten bzw. die Politik der Finanzwirtschaft hinterher trabe.

Wer Ohren hatte zu hören, der konnte auch heraushören, wie sehr er nach der Krisensitzung über die HRE Ende September 2008 unter dem Druck der Banker stand und man als verantwortlicher Politiker gar nicht mehr die Chance hatte darüber nachzudenken, als dabei der Staat über den Tisch gezogen wurde.

Der Filmautor Stephan Lamby wurde an einer Stelle sogar kritisch, als er Steinbrück die Koalitionsvereinbarung über die Förderung des Finanzplatzes Deutschland vorlas. Auf diesen Vorhalt reagierte Steinbrück sichtlich verärgert. Jetzt zu sagen „wie bescheuert“ man gewesen sei, das sei doch „Neunmalklug“. Inzwischen seien wir alle schlauer, „ich auch“. Das ist das Eingeständnis eines Fehlers, der weit gravierender war, als die sog. „Rentengarantie“. Man hätte nur gerne erfahren, wo Steinbrück inzwischen schlauer geworden ist.

Um Steinbrück höhere Weihen angedeihen zu lassen, wurde in den Film ein Gespräch mit dem Denkmal und Altkanzler Helmut Schmidt heineingeschnitten, in dem es um Politikverdrossenheit gehen sollte. Steinbrück beklagte dabei die Verachtung gegenüber den Parteien und sah darin eine unselige wilhelminische Tradition der Deutschen. Steinbrück hat wohl die versteckte Kritik Schmidts gar nicht bemerkt, der nicht so sehr eine Verachtung der Parteien erkennen wollte, sondern eher eine „Verachtung der Politiker“.

Nachdem Schmidt massive Kritik am „europäischen Verein“ geübt hat, schwang sich Steinbrück zu der seherischen Aussage auf, dass „Europa an die Peripherie des Weltgeschehens“ gerate. Er erkannte eine Systemkonkurrenz zwischen dem Marktkapitalismus westlicher Prägung und dem Staatskapitalismus chinesischer Machart und es sei nicht ausgemacht, „ob wir gewinnen“.

Die Attraktivität eines sozialen Wohlfahrtsstaates für die Menschen, scheint Steinbrück völlig aus dem Gedächtnis geraten zu sein. Die Fixierung auf den ökonomischen Wettbewerb blendet bei ihm offenbar den Gedanken aus, dass die Wirtschaft den Menschen zu dienen hat und nicht umgekehrt.

Steinbrück beklagt zwar das Auseinanderdriften der Gesellschaft, aber er sieht die Ursache vor allem darin, dass die Oberschicht „abgehoben“ und das „Eliteverhalten“ seine „Vorbildfunktion“ verloren habe. Er befürchtet, dass sich die „wechselseitige Ignoranz“ „ihre Kanäle“ suche und spricht dabei ausdrücklich die Krawalle im Schanzenviertel in Hamburg und beim 1. Mai in Berlin an. Dass er mit seiner Politik massiv zur Spaltung der Gesellschaft beigetragen hat, erkennt er jedoch nicht als Kardinalfehler.

Dass es gerade die Zerstörung der sozialen Sicherheit mit dem Rentenabbau und der Absturz in die Bedürftigkeit bei Arbeitslosigkeit durch die Hartz-Gesetze war, verbunden mit der permanenten Umverteilung von unten nach oben, die zu dem Vertrauensverslust der Politiker „inzwischen bei weiten Teilen der Bevölkerung“ geführt haben, von der Einsicht in diese Fehler ist Steinbrück nach wie vor weit entfernt. Für ihn ist dieser Vertrauensverlust keine Frage der Inhalte der Politik, sondern – wie schon in der Vergangenheit – ein Problem der Vermittlung oder Außendarstellung der Politik: „Die personellen Auswahlmechanismen der Politik und die Art ihrer Auftritte müssen sich fundamental ändern, um dieses Vertrauen zurückzugewinnen.”

Was vor lauter „Rentengarantie“ in den Medien auch noch an den Rand gedrängt wurde, ist Steinbrücks Einschätzung der Wirtschaftskrise, die der allgemeinen Aufschwungeuphorie ziemlich entgegensteht:
„Der Tiefpunkt wird innerhalb der nächsten zwei Jahre erreicht sein.“ Er misstraue den positiven Signalen aus der Wirtschaft. Zwar werde es einen leichten Aufstieg, aber dann noch einmal einen Einbruch geben, malte er aufs Papier. Grund für die düstere Prognose seien „die Überhitzungen auf einigen asiatischen Märkten“ und die Entwicklung der Rohstoffpreise. Dass gerade die Rohstoffpreise Produkt einer neuen Spekulationswelle und eben gerade nicht „der Märkte“ sind, wird er vielleicht in ein paar Jahren als Fehler erkennen. Aber bis diese Blase platzt, „trabt“ er wie bisher als Politiker „den Märkten“ hinterher.

Zum Glück schließt es Steinbrück ausdrücklich aus, dass er ins Kanzleramt will. Leider ist es allerdings so, dass die derzeitige Amtsinhaberin und ihre potentiellen Nachfolger bis heute nicht erkannt haben, dass sie von „den Märkten“ gesteuert sind bzw. ihnen hinterher traben.

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