EU bzw. IMF haben Ungarn gezwungen, ein obligatorisches System der privaten Rentenversicherung einzuführen. Nicht nur Ungarn.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

EU und IMF waren die Handlanger der privaten Rentenversicherer während des Transformationsprozesses in Mittel- und Osteuropa. Diese Machenschaften kommen jetzt wieder hoch, weil Ungarn bei Verhandlungen mit EU (und Merkel) ohne Erfolg darauf dringt, die mit der Privatisierung notwendig gewordenen staatlichen Zuschüsse zur gesetzlichen Rentenversicherung aus der Defizitberechnung herausnehmen zu können. Ähnliches gilt für Polen. Zum Gesamtkomplex erreichte uns die Übersetzung von Teilen eines interessanten Artikels aus der Tageszeitung “Népszabadság” zum Thema „Ungarn, die EU, der IMF und die privaten Rentenkassen“. Albrecht Müller

Zunächst die Kurzfassung des Artikels und Dank an H.S. aus Oberbayern:

Die privaten Rentenkassen (und die Pflichtversicherung hierin) wurden in den 90-er Jahren von der EU und dem IMF Ungarn (und Polen, wohl auch anderen) regelrecht aufgezwungen. Dadurch entstehe in der gesetzlichen Rentenversicherung einen Fehlbetrag von jährlich 3-4-500 Milliarden Forint (HUF 400 Mrd. sind z.Zt. etwa EUR 1,5 Mrd.), der aus der Staatskasse, aus Steuergeldern ersetzt werden muss. Ungarn möchte diesen Betrag bei der Defizitberücksichtigung “verrechnen”, doch Merkel und die EU wollen dies nicht zulassen.

“Der IMF hat Ungarn gezwungen” (Überschrift) (Und Zitat:)
Die EU sollte zumindest so korrekt sein, dass wir das wegen der privaten Rentenkassen entstandene Defizit verrechnen können – sagte (Staatssekretär des MP) Mihály Varga, der es in Berlin bestürzend fand, dass Kanzlerin Angela Merkel gesagt hatte, es sei Sache der Ungarn. Obwohl es nach Varga “von der EU und dem IMF uns aufgezwungen” wurde.

Weiter:

“Ich bin der festen Überzeugung, dass die EU uns nicht verbieten kann, dass die ungarische Regierung in der Frage der privaten Rentenkassen eigenständig entscheidet” – so antwortete Mihály Varga am Wochenende in einer Sendung vom “Hír TV” auf die Frage, dass “in manchen EU-Ländern die privaten Rentenkassen unter staatliche Aufsicht gestellt wurden, in manchen nicht. Kann uns jemand verbieten, dass wir in dieser Frage eigenständig entscheiden?”

(…)

Varga erinnerte daran: 1997 wurden die obligatorischen privaten Rentenkassen aufgestellt. Dadurch entstand in der staatlichen Rentenversicherung ein Fehlbetrag. – Seither schichten wir  aus dem Staatshaushalt Steuergelder in der Höhe von jährlich 300-400 Milliarden, oder gar 500 Milliarden Forint in die (gesetzliche) Kasse um, damit wir den fehlenden Betrag ersetzen. 

(…)

Polen steht vor der gleichen Situation. Daher hat der polnische Finanzminister schon mehrmals aufgeworfen: Wenn wir schon dieses System eingeführt hatten, weil wir “in diese Richtung gestoßen worden sind”, dann sollte die EU zumindest insofern korrekt sein, dass wir das Defizit, das hierdurch im Staatshaushalt entsteht, verrechnen dürfen – betonte der führende Staatssekretär des Ministerpräsidentenamtes von Viktor Orbán. 

“Doch oh Wunder, die EU will es Ungarn nicht erlauben. Es war bestürzend während unserer Gespräche in Berlin, dass Kanzlerin Merkel ebenfalls gesagt hatte, das sei eine Angelegenheit der Ungarn, sollen sie so erledigen, wie sie wollen. “Das ist nicht unsere eigene Angelegenheit” – betonte Mihály Varga, und ergänzte: “… die (damalige) EU, bzw. der IMF “haben Ungarn regelrecht gezwungen, ein obligatorisches System der privaten Rentenversicherung einzuführen”. Dann sollen sie uns jetzt erlauben, dass wir das dadurch entstehende Defizit verrechnen. Es ist nicht ohne Präzedenz, zwischen 2004 und 2007 war das Verrechnen erlaubt, jetzt seltsamerweise nicht.”

(…)

Der Staatssekretär sagte weiter: Bezüglich des Defizitziels von 2011 “bitten wir von der EU nicht mehr als eine einheitliche Lösung. Im Moment können von den 27 Mitgliedsländern 24 das 3-prozentige Limit nicht einhalten. Es soll also das Limit auch für uns gelten, das für Großbritannien oder Griechenland gilt.”

Der Staatssekretär bestätigte nochmals: 2010 werden wir uns an das Defizitziel von 3,8 % halten, doch für die ungarische Regierung seien die Unabhängigkeit und die Selbstbestimmung die grundsätzlichen Fragen. (In diesen) sind wir nicht bereit, Konzessionen zu machen, aber wir sind bestrebt, mit dem IMF eine Art Dialog aufrechtzuhalten.

Soweit der Bericht unserer Leserin. Dazu noch einige Ergänzungen:

  1. In Ungarn, in Polen, in der Slowakei und vermutlich in einer Reihe anderer Länder wurde wie in Chile schon zu Zeiten des Diktators Pinochet die staatliche Rente zu Gunsten von privaten Altersvorsorgesystem zurückgedrängt. In Chile, das wissen wir von einem Besuch des damaligen Präsidenten Lagos in Deutschland im Januar 2005, ist das private System in eine Krise geraten. Der Staat muss diese Systeme nach finanzieren, damit die Altersarmut wenigstens ein bisschen eingegrenzt werden kann. Im Falle Ungarns muss das demolierte staatliche Rentensystem offenbar mit Steuergeldern nachfinanziert werden. Zu Gunsten der Profiteure der privaten Altersvorsorge.
  2. Wir würden gerne mehr davon wissen, wie internationale Einrichtungen wie die Europäische Union, der IMF und die Weltbank die Länder in Mittel- und Osteuropa in private Systeme der Altersvorsorge „gezwungen“ haben. Wir würden gerne wissen, wer daran beteiligt war und wer davon profitiert hat. Die Hypothese, dass davon nicht nur die Versicherungskonzerne, sondern auch private Personen profitiert haben, liegt nahe. Wenn schon der Betriebsratsvorsitzende eines deutschen Unternehmens 400.000 € in Steueroasen überwiesen bekommt, weil er hilft, die betriebliche Altersvorsorge seines Unternehmens von der Nürnberger Versicherung übernehmen zu lassen, (Siehe “400.000 € Schmiergeld für die betriebliche Altersversorgung von Iveco”) um wieviel mehr muss man dann leider annehmen, dass es auch bei der Privatisierung der Altersvorsorge in Mittel- und Osteuropa reihenweise Schmiergelder gab. Wir kennen aus anderen Zusammenhängen den Usus, das Brüsseler Beamte an der Vergabe von Geldern der Regional- und Strukturfonds mit-verdient haben. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass es bei der Privatisierung in Mittel- und Osteuropa weniger politisch korrupt zugegangen sein sollte. Auch das sind die Quellen, aus denen die Konten in Liechtenstein, Luxemburg und anderen Steueroasen gespeist worden sind.
  3. Hinzuweisen bleibt in diesem Zusammenhang wieder einmal auf den ehemaligen Arbeitsminister des chilenischen Diktators, auf Jose Pinera, zum Beispiel hier und hier. Hinzuweisen bleibt aus aktuellem Anlass darauf, dass die Maschmeyer Rürup AG in die Fußstapfen des Chilenen getreten ist.

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