Aussetzung der Rente mit 67: „Schließen wir nen kleinen Kompromiss“

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Diese Zeile des Refrains eins Spottlieds von Hanns Eisler mit dem Text von Kurt Tucholsky fällt einem ein, wenn man „Kompromissvorschläge“ aus der SPD liest, die Rente mit 67 vorläufig auszusetzen, sie aber nach wenigen Jahren in um so schnelleren Schritten wieder einzuführen. Das ähnliche Gauklerstück, nämlich eine Scheinlösung als Korrektur der von der überwiegenden Mehrheit der Menschen abgelehnten Fehlentscheidungen auszugeben, finden wir auch schon bei der sog. „Rentengarantie“. Auch dieser Lockvogel wird von den Rentnerinnen und Rentnern schon ab 2011 mit niedrigeren Rentensteigerung oder so genannten Nullrunden refinanziert bzw. sie ist durch die Kürzungfaktoren, wie Riester-, Nachhaltigkeits- oder Ausgleichsfaktor längst eingepreist. Wolfgang Lieb

„Schließen wir nen kleinen Kompromiss!
Davon hat man keine Kümmernis.
Einerseits – und andrerseits –
so ein Ding hat manchen Reiz …
Und durch Deutschland geht ein tiefer Riss.
Dafür gibt es keinen Kompromiss!“

Dieser Refrain ist so aktuell wie zu der Zeit, als er erstmals gesungen wurde, nämlich 1919.
Um das selbst auferlegte Dogma der Renten-„Reformen“ bloß nicht in Frage stellen zu müssen und den „tiefen Riss“, der zwischen der Regierungspolitik und Bevölkerung in punkto Rente mit 67 geht, mit weißer Salbe zu überdecken, will die SPD nun „nen kleinen Kompromiss“ anbieten, um in der Opposition gelandet, nunmehr weitere „Kümmernis“ zu vermeiden.

Statt eine schonungslose Diskussion über den gerade von den Sozialdemokraten vorangetriebenen Rentenabbau zu führen und einen der „letzten Reformer“, den Vorsitzenden der SPD-Bundesfraktion, Frank-Walter Steinmeier, endlich in Rente zu schicken, legt die neue Parteiführung um Sigmar Gabriel ein wenig Rouge auf und will sich damit vor allem den Gewerkschaftern anbiedern. Da wird die Hauptursache für die knappe Rentenkasse, nämlich die Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne und die Ausweitung prekärer Beschäftigung schlicht ignoriert. Da wird negiert, dass die Verschiebung des Renteneintrittsalters um zwei Jahre, gemessen an den Faktoren Erwerbsquote, Frauenerwerbstätigkeit, Produktivität oder einer kinderfreundlicheren Politik ein lächerlich kleiner Faktor ist. Da wird die Ausweitung der Beitragszahler etwa durch die Anhebung der Versicherungsfreigrenze oder die Heranziehung von Selbständigen und Besserverdienenden zur gesetzlichen Rentenversicherung (eine alte Idee der Sozialdemokratie) schlicht mit einem Denk-Tabu belegt.
Und das alles, um das wahre Motiv für die Erhöhung des Renteneintrittsalters zu verschleiern, nämlich durch ein in das Jahr 2029 (!) reichendes – also fast dreißig Jahren voraus liegendes – Planungsdatum vor allem den jungen Leuten vor Augen zu halten: Eure Rente wird bestenfalls noch eine Grundsicherung sein, deshalb müsst ihr selbst und privat vorsorgen.

Weil die Alternativen zu der „größten Rentenkürzung, die es in Deutschland jemals gegeben hat“ (Raffelhüschen), so offen auf der Hand liegen, muss – wie immer wenn eine Glaubenslehre durch die Wirklichkeit immer mehr in Frage gestellt wird – das selbst auferlegte Dogma um so unerbittlicher verteidigt werden.

Dem rechten SPD-Flügel um Steinmeier, der seine politische Zukunft nur noch darin sieht, die selbst eingebrockten Fehler der Vergangenheit, als historische Großtat zu verteidigen, stehen bei dieser Betonversiegelung der Agenda-Politik mächtige Medienbataillone zur Seite. Sie haben längst erkannt, dass die SPD zu einer von außen gesteuerte bzw. von außen steuerbare Partei geworden ist. Und sie wissen auch, wenn sie die Sozialdemokratie auf schröderschen Kurs halten können, dann ist jede Gefahr für eine politische Umkehr gebannt. Umso mehr heult die Medienmeute auf, wenn die Parteiführung unter dem Druck von unten auch nur ein Stückchen Dampf abzulassen versucht.

Ein Musterbeispiel für den dogmatischen Strukturkonservativismus der Medien konnte man wieder einmal im gestrigen ARD Presseclub zum Thema „65,67,70 – das Geschacher um die Rente“ erleben:

Nachdem alle vier Gastjournalisten (natürlich vom Spiegel, der Welt, der FAZ und der WAZ) die Rente mit 67 oder gar mit 70 (so Dorothea Siems, Welt) aus „demografischen“ Gründen für alterntivlos erklärt haben, wies Moderator Jörg Schönenborn (WDR) angesichts „des Aufschreis“ im Gästebuch entschuldigend darauf hin, dass er keine Journalisten in den „gängigen Medien“ gefunden habe, die zum Thema eine kritische Position in der Runde hätten einnehmen können. Das Gesichtsfeld der Redaktion des Pressclubs beschränkt sich offenbar auf die konservativen Mainstream-Medien, bei denen bekanntermaßen bei diesem Thema eine erschreckende freiwillige Gleichschaltung des Denkens festzustellen ist.

Bemerkenswert war die selbstgewisse und anmaßende Art, in der alle vier eingeladenen Journalist(inn)en auftraten. Gerade so als würden sie unumstößliche Wahrheiten verkünden und als seien sie die allergrößten Experten in Demografie- und Rentenfragen. Dabei plusterten sie sich eigentlich nur wie balzende Ziervögel auf. Das war ganz typisch für den Papagei-Papageien-Journalismus, der nur noch nachplappert, was die anderen „gängigen Medien“ vorsagen, ohne auch nur auf irgendeinen Einwand einzugehen oder die angelernten Parolen journalistisch kritisch zu hinterfragen.

Typisch für diesen regierungsamtlichen Verlautbarungsjournalismus war darüber hinaus, dass der stellvertretende Leiter des Spiegel-Hauptstadtbüros Michael Sauga (Autor des Buches „Wer arbeitet, ist der Dumme“, in dem er den Sozialstaat für sinkende Löhne verantwortlich macht) und Richard Kiessler (Sonderkorrespondent Außenpolitik (!) der WAZ) angesichts der Diskussion über die Rente mit 67 innerhalb der SPD, den Sozialdemokraten prompt die „Regierungsfähigkeit“ absprachen. Es ist ja in Deutschland üblich geworden, jeder politischen Kraft, die über das gleichgeschaltete Denken hinausdrängt, gleich die Regierungsfähigkeit abzusprechen. Als regierungsfähig gilt eben nur, wer sich der faktenresistenten Ignoranz des agenda-konformen Einheitsdenkens fügt.

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