Weitere Zeugen im Assange-Verfahren bekunden die Bedeutung der Wikileaks-Veröffentlichungen

Weitere Zeugen im Assange-Verfahren bekunden die Bedeutung der Wikileaks-Veröffentlichungen

Weitere Zeugen im Assange-Verfahren bekunden die Bedeutung der Wikileaks-Veröffentlichungen

Ein Artikel von Moritz Müller

Die Auslieferungsanhörung USA vs. Julian Assange ist nun in die vierte Woche gegangen, wenn man die erste Woche im Februar mitzählt. Weiterhin gibt es massive Zugangsprobleme für Beobachter aller Art, aber was im Gerichtssaal gehört wird, sollte eigentlich eher für den Angeklagten sprechen, wenn hier wirklich Recht gesprochen werden soll. Nachfolgend ein weiterer Bericht aus London, aus dem Gerichtsgebäude und vom Geschehen drumherum (Stand: 21. September 2020). Von Moritz Müller.

Es ist 7 Uhr am Morgen, Donnerstag, 17. 9. 2020, und vor dem zentralen Londoner Strafgerichtshof Old Bailey weht ein kühler Wind und ich lasse die letzten Tage der Auslieferungsverhandlung gegen den Wikileaks-Gründer Julian Assange Revue passieren.

In den letzten drei Tagen ist es mir gelungen, partiell Einlass auf die Besuchertribüne zu erhalten. Das ist nicht so einfach, denn von den 32 Plätzen für die Öffentlichkeit sind aufgrund von Covid-Beschränkungen offiziell nur 5 Sitze für die Öffentlichkeit erhältlich. Aber von denen wiederum sind 3 Sitze für VIPs reserviert, die bisher aber noch nicht erschienen sind. Trotzdem erklären uns die Gerichtsdiener, dass diese 3 Plätze erst eineinhalb Stunden nach Verhandlungsbeginn freigegeben werden, und gestern musste ich nochmals 10 Minuten länger warten und verpasste somit die komplette Aussage des NDR-Journalisten John Goetz, der zur Zeit der Veröffentlichung der Dokumente für den Spiegel arbeitete. Aber zum Glück gibt es ja einige andere Beobachter, die versuchen, der Verhandlung zu folgen, und die ihre Beobachtungen, teilweise auch in Echtzeit, an die Öffentlichkeit weitergeben. Oder hier eine Zusammenstellung der verschiedenen Beobachter, die meisten jedoch auf Englisch.

Allerdings ist die Besuchertribüne nicht in dem Saal, in dem die Verhandlung stattfindet, sondern im Nebenraum, wo wir andere Journalisten dabei beobachten, wie sie das Geschehen auf einem relativ großen Videomonitor, von dem wir leider nur die Rückseite sehen, verfolgen. Der Monitor für die Besuchergalerie befindet sich auf der gegenüberliegenden Seite des 80 Sitze und teilweise Tische enthaltenden Raumes und es ist fast unmöglich, auf der vielleicht 100 cm Bildschirmdiagonale irgendetwas auszumachen. Zumal der Bildschirm geteilt wird, wenn Zeugen per Videoübertragung erscheinen, was bis jetzt zumeist der Fall war, da die Zeugen bisher hauptsächlich außerhalb des Vereinigten Königreichs ansässig sind. Diese Zeugen sind dann recht gut erkennbar, aber die Tonqualität ist leider oftmals nicht so gut, es gibt ein gewaltiges Echo oder die Stimmen klingen so, als stammten sie direkt aus einem Aquarium.

Trotzdem – oder gerade deswegen – bekommt man einen ganz guten Eindruck von der bei diesem Verfahren herrschenden Atmosphäre und natürlich sind auch die Aussagen der Zeugen sehr erhellend. Es hat insgesamt den Anschein, als sei das Verfahren so organisiert, dass die Öffentlichkeit möglichst wenig vom Geschehen mitbekommt, und nicht nur James Lewis, der Anwalt der USA, dessen Job es ja ist, gegen Julian Assange zu sein, sondern auch die offiziell unparteiische Richterin Vanessa Baraitser wirkt ihm gegenüber latent negativ eingestellt.

Dazu passt auch der gestrige Tweet von Julian Assanges Verlobter Stella Moris. Ihrer Schilderung zufolge wird er jeden Morgen um 5 Uhr geweckt, wird jeden Morgen einer Leibesvisitation unterzogen und mit einem Scanner durchleuchtet, bevor er die eineinhalbstündige Reise in einem „sargähnlichen“ Van antritt. Bei der Zeit für diese Strecke wird es sich wohl um die Zeit inklusive Wartezeit vor und nach der Abfahrt handeln. Das klingt nach einer Tortur, welche begrifflich an das englische Wort Torture für Folter angelehnt ist.

Nun zu einigen der Aussagen und den Verhören der letzten Tage. Der letzte Zeuge gestern war der „PentagonPapers“-Whistleblower Daniel Ellsberg, der aus Kalifornien zugeschaltet war, wo es 6.30 Uhr in der Frühe war. Die Verteidigung hatte vor der Mittagspause um 45 Minuten Zeit gebeten, um sich mit dem 89-Jährigen vorzubereiten, aber auch hier zeigte die Richterin keine Milde und verwies auf den gesamten Zeitrahmen der Verhandlung, was aus ihrer Sicht auch verständlich ist, denn mittlerweile sind ca. 3 Tage wegen technischer Schwierigkeiten und der Covid-Angst bzw. -Vorsicht verlorengegangen.

Den Aussagen der Anwesenden zufolge erschien Ellsberg ohne Bild, aber dafür mit guter Tonqualität. Er zeigte sich dem penetranten Strafverfolger gegenüber sehr robust und akzeptierte nicht das Bild, welches die Anklage zeichnet, dass es einen Unterschied zwischen ihm und Julian Assange, Chelsea Manning oder Edward Snowden gäbe. Ellsberg wird in den USA auch von den liberalen Medien als Held gesehen, während man Julian Assange mehr als Schmutzfinken sieht. Das hat natürlich viel mit dem Narrativ zu tun, dass Assange und Wikileaks am Wahlsieg Trumps schuld seien, durch die wahrheitsgemäße Schilderung von Hillary Clintons Aktionen im Vorfeld der letzten Präsidentschaftswahlen.

Außerdem wies Ellsberg darauf hin, dass auch er der Authentizität halber unredigierte Dokumente veröffentlicht habe, welche Namen von CIA-Agenten etc. enthielten, und dass ihm das vor beinahe 50 Jahren nicht zum Vorwurf gemacht wurde und er nicht erkennen könne, warum dies bei Julian Assange plötzlich anders sein solle. Ellsberg sagte weiterhin, dass Chelsea Manning und Julian Assange seiner Meinung nach in öffentlichem Interesse gehandelt hätten und dass seine langjährige Erfahrung ihm sage, dass in den USA kein faires Verfahren für Julian Assange zu erwarten sei.

Nun sind zwei weitere Verhandlungstage vergangen und ein weiterer läuft am heutigen Montag, 21. September. Es gab auch am Donnerstag und Freitag die üblichen Schwierigkeiten mit dem Zugang zur Verhandlung und auch von den drei VIPs, die die Plätze für die Öffentlichkeit blockieren, fehlt weiterhin jede Spur. Man fragt sich auch, ob diese wichtigen Beobachter nicht auf einem der zahlreichen anderen freien Plätze im Saal sozial distanziert untergebracht werden könnten. Es gibt in „unserem“, zum Beobachterraum umfunktionierten Saal auch 9 Plätze hinter Glas, die auch nicht benutzt werden, weil der Angeklagte ja im Nebenraum hinter Glas sitzt.

Am Donnerstag trat zuerst Professor John Sloboda auf, der Gründer der Organisation Iraq Body Count, die es sich zum Ziel gemacht hat, die Zahl der zivilen Opfer im letzten Irak-Krieg zu erfahren. Auch er bekräftigte, dass Julian Assange und Wikileaks die Dokumente, welche als Irak-War-Logs veröffentlicht wurden, einem sorgfältigen Redigierungsprozess unterzogen haben. Bei dem darauffolgenden Kreuzverhör durch James Lewis QC machte er allerdings nicht den robustesten Eindruck, als er Lewis‘ Vermutung zustimmte, es habe keine Überprüfung seiner Zuverlässigkeit durch Wikileaks gegeben, bevor man ihm Zugang zu den geleakten Dokumenten gewährte. In dem Moment hätte er schon auf seine langjährige Arbeit als Fürsprecher für die Opfer des Krieges und auf seinen Ruf in akademischen Kreisen hinweisen können. In seinem Fall funktionierte die Strategie der Anklage, Zeugen zu verunsichern und deren Wissen, Kompetenz und Unabhängigkeit infrage zu stellen.

Da zeigte sich der am Nachmittag zugeschaltete Carey Shenkman aus anderem Holz geschnitzt. Er war aus New York zugeschaltet und referierte über die Umstrittenheit des Spionagegesetzes von 1917 und dass es zur Zeit des Ersten Weltkriegs verabschiedet wurde, als in den USA der Presse gegenüber eine paranoide Stimmung herrschte. Trotz großer Schwierigkeiten mit dem Ton, welche am Ende mit der Nutzung seines Telefons überwunden wurden, blieb er die ganzen 90 Minuten äußerst gelassen und freundlich gegenüber der kühl und teilweise oberlehrerhaft auftretenden Anklagevertreterin Claire Dobbin.

So parierte er ihre Frage, ob „Hacking“ in den USA nicht illegal sei, mit der Aussage, dass der Begriff im US-Strafgesetzbuch nicht vorkomme und es stattdessen „unautorisierter Zugriff auf einen Computer“ heiße. Sie sagte, dass er schon wisse, um was es gehe, und sie halt einen Alltagsbegriff benutzt habe. Darauf erwiderte Herr Shenkman, dass man hier sei, um Gesetze zu interpretieren und nicht Alltagssprache. Insgesamt gelang es Frau Dobbin nicht, ihn in die Enge zu treiben, und auch die Richterin ermahnte die Anklägerin, dass sie sich den Fortgang ihrer Zeugenbefragung selbst zuzuschreiben habe. Einige Male wurde im Saal auch gekichert über diesen Schlagabtausch, welcher am Freitagnachmittag fortgesetzt wurde.

Am Freitagmorgen gelang es mir erst kurz vor der Mittagspause, in den Saal zu kommen, als einer anderen Beobachterin zu kalt wurde, denn die Klimaanlage träufelt eiskalte Luft auf die Besuchertribüne in diesem fensterlosen Raum. Ich kam aber noch genau rechtzeitig zur Verlesung der Aussage des Zeugen Khaled al-Masri. Eigentlich sollte er auch direkt gehört werden, aber die US-Anklagevertretung seiner Anhörung und Bezirksrichterin Baraitser schlugen die Verlesung von al-Masris Aussage vor, worauf es Julian Assange entfuhr, dass er einer Zensur eines Zeugen nicht zustimme. Daraufhin maßregelte ihn die Richterin und am Ende las der Verteidigungsanwalt Mark Summers die unter die Haut gehende schriftliche Aussage des deutschen Staatsbürgers mit libanesischer Herkunft vor.

Die ganze an sich fast unglaubliche Affäre hat ja auch in Deutschland viele Schlagzeilen gemacht. Al-Masri wurde Ende 2003 in Mazedonien entführt, dann von der CIA nach Afghanistan verbracht und gelangte erst Anfang Juni 2004 wieder nach Deutschland. Der damalige Innenminister Otto Schily, der während al-Masris Entführung von dem Fall erfuhr, setzte sich nicht für ihn ein und auch die Haftbefehle der Münchner Staatsanwaltschaft führten nicht weiter. Aus Wikileaks-Veröffentlichungen lässt sich ersehen, dass es massiven Druck von US-Seite auf deutsche Behörden und den Internationalen Strafgerichtshof gab. Al-Masris eidesstattlicher Erklärung zufolge drohte US-Außenminister Mike Pompeo möglichen Strafverfolgern und deren Familien mit „extremen Maßnahmen“.

Dieses Statement und wie es von Herrn Summers vorgetragen wurde, schien auf alle im Saal einen spürbaren Eindruck zu machen und nach der späteren Schilderung von Craig Murray war auch die Richterin von dieser Aussage sichtlich berührt bzw. es gelang ihr nicht, dieses Dokument einfach als eine weitere Zeugenaussage einzureihen. Es wird sich zeigen, ob uns Richterin Baraitser in ihrem für Oktober erwarteten Urteil überrascht und ob al-Masris Aussage dazu beiträgt.

Am Freitagnachmittag gab es dann ein weiteres Geplänkel zwischen Claire Dobbin und Carey Shenkman, das meiner Meinung nach einen guten Eindruck für Shenkman und somit auch Julian Assange hinterließ.

Vor dem Gericht waren am Freitag, wie an allen Verhandlungstagen, so um die 30 Unterstützer aktiv, was mehr sind als die drei, die manchmal vor der ecuadorianischen Botschaft standen, aber immer noch erstaunlich wenig in der 9-Millionen-Stadt London, wenn man die weitreichenden Implikationen dieser Anhörung bedenkt. Auch ich werde mich bald wieder zum Old Bailey aufmachen, um zu sehen, was heute vor sich geht. Aus den heutigen Tweets aus dem Gerichtssaal lässt sich leider keine Änderung in Richterin Baraitsers Einstellung erahnen, denn ihre bekundete Sorge um die Länge des Verfahrens schlägt sich darin nieder, dass sie die Anhörung der Zeugen durch die Verteidigung vorzeitig unterbindet.

Titelbild: © Moritz Müller

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