Bestrafe Einen, erziehe Hundert. Die Wikipedia-Kampagne gegen den Biologen Clemens Arvay

Bestrafe Einen, erziehe Hundert. Die Wikipedia-Kampagne gegen den Biologen Clemens Arvay

Bestrafe Einen, erziehe Hundert. Die Wikipedia-Kampagne gegen den Biologen Clemens Arvay

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Vielen Menschen gilt die Wikipedia immer noch als seriöses, neutrales Nachschlagewerk. Dass dies vor allem auf den geistes- und politikwissenschaftlichen Bereich der deutschsprachigen Wikipedia schon lange nicht mehr zutrifft, sollte aufmerksamen Lesern der NachDenkSeiten bereits bekannt sein. Zur Verteidigung der Wikipedia wurde bislang stets angeführt, dass die Qualität auf den naturwissenschaftlichen Themenfeldern immer noch akzeptabel sei; doch dieses Urteil muss nun auch revidiert werden. Ein erschreckendes Beispiel für den Missbrauch der Online-Enzyklopädie als ein Werkzeug für Rufmord und interessengeleitete Meinungsmache liefert die aktuelle Kampagne gegen den österreichischen Biologen Clemens Arvay. Der hatte sich in jüngster Vergangenheit mehrfach kritisch zu den verkürzten Zulassungsverfahren bei der Entwicklung der Corona-Impfstoffe geäußert. Das gefiel einigen Wiki-Aktivisten offenbar gar nicht. Von Jens Berger

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Um möglichst schnell einen Impfstoff gegen Covid-19 auf den Markt zu bringen, wurden weltweit die gängigen Zulassungsverfahren verkürzt, oder wie man es wissenschaftlich korrekt nennen würde, „teleskopiert“. Darauf haben auch die NachDenkSeiten kritisch hingewiesen und dabei unter anderem auch ein Interview mit dem österreichischen Biologen Clemens Arvay verlinkt. Seitdem hat Arvay seine Kritik in zahlreichen weiteren Fachpublikationen, Interviews und Videos auf seinem eigenen YouTube-Kanal verfeinert und ergänzt. Inhaltlich sind diese Beiträge äußerst empfehlenswert und decken sich mit der Kritik des angesehenen amerikanischen Genetikers und Molekularbiologen William Haseltine. Auch der bekannte deutsche Virologe Alexander Kekulé äußerte in seinem Podcast beim MDR mehrfach (z.B. in Folge 105) die Kritikpunkte, die auch Arvay anführt.

Doch um Inhalte geht es bei der stellenweise hysterisch geführten Debatte zu Corona offenbar nicht. Kaum hatten sich Arvays Beiträge in Wort und Bild verbreitet, entflammte auf seinem Eintrag in der Wikipedia ein sogenannter „Edit-War“, bei dem sich vor allem zwei Wiki-Aktivisten besonders hervortaten. Wer sich den Verlauf der Änderungen in Arvays Eintrag und die begleitende Debatte anschaut, kann da kaum an einen Zufall glauben. Generalstabsmäßig wurde eine Kampagne lanciert, deren Ziel ganz offensichtlich der Rufmord und die Zerstörung der Glaubwürdigkeit des Biologen ist, der nun laut Wikipedia noch nicht einmal mehr als „Biologe“ bezeichnet werden soll. Ein vollkommen absurder Vorgang, da bereits zwei anerkannte Professoren in schriftlichen Stellungnahmen (hier und hier) den Wiki-Aktivisten versichert haben, dass Arvay als Biologe bezeichnet werden kann und sogar die ehemalige Fachbereichsleiterin der Wiener Uni, die Arvays Diplomarbeit seinerzeit betreute, der Wikimedia Foundation schriftlich bestätigt hat, dass Arvay den Titel „Biologe“ rechtmäßig führen darf. Aber was interessieren Primärquellen die Wikipedia? Arvay wird dort immer noch nicht als Biologe, sondern als Sachbuchautor bezeichnet. Ebenso skurril ist die Begründung – er arbeite nicht als Biologe, sondern er schreibe Sachbücher, so die bestechende Logik einer Wiki-Aktivistin, die sich bei der Kampagne gegen Arvay besonders hervortat. Demnach müsste beispielsweise ein Hans-Werner Sinn ebenfalls als Sachbuchautor und nicht als Wirtschaftswissenschaftler geführt werden, ist er doch schon lange nicht mehr im wissenschaftlichen Bereich tätig.

In einem Video nahm Clemens Arvay jüngst Stellung zu der Kampagne:

Die Kampagne erstreckte sich jedoch auch auf andere – aus vergangenen Vorfällen bekannte – Manipulationsmuster. So wurde schnell der berühmt-berüchtigte Begriff „Verschwörungstheoretiker“ in die Debatte eingebracht. Warum? Weil Arvays Videos „in Esoterik- und Verschwörungstheoretikerkreisen kursieren“. Ein Totschlagargument, das zudem dumm ist. Was hat die Verbreitung der Rezeption mit dem Inhalt zu tun? Dieses Muster kennen übrigens auch die NachDenkSeiten aus leidlicher Erfahrung. In unserem Wikipedia-Eintrag steht bereits in der Einleitung: „Der Blog wurde anfangs als wichtiger Bestandteil einer Gegenöffentlichkeit gelobt, sieht sich in den letzten Jahren jedoch vermehrt dem Vorwurf ausgesetzt, Verschwörungstheorien zu verbreiten.“ Dieser „Vorwurf“ wird mit zwei einseitigen und einschlägigen Meinungsartikeln sicherlich nicht neutraler Journalisten (Martin Reeh und Steven Geyer) „belegt“. So einfach ist das mit dem Rufmord. Und leider wirkt diese Methode bei einigen Menschen, die die Hintergründe der Wikipedia (noch) nicht kennen.

Auch in einem anderen Zusammenhang gibt es Parallelen zu den Kampagnen gegen die NachDenkSeiten und ihre Macher. So wurden bei Clemens Arvay selektiv positive Presseberichte aus dem Eintrag entfernt (Begründung: „Lobhudelei eines irrelevanten Autors in einem irrelevanten Medium), während einseitig kritische Berichte – von ebenso irrelevanten Autoren in ebenso irrelevanten Medien – gezielt ergänzt wurden. Genauso ging man bei der Wikipedia beispielsweise bei der Auswahl der Rezensionen zu den Büchern des NachDenkSeiten-Herausgebers Albrecht Müller vor.

Aber zurück zu Clemens Arvay. Laut Wikipedia ist ein kurzer, kritischer Aufsatz des Genetikers Wolfgang Nellen so relevant für die Person Clemens Arvay, dass man ihn in seinem Wikipedia-Eintrag ausführlich anführt. In diesem Aufsatz unterzieht Nellen Arvay einem verkürzten „Experten-Check“ und kommt anhand einer Überprüfung des Dienstes „Google Scholars“ zu dem Ergebnis, dass Arvay für das Themenfeld „Impfstoffe“ bestenfalls ein „gutes Laienwissen“ attestiert werden kann. Amüsanterweise spricht Nellen im selben Aufsatz sich selbst und den bekannten Virologen Christian Drosten und Alexander Kekulé ebenfalls den Expertenstatus auf diesem Gebiet ab. Eine inhaltliche Bewertung will Nellen jedoch nicht vornehmen – er ist ja schließlich selbst kein Experte. Das wirkt alles sehr bemüht und ist in letzter Konsequenz absurd.

Sicher kann man sich aus dieser „Veröffentlichungslogik“, nach der nur derjenige etwas zum Thema beitragen darf, der unzählige Artikel in Fachzeitschriften publiziert hat und häufig zitiert wurde, sein eigenes „Ranking“ erstellen. Losgelöst vom Inhalt kommt man damit aber nicht weit. Nehmen wir den oben genannten William Haseltine als Beispiel. Haseltine vertritt inhaltlich bei der Frage um die Impfstoffentwicklung so ziemlich genau die gleichen Punkte wie Clemens Arvay. Nun ist der ehemalige Harvard-Professor Haseltine aber einer der bekanntesten Genetiker der Welt. Führt man den von Nellen angeregten „Experten-Check“ via Google Scholar durch, kommt man auf über siebentausend Einträge, mehr als doppelt so viele wie Christian Drosten. Eine kleine Randnotiz – der ebenfalls mittlerweile wegen seiner kritischen Positionen zu Corona von den Medien als „umstritten“ bezeichnete Gesundheitsstatistiker John Ioannidis kommt auf über 38.000 Einträge, einer der höchsten Werte bei Google Scholars überhaupt. Er wäre demnach also der „Super-Experte“. Aber was nutzt das alles, wenn die Wiki-Aktivisten, die sich in der Online-Enzyklopädie als Hüter der Wissenschaft aufspielen, selbst oft maximale Meinungsstärke bei minimalem Sachverstand walten lassen?

Es ist ohnehin ein großes Missverständnis, wenn die Wiki-Aktivisten meinen, Wissenschaft habe etwas damit zu tun, Positionen anhand ihrer Kompatibilität zum Mainstream zu bewerten. Die meisten großen wissenschaftlichen Erkenntnisse mussten sich zunächst gegen einen Mainstream durchsetzen und wurden anfangs belächelt oder gar bekämpft. Hätte es die Wikipedia bereits in früheren Jahrhunderten gegeben, wären sicher auch Galileo Galilei, Nikolaus Kopernikus und Johannes Keppler mit Verweis auf die Meinungsartikel katholischer Theologen als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet worden. Wissenschaft lebt vom Widerspruch und die wissenschaftliche Herangehensweise beinhaltet die inhaltlich ergebnisoffene Debatte, losgelöst von der Person und erst recht losgelöst von ideologischen Scheuklappen und interessengeleiteter Einflussnahme. Von diesem Ideal entfernt sich die Wikipedia von Tag zu Tag mehr. Welchen Mehrwert hat aber eine ideologisch motivierte Enzyklopädie, die nicht das Wissen der Welt, sondern die Meinungen einiger weniger Aktivisten, die sich als Hüter des Wissens gerieren, widerspiegelt? Vielleicht sollten die Wikipedianer sich einmal folgendes Zitat von Alexander Kekulé durch den Kopf gehen lassen, mit dem er in seinem Podcast ganz konkret auf die Debatte um die Äußerungen von John Ioannidis und Sucharit Bhakdi eingeht …

Wir haben in der Wissenschaft oft Leute, die sagen nein, das stimmt nicht, was ihr da sagt. Auch bei Kongressen kenne ich das, dass es immer irgendeinen gibt, der aufsteht und sagt: Ich glaube das nicht. Und klar, die werden dann zum Teil belächelt. Zum Teil diskutiert man höflich ihre Argumente. Und ich bin ganz sicher, dass einige von denen sich dann durchsetzen und zu einem Paradigmenwechsel in der Wissenschaft beitragen. Denn nur wenn man Leute hat, die mutig sind und sagen: Mainstream, ich glaub euch nicht, dann ändert sich was in der Forschung. Das heißt, dass müssen nicht die Schlechtesten seien die, die am Anfang vielleicht ein bisschen wie Spinner aussehen.
Alexander Kekulé

Wie ein „Spinner“ sieht Clemens Arvay wohlgemerkt nicht aus, sind seine Argumente doch durchaus wissenschaftlich belegt, widersprechen jedoch dem medialen und politischen Mainstream, der kaum Kritik an der Impfstoffentwicklung zulässt. Nun darf man spekulieren, was die Wiki-Aktivisten eigentlich konkret antreibt, tagelang mehrere Stunden pro Tag damit zu verbringen, einen digitalen Rufmord an einem österreichischen Biologen zu publizieren. Der Verdacht, dass es hier nicht „nur“ um Wissenschaft, sondern um ganz andere Interessen geht, liegt auf der Hand, lässt sich jedoch zurzeit (noch) nicht belegen. Unabhängig davon sollte man die Wirkmächtigkeit solcher Kampagnen nicht unterschätzen. Die Botschaft ist klar: Wer unbequeme Positionen vertritt, muss damit rechnen, in der Wikipedia verunglimpft zu werden. Nicht jeder hat die Kraft und den Mut, diesen Kampf aufzunehmen. Bestrafe Einen, erziehe Hundert. Auf dass Kritiker den Mut verlieren und sich brav in den Mainstream einreihen. Es lebe das Herrschaftsinstrument Wikipedia.

Titelbild: monticello/shutterstock.com, Montage: NachDenkSeiten

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