Unruhen in Thailand: Was will die Protestbewegung?

Unruhen in Thailand: Was will die Protestbewegung?

Unruhen in Thailand: Was will die Protestbewegung?

Ein Artikel von Jinthana Sunthorn

Die ersten Proteste seit dem Militärputsch 2014 begannen im Studentenmilieu, nachdem das Verfassungsgericht am 21. Februar die Auflösung der 2018 neugegründeten Future Forward Partei angeordnet hatte. Diese Partei war bei den Parlamentswahlen im März 2019 drittstärkste Partei geworden und bei der Jugend sehr beliebt. Die Proteste beschränkten sich ursprünglich auf verschiedene Universitäten, allen voran die Thammasat-Universität in Bangkok und kamen infolge der Anti-Covid-19-Maßnahmen, der damit verbundenen Beschränkungen und der Ausrufung des Ausnahmezustandes bereits Ende Februar wieder zum vorläufigen Stillstand. Bevor wir näher auf die jüngsten Proteste in Thailand eingehen, wollen wir aber erst einmal die Hintergründe skizzieren, vor denen sie sich abspielen. Von Jinthana Sunthorn, Hongkong. Übersetzung aus dem Englischen durch die NachDenkSeiten-Redaktion.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Im Jahre 2014 hatte die Armee unter der Führung des Putschisten-Generals Prayut Cha-Oncha die gewählte Zivilregierung von Yingluck Shinawatra gestürzt. Cha-Oncha und seine Junta haben danach eine neue Verfassung durchgesetzt und 2019, nach unfairen Wahlen, hat Cha-Oncha die Generalsuniform gegen einen Anzug getauscht und ist Premierminister geworden, obwohl er nicht einmal gewählter Abgeordneter des Parlaments ist. Die erzwungene neue Verfassung, die von den Generälen geschrieben wurde, machte es möglich. Seit der erneuten Machtübernahme des Militärs und der Fassadendemokratie nach den Wahlen im März letzten Jahres regieren Cha-Oncha und seine Junta über Thailand unter der Form einer „gelenkten Demokratie“. Sie, wie die gesamte thailändische Oberschicht, die sie vertreten, sind einhellig der Meinung, das Volk sei „zu dumm, um die Demokratie zu verstehen“, und sie selber wüssten besser, was für Volk und Nation das Beste sei.

Eine neue Generation ist herangewachsen

Die Wirtschaftskrise nach dem Lockdown, die die Zahl der Geschäftsschließungen und damit auch die Zahl der Arbeitslosen drastisch hat ansteigen lassen, hat den Unmut über die Militärregierung weiter verschärft. Die Tourismusindustrie und viele andere Wirtschaftsbereiche liegen am Boden. Allein in der Tourismusbranche, die etwa 15 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht, sind von etwa vier Millionen Beschäftigten bereits über eine Million Beschäftigte arbeitslos, bis Jahresende werden es wahrscheinlich 2,5 Millionen sein. Die Hotels sind pleite, die thailändischen Fluglinien, allen voran die THAI, fliegen der Pleite entgegen. Aber auch der Binnenmarkt hat durch die fehlende Kaufkraft enorme Einbrüche erlitten. Geschäftsschließungen in allen Wirtschaftsbereichen sind an der Tagesordnung. Es wird erwartet, dass die thailändische Wirtschaft dieses Jahr um mindestens 8 Prozent einbricht, was dem Land enorme Einnahmenverluste bis Jahresende verursachen wird. Es gibt in Thailand kein Arbeitslosengeld, viele Arbeitslose kehrten zurück zu ihren Familien aufs Land und hoffen dort auf bessere Zeiten, damit sie wieder Arbeit finden.

Zwar ist die Coronapandemie besiegt, es gibt nur noch 59 Kranke in ganz Thailand, aber das Land hält weiterhin seine Grenzen geschlossen und ein Ende des Tunnels ist nicht in Sicht. Die Regierung hat kein Konzept, sie fährt auf Sicht mit ständigen Kursänderungen. Und es ist auch kaum zu erwarten, dass die Militärjunta eine andere Lösung findet als die, das Volk zur Kasse zu bitten.

Die junge Generation steht vor einer Zukunft ohne Perspektiven. Diese Generation ist viel gebildeter als die Generationen vorher. Die jungen Leute von heute haben Internet und Smartphones, über die sie sich informieren und mit der Welt kommunizieren. Erreichten im Jahr 1960 nicht mehr als 20 Prozent der Bevölkerung einen Abschluss der unteren Sekundarstufe, so waren es laut Bildungsministerium 1999 bereits 84 Prozent aller 12- bis 14-Jährigen, die die Sekundarschule besuchten. Tendenz steigend. Im Bildungssystem erreichten die Mädchen insgesamt geringfügig bessere Ergebnisse als die Jungs. Die Menschen müssen nicht auf dem College ausgebildet werden, um Demokratie, Menschenrechte oder soziale Gerechtigkeit zu verstehen, aber Bildung stärkt das Selbstvertrauen, sich zu organisieren, aufzustehen und zu kämpfen.

„Ältere Generationen würden es nicht wagen, so wie die Jugend von heute zu sprechen und zu sagen, was wir wirklich denken. Uns wurde beigebracht, die Obrigkeit zu respektieren und ihre Befehle zu befolgen. Kritik an höhergestellten Personen war verboten. Ob wir etwas lieben oder hassen, wir müssen es in uns behalten. Dies wurde uns beigebracht, seit wir sehr jung waren…“, so eine ältere Teilnehmerin an den Kundgebungen der Studenten.

Thailand ist aber auch längst nicht mehr das Agrarland von früher. Inzwischen arbeitet nur noch ein Viertel der Bevölkerung in der Landwirtschaft, der Rest arbeitet in der Industrie oder im Dienstleistungsbereich. Und damit hat sich auch die Stellung der Frau in der Gesellschaft geändert. Frauen arbeiten heute nicht mehr unter dem Familienoberhaupt in der Landwirtschaft mit, sondern verdienen sich ihr eigenes Geld in den Betrieben und unterstützen damit oft ihre Eltern auf dem Lande. So ist es dazu gekommen, dass sich unter den heutigen Demonstranten und ihren Führern ebenso viele Frauen wie Männer befinden.

Trotzdem hat sich die politische Struktur in den letzten 70 Jahren kaum verändert. Die neue Elite denkt noch genauso wie die alte. Bei den Eliten ist die Entwicklung trotz aller Modernisierungen stehengeblieben. Die Elite denkt, sie steht über den Untergebenen, das Volk ist da, um zu arbeiten und zu gehorchen. Das Königshaus ist das reaktionärste Beispiel der Aufrechterhaltung dieser alten feudalen Traditionen. Die Untergebenen dürfen sich dem König nur auf den Knien rutschend nähern und müssen vor ihm auf dem Boden kriechen. Im Königshaus wird eine alte, fremde Sprache gesprochen, die nur die Eingeweihten verstehen.

Das thailändische Parlament ist ein Parlament ohne Arbeiterparteien, es gibt dort nur verschiedene Fraktionen der immer gleichen Bourgeoisie. Bei den letzten Wahlen 2019 hatten sich ganze 77 verschiedene Parteien registrieren lassen, deren einziges politisches Programm es war, seinen Führern den Zugang zu den Quellen und Trögen der Macht zu erobern.

Das System Monarchie

1946 wurde Bhumipol bereits mit 18 Jahren Nachfolger seines Bruders Anand, der am 9. Juni 1946 erschossen in seinem Zimmer aufgefunden wurde. Die Umstände, ob Unfall, Mord oder Selbstmord, sind bis heute nicht geklärt. Bhumipol kehrte nach dem Tod seines Bruders zur Fortsetzung seiner Ausbildung nach Lausanne in die Schweiz zurück, wo er bis dahin auch mit seinen Eltern gelebt hatte. Erst im Dezember 1951 übernahm er die Regierungsgeschäfte in einem Land, das zu dieser Zeit, nach einem Putsch, bereits vom Militär regiert wurde. Die damaligen Militärbefehlshaber waren deutlich antiroyalistisch eingestellt. Sie befürchteten, dass ihnen der junge König mit seiner westlichen Einstellung und Erziehung ins Geschäft pfuschen würde.

Die entscheidende Wende kam 1957 mit einem erneuten Militärputsch, diesmal ausgeführt von Feldmarschall Sarit Thanarat. Sarit hatte erkannt, dass es zur Festigung der Macht des Militärs nützlich sei, sich auf den König und die Monarchie zu berufen und mit dem Segen des Königs zu regieren. Diesen Segen bekam er auch von König Bhumipol, obwohl Sarit sowohl das Parlament als auch die Verfassung außer Kraft gesetzt hatte. Ab jetzt war nur noch die Rede von der „Regierung des Königs“ und von den „königlichen Streitkräften“. Das Volk sollte in Harmonie mit der Monarchie und seiner Regierung leben und es begann eine gigantische Propagandawelle rund um die Werte von „Thai-ness“ und die drei Grundprinzipien Nation, Monarchie und Buddhismus, die der Thai-ness zugrunde lägen.

Von nun an lief das System wie geschmiert: Es wurden Bilder des Königs in sämtlichen öffentlichen Gebäuden aufgehängt, an sämtlichen Straßenkreuzungen aufgestellt und alle neuen Projekte wie Straßenbau, Schulen, Staudämme usw. wurden als Projekte des Königs dargestellt. Der König machte das Spiel mit und reiste zeit seines Lebens unermüdlich im Lande herum, um alle möglichen neuen Projekte einzuweihen, stets begleitet von Journalisten und vom Fernsehen. Keine Abendnachrichten, in denen nicht wenigstens die Hälfte der Sendezeit über die Wohltaten des Königs berichtet wurde. Der Unterricht an den Schulen wurde diesem Narrativ angepasst, der Arbeitstag in den Schulen und öffentlichen Einrichtungen beginnt seitdem und bis heutzutage noch pünktlich um acht Uhr mit dem Abspielen der Nationalhymne, wobei alle sich erheben oder auf der Straße stehen bleiben, bis sie verklungen ist. König Bhumipol wurde bis zu seinem Tod im Jahre 2016 von den Thais wie ein Gott verehrt.

Während der letzten sechs Jahrzehnte saß König Bhumipol auf dem Thron, umgeben von Mythen und kriecherischen Untertanen, geschützt durch das Militär und das drakonische Gesetz gegen Majestätsbeleidigung. Der König hatte jedoch nicht die Führung. Er war ein Spielball des Militärs und der Eliten, einer, der immer mitspielte. Er wurde vom Militär benutzt, um ihnen Legitimität zu verschaffen. Er profitierte davon selber in wirtschaftlicher Hinsicht und in Bezug auf sein Prestige als König. Er ist Multimilliardär geworden, reicher als jeder europäische Monarch. Gleichzeitig profitierte das Militär seinerseits vom Schutz des Königs und machte unbehelligt seine Geschäfte.

Seit Sarit wird das Land abwechselnd von Militärs und von zivilen Regierungen regiert, wobei die Zivilregierungen immer Regierungen der bürgerlichen Elite, insbesondere der Bangkok-Elite waren. (Auch die Regierung Thaksin war eine rein bürgerliche Regierung. Auf dieses Kapitel in der rezenten Geschichte Thailands werden wir später noch einmal eingehen, es würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen.) Jeder Militärputsch verlief immer nach demselben Schema: Nachdem die Generäle die Macht ergriffen hatten, fanden sie sich im Königspalast ein und erbaten den Segen des Monarchen, den sie auch ausnahmslos stets erhielten. Danach setzte Bhumipol sie als neue „Regierung des Königs“ ein. Da der König vom Volk verehrt wurde, stellte auch kaum einer die neue Putschistenregierung infrage, die immer laut eigener Propaganda nur das Beste für Thailand wollte und die weggeputschte Regierung beschuldigte, das Land ins Verderben zu führen. Dem wollten sie nun Einhalt gebieten, für das Wohl der Nation und zum Schutz der Monarchie, um danach die Macht gleich wieder an das Parlament abzugeben. Klaro, was denn sonst?

Als Allererstes wurde stets die Verfassung geändert. Als wichtigster Teil wurde immer eine Amnestie der Putschgeneräle darin verankert und es wurden Artikel so umgeändert, dass sie bei den nächsten Wahlen möglichst die Fortsetzung der Herrschaft des Militärs unter einem demokratischen Deckmäntelchen sicherstellen sollten. Was niemals angetastet wurde, ist der erste Abschnitt der Verfassung von 1932, der die Stellung der Monarchie in der thailändischen Gesellschaft zementiert.

Das thailändische Militär hat über 1600 Generäle, so viel wie kaum ein anderes Land. Und alle Generäle machen auch Geschäfte. Da sind zuerst einmal die Aufträge an die Rüstungsindustrie, bei denen sie die Hand aufhalten. Daneben sind sie noch in allen möglichen Geschäften drin, sei es Landwirtschaft, Tourismus oder Industrie. Auch an illegalen Geschäften im großen Stil wie Rauschgifthandel und Prostitution sind sie mitbeteiligt – ohne sie würde das Geschäft nicht funktionieren. So bewachten sie z. B. in den 70er-Jahren nachweislich die Opium- und Herointransporte aus dem Goldenen Dreieck nach Bangkok, von wo die Drogen in alle Welt verschifft wurden und sie schützten die Opiumbauern und die Heroinlabore vor dem Zugriff der Polizei und vor Überfällen rivalisierender Gangster. In diese Geschäfte war übrigens damals während des Vietnamkrieges auch die CIA mit eingebunden, wie Alfred Mc. Coy in seinem Buch „Die CIA und das Heroin“ schlüssig und anhand zahlreicher Quellen belegt.

Oft aber sind es nicht die Generäle selber, die die Geschäfte führen, sondern ihre Familie, ihre Ehefrauen, Söhne und Töchter. Die Generäle sorgen dann nur dafür, dass das Geschäft floriert, indem sie die Aufträge heranschaffen und die Konkurrenz ausschalten.

Das Gesetz gegen Majestätsbeleidigung

Das drakonische Lèse Majesté Gesetz, Art. 112 des Strafgesetzbuches, schützt das System Monarchie und ist das strengste Gesetz gegen Majestätsbeleidigung weltweit. Das Gesetz ist nicht dazu da, den König vor persönlichen Beleidigungen oder sonst welchen Angriffen zu schützen, es ist ein politisches Instrument, um die Redefreiheit und die Forderungen der Opposition nach Reformen und Veränderungen einzuschränken, und ist damit das effektivste Gesetz zur Verhinderung jeder Opposition in Thailand.

Was Majestätsbeleidigung genau beinhaltet, ist nirgendwo klar geregelt. Auch muss der König sich nicht selber beleidigt fühlen und Anzeige erstatten. Das macht die Regierung selber, wenn ihr jemand lästig wird. Dafür aber kann jeder in Thailand einen anderen wegen Majestätsbeleidigung anzeigen oder die Polizei kann auf eigene Initiative ermitteln. Natürlich werden meist nur Oppositionelle angeklagt. In Geheimprozessen werden sie dann verurteilt, was genau dem Angeklagten vorgeworfen wird, das erfährt keiner, es zu wiederholen oder zu publizieren, wäre selber wieder Majestätsbeleidigung. Die Höchststrafe für Majestätsbeleidigung sind 15 Jahre Gefängnis, es kann aber auch mehr werden, wenn der Beschuldigte mehrmals wegen Majestätsbeleidigung verurteilt wird, weil er dasselbe oder Ähnliches wiederholt gesagt oder getan hat.

Auf diese Weise wird jede Kritik an der Regierung erschwert, denn die Regierung wurde ja von seiner Majestät eingesetzt. Wer die Regierung kritisiert, kritisiert damit auch indirekt den König als Staatsoberhaupt. In einem Land, wo es ein Verbrechen ist, das Staatsoberhaupt zu kritisieren, ist jede oppositionelle politische Arbeit mit äußerster Gefahr für Leib und Leben verbunden. Wer will schon bis in alle Ewigkeit im Gefängnis sitzen?

König Vajiralongkorn

König Bhumipol regierte Thailand ganze 70 Jahre lang. Als er 2016 im Alter von fast 89 Jahren starb, erbte sein Sohn Vajiralongkorn den Thron. Anders als sein Vater ist Vajiralongkorn in Thailand eher unbeliebt. Er ist bekannt für unzählige Eskapaden und Skandale, man sagt ihm nach, er sei brutal, jähzornig und rachsüchtig. Anders als seine jüngere Schwester Prinzessin Sirindhorn, die man genauso wie ihren Vater fast täglich im Fernsehen bei der Übergabe von Universitätsdiplomen an die Studenten, bei der Vergabe von Hilfspaketen an Arme oder an Opfer von Naturkatastrophen, bei der Verleihung von Auszeichnungen an verdienstvolle Bürger oder der Einweihung von Schulen usw. sehen kann, waren die öffentlichen Auftritte von Vajiralongkorn sehr selten. Die meisten Thais hätten sich gewünscht, dass Prinzessin Sirindhorn Thronnachfolgerin würde, was aber nur durch eine Verfassungsänderung möglich gewesen wäre, weil – wen wundert´s? – nur der älteste Sohn des Königs in Thailand die Nachfolge übernehmen kann. Gibt es keine männlichen Nachfolger, ist die Thronfolge unterbrochen.

Bekannt in ganz Thailand wurde nicht Vijaralongkorns Engagement für das Volk, sondern seine Eskapaden, von denen zwar nicht öffentlich berichtet werden durfte, von denen aber jeder Thailänder wusste und hinter vorgehaltener Hand sprach. Das ging sogar so weit, dass sein Vater, König Bhumipol, ihm aus Ärger darüber sein „Taschengeld“ strich, damit er sich weniger herumtreiben konnte. Vajiralongkorn ist zudem bekannt als „Frauenheld“. Er war viermal verheiratet und hat zahlreiche Konkubinen. Zurzeit hält er sich die meiste Zeit mit seinem Hofstaat und 20 „Begleiterinnen“ in Bayern auf, wo er das Hotel „Sonnenbichl“ ganz für sich allein gebucht hat und von wo aus er auch Thailand regiert! Die deutsche Boulevardpresse, von Bild über BamS, Bunte usw. freut sich über die Schlagzeilen. Die Thailänder ärgern sich dagegen darüber, dass der König gerade in Krisenzeiten nicht im Land ist und sich kümmert.

Gleich nach seinem Amtsantritt erzwang Vajiralongkorn zudem die Kontrolle über das königliche Vermögen, das zuvor zum Teil vom Finanzministerium verwaltet wurde und das je nach Schätzungen zwischen 35 und 60 Milliarden Dollar betragen soll. Zudem hegt er Pläne zum Bau eines neuen königlichen Palastes, der die Pracht des alten Palastes seines Vaters in den Schatten stellen soll und von dem noch unklar ist, wer das finanzieren soll. In Krisenzeiten mit Sicherheit keine nebensächliche Frage.

Wie die Asia-Times berichtet, soll die Budgeterhöhung des königlichen Amtes um 16,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 8,9 Milliarden Baht (285 Mio. Dollar) betragen haben. Dies zu einer Zeit, wo der gesamte Staatshaushalt nur um 3,1 Prozent erhöht wurde und inmitten des massenhaften wirtschaftlichen Leids. Die Protestbewegung fordert daher auch eine Kürzung der Ausgaben für das Königshaus. Hinzu kommt wieder laut Asia Times ein reiches königliches Flugzeuginventar, darunter sieben Verkehrsflugzeuge, drei russische Suchoi-Superjets, vier leichte Northrop-F5-E-Kampfflugzeuge und 21 Hubschrauber, deren Wartungs-, Treibstoff- und andere Kosten im Staatshaushalt mit 2 Milliarden Baht (64 Millionen Dollar) pro Jahr nur vage angegeben sind. Vajiralongkorn ist ausgebildeter Kampfpilot und fliegt die Flugzeuge gerne selber.

In Zeiten, in denen das Ansehen des Königs sich im Sinkflug befindet, können natürlich weder eine Militärjunta als „Regierung des Königs“ noch die „königlichen Streitkräfte“ bei der Bevölkerung einen Blumentopf gewinnen. Mit dem Ansehen des Königs, dessen Verhalten nur noch peinlich ist, schwindet auch die Legitimation der Militärregierung. Als Vorbild ist Vajiralongkorn kaum noch glaubwürdig. Und damit wird auch das 60 Jahre alte „System Monarchie“ infrage gestellt. Es steht also derzeit in Thailand mehr auf dem Spiel als nur das Schicksal einer Putschisten-Regierung. Und auch die Felle vieler Mitglieder der Bangkoker Elite, die durch und mit diesem 60 Jahre alten System durch ihre Verflechtungen mit dem System Monarchie, Reichtum und Macht erlangten, drohen nun den Bach hinunter zu schwimmen.

Die Protestbewegung 2020

Die Proteste brachen nach der Corona-Zwangspause am 18. Juli mit einer Großdemonstration unter dem Dach der „Freien Jugend“ erneut aus. Diesmal beteiligen sich auch viele Schüler der Sekundarschulen an den Protesten, die Bewegung hat auf sie übergegriffen. Die Bewegung unter den Gymnasiasten nennt sich „Bad Student“ und richtet sich gegen das archaische Bildungswesen in Thailand, das ihnen kein selbstständiges Denken beibringt, sondern nur zum Ziel hat, sie zu folgsamen Bürgern zu erziehen.

Aber auch viele ältere Menschen in ganz Thailand haben sich den Demonstrationen angeschlossen oder hegen zumindest Sympathie für die Reformvorschläge der Schüler und Studenten. Die Zustimmung für deren Forderungen geht quer durch alle Teile der Bevölkerung. Viele der Älteren waren schon bei den Kundgebungen der Rothemden vor 15 Jahren dabei, die ganz Alten haben noch die Revolten der 1970er-Jahre mitgemacht, manche waren auch Zeugen oder sogar Opfer des Blutbades vom 6. Oktober 1976 an den Studenten an eben jener Thammasat-Universität, an der die jüngsten Proteste heute wieder aufgeflammt sind. Die Teilnehmer an den Protesten von 1976 nennen sich bis heute die „Oktobermenschen“ in Erinnerung an das Blutbad vom 6. Oktober. Zeugen von damals wollen auch Vajiralongkorn in der Nähe des Campus der Universität gesehen haben, im Morgengrauen, als das Militär den Campus stürmte und das Blutbad begann.

In den letzten Monaten fanden aber nicht nur in Bangkok, sondern auch in anderen Provinzen in ganz Thailand Proteste statt. Am 10. August 2020 verlasen die Organisatoren bei einer Demonstration an der Thammasat-Universität eine Erklärung, die weitergehende Forderungen enthielt und in der unter anderem „vorgeschlagen“ wurde, „die Monarchie nach demokratischen Grundsätzen zu reformieren.“ Explizit hieß es darin unter anderem:

„Wenn zum Beispiel ein Staatsstreich eine Regierung stürzt, die aus einem echten demokratischen Prozess hervorgegangen ist, hat der König unterschrieben, um den Leiter der Junta zu ernennen. Dies ist die Bestätigung jedes einzelnen Staatsstreichs als legal.“

Sowie auch:

„Das Volk sollte wissen, dass der König unseres Landes nicht über der Politik steht. Dies war durchweg die Wurzel politischer Probleme. Er hat seine Pflichten als Staatsoberhaupt, das ihn an die Herzen der Menschen bindet, vernachlässigt und verwendet die Steuern der Menschen, um Vergnügen zu suchen und außerhalb des Landes zu wohnen. Dies geschieht, während die Menschen durch den wirtschaftlichen Abschwung in Schwierigkeiten geraten. Er hat auch enge Beziehungen zu den Rebellen, die Staatsstreiche schüren, um die demokratische Herrschaft zu stürzen.“

Andere Rednerinnen und Redner sprachen am 10. August über Probleme wie Arbeitsrechte, Gleichstellung der Geschlechter und über die politische Krise.

Eine erneute Großkundgebung fand am vom 16. August am Denkmal für Demokratie, dem Wahrzeichen in Thailands Hauptstadt, statt, das an den Umsturz und die Einführung der konstitutionellen Monarchie von 1932 erinnert. Die Demonstranten hatten drei Forderungen: Die Auflösung des Parlaments, die Ausarbeitung einer neuen Verfassung, die auch den Abschnitt über die Monarchie abändert und Beendigung der Einschüchterung des Volkes und seiner Aktivisten. Die Aktivisten strecken seitdem bei ihren Kundgebungen den Arm aus und zeigen dabei drei Finger als Symbol für ihre Forderungen.

Diese Forderungen sind die radikalsten Forderungen in der politischen Geschichte Thailands, so die einhellige Meinung aller, die Thailand kennen. Besonders brisant ist, dass erstmals seit 1932 öffentlich die Rolle der Monarchie kritisiert wird. Warum das so brisant ist, wurde bereits weiter oben besprochen. Fakt ist jedenfalls, dass alle, die das in der Vergangenheit so deutlich wie die heutigen Aktivisten getan haben, entweder im Gefängnis oder, wenn sie rechtzeitig flüchten konnten, im politischen Exil im Ausland sind.

Die bisher größte Kundgebung fand am 19. September unter dem Motto „Gebt die Macht zurück an das Volk“ in dem bekannten, zentral gelegenen Park „Sanam Luang“ (Central Park) in Bangkok statt. Schätzungen schwanken je nach Quelle zwischen 20.000 und 200.000 Teilnehmern. Es waren Teilnehmer aus 24 Provinzen angereist, die meisten davon aus dem Nordosten, dem Isan, der Hochburg der Rothemden, deren Kundgebungen im Jahre 2010 unter der Führung des heutigen Premierministers und damaligen Armeechefs Prayut Cha-Oncha, brutal niedergeschlagen wurden.

Die Kundgebung war dieses Mal professioneller organisiert, was auf potenzielle Geldgeber schließen lässt. Trotz aller Befürchtungen, dass es wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit dem Militär kommen könnte, verliefen die Kundgebungen bisher allesamt erstaunlich friedlich. Um nicht neuen Unmut zu entfachen, setzt das Militär zurzeit scheinbar nicht auf Konfrontation. Zurzeit scheinen beide Seiten noch auf Deeskalation zu setzen. Während Premierminister Cha-Oncha, der bisher nie zimperlich war, wenn es um die brutale Unterdrückung jeglicher Opposition ging, die Bewegung anflehte, man könne ja reden, aber sie sollten die Monarchie aus dem Spiel lassen, und einräumte, dass “die Zukunft der Jugend gehört”, gab sich die Bewegung konziliant.

„Wir müssen in der Lage sein, offen über die Monarchie zu sprechen. Mit Respekt für die Institution der Monarchie natürlich – aber frei. Deshalb muss das Lèse-Majesté-Gesetz, das Majestätsbeleidigung unter Strafe stellt, abgeschafft werden. Ich sage das nicht mit der Absicht, die Institution der Monarchie zu zerschlagen, – sondern damit die Monarchie sich einfügen kann in diese Gesellschaft unter einer Demokratie mit einem König als Staatsoberhaupt“, sagte Frau Panusaya Sithijirawattanakul, eine 21-jährige Soziologiestudentin und Anführerin der Bewegung, genannt „Rainbow“, und sie sagte auch noch: “Wir wollen die Institution nicht stürzen. Unser Vorschlag ist eine Reform, keine Revolution.”

Erstaunlicherweise soll auch König Vajiralongkorn anlässlich seines zweitägigen Besuches zum Geburtstag seiner kranken Mutter Sirikit – er war tatsächlich ganze zwei Tage lang in Thailand – dem Premier gesagt haben, er solle „die Kinder in Ruhe lassen“ und sie nicht wegen Majestätsbeleidigung anklagen.

Bemerkenswert ist auch, dass bisher alle Anführerinnen und Anführer der Bewegung, die bisher verhaftet wurden, schon nach einem kurzen Verhör wieder, wenn auch oft nur auf Kaution, auf freien Fuß gesetzt wurden – dies, obwohl erst im Juni ein Regimekritiker entführt wurde und spurlos verschwand. Mindestens neun im Ausland lebende Oppositionelle sind seit 2014 verschwunden. Zwei von ihnen wurden später tot aufgefunden. Niemand weiß, was mit ihnen passiert ist.

„Rainbow“ überreichte dem Polizeipräsidenten anlässlich der Kundgebung am 19. September auf dem Sanam Luang einen Umschlag mit den „Vorschlägen“ der United Front of Thammasat and Demonstrations (UFTD). In der Nacht vom 20. September wurde von den Anführern der Bewegung nach der friedlichen Kundgebung eine Messingplakette am Rande des Sanam Luang einbetoniert. Darauf stand: “Im Morgengrauen des 20. September verkünden hier die Menschen, dass dieses Land dem Volk gehört.” Irgendwann zwischen der Schließung des Sanam Luang um 22 Uhr und 5 Uhr morgens war die Plakette wieder entfernt worden.

Unter dem Druck der Proteste hatte Cha-Oncha eine Parlamentssitzung für letzten Donnerstag, 24. September, einberufen, um über eine mögliche Verfassungsreform zu beraten. Auch die Bewegung hatte an diesem Tag wieder zu einer Kundgebung aufgerufen, diesmal vor dem Parlamentssitz. Sie drohten, die Parlamentarier nicht wieder herauszulassen, bis sie eine Verfassungsänderung beschlossen hätten. Wie ernst es der Regierung mit den Zugeständnissen an die Demonstranten jedoch war, das konnte man am Ergebnis der Sitzung sehen. Die Parlamentarier beschlossen wie erwartet, die Abstimmung über sechs Gesetzesvorschläge der Opposition auf nächsten Monat zu vertagen. Und was die Verfassungsreform anbelangt, so wurde beschlossen, erst einmal einen 45-köpfigen Ausschuss einzusetzen, der Vorschläge dazu erarbeiten soll, sprich: Sie beschlossen, eine Verfassungsänderung auf den St. Nimmerleinstag zu verschieben. Als die Parlamentarier dann am Abend, es war schon dunkel, das Gebäude verlassen wollten, fanden sie die Ausgänge wie angekündigt von ein paar Tausend Demonstranten blockiert. Deshalb flohen sie über einen Hinterausgang des Anwesens mit einem Boot über den Chao-Phraya-Fluss, der Bangkok in zwei Hälften teilt und dort vorbeifließt.

Am Mittwoch, dem Tag bevor diese parlamentarische Hinhaltetaktik stattfand, traten der alte Armeechef und 266 weitere Generäle in den Ruhestand und ein neuer Armeechef, General Narongphan, übernahm das Zepter. Dieser lobte die Generäle für ihre Verdienste um das Land. “Die Monarchie mit absoluter Loyalität zu schützen und die Regierung bei der Lösung nationaler Probleme zu unterstützen und sich für den Fortschritt des Landes einzusetzen, sind Aufgaben, für die (den Generälen) Ehre gebührt“, sagte er. Der scheidende General meinte, er sei stolz darauf, in den Streitkräften gedient und die Souveränität des Landes, das Volk und die Monarchie verteidigt zu haben. Ein Meinungswandel in der „königlichen Armee“ steht demnach nicht zu erwarten.

Weil viele der Demonstranten ihre Kritik auch in den sozialen Medien verbreitet hatten, hatte das Ministerium für Digitales diese aufgefordert, Kommentare von Aktivisten, die das Land und die Monarchie „beleidigen“, zu entfernen. Dieser Aufforderung, so der Minister für Digitales, seien die Medien nicht in vollem Umfang nachgekommen und somit stellte er Strafanzeige gegen Facebook und Twitter sowie gegen mindestens fünf Nutzer dieser Dienste. Es ist das erste Mal in Thailand, dass das Computerkriminalitätsgesetz zur Strafverfolgung auch der Dienstleistungsanbieter angewandt wird.

Wie die Proteste nun weitergehen, steht noch nicht ganz fest. Die nächste Großkundgebung ist für den 14. Oktober geplant, ein symbolischer Tag. Am 14. Oktober 1973 führte ein Volksaufstand, der seinen Ursprung in Studentenprotesten genommen hatte, zum Sturz der autoritären Militärregierung von Thanom Kittikachorn. Für den 14. Oktober wurde auch zum Generalstreik aufgerufen.

Der junge Aktivist und Anführer der Bewegung, Parit Chiwarak, den seine Freunde “Pinguin” nennen, sagte der französischen Zeitung Le Monde gegenüber: “Der Demokratiezug hat den Bahnhof verlassen, nichts wird ihn aufhalten.“ Wir sind wahrscheinlich Zeugen der Konsolidierung einer Bewegung, die auf Dauer Bestand haben wird.

Das Massaker an der Thammasat-Universität vom 6. Oktober 1976 liegt stets wie ein Gespenst über jeder neuen Demonstration. Niemand kann vorhersagen, wann das Militär mit Gewalt eingreifen wird. “Die Möglichkeit eines Blutvergießens ist immer da”, so der Anwalt Anon Nampa, der selber bereits mehrmals verhaftet wurde und mehrere Nächte in Polizeigewahrsam verbrachte.

Titelbild: kan Sangtong/shutterstock.com

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