Nawalny und die Laufburschen der USA

Nawalny und die Laufburschen der USA

Nawalny und die Laufburschen der USA

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Infame Behauptungen über Altkanzler Gerhard Schröder verbreitet Alexej Nawalny in deutschen Medien: Schröder sei „Putins Laufbursche“. Nawalny wird deswegen nicht angemessen in die Schranken gewiesen, sondern teils noch unterstützt. Diese Unterstützer sind jedoch die wahren (transatlantischen) „Laufburschen“. Von Tobias Riegel.

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Der SPD-Altkanzler Gerhard Schröder wird zuverlässig für die falschen Dinge kritisiert. Dabei ist harsche Kritik am Politiker Schröder angebracht, sein Sündenregister allein aus der rot-grünen Regierungszeit ist lang und verstörend: Es reicht von der Einführung von Hartz IV bis zum Kosovo-Krieg – Schröder wird darum vor allem als ein destruktiver Politiker in Erinnerung bleiben.

Einen positiven Teilaspekt hat aber das Wirken Schröders: Er ist bei aller berechtigten Kritik eine der wenigen verbliebenen Konstanten im Verhältnis Deutschlands zu Russland. Schröder ist ein direkter Draht, der bei internationalen Zuspitzungen und einer weiteren Zerstörung der deutsch-russischen Kommunikationskanäle noch wertvoll sein könnte. Schröder lässt sich für diese Rolle mutmaßlich gut bezahlen – aber ist es nicht eine wichtige Rolle? Und muss er nicht erhebliche Prügel dafür einstecken? Hat man in einer unperfekten Welt nicht besser eine unperfekte Figur wie Schröder als deutsch-russisches Verbindungsglied als gar keins?

„Ein Laufbursche Putins, der Mörder beschützt“

Die Aufregung um Schröders Verbindungen nach Russland und um seine Tätigkeiten für russische Firmen erreichte dieser Tage einen neuen Höhepunkt, weil Schröder öffentlich die Vorverurteilung Russlands wegen der mutmaßlichen Vergiftung des russischen Politikers Alexej Nawalny abgelehnt hatte: Nawalny hat daraufhin in einem Interview mit der „Bild“-Zeitung infame Vorwürfe gegen Gerhard Schröder erhoben. „Schröder ist ein Laufbursche Putins, der Mörder beschützt“, sagte er und fügte mit Blick auf Schröders Engagement für die russischen Konzerne Gazprom und Rosneft hinzu: „Es gibt eine offizielle Bezahlung und ich habe keine Zweifel daran, dass es auch verdeckte Zahlungen gibt.“ Vor allem wegen der letzten Behauptung behält sich Schröder laut Medien rechtliche Schritte vor.

In dem Interview stellt Nawalny noch weitere steile Thesen auf. So seien Schröders Zweifel an der Verantwortlichkeit „des Kreml“ für den Giftanschlag „erniedrigend für das deutsche Volk“. Dazu muss festgestellt werden: Genau das Gegenteil ist der Fall. Als eine der ganz wenigen prominenten Stimmen der Vernunft im Fall Nawalny muss man Schröder hier Mut bescheinigen. Erniedrigen tun sich vielmehr die medialen und politischen Kommentatoren, die einer dubiosen Kampagne der Vorverurteilung folgen: Sind das nicht die wahren Laufburschen – die der Transatlantiker und der Fracking-Lobbyisten? Zumal Schröder – im Gegensatz zu vielen Medien und Politikern – kein abschließendes Urteil bezüglich des Falls Nawalny verkündet.

Geopolitischer Angriff auf deutsch-russische Freundschaft?

Viele deutsche Reaktionen auf die aktuellen mutmaßlichen geopolitischen Angriffe auf das deutsch-russische Verhältnis und auf Nord Stream 2 sind im Vergleich zum Verhalten Schröders als würdelos zu bezeichnen. Zu diesen Angriffen zählt mutmaßlich auch der Fall Nawalny. Wenn man schon spekuliert, dann erscheint ein anti-russischer Angriff als Hintergrund und Motivation des Falls Nawalny erheblich plausibler als ein Auftragsmord der russischen Regierung. Aber auch diese Deutung ist keineswegs belegt.

In ihrem beflissenen Bemühen, die unbelegten Vorwürfe gegen „den Kreml“ als belegt darzustellen, erscheinen viele deutsche Politiker und Journalisten darum im Moment viel eher als „Laufburschen“ als Schröder – als Laufburschen des US-Imperiums.

Wäre der rechtsextreme Nawalny ein Aktivist in Deutschland, würde er als Neonazi verteufelt – auch von der „Bild“-Zeitung. Nawalny ist zudem in Russland politisch bedeutungslos, aber als überlebender Märtyrer eines Gift-Anschlags hat er Propaganda-Potenzial. Im Gegensatz zur Darstellung in westlichen Medien ist Nawalny in Russland politisch irrelevant. Sogar die „Deutsche Welle“ ordnet die Chancen des nationalistisch orientierten Nawalny russlandweit „im niedrigen einstelligen Bereich“ ein. Die in deutschen Medien massiv wiederholte Formulierung vom „wichtigsten russischen Oppositionspolitiker“ ist eine grobe Irreführung. Auch auf Nawalny selber trifft darum die eigene Wortwahl als „Laufbursche“ (der Transatlantiker) zu: Ohne westliche Propaganda gäbe es die Figur Nawalny in der Form gar nicht, er ist darum extrem abhängig von dieser Unterstützung.

Die „Scham“ des Norbert Röttgen

Nawalnys unbewiesene Unverschämtheiten werden aktuell nicht in angemessener Form zurückgewiesen – sie werden zum Teil sogar noch indirekt bestätigt. Die aktuellen Äußerungen von Norbert Röttgen sind dabei nicht überraschend:

„Dass sich Gerhard Schröder, der ja in bezahlten Diensten im russischen Öl- und Gasgeschäft steht, an der Vertuschung und Verwischung der Verantwortung, die in Russland liegt, beteiligt, erfüllt in Deutschland viele mit Scham. (…) Das trifft auch für mich zu.“

So weit geht Gernot Erler (SPD), von 2014 bis 2018 Russland-Beauftragter der deutschen Bundesregierung, in einem Interview im DLF nicht: Für die schlimmsten Unterstellungen Nawalnys gegen Schröder fordert er immerhin noch Beweise ein. Andererseits scheinen ihm Beweise aber nicht nötig, wenn es um Vorwürfe gegen die russische Regierung geht. Erler betont zudem allgemein, Schröder „schadet der SPD“ mit seiner Loyalität gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Zur Unterfütterung nutzt auch Erler die Marotte der gestapelten unbewiesenen antirussischen Vorwürfe, die zusammen einen großen bewiesenen Vorwurf ergeben sollen:

„Ich erinnere an Anna Politkowskaja, an Alexander Litwinenko, an Sergei Skripal, an Boris Nemzow und jetzt auch an Selimchan Changoschwili. Also an politische Morde, (…) die zeigen, dass wir uns hier nicht in einem Einzelfall bewegen, sondern praktisch über eine Staatspraxis des Regimes Putin hier sprechen müssen.“

Die fragwürdige „Klarheit“ des Karl Lauterbach

Dass die russische Regierung für den Fall Nawalny verantwortlich ist, betont in fragwürdiger Klarheit aktuell in der SPD auch (fachfremd) der Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach gegenüber der „Bild“-Zeitung:

„Der Fall Nawalny ist bestürzend und ein Verbrechen gegen die Menschheit. Dass Putin dafür verantwortlich ist, halte ich für gegeben. Entweder schützt er diese Gifte nicht genügend oder er setzt sie gezielt ein. So oder so: Er ist verantwortlich.“

Bestürzend könnte man dagegen nennen, dass sich jemand so anti-wissenschaftlich und leichtfertig äußern kann wie Lauterbach hier – und gleichzeitig als der wissenschaftliche Kopf der SPD-Corona-Politik gelten darf.

Unschuldsvermutung, Logik und gesunder Menschenverstand erscheinen schon seit Beginn der Nawalny-Giftaffäre überflüssig. Aber in diesem Text soll auch keine Variante ausgeschlossen werden, wie die NachDenkSeiten bereits im Artikel „Große Gefühle für Nawalny – eisige Kälte für Assange“ geschrieben haben: Es ist theoretisch möglich, dass in den Vorgang hohe russische Beamte verwickelt sind. „Der Kreml“ soll hier nicht über Gebühr oder prinzipiell in Schutz genommen werden: Wie bei anderen Regierungen wird man auch dort nicht zögern, sich notfalls und bei Bedarf über moralische Bedenken hinwegzusetzen. Aber erscheint es denn wahrscheinlich, dass „der Kreml“ hier einen Mord in Auftrag gegeben hat? Hätte „der Kreml“ von dem Mord und von der stümperhaften Art und Weise der Umsetzung irgendwelche Vorteile? Wer hätte diese Vorteile?

Kampagne gegen deutsch-russische Freundschaft

Die Kampagne zur Störung der für beide Länder wichtigen deutsch-russischen Beziehungen erreicht aktuell einen vielstimmigen Höhepunkt, die Attacken setzen sich auch international fort. So verlangt das EU-Parlament antirussische Sanktionen und Polen verhängt Milliardenstrafen gegen Gazprom. Einmal mehr wurde auch die OPCW, die ihre Glaubwürdigkeit wegen Propaganda gegen Syrien weitgehend eingebüßt hat, gegen Russland in Stellung gebracht. Und wie es der Zufall will, startete dieser Tage der Prozess zum „Tiergarten-Mord“, der sich ebenfalls in einer stramm antirussischen Berichterstattung niederschlägt, etwa in der „Bild“-Zeitung.

Dass die „Bild“-Zeitung bei den Fällen Nawalny und „Tiergarten-Mord“ einmal mehr die kritiklose Bühne für infame Behauptungen und antirussische Kampagnen bietet, ist ein Beispiel dafür, wie tief die Gräben zu Journalisten sein können, die man beim Thema Corona punktuell als „seltsame Bettgenossen“ bezeichnen könnte. Dieses Phänomen haben die NachDenkSeiten in dem Artikel „Corona-Kritik schafft ‚seltsame Bettgenossen‘” thematisiert.

Antirussische Kampagnen sind gefährlich

Man ist in Deutschland inzwischen so gründlich an die antirussische Stimmungsmache gewöhnt, dass einem die potenziellen Gefahren dieser jahrelangen einseitigen Beschimpfungen möglicherweise nicht mehr voll bewusst sind. Ebenso sollte der bisherige (anscheinende) Gleichmut der Russen nicht täuschen: Man sollte das abwartende Verhalten Russlands nicht als Schwäche auslegen. Das könnte sich in der Zukunft rächen, wenn Deutschland dereinst auf eine Partnerschaft mit Russland angewiesen sein sollte.

Immer sollte im Bewusstsein bleiben, wie mühsam es ist, gute Beziehungen aufzubauen – und wie einfach es ist, sie zu vergiften. Das betont aktuell auch der russische Botschafter in Berlin in einem Interview:

„Um das Vertrauen zu erhalten, sollte man es zunächst einmal nicht zerstören. Es ist immer schwieriger, Beziehungen wiederherzustellen, als sie im normalen funktionsfähigen Zustand aufrechtzuerhalten. Aus unserer Sicht ist es an dieser Stelle wichtig, gegenseitige Vorwürfe, Ultimaten und Drohungen zu vermeiden. Denn so wird es nicht funktionieren. Das positive Potential der deutsch-russischen Beziehungen, das in der Vergangenheit sorgfältig aufgebaut wurde, will behutsamer behandelt werden. Es ist schade, dass ich diesen Appell heute an einige deutsche Politiker und Abgeordnete richten muss, deren antirussische Rhetorik häufig alle ‚roten Linien‘ überschreitet.“

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