Johannes Bröckers: „Die Daten der Menschen sind unantastbar“

Johannes Bröckers: „Die Daten der Menschen sind unantastbar“

Johannes Bröckers: „Die Daten der Menschen sind unantastbar“

Ein Artikel von Marcus Klöckner

„Man will in unsere Köpfe eindringen.“ Das sagt Johannes Bröckers im NachDenkSeiten-Interview zur weiteren Ausrichtung des Konzerns Amazon. Der Frankfurter Autor hat gerade in einem aktuellen Buch einen genaueren Blick auf den Mega-Konzern von Jeff Bezos geworfen und kritisiert das „System Amazon“. Amazon, sagt Bröckers, ist „gnadenlos gegenüber den Mitarbeitern und letztlich auch gnadenlos gegenüber uns Kunden.“ Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Ihre Beziehung zu „Alexa“ scheint nicht mehr zu retten – zumindest lässt sich das aus dem Titel Ihres neuen Buches „“Alexa, ich mache Schluss mit Dir!“ rauslesen. Bei unserem letzten Interview vor fast zwei Jahren haben Sie schon kein gutes Wort an „Alexa“, oder genauer: an Amazon, gelassen. Was ist in der letzten Zeit passiert, dass Sie sagen: „Es reicht!“?

Auch in den letzten zwei Jahren hat Amazon seine Marktmacht im eCommerce weiter ausgebaut und der Corona-Lockdown war für Jeff Bezos ein echtes Geschenk. Der stationäre Handel musste seine Läden weltweit dicht machen, wir zogen uns zum Schutz vor einem unbekannten Virus nach Hause zurück und wurden dort zur idealen Angriffsfläche für das Amazon-Virus, das tausende neuer Kunden infizierte. Das belegt das Umsatzwachstum: Allein im zweiten Quartal 2020 explodierte der Umsatz von Amazon auf fast 89 Mrd. Dollar – ein Plus von 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das zeigt die Dimension. Gleichzeitig wurde in der Krise sichtbar, was passiert, wenn ein Unternehmen über monopolartige Marktmacht verfügt. Denn plötzlich bestimmte Amazon nach Gutsherrenart, welche Produkte krisenrelevant waren und welche nicht. Marktplatzhändlern wurde diktiert, wann sie ihre Waren anliefern dürfen und für Bücher z.B. wurden die Lieferzeiten auf bis zu vier Wochen heraufgesetzt. Mit freiem Markt und fairem Wettbewerb hat das nichts mehr zu tun. Außer dieser unregulierten Marktmacht gibt es natürlich viele weitere Gründe, zu sagen: „Es reicht!“

Bleiben wir mal bei der „Marktmacht“. Wie funktioniert das System Amazon?

Jeff Bezos wollte sein Unternehmen ursprünglich mal „Relentless“ nennen, was so viel heißt wie knallhart oder gnadenlos. Auch wenn er sich dann für den Namen Amazon entschieden hat, beschreibt Relentless mit einem Wort die Philosophie seines Unternehmens: Gnadenlos gegenüber dem Wettbewerb, gnadenlos gegenüber den eigenen Mitarbeitern und letztlich auch gnadenlos gegenüber uns Kunden. Neben der Online-Plattform samt Marketplace gehören heute dutzende Marken und mehr als 40 Tochterunternehmen wie Amazon Prime, Audible und die stetig wachsende Alexa-Familie zum Bezos-Imperium. Mit diesem Firmengeflecht hat Jeff Bezos ein gnadenloses System aufgebaut, das über Quersubventionierung funktioniert. Die Verluste einzelner Sparten werden mit den Gewinnen der andere Töchter ausgeglichen. So verstrickt Amazon Mitbewerber in einen erbarmungslosen Preiskampf, den sie nicht gewinnen können. Amazon dringt so in immer weitere Bereiche unseres Lebens vor und will unser Alles- und Alleinverkäufer werden.

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Macht Ihnen diese Entwicklung Angst?

Neben der großen Markt- und Kapitalmacht, über die Amazon, Google, Facbook und Co. heute verfügen, sollte uns die Datensammelwut dieser Konzerne große Sorgen bereiten. Daten sind der wichtigste Rohstoff im digitalen Universum und die Schürfrechte an diesem Rohstoff überlassen wir diesen Konzernen bisher unbeschränkt und kostenfrei. Mit dem Internet der Dinge, also vernetzten Fernsehern, Kühlschränken, Staubsaugern etc. soll auch der letzte Winkel unserer Privatsphäre ausgeleuchtet und kapitalisiert werden. All die netten Spielzeuge und Apps auf unseren Smartphones leiten unsere Daten an bis zu 135 Drittverwerter weiter, ohne dass wir eine Ahnung davon haben. „Hacking the Brain“ heißt diese Strategie, man will in unsere Köpfe eindringen und durch immer genauere Datenanalysen herausfinden, was wir als nächstes tun und kaufen möchten. Amazon hat gerade den Ex-NSA-Chef Keith Alexander ins Bord of Directors berufen. Der war hauptverantwortlich für den PRISM-Überwachungsskandal, den Edward Snowden aufgedeckt hat. Das zeigt sehr deutlich, dass sich die Tech-Giganten wie Amazon zunehmend in Überwachungskonzerne verwandeln.

In der Breite der Gesellschaft scheint es aber kein Bewusstsein zu geben, welche Gefahren sich daraus ergeben können. Was meinen Sie: Woran liegt das?

Ich würde sagen, wir normalen Internet-User leiden alle an einer mehr oder weniger ausgeprägten digitalen Kurzsichtigkeit. Wir sitzen vor unseren Bildschirmen, sehen die tollen Angebote und klicken auf Kaufen. Der Rest interessiert schon nicht mehr. Ich habe in den letzten Jahren mit vielen Menschen über Amazon und das Thema Digitalisierung diskutiert. Zu meinen Standardfragen gehörte immer, wer denn die Datenschutz- und Allgemeinen Geschäftsbedingungen gelesen hat, die wir ja abhaken müssen, wenn wir unser Amazon-Konto einrichten oder eine App installieren. Die Antwort: Keiner. Wir würden allerdings auch rund 250 Stunden pro Jahr benötigen, um vor jedem Schritt ins Netz die AGBs zu lesen, die zudem ganz bewusst oft schwer verständlich formuliert sind. Hier fehlt es an Transparenz, denn mit jedem Häkchen, das wir setzen, gestatten wir den Unternehmen, uns auszuspionieren. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

Aber auch die politische Seite tut sich schwer damit, der Entwicklung Einhalt zu gebieten, oder?

In der Politik fehlt es ganz offensichtlich an Kompetenz und Willen. Seit Jahren wird in der EU über eine Digitalsteuer von lächerlichen 3 Prozent diskutiert, die nicht zuletzt Olaf Scholz verhindert hat – na gut, er hatte wenig Zeit, weil er sich ja lieber mit korrupten Unternehmen wie Wirecard beschäftigt hat. Deutschland alleine verliert pro Jahr 18 Milliarden an Steuereinnahmen, weil es offensichtlich nicht möglich ist, EU-interne Steueroasen wie Irland, Luxemburg und die Niederlande trockenzulegen. Durch aggressive Steuervermeidung haben die sogenannten „Silicon Six“ 100 Milliarden US-Dollar an Steuern gespart und so ihre Marktmacht weiter ausgebaut. Wir müssen diese Konzerne dringend regulieren. Wir müssen darüber reden, ob wir die komplette digitale Infrastruktur wirklich in private Hände legen wollen, selbst Europol oder die deutsche Bundespolizei lagern Daten bei den Amazon Web Services aus. Und wir brauchen dringend ein digitales Grundgesetz. Artikel 1 könnte lauten: Die Daten des Menschen sind unantastbar. Nur mit diesem einen Satz könnten wir die digitale Welt in ihrer derzeitigen Struktur aus den Angeln heben.

Lesetipp: Bröckers, Johannes: “Alexa, ich mache Schluss mit Dir!“ – Nichts wie raus aus der Beziehungsfalle. Westend Verlag, Frankfurt, 96 Seiten, 8,50 Euro.

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