Leserbriefe zu „Verschwörungstheorien aus dem Netz – eine irreführende Kampagne zur Verteidigung der Deutungshoheit“

Ein Artikel von:

In diesem Beitrag behandelt Jens Berger den Begriff „Verschwörungstheorien“. Aktuell werden von Printmedien und dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen die Thesen vertreten, Verschwörungstheorien würden immer mehr verbreitet und stammen aus dem Netz. Auch die NachDenkSeiten sind diesem Vorwurf ausgesetzt. Jens Berger widerlegt diese Thesen und weist auf den erhofften „Wippschaukeleffekt“ hin:

„Je düsterer Internetmedien dargestellt werden, desto heller strahlen die klassischen Medien.“

Auf diesen Beitrag haben einige Leserinnen und Leser der NachDenkSeiten per Email geantwortet. Darin werden eigene Eindrücke mitgeteilt und auf potentielle Ergänzungen hingewiesen. Für die Antworten bedanken wir uns sehr. Hier nun eine Auswahl der eingereichten Leserbriefe. Zusammengestellt von Christian Reimann.


1. Leserbrief

Hallo liebe Redakteure/innen, hallo Herr Berger,
 
in meiner täglichen Routine sind die Artikel der Nachdenkseite ein fester Bestandteil meines Zeitmanagements.
Gleichzeitig lese ich seit Jahren ebenfalls andere linke Medien. Daher kann ich dem Artikel nur beipflichten!
 
Ich beschäfftige mich privat seit Jahren mit “Verschwörungstheorien”. Spätestens mit der Berichterstattung zur NSA-Vorratsdatenspeicherung (07. Juni 2013) wurde bekannt, dass deren pauschale Verunglimpfung als „Verschwörungstheorien“, wobei diese Menschen über Jahrzehnte als paranoide Spinner verunglimpft wurden, sich nun als Wahrheit herausstellten. Selbst die Existenz der NSA galt jahrelang als Verschwörungstheorie, das Abhörnetzwerk Echelon, die Terroranschläge der Nato-Stay-Behind-Organisationen, der Einsatz von Polizei Undercover-Cops als Provokateure zum Vorwand gegen Demonstranten gewalttätig vorzugehen, die Schwarzgeldkonten der CDU etc. usw . . .  Mit Edward Joseph Snowden haben wir seit Juni 2013 die Bestätigung vieler Verschwörungstheorien.
Und nun gilt es schon fast  als „Normalität“, wie die Blickrichtung bei Verschwörungstheorien plötzlich von “das ist verschwörungstheoretischer Unfug, da stimmt kein einziges Detail“ zu “naja das war doch die ganze Zeit eh klar; das wussten doch alle” wechselt.Plötzlich ist da die Wahrheit und niemand kann sich mehr daran erinnern, dass es zuvor eine „Verschwörungstheorie“ gewesen sei.
Nun muss man nichts über JFK, das CIA Dokument 1035-960 oder die “Ungereimtheiten” der Terroranschläge vom 11. September 2001 wissen. Man muss nicht festhalten, dass sich mehr als 200 Verschwörungstheorien in den letzten 15 Jahren als Wahr herausstellten. Was man allerdings wissen sollte ist, dass ALLE Geheimdienste Verschwörungstheorien und Lügen in die Presse drücken, um die “richtige PR” zu setzen. Hierbei müssen, weil auch die NACHDENKSEITEN immer mehr Leser erhalten, Schmutz/Lügen/Halbwahrheiten gegen Online-Dienste gepullt werden. Spätestens mit Snowden und der Berichterstattung zu WIKIPEDIA sollten Vorbehalte zurückgestellt werden, auch weil J. Assange ansonsten in einem US-Drecksloch verrottet.
 
Auffallend ist lediglich, dass “Früher” im Wochentakt wieder einmal sich eine sog. Verschwörungstheorie als >Wahr< herausstellte und augenblicklich nur noch alle drei Wochen. Zur Aufdeckung der Verschwörungen haben die NACHDENKSEITEN einen riesigen Anteil gehabt!   Schon immer enttäuschend war dagegen das "Redaktionsnetzwerk Deutschland", die "Faktenfinder" geschweige die Tagesschau. Hervorzuheben ist hierbei besonders die pervide Wort- und Bildwahl und deren Abfolge in der Tagesschau. Ja, es soll dem Publikum die Meinung eingebrannt werden: "Wir sind die, die ehrlich sind!" Bei der Plausibilitätsprüfung - auch durch die NACHDENKSEITEN - fällt/fallen das/die Qualitätsmedien/um gerade täglich (!) durch. Warum das so ist könne die "Macher" von ARD, Süddeutsche und SZ nachlesen: C. Wright Mills "Die Machtelite", was sie sicherlich schon gemacht und verinnerlicht haben.   Für uns "Machtlosen" sind jedenfalls die NACHDENKSEITEN ein Muss.   Mit freundlichen Grüßen Reinhard Lerche


2. Leserbrief

Dank an Jens Berger für diesen hervorragenden Artikel.

Zur Ergänzung noch diese Hinweise:

Colin Powell verwendete vor der UNO “Beweise” (auf LKWs installierte Chemiewaffen-Labore, die im Land umherfahren), die der BND einem irakischen Flüchtling gleichsam in den Mund gelegt hatte, was beim BND als großer Erfolg gefeiert wurde (vgl. den Film “Curveball”)

Jahrzehntelang wurde der “Verschwörungstheorie”, dass das Oktoberfest-Attentat von 1980 keine Tat eines Einzeltäters gewesen ist, NICHT nachgegangen.

Ganz zu schweigen von der Weigerung, “Verschwörungen” in den Ämtern für Verfassungsschutz nachzugehen. (NSU-Komplex, Mord an Generalbundesanwalt Buback und andere)

Herzliche Grüße
Volker Jansen


3. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Berger,

vielen Dank für den Beitrag, der trifft meine Beobachtungen ganz gut, weswegen ich ihn mit einem befriedigenden Gefühl des Confirmation Bias lesen konnte.

Hier daher eine kleine Anmerkung:

Kürzlich habe ich mir Gedanken über den semantischen Unterschied zwischen den Begriffen “Lügenpresse” und “Verschwörungstheorien aus dem Internet” gemacht. Ein Unterschied der letztlich nicht wirklich vorhanden ist. Lediglich die historische Verbindung des Begriffes Lügenpresse mit dem Nationalsozialismus lädt diesen Begriff nochmal etwas auf, inhaltlich sehe ich letztlich kaum einen Unterschied.

Die Wikipedia schreibt zum Begriff Lügenpresse:

“Lügenpresse ist ein politisches Schlagwort, das polemisch und in herabsetzender Absicht auf mediale Erzeugnisse gerichtet ist und sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum nachweisen lässt. Zunächst wurde es gelegentlich von konservativen Katholiken, zumeist mit einem antisemitischen Hintergrund, gegen die im Zuge der bürgerlichen Revolutionen entstandene liberale Presse verwendet. In der Propaganda im Ersten Weltkrieg fand „Lügenpresse“ sehr viel häufiger Verwendung; hier bezeichnete es aus Sicht Deutschlands und Österreich-Ungarns die Presse der Feindstaaten. Sowohl vor als auch im Nationalsozialismus nutzten NS-Agitatoren das Schlagwort im Rahmen ihrer antisemitischen Verschwörungstheorie zur Herabsetzung von Gegnern als Kommunisten und Juden sowie der Behauptung einer Steuerung der Presse durch ein „Weltjudentum“. Nach der „Machtergreifung“ und der Gleichschaltung der Inlandspresse wurden die Medien der späteren Kriegsgegner mit „Lügenpresse“ geschmäht.”

Da braucht man nicht viel, um dieselbe Definition auch auf “Verschwörungstheorien aus dem Netz anzuwenden:

“Verschwörungstheorien aus dem Netz ist ein politisches Schlagwort, das polemisch und in herabsetzender Absicht auf mediale Erzeugnisse gerichtet ist und sich seit der Mitte des 20. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum nachweisen lässt. Zunächst wurde es gelegentlich von konservativen […]”

Wenn also die traditionellen Medien immer lauter “Verschwörungstheorie” schreien, dann ist der Unterschied zu denjenigen, die “Lügenpresse” schreien letztlich nur ein begrifflicher, jedoch kein inhaltlicher.

Aber um Inhalte geht es wohl immer weniger Menschen. Mir tun ja jetzt schon die ganzen “Journalisten” leid, wenn sie sich dann wohl demnächst nicht mehr an dem inhaltsleeren Gebrubbel eines Donald Trump abarbeiten können. Zum Glück aber wird Corona sie wohl noch für ein paar Monate von ihrem eigentlichen Beruf ablenken.

Spannend ist das Alles trotzdem, auch wenn einem bei der Rolle Rückwärts, die die Printmedien seit dem von Habermaas im “Strukturwandel der Öffentlichkeit” beschriebenen Wandel vom Hofberichterstatter zum “Guardian” zurück zum Hofberichterstatter gemacht haben ganz schwindelig wird.

Besonders bezeichnend war da kürzlich folgende Aussage vom wirtschaftspolitischen Korrespondenten der Zeit, Mark Schieritz, in der er den Bürger erschreckend explizit von der öffentlichen Debatte ausschließt (und sich dann auch noch erdreistet sich im gleichen Artikel auf Kant und die Aufklärung zu berufen):

“Nun ist die Meinungsfreiheit ein hohes Gut. Im Prinzip kann jeder meinen, was er will, auch wenn es vollkommener Unsinn ist. Für die öffentliche Debatte und ihre Teilnehmer aber – Medien, Politiker, Betreiber von Internetplattformen – gilt dieser Grundsatz allerdings nur bedingt.”

Abschließend noch diese Leseempfehlung zum letzten Blogeintrag von Craig Murray.

Mit freundlichen Grüßen,
Topha

Nachtrag: Die Rolle Rückwarts der Printmedien fand natürlich erst in jüngerer Vergangenheit statt und wurde von Habermas 1962 natürlich noch nicht beschrieben. Höchstens vorausgeahnt.

mfg, Topha


4. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Berger:

Danke für den interessanten Artikel. Ich möchte noch einige ANmerkungen dazu machen.

  • Der neue Ausdruck ist Verschwörungsmythen (etwa im Blog von Michael Blume in scilogs). Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, daß es sich weniger um eine auch falsifizierbare Theorie sondern ein gegen Ejnwände aus Fakten abgeschirmtes Gedankengebäude handelt.
  • Echsenmenschen. Vor einigen Wochen gab es eine Science Fiction Serie aus den 80ern mit dem Titel “Die Besucher kommen zurück” in der es um solche außerirdischen Echsenwesen handelte. Diese wollten die Menschen versklaven oder gleich “verspeisen”.
  • Nachdenkseiten und Telepolis.

    Nun hat ja Telepolis mit der Serie über die Anschläge vom 11. September 2001 selber die Thesen von Mathias Brökers verbreitet. Diese Thesen tauchen iin de Foren in der Tat manchmal auf. Ebenso gab es wohl auch in den Nachdenkseiten zu diesem Thema entsprechende Artikel.

  • Die Bielefeld-Verschwörung.

    Naja ich war selber schon ein paar mal dort und stelle damit die Existenz dieses Ortes einschließlich der dort hergestellten Tiefkühlpizzas fest. Sogar in der Krimiserie “Wilsberg” gab es ein Episode “die Bielefeld-Verschwörung”, in der es in der Tat um einen Giftmüllskandal ging.

Gruß
R.K.


Die Zugriffe bei den NachDenkSeiten wachsen. Die Arbeit wächst. Und auch der Aufwand. Wir bitten (auch) unsere neuen Leserinnen und Leser um Unterstützung.
Das geht so ...


5. Leserbrief

Sehr geehrte Macher der Nachdenkseiten, sehr geehrter Herr Berger,

Das ZDF fällt nicht gerade durch sachliche und fundierte Sendungen, egal ob Nachrichten oder Wissenschaftsmagazine, auf. Herr Lesch und die dazugehörigen Sendungen haben eher die Qualität von Boulevardwissenschaft im öffentlich-rechtlichen TV. 
Das ZDF ist leider schon seit Ende der 90er Jahren ein Sender, den man nur dann ansieht, wenn es sonst keinerlei Alternativen gibt. 
Als Beispiel könnte man auch die „HeuteShow“ nehmen. 
„Wär Putin Böse, hätte er Minions…“

Mit besten Grüßen 
B.O.


6. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Berger,
 
wenn die Hintergründe nicht so offensichtlich wären, könnte man es schon verwunderlich finden, daß in den letzten Jahren vermehrt gegen sogenannte Verschwörungstheorien vorgegangen und Stimmung gemacht wird, obwohl solche doch seit Jahrtausenden existieren. Immer wenn etwas seltsames passiert, das den Menschen angesichts eines eklatanten Mangels an Informationen unerklärlich erscheint, beginnen sie sich selbst eine Wahrheit zurechtzuzimmern, die mal mehr, mal weniger realistisch ist.
 
Die Juden vergiften unsere Brunnen und verursachen die Pest. Die Nachbarin hat meine Kuh verhext. Die Illuminaten sind für die Französische Revolution verantwortlich. Im Ozean treiben fürchterliche Ungeheuer ihr Unwesen. Seit es Menschen gibt, gibt es wohl auch Verschwörungstheorien und krude Vorstellungen über die Welt, oder werden Gerüchte verbreitet, die am Ende bisweilen eine Massenhysterie auslösen. Gerade das Internet war seit jeher eine Brutstätte für abstruse Gedankenkonstrukte und dem, was man heute als “Fake News” bezeichnet, nur hat das seltsamerweise vor 10-15 Jahren noch niemanden wirklich gestört. Eher im Gegenteil. Man hat diese Personen, wenn man überhaupt Notiz von ihnen genommen hat, belächelt, sich über ihre Dummheit lustig gemacht, und das war’s dann, während man gleichzeitig die Vorzüge einer Technologie betonte, die es jedem jederzeit erlaubte, nahezu alles zu veröffentlichen.
 
Es sollte daher nicht verwundern, daß diverse Webseiten, die ihr Geschäft ausschließlich mit der Produktion von Falschnachrichten und wilden Spekulationen machen, älter sind als Facebook; Filme und Bücher über Geister, UFOs, Ungeheuer und Paranormales erfreuen sich seit Jahrzehnten einer gewissen Beliebtheit; schon Houdini verbrachte seine Zeit damit, auf Séancen selbsternannte Medien der Scharlatanerie zu überführen; religiöse Führer propagieren seit Urzeiten den hanebüchensten Unsinn und erklären ihn erfolgreich zur einzigen Wahrheit; Wahrsager und Astrologen finden seit Jahrtausenden zahlungswillige Kundschaft und kaum eine Zeitung kommt ohne Horoskop aus; selbst Geheimdienste beschäftigten sich mit Telepathie und Telekinese.
 
Derartige Erklärungsversuche gedeihen immer dort, wo die Wissens- und Informationsvermittlung an die Massen scheitert, die offizielle Version unübersehbare Lücken und Widersprüche aufweist oder gar zu unglaubwürdig wirkt. Wenn sich die Menschen also anderen Quellen als den etablierten Medien zuwenden, um die Welt zu verstehen, dann ist das in erster Linie die Folge eines systematischen und langfristigen Versagens des Staates und der Presse bei der Aufklärung der Bürger – oder der Tatsache, daß man allzu dreist lügt. Wer seit Jahrzehnten einseitig berichtet, die Wahrheit verzerrt und unliebsame Informationen unterdrückt oder konsequent übergeht, die für das Verständnis des Berichteten unabdingbar wären; wer bei der Qualitätskontrolle zunehmend einspart, redaktionell verludert, gleichzeitig ideologisch aufrüstet und sich in heuchlerischer Tügelei ergeht, so daß die Leserkommentare oftmals interessanter und informativer sind, als die Artikel, der braucht sich nicht zu wundern, wenn die Menschen das Vertrauen verlieren, anfangen andernorts die Lücken zu füllen und vermehrt auch gesicherte Erkenntnisse in Zweifel ziehen.
 
Wenn den Zeitungen also die Leserschaft davonläuft und das böse Wort von der Lügenpresse die Runde macht, so ist dies die Konsequenz eines schleichenden, über einen längeren Zeitraum gehenden Prozesses, an dem Presse und Politik selbst schuld sind. Niemand verliert über Nacht den Glauben daran, daß in der Zeitung die Wahrheit steht; schon gar nicht wenn diese Zeitung ihre Objektivität, Unparteilichkeit und Wahrheitstreue wiederholt unter Beweis gestellt hat. Was aber soll der Leser tun, wenn daran zunehmend Zweifel aufkommen? Ich erinnere mich an einen Beitrag in einem Forum, in dem nach dem Amoklauf von Erfurt oder Winnenden über die Darstellung von Videospielen in der Presse diskutiert wurde. Der Nutzer schrieb sinngemäß: Wenn die Berichterstattung über andere Dinge qualitativ genauso hochwertig ist, wie über Computerspiele, dann kann man den Medien eigentlich gar nichts mehr glauben. Leider hatte er mit dieser Vermutung nicht ganz so unrecht, wie man damals noch berechtigterweise hoffen konnte.
 
Sobald einem aber die ersten nagenden Zweifel über den Wahrheitsgehalt der Nachrichten kommen, gibt es kein zurück mehr und man beginnt verstärkt die offizielle Berichterstattung infrage zu stellen. Anlässe für einen derartigen Vertrauensverlust gab es in den letzten 20 Jahren wahrlich mehr als genug: Kosovokrieg, 9/11, Killerspiel-Debatte, russophobe Propaganda, Georgien 2008, Ukraine 2014, Syrien, Jemen, Irakkrieg, Migrationskrise oder irgendein Thema, in dem man selbst versiert ist und in den Medien völlig falsch dargestellt wurde, jedes einzelne davon reichte aus, die Glaubwürdigkeit der Presse nachhaltig zu beschädigen und in der Summe weitgehend zu zerstören.
 
Beginnt man dann die Rolle der Medien in der Vergangenheit zu recherchieren, merkt man schließlich, daß es nie anders war. Wenn Joseph Pulitzer und William Hearst einen Krieg wollten, dann haben sie ihn herbeigeschrieben. Die Wahrheit war da zweitrangig. Der vermeintliche Anschlag auf die USS Maine im Jahre 1898 war übrigens ebenfalls eine Verschwörungstheorie, die gezielt von der amerikanischen Presse gepusht wurde, um dem amerikanischen Reich endlich die Gelegenheit zu geben, nach Übersee zu expandieren. Die angeblichen Invasionspläne der Japaner auf dem amerikanischen Kontinent, die in den USA spätestens seit 1938 die Runde machten? Verschwörungstheorie, um für den großen Krieg rüsten zu können. Der Tonkin-Zwischenfall? Verschwörungstheorie, um in den Vietnamkrieg eintreten zu können. Diese offiziell verbreiteten Lügengeschichten haben unzählige Menschenleben gefordert, dagegen nehmen sich die Verschwörungstheorien der einfachen Bürger doch recht harmlos aus.
 
Es ist interessant zu sehen, wie sehr sich innerhalb der letzten zehn Jahre das Bild der sozialen Medien im Westen gewandelt hat. Vom großen Hoffnungsträger, mit dem man die Zensurbollwerke autoritärer Staaten durchbrechen und überall Demokratie und Meinungsfreiheit verbreiten kann (wer spricht heute noch wohlwollend von der Twitter- und Facebook-Revolution?), hin zu einem medialen Übel, das Falschmeldungen und Verschwörungstheorien verbreitet, die Demokratie gefährdet und unbedingt eingehegt werden muß. 2012 zitierte The Atlantic einen chinesischen Weibo-Nutzer noch mit den Worten:

“Warum zensieren die USA keine Gerüchte? Egal wie wild sie sind, niemand blockiert sie und diejenigen, die sie in die Welt setzen, haben keine Angst davor verhaftet zu werden. Vielleicht können Gerüchte dort, wo die Wahrheit dominiert, keinen Schaden anrichten. Nur Orte, denen es an Wahrheit mangelt, fürchten sich vor Gerüchten.”
theatlantic.com/international/archive/2012/04/rumor-lies-and-weibo-how-social-media-is-changing-the-nature-of-truth-in-china/255916/

 
Nur acht Jahre später schlägt man in derselben Zeitung ganz andere Töne an:
 

“In der großen Diskussion der vergangenen beiden Jahrzehnte über Freiheit versus Kontrolle des Internets hatte China größtenteils Recht und die Vereinigten Staaten größtenteils Unrecht. Eine erhebliche Überwachung und Kontrolle der Meinungsäußerung sind unabdingbare Bestandteile eines erwachsenen und florierenden Internets und Regierungen müssen bei diesen Maßnahmen eine tragende Rolle spielen, um sicherzustellen, daß das Internet mit den Normen und Werten der Gesellschaft kompatibel ist.”
theatlantic.com/ideas/archive/2020/04/what-covid-revealed-about-internet/610549/

 
Zum Abschluß noch ein bekanntes Zitat des amerikanischen Journalisten John Swinton, welches aus dem Jahr 1883 stammt. Man darf annehmen, daß die Situation heute aufgrund der deutlich stärkeren Konzentration der Medien in einigen wenigen Konzernen noch sehr viel ärger ist:

„So etwas wie eine unabhängige Presse gibt es in Amerika nicht, außer in abgelegenen Kleinstädten auf dem Land. Ihr seid alle Sklaven. Ihr wisst es und ich weiß es. Nicht ein einziger von euch wagt es, eine ehrliche Meinung auszudrücken. Wenn ihr sie zum Ausdruck brächtet, würdet ihr schon im Voraus wissen, dass sie niemals im Druck erscheinen würde. Ich bekomme 150 Dollar dafür bezahlt, dass ich ehrliche Meinungen aus der Zeitung heraushalte, mit der ich verbunden bin. Andere von euch bekommen ähnliche Gehälter um ähnliche Dinge zu tun. Wenn ich erlauben würde, dass in einer Ausgabe meiner Zeitung ehrliche Meinungen abgedruckt würden, wäre ich vor Ablauf von 24 Stunden wie Othello: Meine Anstellung wäre weg. Derjenige, der so verrückt wäre, ehrliche Meinungen zu schreiben, wäre auf der Straße um einen neuen Job zu suchen. Das Geschäft des Journalisten in New York ist es, die Wahrheit zu verdrehen, unverblümt zu lügen, sie zu pervertieren, zu schmähen, zu Füßen des Mammon zu katzbuckeln und das eigene Land und Volk für sein tägliches Brot zu verkaufen, oder, was dasselbe ist, für sein Gehalt. Ihr wisst es und ich weiß es; Was für ein Unsinn, einen Toast auf die ‚Unabhängigkeit der Presse‘ auszubringen! Wir sind Werkzeuge und Dienstleute reicher Männer hinter der Bühne. Wir sind Hampelmänner. Sie ziehen die Fäden und wir tanzen. Unsere Zeit, unsere Fähigkeiten, unser Leben, unsere Möglichkeiten sind alle das Eigentum anderer Menschen. Wir sind intellektuelle Prostituierte.“
de.wikipedia.org/wiki/John_Swinton#Die_Rede_im_Twilight_Club_1883

 
Das bedeutet natürlich nicht, daß alles, was in der Zeitung steht, gelogen ist, noch daß alle Journalisten absichtlich und systematisch Lügen verbreiten. Die Todesanzeigen sind sicherlich wahrheitsgetreu, ebenso wie die Sportergebnisse. Allerdings sollte sich jeder darüber im klaren sein, daß die Presse ein Machtinstrument ist, das dazu benutzt wird, die Meinung der Massen zu manipulieren und in die eine, oder andere Richtung zu bewegen oder einfach nur deren Aufmerksamkeit zu lenken. Der gut konditionierte Bürger beschäftigt sich neben der Arbeit nur noch mit dem, was ihm die Medien einflüstern. Insbesondere bei allen Themenfeldern die systemrelevant und von geopolitischer Bedeutung sind, muß allerdings von einer absichtlich selektiven, grob verzerrenden Berichterstattung ausgegangen werden. Wenn alle gesellschaftlich relevanten Presseorgane zu einem kontroversen Thema wie auf Kommando dieselbe Meinung vertreten und dieselbe Wortwahl treffen, oder über ein Ereignis von nationaler bzw. globaler Tragweite kaum berichten, ist es sicherlich nicht verkehrt, erstmal von einer konzertierten Propagandaaktion bzw. einem Schweigekartell auszugehen.
 
Mit freundlichen Grüßen,
RF


7. Leserbrief

Lieber Jens Berger,
 
ihrem guten Artikel kann ich nur noch folgendes hinzufügen:
 
Wenn Verschwörungstheoretiker Menschen sind, die ohne Vorbehalte nach der Wahrheit suchen, um für mehr Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit auf der Welt zu sorgen, dann bete ich zum Himmel, mir den Mut und die Kraft zu geben, der größte Verschwörungstheoretiker von allen zu sein.
 
MfG
Andreas Süskow


8. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Berger,

ich möchte mich an dieser Stelle mal für alle Ihre letzten Beiträge zum Coronavirus bedanken. Es ist für mich jedes Mal wieder ein kleiner Lichtblick, fühle ich mich beim Lesen Ihrer Artikel endlich nicht mehr so alleine. 

Ich retweete Ihre Artikel meistens bei Twitter ohne zu wissen, ob sie sich überhaupt jemand meiner Freunde anguckt. Einer schickte mir daraufhin den Artikel von Psiram über die Nachdenkseiten. Ich hätte ihm meinerseits dann wieder Artikel über Psiram zurückschicken können, aber ich hab es gelassen, zumal ich zuvor schon festgestellt habe, dass ich mit ihm nicht über Politik diskutieren kann.

Es ist aktuell das höchste meiner Gefühle Ihre Artikel zu retweeten. Mit jemanden über meine Meinung zum Coronavirus zu reden, traue ich mich nicht. Die Kampagnen zu Verschwörungstheorien wirken insoweit, dass ich Angst vor sozialer Ausgrenzung habe. Ich wünsche mir so sehr jemanden, der meine Ansichten teilt und bei dem ich all meine Sorgen und Nöte auslassen kann ohne mit durchgeknallten Köchen in eine Ecke gestellt zu werden. Bis ich so jemanden gefunden habe, bleiben mir nur Ihre Artikel und ich möchte mich nochmals herzlich dafür bedanken.

Ich möchte einfach mit einem Zitat von Ihnen aus einem anderen Artikelschließen, weil es mir wirklich aus der Seele spricht: 

“Wenn in zwanzig Jahren die Chancengerechtigkeit noch schlechter, die Altersarmut noch größer, die Zahl der prekären Jobs noch höher sind und noch mehr Flüchtlinge in Lagern vor sich hin vegetieren, Kinder in fernen Ländern von Drohnen zerfetzt werden oder an Hunger sterben und Deine Kinder Dich dann fragen, was Du damals gemacht hast und Deine Antwort lautet, Du hättest damals sehr viel Energie für die Kritik geistig verwirrter, veganer Köche und Schlagerheinis aufgebracht, werden sie Dir sicher dankbar sein.”

Mit freundlichen Grüßen
JK


Anmerkung zur Korrespondenz mit den NachDenkSeiten

Die NachDenkSeiten freuen sich über Ihre Zuschriften, am besten in einer angemessenen Länge und mit einem eindeutigen Betreff.

Es gibt die folgenden Emailadressen:

Weitere Details zu diesem Thema finden Sie in unserer „Gebrauchsanleitung“.

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!