Manisch-repressiver Antikommunismus als Covid-19-Bekämpfung

Manisch-repressiver Antikommunismus als Covid-19-Bekämpfung

Manisch-repressiver Antikommunismus als Covid-19-Bekämpfung

Rainer Werning
Ein Artikel von Rainer Werning

Philippinen: Das Duterte-Regime hetzt gegen alles „Linke“, als gelte es, das Land vor dem drohenden Untergang zu „retten“. Ein Gespenst geht um in den Philippinen. Schlimmer als die Covid-19-Pandemie. Und es lauert überall. Seine besondere Gefährlichkeit – es ist „terroristisch“ und trägt die Farbe „Rot“. Es wächst exponentiell im Klima von Dissens, Protest, Kritik und Widerstand – allesamt „Untugenden“, die dem Dutertismo Dornen im Auge sind. Von Rainer Werning.

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Wer in den vergangenen Tagen und Wochen Erklärungen von philippinischen Regierungsbeamten – erst recht seitens hochrangiger philippinischer Militärs – hörte, musste den Eindruck gewinnen, der Inselstaat sähe sich von „Terroristen” umzingelt und stünde zusammen mit dem Einbrechen des diesjährig weltweit stärksten Taifuns „Rolly“ (internationaler Name: „Goni“), der mit einer Geschwindigkeit von annähernd 300 Stundenkilometern Ende Oktober/Anfang November Teile des Archipels peitschte, vor katastrophalen Schäden. Als sei all das nicht schon schlimm genug, sind landesweit mit Stand vom 8. November offiziell 396.395 Menschen mit Covid-19 infiziert worden, während insgesamt 7.539 Tote im Rahmen der Pandemie zu beklagen sind. Damit bilden die Philippinen und das südliche Nachbarland Indonesien mit Abstand die Schlusslichter in der Region, was die effektive Bekämpfung der Pandemie beziehungsweise die medizinische Betreuung und ärztliche Behandlung deren Opfer betrifft.

Großer Bluff & eine Menge Worthülsen

Als Rodrigo Roa Duterte, der frühere Bürgermeister von Davao City, der größten Stadt im Süden der Philippinen, im Sommer 2016 seinen Amtseid als neuer Präsident leistete und in den Präsidentenpalast Malacañang zu Manila einzog, versprach er u.a., als erstes „sozialistisches“ Staatsoberhaupt des fernöstlichen Inselstaates in die Annalen eingehen zu wollen. Er werde deshalb als Zeichen seines Goodwill sämtliche politische Gefangene im Lande auf freien Fuß setzen und mit dem politischen Untergrundbündnis der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen (NDFP) das Gespräch suchen. Ja, mit ihr Friedensverhandlungen reaktivieren, um den seit Ende der 1960er Jahre währenden und nunmehr längsten bewaffneten Konflikt in der Region zu beenden. Der NDFP gehören neben der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP) und ihrer Guerillaformation, der Neuen Volksarmee (NPA), 16 weitere, zumeist sektoral gegliederte Organisationen an – darunter u.a. Arbeiter-, Bauern-, Gewerkschafts-, Jugend-, Frauen- und Künstlerverbände.

Tatsächlich kam es im Spätsommer 2016 unter der diplomatischen Schirmherrschaft des norwegischen Außenministeriums zur Wiederaufnahme eben dieser Friedensverhandlungen – zunächst in Oslo und später dann in den Niederlanden, wo im trauten Utrecht ein Großteil der Führungskader der NDFP seit langem im Exil lebt. Darunter der NDFP-Verhandlungsführer Fidel V. Agcaoili, der Ende Juli dieses Jahres plötzlich verstarb, sowie der mittlerweile 81-jährige José Maria Sison, ehemals Gründungsvorsitzender der CPP und seit Jahren politischer Chefberater der NDFP. Doch bereits ein Jahr später war die anfängliche Euphorie auf beiden Seiten gewichen und Duterte machte keinen Hehl daraus, dass er fortan – auf Drängen seiner meist an US-amerikanischen Militärakademien ausgebildeten Generalität – auf den „militärischen Endsieg“ gegen die NDFP/CPP/NPA pocht.

Aus dem sich „sozialistisch“ gebärdenden Wahlkämpfer Duterte war spätestens binnen zweier Jahre ein knallharter, manisch-repressiver Präsident geworden, der wie all seine Vorgänger – einschließlich des von ihm bis heute verehrten Diktators Ferdinand E. Marcos (1965-86) – ebenfalls auf die Zerschlagung einer Guerilla setzt, deren Existenz sich hartnäckig aus virulenten Feudalverhältnissen im Hinterland, krassen Stadt-Land-Gegensätzen und aus einer extrem ungleichen Besitz- und Einkommensstruktur nährt. Erst verkündete Duterte qua Präsidialdekret Nr. 360 einen Stopp der Friedensverhandlungen mit der NDFP, um wenige Tage darauf, am 5. Dezember 2017, die CPP und NPA glattweg als „terroristisch“ zu brandmarken und der Nationalpolizei (PNP) sowie den Streitkräften (AFP) die Order zu erteilen, gegen beide Organisationen unerbittlich vorzugehen.

Seinen „Sicherheitskräften“ empfahl der Präsident und in Personalunion als deren Oberkommandierender, NPA-Kombattantinnen „in die Vagina zu schießen“, dann „taugten sie auch als Frauen nichts mehr“. Ausgerechnet der PNP, hauptverantwortlich für die Ermordung von offiziell über 6.000 vermeintlichen oder tatsächlichen Drogenkonsumenten oder -kleindealern (deren tatsächliche Opferzahl laut internationalen Menschenrechtsorganisationen etwa das Vierfache beträgt), hatte Duterte mehrfach öffentlich bescheinigt, „korrupt bis ins Mark“ zu sein.

„Kollateralschäden“ & „shit happens“

„Kollateralschäden“ in Gestalt von Personen, die als verdächtigte CPP- oder NPA-Sympathisanten angeschossen oder ermordet wurden, nahmen die staatlichen „Sicherheitskräfte“ billigend in Kauf, erfolgten solche „Maßnahmen“ doch im Rahmen der präsidial abgesegneten Counterinsurgency- beziehungsweise Aufstandsbekämpfungsstrategie von Oplan Kapayapaan (Operationsplan Frieden) und Oplan Kapanatagan (Operationsplan Stabilität). Auf diese Weise sollten landesweit „die Hirne und Herzen“ der Bevölkerung gewonnen und endlich „Ruhe und Ordnung“ hergestellt werden. Besonders skandalös war in diesem Zusammenhang die Bemerkung des früheren PNP-Generaldirektors und heutigen Senators Ronald dela Rosa (Spitzname „der Fels“), der den Tod eines dreijährigen Mädchens im Zuge eines Schusswechsels mit vermeintlichen Drogendealern lapidar mit „shit happens“ kommentierte.

In zahlreichen Landesteilen gärte es. Protest und Widerstand gegen den Kurs des Präsidenten mit seinem betont militärisch-zivilen Ansatz führten vor allem in den zentralen und südlichen Landesteilen – auf der Insel Negros und in mehreren Provinzen Mindanaos – dazu, dass in immer kürzeren Intervallen engagierte Menschenrechtler, Bauernführer, Umweltschützer, Indigene im Kampf gegen ausländische Minengesellschaften und andere Sozialaktivisten sowie Berater der NDFP-Friedensdelegation erschossen wurden. Seit 2018 wurden auf Negros mindestens 168 Menschen getötet, die Mehrheit der Opfer waren arme Bauern.

Seit Duterte im Juli 2016 an die Macht kam, wurden laut der landesweiten Bauernorganisation KMP 288 Bauern im Zuge ihrer Verteidigung von Landrechten getötet. Das UN-Menschenrechtsbüro dokumentierte von 2015 bis 2019 die Ermordung von mindestens 248 Menschenrechtlern, Juristen, Journalisten und Gewerkschaftern. Straffreiheit war und bleibt die Regel – mit nur einer einzigen Verurteilung für die Tötung eines Drogenverdächtigen bei einem Polizeieinsatz Mitte 2016. Cristina Palabay, Generalsekretärin der Menschenrechtsallianz Karapatan, erklärte, alle Täter hätten Verbindungen zum Militär, zu paramilitärischen oder privaten bewaffneten Gruppen.

Die schließlich am 4. Dezember 2018 unterzeichnete Exekutivorder 70, ein fünfseitiges Dokument, institutionalisierte den sogenannten „gesamtnationalen Ansatz“. Konkret: Seitdem obliegt der frischgekürten Nationalen Task Force zur Beendigung des lokalen kommunistischen bewaffneten Konflikts (NTF-ECLAC) die Aufgabe, des Präsidenten Counterinsurgengy-Strategie zu exekutieren – koste es, was es wolle. Der NTF-ECLAC wird dirigiert von hochrangigen Militärs und ehemaligen Generalstabschefs.

Auffälliges Markenzeichen der Strategie dieser NTF-ECLAC ist die zunehmende Gleichsetzung von bewaffneten Kämpfern im Untergrund und friedlich für soziale Belange eintretende Zivilisten. Vor allem für die Kommissköpfe in der PNP spielte es fortan kaum eine Rolle, ob Protestmärsche mit Plakaten in städtischen Regionen durchgeführt oder Untergrundkämpfer mit geschulterten Waffen in Erscheinung traten. Auf Anweisung der NTF-ECLAC erfolgte u.a. die Schließung von 55 Schulen indigener Gemeinschaften (Lumad) auf der Südinsel Mindanao, da sie laut Angaben des nationalen Sicherheitsberaters Hermogenes Esperon dazu „missbraucht“ würden, als „Trainingslager für kommunistische Rebellen“ zu dienen. Zuvor hatte Duterte angekündigt, diese Schulen notfalls „zu bombardieren“. Mit solchen und ähnlichen „Argumenten“ gingen militärische Verbände auch gegen Schul- und Sozialhilfeeinrichtungen in Teilen von Navotas, Malabon und Caloocan (allesamt im Großraum Manila) vor. Aktivisten der städtischen Armen berichteten wiederholt über Fälle von Bedrohung, Belästigung und Einschüchterung durch das Militär. Dieses wandte auch die Taktik an, Eltern von Jugendlichen zu nötigen, Gerichtsverfahren anzustrengen, um auf die angebliche „Entführung und Indoktrinierung“ ihrer Kinder durch die NDFP-CPP-NPA hinzuweisen.

Anti-Terror-Gesetz & systematisches „red-tagging”

Nachdem Duterte nach mehrfachen öffentlichen Drohungen im Frühjahr dieses Jahres schließlich die Schließung des in seiner Sicht regierungsfeindlichen Senders ABS-CBN bewirkte, gelang ihm am 3. Juli der vorläufig letzte Coup, um faktisch ein Kriegsrecht zu installieren, ohne ein solches formell zu proklamieren. An jenem Tag ward von einem dem Präsidenten mit großer Mehrheit servil ergebenen Kongress das sogenannte Antiterror-Gesetz (ATB 2020) verabschiedet, ein Persilschein, der es ihm und seinem politischen Camp nunmehr erlaubt, nach eigenem Gusto gegen Kritiker und Gegner loszuschlagen und sie des „Terrorismus“ zu zeihen.

Im In- wie Ausland hagelte es umgehend harsche Proteste. Damit habe Duterte, so urteilte Phil Robertson von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), „die philippinische Demokratie in einen Abgrund gestürzt“. So sind künftig Festnahmen ohne Haftbefehl und wochenlange Haft ohne Kontakt zur Außenwelt legal. „Durch das Gesetz droht überdies ein verstärktes ‚red-tagging’ von Aktivisten, Journalisten und Nutzern sozialer Medien – mit schwerwiegenden Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit“, warnte Robertson weiter. „Red-tagging“ meint eine gezielte öffentliche Brandmarkung politischer Gegner als „Kommunisten“, um sie einzuschüchtern oder sogar „physisch zu liquidieren“.

Das ATB 2020 und die dazugehörigen Durchführungsbestimmungen und Verordnungen verletzen grundlegende, in der Verfassung aus dem Jahre 1987 (ein Jahr nach dem Marcos-Sturz) verankerte Rechte und Freiheiten. Das Gesetz, so Rechtsanwalt Edre Olalia, Präsident der National Union of Peoples’ Lawyers (NUPL), im Gespräch mit dem Autor, beschneidet die Rede- und Vereinigungsfreiheit, das Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren, die Unschuldsvermutung, das Recht auf Kaution und hält bereits in Verdachtsfällen eine Isolationshaft, unangemessene Durchsuchungen und Beschlagnahmungen sowie das Einschnüren der Privatsphäre und der persönlichen Kommunikation für geboten. Nun kann auf Weisung eines eigens geschaffenen ATB-2020-Rates eine Verhaftung ohne Haftbefehl von mindestens 24 Tagen erfolgen, die zudem um weitere zehn Tage verlängert werden kann.

Das ATB 2020 bestraft die Absicht, nicht die kriminellen Handlungen. Olalia verwies in diesem Zusammenhang auch auf massenhafte Verhaftungen von humanitären Helfern, die während des harten Lockdowns im Zuge der Covid-19-Pandemie in Gemeinden Nothilfe leisteten. Während die Zahl der Arbeitslosen wegen der Corona-Pandemie in die Höhe schoss und noch mehr Armut und Elend in Manilas Slumvierteln grassierten, wurden Verletzungen der Quarantäneprotokolle vielfach als „terroristische Akte“ geahndet.

In einem solchen Klima von Verunsicherung, Angst, Furcht und Gewalt vollzog sich der unaufhaltsame Aufstieg einer Person, die geradezu von der Mission besessen ist, mit Stumpf und Stiel alles „auszurotten“, was auch nur irgendwie „links, kommunistisch und terroristisch“ aussehen könnte. Der nunmehr seit Wochen im Blitzlicht der Öffentlichkeit stehende Generalleutnant Antonio Parlade Jr., in Personalunion Chef des AFP-Kommandos in Südluzon (südöstlich von Manila gelegen) und Sprecher der NTF-ECLAC, spielt den Kettenhund Dutertes. Seit Mitte Oktober hat der Mann „neue Nester des terroristischen Untergrunds“ entdeckt, die ihn zu Höchsttaten aufstacheln.

So wurden die auf den Inseln so prominenten Personen wie die Miss Universe 2018, Catriona Gray, und die Schauspielerinnen Liza Soberano und Angel Locsin von dem General über Nacht als „Sympathisantinnen der Terroristen“ stigmatisiert. Der Grund für diesen Bannfluch: Diese drei Frauen hatten sich u.a. für die Rechte von Kindern im Rahmen von Webinaren engagiert, die von der einflussreichen und großen Frauenorganisation und Partei Gabriela ausgerichtet wurden. Unverhohlen drohte Parlade ihnen damit, sie könnten das gleiche Schicksal erleiden wie Josephine Lapira, die 2017 bei einem angeblichen bewaffneten Zusammenstoß zwischen den AFP und der NPA ums Leben kam, wenn sie sich nicht ein für alle Mal und offen „von den Terroristen“ distanzierten.

In ähnlicher Weise geriet auch der Bürgermeister von Manila, Francisco Moreno, unter Beschuss, weil dieser „sich erdreistet“ hatte, von Parlade und seinen Paladinen öffentlich aufgehängte Banner und Plakate mit den Porträts von Personen entfernen zu lassen, die der General als „Terroristensympathisanten“ gebrandmarkt sehen wollte. Scheinheilig stellte Parlade dem Bürgermeister die Frage, ob dieser mit seinem Verhalten „Terroristen“ in der City willkommen heißen wolle.

„Farcenhaftes Zeugnis“

Als Reaktion auf Parlades Kreuzzug starteten zahlreiche Frauen und Frauenorganisationen landesweit Kampagnen mit den Slogans beziehungsweise Hashtags #NoToRedTagging und #YesToRedLipstick. Der Protest weitete sich schnell aus, wobei Prominente und gewöhnliche Bürger – Frauen und Männer gleichermaßen – auch auf Facebook, Instagram und Twitter Fotos mit rotem Lippenstift veröffentlichten und das red-tagging anprangerten.

Einen ganz großen Auftritt erhoffte sich Generalleutnant Antonio Parlade Jr. im Rahmen einer eigens einberufenen Senatsanhörung zum Thema „red-tagging“ Anfang dieses Monats. Dort präsentierte Parlade mit einer dubiosen Figur namens Jeffree „Ka Eric“ Celiz einen Zeugen, der sich selbst als einen „ehemaligen kommunistischen Rebellen mit fast drei Jahrzehnten revolutionärer Erfahrung“ bezeichnete. Dieser Person sollte die Rolle zufallen, bestimmte Leute aus der Kunst-, Kultur- und Unterhaltungsbranche als „Kommunisten“ oder „Terroristen“ bloßzustellen.

Krampfhaft bemühte sich Celiz dabei u.a., auch Filmregisseure als „Kommunisten zu entlarven“. Bis sich bei Nachfragen herausstellte, dass es die von Celiz genannten Filme nicht gab und sich hinter den von ihm verschwiegenen Namen der Regisseure um die auch im Ausland bekannten, mittlerweile verstorbenen Personen Lino Brocka und Ishmael Bernal handelte. Beiden wurde die Ehre zuteil, als Nationale Künstler im Bereich Film ausgezeichnet worden zu sein, die – wie es im Amtsblatt der Regierung der Republik der Philippinen heißt – „höchste nationale Anerkennung, die Filipinos zuteilwird, die besondere Beiträge auf dem Gebiet der Kunst und der Literatur geleistet haben.“

Der Leitartikel vom 7. November der in Manila erscheinenden Tageszeitung Philippine Daily Inquirer schloss seinen mit „Farcenhaftes Zeugnis“ betitelten Beitrag mit den Worten: „Mit dem Einsatz eines Scharlatans wie Celiz beweist Parlade, dass seine Kampagne nicht nur mit gefälschten Nachrichten und gefährlicher Desinformation zu tun hat, sondern auch von einer Ignoranz getrieben ist, die so tief sitzt, dass sie schlichtweg lächerlich ist.“

Titelbild: Carlo Falk/shutterstock.com

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