Hinweise des Tages

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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JK/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Die Schuldenbremse wäre glatter Selbstmord
  2. So werden Joe Bidens Mitarbeiter von der Rüstungsindustrie gesteuert
  3. Das Märchen von der Gleichheit in Europa
  4. Raus aus der Arbeitslosigkeit
  5. Mehr Firmen sollten pleitegehen
  6. Die Extrawurst der Kulturnation
  7. Corona und die deutsche Fleischindustrie – seit langem überfällige Reformen?
  8. Hartz IV – Staatlich verordnete Armut
  9. Wutsache: Abstiegsangst
  10. Medizinstatistiker: Bevölkerung wird mit widersprüchlichen Aussagen konfrontiert
  11. Tauziehen im Teil-Lockdown
  12. Verquere Schuldzuweisungen
  13. Bundesdatenschützer: Offene Warnung zur elektronischen Patientenakte
  14. Die Bürger haben klar gesagt: Autos raus, öffentlicher Nahverkehr und Fußgänger rein
  15. Hartz 4 in NRW: Schüler sitzt im Unterricht – plötzlich schlägt das Jobcenter zu
  16. “Ihre Kämpfe sind auch unsere Kämpfe”
  17. Der grüne Angriff der Gates-Stiftung
  18. Big Teacher übernimmt

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Die Schuldenbremse wäre glatter Selbstmord
    Die Corona-Pandemie löste eine heftige Wirtschaftskrise aus. Beim Ausbruch der zweiten Infektionswelle beschloss die Bundesregierung ein weiteres Konjunkturpaket sowie Hilfsmaßnahmen für Unternehmen, um die Effekte des Teil-Lockdowns abzumildern. Gleichzeitig hält sie an einer Rückkehr zur Schuldenbremse fest. Und das bedeutet Austerität.
    Die LINKE schlägt stattdessen vor, die Staatsausgaben zu erhöhen und die Auswirkungen der Corona-Krise durch eine Vermögensabgabe zu finanzieren. Diesen Vorschlag ließ die Linksfraktion durch das DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) prüfen, welches das Konzept am 4. November in einer Studie für angemessen befand.
    JACOBIN hat mit dem LINKE-Politiker Fabio De Masi über seinen Vorschlag gesprochen. De Masi ist stellvertretender Vorsitzender und finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag.
    Mitten in der Corona-Krise forderst Du eine Vermögensabgabe für Multimillionäre und Milliardäre. Warum?
    Wir wollen die Vermögensabgabe erst nach der Krise erheben. Wir müssen aber vor der Bundestagswahl Klarheit darüber haben, wer den Abwasch macht, wenn die Bundesregierung ab 2022 wieder die Schuldenbremse einhalten will. Und ich finde, das sollten das oberste 1 Prozent in diesem Land tun und nicht diejenigen, die wie die Pflegekräfte oder Kassiererinnen den Laden am Laufen gehalten haben. In der aktuellen Notsituation darf der Staat Kredite aufnehmen. Und das ist auch sinnvoll, um Unternehmen und Jobs nicht sterben und dann auch die Steuereinnahmen nicht wegbrechen zu lassen.
    Welchen Effekt wird eine Rückkehr zur Schuldenbremse haben?
    Wenn man nach der Corona-Krise wieder zur Schuldenbremse zurückkehrt und fast keine Kredite mehr aufnimmt, ist dies eine Bremsung von 100 auf null. Dann drohen Kürzungen bei Investitionen und Sozialstaat oder man muss die Steuern erhöhen. Und wenn man die Steuern erhöht, dann wenigstens bei denen, die in der Krise profitiert haben und denen es nicht weh tut.
    Wie Du bereits erwähntest plant die Bundesregierung schon übernächstes Jahr zur Schuldenbremse zurückzukehren. Dass die Auswirkungen der Corona-Krise bis dahin abgeklungen sind, ist nicht sehr wahrscheinlich. Was kommt nach der Bundestagswahl auf uns zu?
    Das wird ein Stück weit davon abhängen, wie sich die Wirtschaft entwickelt und erholt. Aber die Schuldenbremse würde so brutal reinhauen, dass die Bundesregierung sie mit Haushaltstricks umgehen muss. Egal was die erzählen. Alles andere wäre Selbstmord.
    Nur wollen sie das nicht zu laut sagen. Und zwar nicht, weil die Schuldenbremse erfolgreich wäre und tatsächlich Schulden bremst – sie bremst vielmehr die Investitionen. Die Schuldenbremse ist einfach hervorragend, um Druck auf die Staatsausgaben zu machen und etwa Privatisierungen von Autobahnen zu fördern. Das ist viel teurer für die Steuerzahler, als wenn der Finanzminister einen Kredit aufnimmt. Weil dann müssen die Steuerzahler den Konzernen auch die Rendite finanzieren und der Staat kann sich billiger Geld leihen.
    Quelle: Jacobin
  2. So werden Joe Bidens Mitarbeiter von der Rüstungsindustrie gesteuert
    Im Juli 2019 bekräftigte Joe Biden – damals inmitten des Wahlkampfes um die US-Präsidentschaft – in einer programmatischen Rede zur Außenpolitik, es sei “an der Zeit, die ewigen Kriege zu beenden, die uns unermessliche Mengen an Blut und Geld abverlangt haben”. Nun aber rekrutiert der designierte Präsident für sein Kabinett Spitzenpersonal mit engen Verbindungen zur Rüstungsindustrie. Darauf weisen zunehmend alternative Medien in den USA hin, während der Mainstream über den Anti-Trump Joe Biden und seine Vizepräsidentin Kamala Harris, die erste Afroamerikanerin und Frau auf dem Posten, jubeln.
    Die Realität sieht freilich anders aus: Biden war als Vizepräsident unter Barack Obama nicht nur für die Kriege im Jemen, in Libyen, Afghanistan und anderen Ländern mitverantwortlich. Er holt nun Lobbyisten eben jener Industrie ins sein Regierungsboot, die unmittelbar von diesen “ewigen Kriegen” profitiert.
    Das zeigte sich auch am Dienstag vergangener Woche, als Biden seine sogenannten Überprüfungsteams für die US-Behörden und Ministerien vorstellte. Diese Teams seien “dafür verantwortlich, die Geschäfte jeder Behörde zu erfassen, eine reibungslose Übergabe zu organisieren und sich zu gewährleisten, dass der designierte Präsident Biden und die designierte Vizepräsidentin Harris sowie ihr Kabinett vom ersten Tag an einsatzbereit sind”.
    Und nun wird es spannend: Von den 23 Personen des Überprüfungsteams für das US-Verteidigungsministerium, führen acht – also etwas mehr als ein Drittel – als ihre letzten Arbeitgeber Organisationen, Think Tanks oder Unternehmen an, die entweder direkt Geld von der Rüstungsindustrie erhalten haben oder dieser Branche unmittelbar zuzurechnen sind, wie Sarah Lazare vom US-Onlineportal In These Times schreibt. Tatsächlich mag die Zahl der freiwilligen oder bezahlten Mitarbeiter der Übergangsteams von Biden und Harris höher sein. Es hat schlicht noch niemand die Hintergründe aller Mitarbeiter der “Transition Teams” systematisch untersucht.
    Quelle: Telepolis
  3. Das Märchen von der Gleichheit in Europa
    Deutsche Wirtschaftsforscher sagen eine zunehmende Spaltung der Eurozone zwischen reichem Norden und verarmendem Süden voraus.
    Die sozioökonomische Spaltung der Eurozone zwischen dem reichen Norden und dem verarmenden Süden wird weiter zunehmen: Dies sagt das unternehmensnahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer aktuellen Studie voraus. Demnach hat sich die Kluft innerhalb des Währungsgebiets bereits in den Jahren von 2009 bis 2018 deutlich vertieft, weil die Wirtschaft im Norden um 37,2 Prozent, diejenige im Süden hingegen lediglich um 14,6 Prozent wuchs. Diese Entwicklung wird dem IW zufolge in den nächsten 25 Jahren anhalten. Für Osteuropa konstatiert das IW einen gewissen ökonomischen Aufholeffekt, der aber aufgrund der desolaten Ausgangslage nach der Deindustrialisierung der 1990er Jahre nicht zu einem Einholen des Westens führen wird; die kaum veränderte Funktion der Region als verlängerte Werkbank insbesondere der deutschen Exportindustrie lässt eine eigenständige Wachstumsperspektive nicht zu. Laut Auffassung von Beobachtern wird die Coronakrise die Spaltung zwischen Nord und Süd zusätzlich vertiefen. Eigentliche Ursache der Ungleichheit sind die deutschen Handelsüberschüsse und die Berliner Kürzungsdiktate.
    Quelle: German Foreign Policy
  4. Raus aus der Arbeitslosigkeit
    Die Zeitarbeit hat in Deutschland einen schlechten Ruf – doch gerade Menschen ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung kann sie den Sprung zurück in den Arbeitsmarkt ermöglichen. Das belegt eine am Montag veröffentlichte Befragung des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW) unter rund 8300 Zeitarbeitskräften. Arbeitslosigkeit zu beenden oder zu vermeiden, war demnach für sechs von zehn Beschäftigten in der Zeitarbeit das Motiv, eine Stelle bei ihrem aktuellen Arbeitgeber anzutreten. Personen ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung gaben dieses Motiv am häufigsten an (64 Prozent), es spielte aber auch für jede zweite akademisch qualifizierte Zeitarbeitskraft eine Rolle. Die Arbeitnehmerüberlassung habe also eine wichtige beschäftigungspolitische Funktion, folgern die Autoren Holger Schäfer, Thomas Schleiermacher und Oliver Stettes.
    Die Befragung erfolgte, finanziell unterstützt durch den Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister und den Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen, Ende 2018 und Anfang 2019 – also etwa eineinhalb Jahre, nach der jüngsten Regulierung der Branche. Zeitarbeitskräfte müssen seit dem Frühjahr 2017 nach neun Monaten Einsatzzeit im Betrieb genauso entlohnt werden wie vergleichbare Stammarbeitskräfte („Equal Pay“) und dürfen im Regelfall zudem nur noch 18 Monate im gleichen Unternehmen eingesetzt sein. Die Idee dahinter war, Zeitarbeiter vor Ausbeutung sowie die Arbeitsplätze der Stammbeschäftigten zu schützen. Die Studie weckt allerdings Zweifel, ob das tatsächlich gelungen ist.
    Quelle: ZEIT

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Der Arbeitgeberverband Zeitarbeit lässt beim arbeitgeberfinanzierten Institut der Deutschen Wirtschaft eine Gefälligkeitsstudie verfassen – was wird wohl das Ergebnis sein? Das Zeitarbeit eine ganz tolle Sache ist. Zeitarbeit als Ausweg aus der Arbeitslosigkeit, wer hätte das gedacht? Eine Selbstverständlichkeit, weil die allerwenigsten freiwillig einen vernünftigen, sicheren Arbeitsplatz *außerhalb der Zeitarbeitsbranche* verlassen, um als unterbezahlte Zeitarbeitskraft bibbern und darben zu müssen. “Die Arbeitnehmerüberlassung habe also eine wichtige beschäftigungspolitische Funktion”, weil sie politisch zugelassen wird und die Unternehmen nicht wie früher, vor vielen Jahrzehnten, feste, unbefristete Arbeitsstellen anbieten, vielfach also Zeitarbeit perverser Weise fast die einzige Chance ist. “Zeitarbeitskräfte müssen seit dem Frühjahr 2017 nach neun Monaten Einsatzzeit im Betrieb genauso entlohnt werden wie vergleichbare Stammarbeitskräfte (Equal Pay) und dürfen im Regelfall zudem nur noch 18 Monate im gleichen Unternehmen eingesetzt sein. […] Rund ein Drittel der befragten Zeitarbeiter wurde im Jahr 2018 jedoch von einem Einsatz abgemeldet, obwohl sie dort gern länger geblieben wären. […] [Die Studienautoren] plädieren dafür, die Höchstüberlassungsdauer in der Krise temporär auszusetzen.” – Also dass ein Zeitarbeiter länger a

  5. Mehr Firmen sollten pleitegehen
    Die Milliardenhilfen des Staates setzten auf Dauer falsche ökonomische Anreize, findet Christian Sewing. Es brauche mehr “kreative Zerstörung”. Die Bundesbank warnt derweil vor einer Pleitewelle 2021.
    Die Deutsche Bank warnt angesichts der immer neuen Rettungsprogramme vor der wachsenden Macht des Staates in der Wirtschaft. “Es kann nicht nach dem Gieskannenprinzip weitergehen. Das schadet unserer Volkswirtschaft”, sagte Konzernchef Christian Sewing (50) am Montag beim CDU-Wirtschaftstag in Berlin. Breit angelegte staatliche Subventionen setzten auf Dauer falsche ökonomische Anreize. Unternehmen müssten sich an die neuen Gegebenheiten anpassen, auch wenn dies mit Schmerzen verbunden sei. “Wir müssen ein gewisses Maß an kreativer Zerstörung zulassen.”
    Sewing befeuert damit eine Debatte, sie seit Wochen zunehmend hitzig geführt wird. Zum einen fordern die Wirtschaftsverbände fast unisono staatliche Hilfen. Insbesondere in Branchen wie Touristik, Einzelhandel, Luftfahrt oder Gastronomie sind viele Unternehmen auf Überbrückungshilfen angewiesen, um ihr Überleben zu sichern. Andererseits warnen Ökonomen und auch der Kreditversicherer Euler Hermes vor einer “Zombie-Wirtschaft”, weil etwa die Regeln für einen Insolvenzschutz verlängert wurden und Firmenpleiten damit aktuell verhindert werden.
    Unter der schützenden Oberfläche des Staatsmilliarden gärt es, was vor allem in der Finanzwirtschaft Sorgen schürt. So rechnet die Bundesbank angesichts der sich wieder verschärfenden Corona-Krise mit zunehmenden Kreditausfällen. Mit der länger dauernden Krise werde es zu Solvenzproblemen bei Unternehmen kommen, die sich dann auf das Finanzsystem auswirkten, sagte Bundesbank-Vorständin Sabine Mauderer (50) am Montag auf einer virtuellen Finanzkonferenz. “Steigende Insolvenzen im Unternehmenssektor werden zu Kreditausfällen und zu Wertberichtigungen führen.”
    Quelle: manager magazin

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Es ist nachvollziehbar, dass die Banken Angst haben, Kredite an Unternehmen zu vergeben, die eigentlich schon insolvent sind und deren Bonität sie nicht richtig abschätzen können. Aber die Aufforderung zur “kreativen Zerstörung” und zu einem Ende der staatlichen Hilfen klingt sehr apart, wenn sie von aus einer Branche geäußert wird, die in der Finanzkrise 2007/2009 nur durch extrem hohe staatliche Hilfen vor dem Untergang gerettet wurde, Stichwort “too big to fail”. Auch die Deutsche Bank, die es dann nicht wahrhaben wollte, ist damals mindestens indirekt vom deutschen Staat und auch den USA gerettet worden und würde sich ganz bestimmt auch heute in einer schwierigen Lage nicht “schämen”, Staatsgeld anzunehmen.

  6. Die Extrawurst der Kulturnation
    Die Art und Weise, wie die „Nation“ Deutschland angesichts der aktuellen Coronakrise mit der „Kultur“ umgeht, gibt durchaus Anlass zu der Frage, ob die Denkfigur der „Kulturnation“ nicht gerade dabei ist, ihren Bankrott zu erklären.
    Vom anderen Ende der Kultur-Wertschätzungsskala her erklingt eine nicht minder merkwürdige Formulierung: Nordrhein-Westfalens Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen schrieb den Künstlern ihres Landes angesichts von deren Aufmüpfigkeit gegen den aktuellen Corona-Lockdown unlängst ins Stammbuch: „Die Kultur muss aufpassen, dass sie nicht immer eine Extrawurst brät.“ Im Kulturausschuss des Landtags mahnte sie die Kulturszene, sich „nicht zu sehr aus dem gesellschaftlichen Konsens herauszubewegen“. Denn das könne der Kultur dauerhaft schaden. Müsste sich die Ministerin aber nicht vielmehr fragen, inwieweit sie selbst der Kultur mit solchen Äußerungen schadet? Dass sie ihre Formulierung später dahingehend relativierte, die Kultur dürfe in der aktuellen dramatischen Infektions-Lage „keine Sonderrolle für sich beanspruchen“, macht die Sache ja nicht wirklich besser. Denn auch sie liegt auf Linie mit Äußerungen des NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet und mit dem Tenor des Lockdown-Beschlusses der Bundeskanzlerin und der Regierungschefs der Länder vom 28. Oktober. Er verfügt die Schließung von „Institutionen und Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung zuzuordnen sind“. Dabei ist keineswegs der Begriff Freizeit als solcher zu beanstanden – wo, wenn nicht dort, wäre die „Erziehung des Menschengeschlechts“ denn sonst zu verorten? In der durchkapitalisierten und entsprechend entfremdeten Arbeitswelt doch wohl kaum. Fatal aber ist, wie der Beschluss unter diesem Oberbegriff Äpfel mit Birnen gleichsetzt: Theater, Opern, Konzerthäuser rangieren da gleich neben Spielhallen, Bordellen, Spaßbädern, Saunen und anderem mehr, was dem Menschen Vergnügen macht. Wie gesagt: Keine Extrawurst für die Kultur!
    Quelle: Die Deutsche Bühne

    dazu zu den fatalen Folgen des Lockdowns für die Kulturschaffenden: Kultur ist kein Hobby – Ist die Politik ignorant?
    Einst gab es Millionen Feldhamster, eine Selbstverständlichkeit – nun ist das Tier vom Aussterben bedroht und auf der Roten Liste gefährdeter Arten. Könnte der Kultur, bisher selbstverständlicher Teil des Alltags, etwa ähnliches blühen? Eine Rote Liste für Kulturinstitutionen hat deshalb jetzt der Deutsche Kulturrat wieder aufgelegt: Viele Museen, Orchester oder Veranstaltungsorte sind akut bedroht, darunter das Berliner Unterweltenmuseum, das im Jahr normalerweise weit über 300.000 Besucher durch denkmalgeschützte Orte führt. Ist der neuerliche Shutdown jetzt der Todesstoß? Nicht nur für Institutionen, sondern vor allem für einzelne Menschen in der Kultur- und Kreativwirtschaft geht es mittlerweile ums nackte Überleben. 1,5 Millionen Beschäftigte sind dort laut Bundesregierung tätig und erwirtschaften über 100 Milliarden Umsatz.
    Quelle: ZDF

  7. Corona und die deutsche Fleischindustrie – seit langem überfällige Reformen?
    Die Empörung über die Arbeitsbedingungen ist aus wissenschaftlicher wie auch aus gewerkschaftlicher Sicht verwunderlich. Medienberichte über die schlechten Arbeits- und Unterkunftsbedingungen und wissenschaftliche Analysen zu den institutionellen Rahmenbedingungen der deutschen Fleischindustrie weisen bereits seit Jahren auf die Probleme der Beschäftigten hin. Nach Angaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales spielen ausländische Beschäftigte aus den neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine zentrale und teilweise existenzsichernde Rolle in der etwa 200.000 Beschäftigten starken Fleischwirtschaft. Die genaue Anzahl der ausländischen Beschäftigten ist jedoch nicht bekannt, da Werkverträge, Selbstständigkeit und entsandte Beschäftigung neben regulärer Beschäftigung mittlerweile Branchenpraxis sind und die Fleischindustrie zu einer deregulierten, größtenteils gewerkschafts- und betriebsratsfreien Zone geworden ist. Die Akteure in der Branche profitieren seit Jahrzehnten von den mobilen Beschäftigten aus Rumänien, Bulgarien und Polen, die aufgrund ihrer Beschäftigung bei Werkvertragsfirmen in Bezug auf Lohn, Arbeitsschutz und Unterkunft systematisch benachteiligt werden.
    Ein Verbot von Werkverträgen im Kerngeschäft ab dem 01.01.2021 wäre in der Tat eine konsequente Maßnahme. Aber es bleibt abzuwarten, wie das Gesetz letztendlich aussehen wird und wie genau zum Beispiel das Kerngeschäft definiert werden wird. Werden die Regeln auch für das Verpacken und Weiterverarbeiten gelten oder bietet das Gesetz hier Schlupflöcher? Werden nur Werkverträge verboten oder auch die Leiharbeit? Nicht vergessen werden darf auch: Es ist sowohl aus deutscher als auch aus europarechtlicher Perspektive fraglich, ob es zulässig ist, in einer Branche Werkverträge vollständig zu verbieten, während sie in anderen Zweigen zulässig bleiben. Auch die Branchen Logistik und Spedition, in denen Werkverträge ebenso zur Verschleierung der Arbeitsbedingungen zu Lasten der Beschäftigten genutzt werden, würden aus Beschäftigtenperspektive von einer Ausweitung des Gesetzes profitieren.
    Richtig und wichtig ist, dass das neue Gesetz die bisher zu lange übersehenen Unterbringungsbedingungen der Beschäftigten ins Visier nimmt. Bereits 2014 berichteten Medien über im Wald wohnende ausländische Arbeitskräfte, die unter extrem prekären Umständen in der deutschen Fleischindustrie beschäftigt waren. Aber erst jetzt nach den regionalen Corona-Ausbrüchen in fleischverarbeitenden Betrieben, die zu zeitweisen regionalen Lockdowns führten, wurde die Unterbringung der ausländischen Beschäftigten politisch thematisiert.
    Quelle: WSI

    aber: Tönnies-Hauptfleischfabrik fast wieder bei 100 Prozent Kapazität
    Mitte Juni stand der Betrieb komplett still – doch inzwischen läuft die Hauptfleischfabrik von Tönnies wieder auf Hochtouren. In seinem Werk in Rheda-Wiedenbrück hat der Fleischkonzern wieder nahezu 100 Prozent der Schlachtkapazitäten erreicht. Am Montag konnte nach der Zustimmung der Behörden eine neue Zerlegelinie für Schinken den Betrieb aufnehmen, teilte der Konzern mit. Pro Tag können demnach rund 8000 Schweine mehr geschlachtet werden als zuletzt.
    Tönnies musste im Sommer wegen einer Vielzahl von Corona-Infektionen bei den Arbeitern das Werk in Ostwestfalen schließen, neue Hygienekonzepte erarbeiten und neue Filtertechnik sowie trennende Plexiglasscheiben zwischen den Arbeitern einbauen. Das führte zu einer geringeren Zahl von geschlachteten Schweinen und für ein Absatzproblem bei den Landwirten in der Region. Für die neue Einheit nutzt Tönnies freigewordenen Platz durch die im Sommer nach Niedersachsen verlegte Rinderzerlegung.
    Quelle: Spiegel

  8. Hartz IV – Staatlich verordnete Armut
    Hartz IV stürzt bis heute Betroffene in Armut. Auch wenn der Regelsatz zum Jahreswechsel leicht erhöht wird, führt er Monat für Monat zu einem Kampf um die eigene Würde. defacto hat Menschen besucht, die mit der staatlichen Grundsicherung auskommen müssen.
    “Hartz IV bedeutet Armut” hieß es auf den großen Demonstrationen gegen die Einführung der Hartz-Gesetze, mit denen 2005 Sozialhilfe und Arbeitslosengeld auf niedrigstem Niveau zusammengelegt wurden. Tatsächlich stürzt die staatliche Grundsicherung bis heute Betroffene in Armut. Zum Jahreswechsel wird zwar der Regelsatz erhöht, Alleinstehende erhalten dann 446 Euro statt heute 432 Euro. Aber auch das wird an der prekären Lage nichts ändern. Denn der viel zu niedrige Regelsatz führt Monat für Monat zu einem Kampf um die eigene Würde. Und dass, obwohl mittlerweile etliche höchstrichterliche Entscheidungen klarstellen, dass der Hartz IV-Regelsatz so berechnet werden muss, dass physisches und soziokulturelles Existenzminimum gewährleistet sind.
    Quelle: HR
  9. Wutsache: Abstiegsangst
    Die Wachstumsraten in der deutschen Wirtschaft sind weiterhin hoch, dennoch schrumpft die Zahl derer, die zur klassischen Mittelschicht gehören, seit Jahren. Die Angst vor sozialem Abstieg und Altersarmut befällt immer mehr Menschen in der Mitte der Gesellschaft.
    Das Ehepaar Funk aus Berlin dachte früher, es könnte mit seinem Einkommen in Berlin gut leben. Heute sind Björn und seine Frau Julia ernüchtert und frustriert. Er arbeitet freiberuflich als Tontechniker. Sie ist als Logopädin fest angestellt. Mit ihrem Nettoeinkommen von rund 3200 Euro zählt das Paar zur Mittelschicht, aber das Geld reicht kaum, um die laufenden Kosten zu decken und die vierköpfige Familie finanziell über Wasser zu halten. An Sparen oder Altersvorsorge ist nicht zu denken. Auch eine größere Wohnung ist in Berlin unbezahlbar. Die wäre aber dringend notwendig. Die Familie lebt beengt in einer Dreizimmerwohnung: Die beiden Kinder Konrad und Lioba müssen sich ein Zimmer teilen. An das Versprechen “Wohlstand für alle” glaubt Familie Funk nicht mehr.
    Auch Olaf und Maren Könemann haben ein Leben lang gearbeitet. Mit ihrem gemeinsamen Nettoeinkommen von rund 3400 Euro monatlich kommen sie zwar noch über die Runden, aber der Blick auf die Rentenbescheide löst Frust aus. Wenn das Ehepaar in gut 14 Jahren in Rente geht, dann muss es von rund 1900 Euro leben. Diese Summe wird nicht reichen, um die monatlichen Ausgaben zu decken. Maren war zehn Jahre selbstständig tätig und hat in dieser Zeit nicht in die Rentenkasse eingezahlt. Die Altersarmut – auch durch die niedrigen Erwerbsjahre der Ehefrau – scheint vorprogrammiert. Und so geht es vielen in der Mittelschicht: Im Alter wird die gesicherte Existenz zur Illusion.
    Quelle: ZDF

    Anmerkung JK: Zwei Reportagen aus einem Land in dem es „allen gut geht“ (ja, es gibt auch immer wieder kritischen Journalismus in den öffentlich-rechtlichen Sendern). Gerade die Reportage über Hartz IV zeigt zum ungezählten Male wie zynisch und menschenverachtend dieses System ist. An Zynismus nicht zu überbieten die Berechnungsgrundlage für den Regelbedarf am Beispiel einer Tasse Kaffee. Demnach steht einen Betroffenen dafür ein Viertel eines Kaffeefilters für 1 Cent zur Verfügung.

    Siehe auch: Armutsforscher Butterwegge: „Nötig wäre ein Corona-Soli“

  10. Medizinstatistiker: Bevölkerung wird mit widersprüchlichen Aussagen konfrontiert
    Dass rigorose Maßnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie nicht unbedingt Erfolg brächten, zeige der Blick auf die Nachbarländer oder Spanien, sagte der Medizinstatistiker Gerd Antes im Dlf.
    Gerd Antes, Medizinstatistiker aus Freiburg, kritisierte im Deutschlandfunk, dass es kaum Studien gebe, die uns Steuerungsinstrumente liefern könnten, mit denen differenziertere Maßnahmen möglich seien. Außerdem werde die Bevölkerung mit widersprüchlichen Aussagen konfrontiert, das bringe eine Desorientierung mit sich. […]
    Jürgen Zurheide: Bevor wir jetzt reden und auch durchaus kritisch reden wollen, will ich eine Vorbemerkung machen, die ist mir allerdings auch wichtig: Sie sind kein Corona-Leugner oder keiner derjenigen, die da auf die Straße gehen und sagen, das ist alles Unsinn, oder?
    Gerd Antes: Nein, im Gegenteil, ich nehme es sehr ernst, und die Lage ist auch tatsächlich sehr ernst. […]
    Zurheide: Warum haben Sie Schwierigkeiten – und ich sage, wir haben vorher mehr als einmal miteinander gesprochen –, warum haben Sie Schwierigkeiten mit Botschaften, die im Moment vom RKI-Präsidenten kommen, aber auch von dem einen oder anderen Politiker oder einen oder anderen Politikerin, erst mal grundsätzlich?
    Antes: Ja, einmal habe ich natürlich Schwierigkeiten damit, dass die Bevölkerung dauernd mit widersprüchlichen Aussagen konfrontiert wird oder auch überrollt wird. Dann ist es irgendwann verhalten optimistisch, die Zahlen sagen das Gegenteil, oder die Kanzlerin sagt, oh, es ist ganz dramatisch, und wir versuchen, ein nicht einsames Weihnachten hinzukriegen. Dieses Spektrum ist natürlich eine extreme Desorientierung. Zweitens wird ein Lockdown gemacht, und wir haben eigentlich jetzt so, das fällt uns wirklich auf die Füße, den ganzen Sommer verpasst, genauere Angaben zu kriegen über das, was das bringt und was nichts bringt.
    Antes: Es fehlen valide Daten für passende Steuerungsinstrumente
    Zurheide: Das ist der entscheidende Punkt. Sie sagen, uns fehlt die Datenbasis. Da werden dann, was weiß ich, die Restaurants geschlossen, um nur ein Beispiel zu nennen, und um Bus und Bahnen kümmern wir uns nicht. Also was ist Ihre Grundkritik an dem Vorgehen im Moment?
    Antes: Dass wir die Daten, die uns helfen könnten, was nicht so einfach ist, nicht gesammelt haben oder auch die Studien nicht gemacht haben, die jetzt die Steuerungsinstrumente liefern würden, mit denen wir differenziert vorgehen können und nicht das, was gerade auch ja viele Leute sehr verbittert – es heißt zwar light oder leichter Lockdown, aber für diejenigen, für die es jetzt durch eine Schließung, die lebensbedrohlich oder ökonomisch zumindest bedrohlich ist, für die ist es kein light, sondern wirklich ein ganz normaler Lockdown.
    Quelle: Deutschlandfunk

    Anmerkung JK: Man beachte die Einleitung des Interviews. Kaum übt jemand Kritik an den Regierungsmaßnahmen taucht sofort der Begriff „Corona-Leugner“ auf. Auch wenn es heißt: „Sie sind kein Corona-Leugner oder keiner derjenigen, die da auf die Straße gehen und sagen, das ist alles Unsinn, oder?“, ist der entsprechende Vorbehalt ins Unterbewusstsein des Rezipienten gesetzt.

  11. Tauziehen im Teil-Lockdown
    Bund und Länder ringen erfolglos um Verschärfungen. Merkel kündigt aber für nächste Woche “sehr viel weitergehende und längerdauernde Beschlüsse” sowie Rechtsänderungen an. “Es müssen 75 Prozent Kontakte weniger sein.”
    Angela Merkel ist on fire. Im März galt ihre Reaktion auf das Infektionsgeschehen noch als besonnen, in der zweiten Welle agiert sie aufgeregt und wie getrieben. Könnte das mit ihrem neuen Corona-Berater zusammenhängen? Michael Meyer-Hermann ist Professor an der Technischen Universität Braunschweig und Leiter der Abteilung System-Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung. …
    Die heutige Beschlussvorlage des Kanzleramtes forderte dementsprechend strengere Kontaktbeschränkungen, auch sollte das Tragen einer Maske für Schüler aller Jahrgänge und für Lehrer auf dem Schulgelände und während des Unterrichts zwingend vorgeschrieben werden. Gruppengrößen in Klassenräumen sollten halbiert werden. Menschen mit Erkältungssymptomen müssten eine Woche in Schnupfen-Quarantäne.
    Statt zu einer Einigung kam es aber erstmal zu einem kleinen Eklat: Denn die Länder empfanden das Papier als maßloses Vorpreschen und leisteten Widerstand.
    “Das ist kein Vorschlag, der mit den Ländern besprochen oder abgestimmt ist. Im Gegenteil. Mit Blick auf Kinder, Jugendliche & Schule unverhältnismäßig. Vorgehen des Kanzleramtes führt zur Verunsicherung anstatt zur gemeinsamen Orientierung für die Bevölkerung”, twitterte etwa Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern (SPD).
    Auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und der nordrhein-westfälische Amtskollege Armin Laschet (CDU), FDP-Chef Christian Lindner, sowie Linke und Grüne distanzierten sich von der Vorlage. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sagte schon im Vorfeld, dass neue Regeln Parlamentsentscheidungen bedürften.
    Quelle: Telepolis

    dazu: Tschentscher für Verbot von Großdemos in Innenstädten
    Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher hat sich dafür ausgesprochen, große Demonstrationen wie zuletzt die “Querdenker”-Versammlung in der Leipziger Innenstadt während der Corona-Krise zu verbieten. “Demonstrationen mit Tausenden Teilnehmern, die auf engen Straßen und Plätzen zusammenkommen, sollten unter den derzeit schwierigen Pandemiebedingungen nicht genehmigt werden”, sagte der SPD-Politiker der “Rheinischen Post”.
    Ferner müsse bei Versammlungen jeglicher Art auf ausreichenden Abstand und das Tragen von Gesichtsmasken geachtet werden, so Tschentscher. “Werden die Vorgaben nicht eingehalten, müssen Polizei und Ordnungskräfte konsequent dagegen vorgehen und die Versammlungen auflösen”, sagte er vor der Ministerpräsidentenkonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel.
    In der Leipziger Innenstadt waren vor gut einer Woche rund 20.000 Menschen gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straßen gegangen, viele missachteten die Vorgaben zum Tragen von Masken und Abstandhalten. Die Polizei griff so gut wie nicht ein.
    Quelle: n-tv

    Anmerkung JK: Niemand hat wohl ernsthaft geglaubt, dass der Lockdown nur bis Ende November dauern würde. Die Verschärfungen lagen vermutlich von Anfang an in der Schublade. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) verkündet dazu, dass der Lockdown bis Ostern dauern könnte. Über die Forderung man solle sich „bei jedem Erkältungssymptom … unmittelbar nach Hause in Quarantäne begeben …“, kann man nur den Kopf schütteln. Der politischen Elite in Deutschland insbesondere Merkel und Söder scheinen langsam alle demokratischen Sicherungen durch zu brennen. So haben Herr Tschentscher wie auch Merkel und Söder hier etwas nicht verstanden. Sie sind keine absolutistischen Herrscher, die ihren Untertanen Befehle erteilen oder Grundrechte nach Laune gewähren oder wieder entziehen können. Ihre Position und ihre Befugnisse sind allein durch den Willen des demokratischen Souveräns, der Gesamtheit aller Bürger, legitimiert. Die aktuelle Problematik liegt aber im Wesentlichen darin, dass die sogenannten Volksvertreter in den Parlamenten ihre Arbeit nicht nachkommen, sondern die autoritären Regierungsverordnungen, die in einer bisher nie gekannten Form das Leben jedes einzelnen Bürgers einschränken, einfach nur abnicken. Allerdings ist zu bedenken, dass der Bundestag sich bereits am 25. März mit der Feststellung einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite” selbstentmachtet und gemäß den Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes der Exekutive faktisch Narrenfreiheit gewährt hat.

  12. Verquere Schuldzuweisungen
    Die Geschehnisse um die „Querdenker*innen“-Demonstration in Leipzig am vergangenen Wochenende gaben reichlich Anlass zu – teilweise berechtigter – Kritik. Die Diskussion war dabei geprägt von gegenseitigen Schuldzuweisungen der staatlichen Gewalten. Diese sind in weiten Teilen wohlfeil und juristisch unhaltbar.
    Anstelle einer differenzierten Beschäftigung mit dem Verhalten der Beteiligten und deren Auswirkung auf die Geschehnisse in Leipzig wurden schnell Rufe nach einer generellen Beschränkung der Versammlungsfreiheit laut. …
    Hierauf reagierte die sächsische Landesregierung – neben der üblichen reflexhaften Solidaritätserklärung mit den Polizeikräften – zeitnah mit einer Änderung der sächsischen Corona-Verordnung und beschränkte die Teilnehmer*innenzahl von Versammlungen auf 1000 Menschen.
    Bei der nun in § 9 Abs. 1 SächsCoronaVO eingefügten Grenze handelt es sich allerdings nicht um eine starre Obergrenze. Diese würde ein abstraktes Versammlungsverbot für Versammlungen, die eine gewisse Teilnehmer*innenzahl übersteigen, bedeuten und wäre daher nicht mit Art. 8 GG vereinbar. Es kann nicht oft genug betont werden: Versammlungen können nur im Einzelfall aufgrund einer konkreten von der einzelnen Versammlung ausgehenden Gefahr verboten werden. Eine abstrakte Obergrenze, welche die Behörden von der Bewertung der Gefahr für den Infektionsschutz, die von einer konkreten Demonstration ausgeht, entbindet, ist daher verfassungswidrig.
    Nach Abs. 2 können Versammlungen mit mehr als 1000 Teilnehmer*innen genehmigt werden, wenn das Infektionsrisiko auf ein vertretbares Maß reduziert werden kann. Ob ein solcher Genehmigungsvorbehalt mit Art. 8 GG vereinbar ist, darf bezweifelt werden (offenlassend Hong; Wittmann § 15 VersG Rn. 56; ablehnend VG Hamburg (S. 5)). Erstaunlicherweise bislang nicht problematisiert wurde das bereits in der SächsCoronaVO a.F. zu findende und beibehaltene Totalverbot von nicht ortsfesten Versammlungen. Auch dieses verunmöglicht bestimmte Versammlungen ohne Rücksicht auf die tatsächlich von ihnen ausgehende Infektionsgefahr. Es sind durchaus Formen einer bewegten Versammlung vorstellbar, die das Infektionsrisiko auf ein Minimum reduzieren. Dass § 9 SächsCoronaVO auch solche ausnahmslos verbietet, ist mit Art. 8 GG unvereinbar.
    Quelle: Verfassungsblog

    Anmerkung JK: Man kann vor diesem Hintergrund festhalten, dass Tschentscher Schnappsidee eines Verbotes von Großdemos in Innenstädten klar verfassungswidrig ist. Aber mit der Corona-Epidemie scheinen bei einigen Politikern alle Dämme zu brechen.

  13. Bundesdatenschützer: Offene Warnung zur elektronischen Patientenakte
    Ulrich Kelber hat eine offene Warnung an die gesetzlichen Krankenkassen verschickt, dass Version 1.1. der elektronischen Patientenakte nicht DSGVO-konform ist. (…)
    Wie die Medical Tribune berichtet, diskutieren die gesetzlichen Krankenkassen mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten und dem Bundesamt für soziale Sicherung als Aufsichtsbehörde das Problem. Führen sie die ePA 1.1 nicht zum 1. Januar ein, drohen ihnen Sanktionen durch das Bundesgesundheitsministerium. Es kann Strafzahlungen verhängen, wenn die von der Projektgesellschaft Gematik spezifizierte ePA 1.1 nicht eingeführt wird.
    Selbst die enthusiastischen Verfechter der ePA-Einführung wissen um das Datenschutz-Problem. So heißt es auf ePA-Fakten.de klipp und klar: “Potentiell stigmatisierende Dokumente gehören noch nicht in die ePA.” Als Beispiel werden dort Informationen über Schwangerschaftsabbrüche und psychologische Gutachten genannt. Diese sollten erst dann in einer ePA gespeichert werden, wenn der Versicherte die Möglichkeit hat, sie vor einem Arztbesuch zu verbergen.
    “Diese Dokumente sollten erst in der ePA gespeichert werden, wenn die feingranularen Berechtigungsmöglichkeiten in einer nächsten Version der ePA folgen. Bis dahin kann die ePA für alle “normal vertraulichen” medizinischen Informationen verwendet werden. Ärzte und Versicherte müssen entsprechend sensibilisiert werden und sollten entsprechend handeln”, so die ePA-Information. (…)
    Aus Sicht der Datenschützer ist das freilich ungenügend und ein klarer Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung DSGVO. Die offizielle Warnung ist eine Ankündigung dieser Position. Im nächsten Schritt ist eine Anweisung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz an die Krankenkassen denkbar, die ePA 1.1 nicht einzuführen. Die Kassen hätten dann die Möglichkeit, gegen diese Anweisung vor Gericht zu ziehen.
    In Deutschland arbeiten derzeit fünf Firmen beziehungsweise Konsortien an elektronischen Patientenakten-Systemen, die die Kassenkassen wiederum ihren Versicherten kostenfrei zur Verfügung stellen müssen. Dies sind IBM, X-tention/ICW, Cisco/Team Spirit, Rise und Compugroup Medical. Neben dem Datenschutz-Problem hat die ePA 1.1. daher noch ein anderes Manko aufzuweisen: Wer die Krankenkasse wechselt und damit womöglich den technischen Anbieter der ePA, kann seine Akte nicht mitnehmen. Das wird erst mit der ePA 2.0 möglich sein.
    Quelle: heise online

    Anmerkung Christian Reimann: Normalerweise dürfte das Vorgehen des Bundesgesundheitsministeriums genug Anlass für Rücktrittsforderungen an Herrn Spahn sein. Es verstärkt sich der Eindruck, dass es auch hier nicht um die Gesundheit der Bevölkerung geht, sondern um Konzern-Interessen. Als sei Herr Spahn immer noch Pharmalobbyist, aber nun mit ministeriellen Entscheidungsbefugnissen ausgestattet. Bitte lesen Sie dazu auch Der Türöffner: Wie Jens Spahn den gläsernen Patienten herbeiregiert.

  14. Die Bürger haben klar gesagt: Autos raus, öffentlicher Nahverkehr und Fußgänger rein
    Wien wird immer wieder zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt. Wie schafft man das? Stadplanungs-Direktor Thomas Madreiter erzählt, wie er die Wünsche der Bewohner umsetzt.
    SPIEGEL: Herr Madreiter, Wien nennt sich seit einigen Jahren “Smart City”. Was ist denn so smart bei Ihnen?
    Madreiter: Wir haben vor Jahren erkannt, dass technische, ökologische und ökonomische Veränderungen immer eine breite soziale Basis brauchen. Man kann etwa die Digitalisierung nicht als reine Herausforderung der Informationstechnik begreifen, sondern muss das sozial managen, die Bürger einbeziehen, sie partizipieren lassen.
    SPIEGEL: Was heißt das konkret?
    Madreiter: Schon in der Stunde null, vor etwa zehn Jahren, haben wir die Vision der Smart City mit Einbindung der Zivilgesellschaft erarbeitet. Da gab es zig Workshops mit Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, natürlich auch Bewohnern der Stadt. Alle haben sich mit der Frage beschäftigt: In was für einem Wien wollen wir 2050 leben? Das hat wesentlich radikalere Ansätze hervorgebracht, als wir uns das in der Verwaltung je zugetraut hätten.
    SPIEGEL: Zum Beispiel?
    Madreiter: Nehmen wir den öffentlichen Raum. Da haben die Bürger ganz klar gesagt: Autos raus, öffentlicher Nahverkehr und Fußgänger rein. Klar ist aber auch: Vieles geht in dieser Radikalität und dem Tempo gar nicht. Das ist die große Herausforderung: Wir müssen eine Smart City für alle sein, alte und junge, Digital Natives und Menschen, die die Zeitung noch gern auf Papier lesen. Bei jeder Neuerung muss ich mich also fragen: Ist es zielgerecht, wenn wir alles ersatzlos digitalisieren, was wir können?
    Quelle: Spiegel

    Anmerkung JK: Dass Wien immer wieder zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt wird liegt wohl auch daran, dass die Stadt Wien, anders als in Deutschland, wo die Städte ihre Wohnungen an Finanzspekulanten verscherbelt haben, weiter in großem Stil sozialen Wohnungsbau betreibt und so die Spekulanten und Miethaie nicht zum Zuge kommen lässt.

  15. Hartz 4 in NRW: Schüler sitzt im Unterricht – plötzlich schlägt das Jobcenter zu
    Man stelle sich vor, man sitzt grad in der Schule, mitten im Unterricht. Plötzlich klopft es an der Tür, der Unterricht wird unterbrochen, die Tür geöffnet. Eine Mitarbeiterin vom Jobcenter tritt herein, nennt einen Namen – und holt den Schüler vor den Augen des Lehrers und der tuschelnden Mitschüler einfach aus dem Unterricht! (…)
    Genau DAS soll vor wenigen Monaten in Wuppertal (NRW) passiert sein. Von diesem unfassbaren Vorfall berichtet die Anwaltskanzlei „rightmart Rechtsanwälte“ aus Bremen. Die Kanzlei habe eine Mail von Hartz 4-Empfängerin Maria T.* (Name geändert) erhalten, in der sie schildert, wie ihrem Sohn Robin* böse mitgespielt worden ist. (…)
    Der Anlass des Gesprächs: Die Jobcenter-Sachbearbeiterin habe Robin aufgefordert, nach dem Schulabschluss eine Ausbildung zu beginnen – obwohl Robin lieber das Abitur machen würde, um später studieren zu können. Seine Mutter schreibt dazu, dass das Vorgehen in Wuppertal „gang und gäbe“ wäre. Die angeschriebene Anwaltskanzlei „rightmart Rechtsanwälte“ hält dieses Vorgehen für illegal.
    Quelle: Der Westen

    Anmerkung Christian Reimann: Offenbar soll der „Geldbeutel“ der Familie bzw. „Bedarfsgemeinschaft“ über die Zukunft des Nachwuchses entscheiden. Das hat – sollte es stimmen – wohl kaum noch etwas mit einem Sozialstaat zu tun.

  16. “Ihre Kämpfe sind auch unsere Kämpfe”
    Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat anlässlich des 65. Gründungstags der Bundeswehr die Gesellschaft zu mehr Interesse an den Streitkräften aufgefordert. Zudem warnte er vor einer Entfremdung: “Es droht ein freundliches Desinteresse, eine Gleichgültigkeit, die dem Vertrauen zwischen Bundeswehr und Gesellschaft nicht dient”, sagte er beim feierlichen Gelöbnis im Park seines Berliner Amtssitzes Schloss Bellevue.
    “Armee und Gesellschaft dürfen sich in einer Gesellschaft niemals fremd werden”, mahnte Steinmeier. Die Bundeswehr übernehme heute mehr Verantwortung als je zuvor, sei aber im Bewusstsein und Alltag der allermeisten Deutschen fast unsichtbar geworden.
    Quelle: tagesschau.de

    Anmerkung Christian Reimann: Vermutlich nicht Wenige möchten dem widersprechen und wieder zum Ausdruck bringen: Kein Krieg in meinem Namen. Mit seinen Aussagen knüpft Herr Steinmeier als Bundespräsident nahtlos an die Rede von Außenminister Steinmeier bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2015 vom 08. Februar 2015 an. Ist die Bundeswehr wirklich „im Bewusstsein und Alltag der allermeisten Deutschen fast unsichtbar geworden“?

  17. Der grüne Angriff der Gates-Stiftung
    Seit fünf Jahren steigt die Zahl der hungernden Menschen weltweit an und seit Jahrzehnten tobt in Fachdebatten ein Streit darüber, mit welchen Ansätzen alle Menschen ausreichend und gut ernährt werden können.
    Eine simple These lautet, das internationale Agribusiness – unterstützt von vielen Regierungen aus dem Globalen Norden und einigen Regierungen aus dem Globalen Süden – könne die Produktivität in der Landwirtschaft mit Pestiziden, Hybridsaatgut und anderen externen Inputs erhöhen, und damit den Hunger beenden. Eine Vielzahl von Bewegungen und NGOs haben jedoch dargelegt, dass Hunger kein Problem der Erzeugung ist, sondern vielmehr in ungleich verteilten Machtressourcen und der Kontrolle über landwirtschaftliche Produktionsmittel wie Land und Saatgut wurzelt.
    Der Narrativ des Agribusiness ist weiterhin einflussreich. Regierungen im globalen Süden, vor allem auf dem afrikanischen Kontinent, werden lobbyiert, um mit neuen Gesetzen oder Projekten ihre Agrarsektoren zugunsten des internationalen Agribusiness zu verändern. Eine besonders tonangebende Initiative, die die Agenda der Konzerne auf dem afrikanischen Kontinent vorantreibt, ist die Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (Alliance for a Green Revolution in Africa, AGRA).
    Im Jahr 2006 wurde AGRA durch die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung und die Rockefeller-Stiftung ins Leben gerufen. Mit kommerziellem Hochertragssaatgut, synthetischen Düngemitteln und Pestiziden im Gepäck könne das Programm Afrika seine eigene Grüne Revolution in der Landwirtschaft ermöglichen, um Hunger und Armut zu verringern. So lautete zumindest das Versprechen.
    AGRA war angetreten, um die landwirtschaftlichen Erträge und die Einkommen von 30 Millionen kleinbäuerlichen Haushalten zu verdoppeln und damit sowohl Hunger als auch Armut in 20 afrikanischen Ländern bis zum Jahr 2020 zu halbieren. Um das zu erreichen, finanziert AGRA verschiedene Projekte und setzt sich bei afrikanischen Regierungen für strukturelle Veränderungen ein, die die politischen Weichen für eine Grüne Revolution in Afrika stellen sollen. AGRA erhielt seit seiner Gründung Beiträge in Höhe von rund einer Milliarde US-Dollar, hauptsächlich von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung. Große Zuschüsse kamen zudem von den Vereinigten Staaten, Großbritannien und anderen Ländern, darunter auch Deutschland.
    Quelle: Jacobin
  18. Big Teacher übernimmt
    Sollte Baden-Württemberg die Microsoft-Cloud in Dienst nehmen, droht ein Ausverkauf der Schulen – und der Daten der Schülerinnen und Schüler. Zudem könnte das Ganze weitreichende Folgen haben – für die ganze Republik. (…)
    Vor den coronabedingten Schulschließungen hatte etwa die Hälfte der Schulen in Deutschland Zugang zu Lernmanagementsystemen (LMS) oder Schulclouds. Inzwischen besitzen rund 80 Prozent der Schulen LMS, auch die Quote der Lehrkräfte, die das System wirklich nutzen, ist erheblich gestiegen. Ab jetzt fallen also viele personenbezogene Lerndaten von Schülerinnen und Schülern an. Und eines der größten Bundesländer will diese Daten nicht vor möglichen Zugriffen sichern?
    Dabei gibt es in Baden-Württemberg Anbieter, die sichere Cloud- und Office-Lösungen im Programm haben. Nextcloud aus Stuttgart und Ionos aus Karlsruhe stellen zum Beispiel der deutschen wie der französischen Regierung Datenwolken zur Verfügung. In ihrem eigenen Bundesland aber kommen die beiden Unternehmen nicht zum Zug. „Schüler und Schulen behalten die volle Souveränität über ihre persönlichen Daten“, sagte Achim Weiß von Ionos zu E&W. Ganz anders sei das in den USA, berichtet Frank Karlitschek von Nextcloud: Europäische Bürger würden datenrechtlich wie Vogelfreie behandelt. „Niemand kann auch nur nachfragen, was mit seinen Daten in den USA geschieht.“ (…)
    Aber wie kann es sein, dass Schulen und Länder wie Baden-Württemberg dennoch auf fragwürdige Cloud-Lösungen zurückgreifen wollen? Das hat auch mit der Unsicherheit der Lehrerschaft zu tun. Viele sind nicht geübt im Umgang mit Cloud-Anwendungen. Manche finden Datenschutz zu kompliziert. Überdies hat Microsoft gerade bei jenen Lehrkräften Freunde, die bereits seit Jahren mit digitalen Lösungen arbeiten. Einer der einflussreichsten Pädagogen auf Twitter, der Schweizer Lehrer Philippe Wampfler, etwa rät Kolleginnen und Kollegen ganz offen, die Produkte des US-Riesen zu nutzen. Warnungen vor fehlendem Datenschutz tritt er offensiv entgegen. Lehrkräfte, so rät Wampfler, sollten sich mit Datenschutz am besten gar nicht befassen. Das sei Sache von Fachleuten und Regierungen.
    Manche Lehrerinnen und Lehrer tragen – trotz Verbeamtung und besonderem Treueverhältnis zum Staat – inzwischen Titel wie „Microsoft Innovative Educator Expert“. Das gibt es auch bei anderen Unternehmen: Apple schmückt Lehrkräfte als „Apple Professional Learning Specialist“. Auch bei Google ist oft zwischen Produkteinsatz und Werbung kaum mehr zu unterscheiden.
    Gerade beginnt das Zeitalter der Daten an den Schulen. Lernen findet zunehmend in Schulclouds statt. Der Bund will sich die Digitalisierung der Schulen, zu der auch die Ausstattung der Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler mit digitalen Endgeräten gehört, 6,5 Milliarden Euro kosten lassen. Jedes Kind soll sich in Lernplattformen einloggen können. Jeder Klick, jedes Wort und jede Wissensbewegung der Schülerinnen und Schüler werden dort gespeichert. In diesem Moment erobern die größten und mächtigsten Konzerne, die es in der Weltgeschichte je gab, die Schulen.
    Quelle: Christian Füller in GEW

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