In Berg-Karabach gab es seit 1991 schon zweimal Krieg und Deutschland schaute weg. Eine Reportage

In Berg-Karabach gab es seit 1991 schon zweimal Krieg und Deutschland schaute weg. Eine Reportage

In Berg-Karabach gab es seit 1991 schon zweimal Krieg und Deutschland schaute weg. Eine Reportage

Ulrich Heyden
Ein Artikel von Ulrich Heyden

Dass es in Europa seit 1991 schon mehrere Kriege gab, wird gerne verdrängt. Erst der Krieg in Jugoslawien, dann in der Ukraine. Dass es in Europa zwei Regionen gibt, in denen es seit 1991 sogar schon zweimal Krieg gab, ist den Wenigsten bewusst. Die Rede ist von Tschetschenien und Berg-Karabach. Nun wurde am 10. November für Berg-Karabach ein Waffenstillstand ausgehandelt, den eine russische Friedenstruppe überwacht. Schon Anfang der 1990er Jahre war in Karabach eine sowjetische Friedenstruppe im Einsatz. Junge sowjetische Soldaten starben damals bei der Abwehr aserbaidschanischer und armenischer Attacken. Unser Autor hat Karabach 1998 besucht. Er schildert seine Eindrücke von damals und heute. Von Ulrich Heyden, Moskau.

Am 13. November – drei Tage nach Beginn des Waffenstillstands in Berg-Karabach – spielten sich im Bezirk Kelbadscha dramatische Szenen ab. Der Bezirk liegt zwischen Karabach und Armenien und gehörte bis zum 10. November zur „Schutzzone“ von Karabach. Laut Waffenstillstandsabkommen sollte der Bezirk am 15. November an Aserbaidschan zurückgegeben geben.

Auf der einzigen Straße von Kalbedscha nach Armenien herrschte Chaos. Es bildeten sich lange Autoschlangen mit Menschen, die nach Armenien übersiedeln wollten. Und die Autos kamen nur im Schritttempo voran. Soldaten der russischen Friedenstruppe waren in Schützenpanzerwagen präsent, konnten aber gegen das Chaos auf der Straße nichts ausrichten.

Die Bilder aus Kelbadscha stimmen nachdenklich. Einige Häuser brannten, bei anderen Häusern bauten die Bewohner Türen und Fenster aus. Aus dem Kloster Dadiwank trugen Priester und Bürger religiöse Symbole und Steine zum Abtransport nach Armenien (Foto-Reportage). Die Armenier von Kelbadscha wollen Aserbaidschan nichts Wertvolles hinterlassen.

Vergleichsweise ruhig wirkt dagegen die Situation in Stepanakert, der Hauptstadt der international nicht anerkannten Republik Berg-Karabach. Unter der Aufsicht von Soldaten der russischen Friedenstruppe kommen Busse mit Menschen aus Armenien an. Es handelt sich um Bewohner der Stadt, die während des Krieges im Herbst nach Armenien geflüchtet sind und nun zurückkehren. Werden die russischen Friedenstruppen die Rückkehrer vor militanten Aserbaidschanern schützen können? Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew erklärte nach dem Waffenstillstand, Berg-Karabach habe „keinen besonderen Status“. Es sei Teil Armeniens.

Auf dem Weg zum „Schwarzen Garten“

Wie kommt man nach Berg-Karabach? Bevor ich im Februar 1998 Berg-Karabach besuchte, hatte ich mir in Jerewan im offiziellen Büro der nicht-anerkannten Republik für 25 Dollar ein Visum besorgt.

Mit einem Linien-Mini-Bus ging es dann los. Wir fuhren durch den Latschin-Korridor – die schnellste Verbindung zwischen Armenien und Berg-Karabach – über Serpentinen hinauf in die Berge. Die Sonne schien auf schwarz-weiße Berge. Es lag noch Schnee. Aber da, wo der Schnee getaut war, sah man schwarzen Felsen. In den Tälern standen schwarze Bäume mit nur wenigen Zweigen, die wie Bartstoppeln aus dem Schnee herausragten.

Was ich sah, erinnerte mich an das aserbaidschanische Wort „Karabach“. Übersetzt heißt es „schwarzer Garten“. Die Armenier dagegen nennen Karabach „Arzach“. Der Name geht zurück auf die Zeit im ersten Jahrhundert vor Christi. Damals gehörte das Gebiet von Berg-Karabach zu Arzach, einer Provinz des damaligen Armenischen Reiches.

Auf der Straße Richtung Stepanakert kamen uns häufig Mercedes-Laster entgegen. Sie waren in bunten Farben und mit islamischen Parolen geschmückt. Die Laster kamen aus dem Iran. Ich fragte meine Mitreisenden, was diese Laster transportieren und bekam unterschiedliche Antworten, „Kekse“ und „Waffen“.

Armenien hat eine 50 Kilometer lange Grenze zum Iran. Die wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran waren für Armenien schon damals sehr wichtig. Denn Iran war der einzige direkte Nachbar, von dem Armenien damals Unterstützung bekam. Von den anderen drei direkten Nachbarn, Aserbaidschan, Georgien und der Türkei konnte Armenien keinerlei Hilfe erwarten.

Nach mehrstündiger Fahrt erreichten wir Stepanakert. Die Stadt liegt auf 800 Metern Höhe in einem Bergtal, sehr idyllisch mit Fichten und kleinen Gärten. Auf der Fahrt sah ich im Krieg 1991 ausgebrannte Dörfer. Alles, was noch existierte, waren steinerne Häuserwände.

In Stepanakert erinnerte nur noch wenig an den Krieg, der 1994 für die Armenier siegreich zu Ende gegangen war. Die Kriegsschäden hatte man fast vollständig beseitigt.

Nach 26 Jahren Frieden erneute Zerstörung

Im Herbst 2020 – nach 26 Jahren Frieden, der nur durch einige Schießereien an der Grenze gestört wurde – wurde Stepanakert wieder Kriegsgebiet. Viele Gebäude und Geschäfte wurden von Bomben und Raketen beschädigt und zerstört (Video). Nun beginnen erneut die Aufräumungsarbeiten.

1998 wirkte die Stadt sehr militärisch. In der Stadt sah ich viele Polizisten in grauen Uniformen und Soldaten in Tarnanzügen. Am Oberarm tragen sie die Flagge von Arzach mit ihren horizontalen Streifen in rot, blau und orange. Sie ist identisch mit der Flagge Armeniens, bis auf die weißen Quadrate, welche an die Muster armenischer Teppiche erinnern.

Die Menschen in der Stadt guckten mich neugierig, aber auch ein bisschen misstrauisch an. Ich besuchte eine Einheit der Karabach-Armee. Über die Zahl der Soldaten will der Polit-Offizier, mit dem ich sprach, nichts sagen. „Wir haben so viele Soldaten, wie wir zur Verteidigung brauchen,“ sagt er. Warum die Armenier auch die an Karabach grenzenden Gebiete erobert haben, will ich wissen. „Weil wir von dort ständig mit Raketen beschossen wurden“.

Schmerz und Trauer in den Augen der Kinder

In einem Kulturhaus sprach ich mit Ljudmilla Barsigjan. Sie ist Leiterin eines Kinder-Chores und -Balletts. Nach dem Krieg hätten die Kinder Angst gehabt aufzutreten, erzählte sie. „Ihre Psyche war aus dem Gleichgewicht. Deshalb habe ich eine Psychologin gebeten, mit den Kindern zu arbeiten. Und die Kinder tauten auf. Es ist schwer, die Kinder anzugucken, deren Eltern im Krieg gestorben sind. In ihren Augen sieht man Schmerz und Trauer.“ Die Kinder verstehen, was passiert ist? „Sie verstehen es. Sie wurden im Krieg erwachsen.“ Sehen die Kinder die Aserbaidschaner als böse Teufel? „Nein. Wir wollen nur keinen Krieg. Und wir wollen unabhängig leben. Vor der Unabhängigkeit gab es vor allem aserbaidschanische und russische Schulen. An den Schulen durfte nicht die Geschichte der armenischen Sprache unterrichtet werden.“

Auf dem Weg ins Hotel traf ich eine alte Frau mit einem dicken Sack Grünzeug auf dem Buckel. Sie erzählte mir, sie habe das Grünzeug von einem Gebiet, das eine Stunde entfernt liegt. Dieses Gebiet habe man den Aserbaidschanern Anfang der 1990er Jahre abgenommen.

Sowjetische Friedenstruppe 1991 in Karabach im Einsatz

Ein Anstoß für die Unabhängigkeitsbewegung von Berg-Karabach war die Perestroika unter Gorbatschow. Viele Völker der Sowjetunion arbeiteten damals ihre Geschichte auf und erklärten, sie seien Opfer von Stalins Politik. So meinten die Armenier, Stalin habe das Gebiet von Berg-Karabach Aserbaidschan zugesprochen, um die Türkei als Partner der Sowjetunion zu gewinnen.

Ein zweiter Anstoß war ein Pogrom gegen Armenier, Ende Februar 1988 in der aserbaidschanischen Stadt Sumgait, 25 Kilometer nördlich von Baku. Warum der KGB in Aserbaidschan dieses Pogrom nicht verhinderte oder nicht verhindern wollte, ist bis heute nicht geklärt.

Doch die Behauptung, dass Moskau einfach nur zuguckte, wie sich der Hass zwischen Aserbaidschanern und Armeniern hochschaukelte, ist auch falsch. Von April bis Dezember 1991 waren 10.000 Soldaten des sowjetischen Innenministeriums als Friedenstruppe in Berg-Karabach im Einsatz. Sie entwaffneten Armenier und Aserbaidschaner und versuchten, Attacken der beiden Volksgruppen zu verhindern. „Unsere Soldaten und Offiziere starben in Berg-Karabach“, schrieb der damalige Leiter der Truppen des sowjetischen Innenministeriums, Anatoli Kulikow, in seinen Erinnerungen. „Sie machten keinen Unterschied zwischen den Nationalitäten und sie verteidigten mit dem gleichen Einsatz aserbaidschanische Dörfer gegen armenische Kämpfer und armenische Dörfer gegen aserbaidschanische.“ 51 sowjetische Soldaten starben 1991 bei ihrem Einsatz in Berg-Karabach.

Der Einsatz der sowjetischen Truppen 1991 konnte die Feindschaft zwischen Armeniern und Aserbaidschanern nicht stoppen. Am 2. September 1991 wurde die Republik Berg-Karabach ausgerufen und eine Selbstverteidigung aufgebaut. Am 10. Dezember 1991 wurde in Karabach ein Unabhängigkeitsreferendum durchgeführt, welches vom aserbaidschanischen Teil der Bevölkerung boykottiert wurde.

Die Antwort Aserbaidschans waren Angriffe auf militärische Stellungen der Armenier. 1991 begann ein grausamer Krieg mit 50.000 Toten, der erst 1994 endete. Auf der Seite von Karabach kämpften Ende 1992 18.000 Soldaten, darunter 6.000 Soldaten aus Armenien. Im Laufe des Krieges flüchteten 800.000 Aserbaidschaner und 300.000 Armenier aus den umkämpften Gebieten.

Im Februar 1998 traf ich im Regierungsgebäude von Stepanakert den stellvertretenden Außenminister von Karabach, Wasili Ataschanjan. Er beklagte, dass die OSZE „keine neutrale Position mehr vertritt, wenn sie Karabach als Teil Aserbaidschans sieht“. Was werden sie machen? Nochmal kämpfen?, fragte ich. „Wir haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass der Konflikt im Rahmen der OSZE gelöst werden kann. Wir werden uns aktiv am Minsker Prozess[1] beteiligen. Wir müssen als gleichberechtigter Partner anerkannt werden. Wir sind gegen ein Enklave-Dasein.“ Leider sei Aserbaidschan „zu keinem Kompromiss bereit.“

Mit Schneeketten zurück nach Jerewan

Mit einem Minibus fahre ich zurück nach Jerewan. Mein Flugzeug in Jerewan verpasste ich, denn die Fahrt durch die Berge gestaltet sich nicht einfach. Teile der Straße waren verschneit. Die Autofahrer haben die Angewohnheit, Schneewehen mit Vollgas zu durchfahren. Auch der Fahrer unseres Minibusses fuhr mit Vollgas durch eine Wehe, musste dann aber nach 200 Metern ein Ausweichmanöver machen, weil vor unserem Bus plötzlich ein Lada stand, der nicht weiterkam. Bei dem Ausweichmanöver geriet unser Bus in noch dickeren Schnee und begann sich um 90 Grad zu drehen. Dann rutscht er aus der Fahrspur. Trotz Schieben und Drücken aller männlichen Passagiere rührte sich unser Bus nicht mehr von der Stelle.

Nun legte unser Fahrer Schneeketten an. Pro Rad nahm er vier einfache Ketten und wickelte sie um die Reifen. Dann verschraubte er die Enden der Ketten und fertig war die armenische Schneekette. Und siehe da, unser Bus kamen schließlich frei. Um uns herum hatten sich inzwischen zahlreiche Autos festgefahren.

In den letzten 45 Minuten unserer Fahrt näherten wir uns von Süden Jerewan. Es ging durch eine flache Ebene. Zur Linken sah man zwei weiße Berge, wie Kegel, deren Hänge zum Tal hin sanft ausliefen. Der Schnee auf den Bergkegeln glitzerte in der Sonne. Es war der Ararat und neben ihm ein etwas kleinerer Berg, der aussah wie ein erloschener Vulkan.

Auf der rechten Straßenseite, hinter der von Pappeln gesäumten Chaussee, zogen sich endlose Weinfelder hin, zu erkennen an den Pfählen, an die man die knorrigen Weinrebengewächse befestigt hatte.

Als wir Jerewan näherkamen, begann auf der rechten Seite das Industrieviertel. Dort sah man vor allem Betriebe der chemischen Industrie.

An den Ausfallstraßen vor der Stadt sah man improvisierte Verkaufsstände mit großen Auslagen. Verkauft wurden Kekse, armenischer Cognac, Sekt und Wodka. Die Stände wurden nachts mit einfachen Glühbirnen hell erleuchtet. Kunden sah ich nur wenige.

Ja, Wodka wurde in Armenien viel getrunken. Ich erinnere mich, dass ich bei jeder Mahlzeit im größeren Kreis etwa fünf Gläser trank. Ein gutes Mittel übrigens gegen Verdauungsstörungen …

Rauchende Ofenrohre in der Hauptstadt Armeniens

Die 782 vor Christi gegründete Stadt Jerewan liegt auf 900 Meter Höhe. Die Stadt hat heute eine Million Einwohner. Ein Teil der Stadt liegt auf einem hohen Hügel, ein anderer Teil tiefer. Die Häuser waren 1998 nur drei, vier Etagen hoch. Zwanziggeschossige Wohnhäuser gab es kaum. Die Farbe der Häuser – braun, rot, gelb, grau – korrespondierte mit den gleichen Farben in der Umgebung. So schien es, dass Jerewan aus dem Boden wuchs.

Die Lebensbedingungen in Jerewan 1998 waren hart. Erst seit 14 Monaten gab es in der Stadt wieder Strom. Das neue Atomkraftwerk von Armenien war in Betrieb genommen worden. Man klagte über eine Energieblockade der Nachbarländer Türkei, Aserbaidschan und Georgien. Doch auch 1998 gab es immer noch Stromausfälle.

Wasser gab es in Jerewan nur morgens und abends für jeweils eine Stunde. In der armenischen Familie, bei der ich wohnte, gab es nur einen kleinen Elektroofen aus Tuffstein mit rotglühenden Heizspiralen. Vor dem Öfchen wärmte sich eine schwarz-weiße Katze und eine junge Frau, die Tochter meines Wirts.

Wenn man durch Jerewan ging, sah man, dass von vielen Fenstern und Balkons horizontal gelagerte Ofenrohre ins Freie ragten. Sie dampften wie alte Loks vor sich hin. Oft heizten die Leute auch mit Diesel, was man an dem Geruch schnell erkennen konnte. Aschia, meine Nachbarin in Jerewan, kam einmal mit einer leckeren Schichttorte und erklärte stolz, sie habe die Torte 40 Minuten in ihrem „Kersonintschik“ – einem mit Diesel betriebenen Öfchen – gebacken. Ich war erst skeptisch, aber die Torte schmeckte.

Bärtige Kämpfer und Patronengurte

An einem Abend saß ich im Atelier des Malers Martiros Badalian. Der Künstler war nicht besonders groß. Er hatte einen dicken schwarzen Bart. Es gab ein Sofa und Stühle. An den Wänden hingen Bilder und Collagen. Sie hatten viel mit dem Krieg in Karabach zu tun. Man sah viel Rot, Patronen und Stacheldraht.

Im Atelier war es höllisch kalt und manchmal war der Raum voll von beißendem Qualm. Martiros entfachte mit Fichtenzweigen das Feuer seines kleinen Blech-Ofens, dessen Rohr durchs Fenster ins Freie führte. Wir aßen Schwarzbrot, süßes Weißbrot und tranken Rotwein.

In der einen Ecke seines Ateliers hat der Künstler einen kleinen Schrein, eine Gedenkecke für gefallene Kämpfer einer Untergrundorganisation, eingerichtet. Auf Fotos waren bärtige Kämpfer mit Kalaschnikows und Matrosen-T-Shirts zu sehen.

„Hier haben alle angefangen…“ Versammlung auf dem Opernplatz

Als am 10. November 2020 bekannt wurde, dass sich Nikol Paschinja, Ilham Alijew und Wladimir Putin auf einen Waffenstillstand und Gebiets-Abtretungen zugunsten von Aserbaidschan geeinigt hatten, gab es in Jerewan wütende Proteste. Demonstranten drangen ins Parlament ein und forderten, die Gebietsabtretungen rückgängig zu machen. Demonstranten drangen auch in das Büro von George Soros ein und verwüsteten es.

Am 11. November 2020 versammelten sich Demonstranten und Vertreter der Oppositionsparteien auf dem Platz vor dem Opern-Theater. Sie forderten den Rücktritt des „Verräters“ Paschinjan. Es kam zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Einen Tag später wurden auf dem Platz Vertreter der Oppositionsparteien „Daschnakzutjun“ und „Heimat“ festgenommen. Am 13. November beteiligten sich an einer Kundgebung vor der Oper auch armenische Soldaten in Uniform, die von der Front zurückgekehrt sind.

Als ich Jerewan 1998 besuchte, demonstrierten auf dem Platz einmal in der Woche mehrere Tausend Menschen. Damals waren es vorwiegend Männer im Alter von 40 bis 50 Jahren. Sie trugen abgewetzte Mäntel. Trotz Temperaturen von Minus zwölf Grad trugen nur wenige einen Hut.

Viele Armenier legen Wert auf Stil und zeigen gerne ihre charakterstarken, vom Wetter gegerbten braunen Köpfe. Selbst bei niedrigen Temperaturen wird der Seidenschal unter den Mantelaufschlag gelegt, damit das weiße Hemd und der Schlips noch zu sehen sind. Die Haare sind kurz geschnitten und pomadiert.

„Sie ritten auf der Karabach-Welle, doch sie meinten es nicht ernst“

„Auf diesem Platz hat Ter-Petrosjan angefangen“, erklärte mir ein junger Mann in Sportkleidung, der sein Geld als Arbeitsmigrant in Russland verdiente. Lewon Ter-Petrosjan war der erste nachsowjetische Präsident Armeniens. „Alle haben hier angefangen. Sie ritten auf der Karabach-Welle. Doch nicht alle meinten es ernst damit.“

Der junge Mann gehörte zu der einen Million Armeniern, die ihr Land mit dem Beginn von Krise und Krieg verließen, um im Ausland – vorwiegend in Russland – Geld zu verdienen. Armenien war 1998 mit einem Durchschnittslohn von 30 Dollar und Renten von zehn Dollar im Monat zu einem Armenhaus geworden.

Inga, eine Journalistin, erzählte mir damals, dass westliche Wissenschaftler die extremen Lebensbedingungen in Armenien erforschten. Diese “Stressforschung“, wem dient sie, fragte ich mich damals. Dienten sie der Verhütung sozialer Krisen oder nur ihrer „besseren“ Lenkung?

Ob es noch Aserbaidschaner in Jerewan gibt, fragte ich damals die Journalistin Inga. „Ja, am Markt leben noch ein paar. Die haben armenische Frauen.“

Titelbild: Nicolay Sidorov CC


[«1] Die KSZE (jetzt OSZE) bildete 1992 die „Minsker Gruppe“. Sie sollten eine Verhandlungslösung für den Karabach-Konflikt vorbereiten. Geleitet wurde die Gruppe von den USA, Frankreich und Russland. Eine Einigung zwischen den Konfliktparteien erzielte die Gruppe nicht. Der Waffenstillstand vom 10. November 2020 kam ohne Zutun der Minsk-Gruppe zustande.

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!