Sturm auf die “Festung der Freiheit” und die Demokratie

Sturm auf die “Festung der Freiheit” und die Demokratie

Sturm auf die “Festung der Freiheit” und die Demokratie

Ein Artikel von Bernhard Trautvetter

Die Unruhen am und im Kapitol in Washington werfen weit grundsätzlichere Fragen auf, als es in den Mainstream-Medien geschieht. EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici nannte das Geschehen entsetzt einen “Skandal und eine Schande”. Bundesaußenminister Heiko Maas kritisierte “Trump und seine Unterstützer“, deren unfassbare Bilder “die Feinde der Demokratie … freuen”. Wer an der Oberfläche der Ereignisse bleibt, der kann all das nur hilflos schlimm finden. Weiter führt es, wenn die Analyse Fragen an das Gesellschaftssystem stellt, in dem eine solche Gewalt um sich greifen konnte. Von Bernhard Trautvetter.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Vertreter des Systems lenken von solch grundsätzlichen Fragen durch die weithin eingespielte Personalisierung in der Berichterstattung ab. Der personalistische Blick engt die Betrachtung der Abläufe auf Fragen von Schuld und Heldentum ein. Akteure werden in den Vordergrund gestellt, dass die Strukturen hinter ihnen aus dem Blick geraten. Trump wird als der Betriebsunfall, als der Ausnahmefall behandelt, der als geistiger Brandstifter Öl ins Feuer kippt und seine Fans anstachelt, anfeuert und das Chaos verursacht. Viele Kommentare aus der politischen Führung westlicher Staaten und aus transatlantisch ausgerichteten Medien erklären die egozentrische Person Donald Trump zum Alleinverantwortlichen für die Gewaltakte, die an Staatsstreiche erinnern. Auch der Begriff ‘Putsch‘ kommt vor.

Wer die Trump-Anhänger nur als Verführte und den Brandstifter als Alleinverantwortlichen darstellt, übergeht oder übersieht lange schon virulente Zusammenhänge. Es geht dabei auch um die Frage, warum so viele Menschen sich so demokratieverachtend verhalten, warum Rechte in immer mehr westlichen Staaten eine konkrete Gefahr für die Demokratie werden konnten. Eine wichtige Antwort dazu gab der Regisseur und Autor Michael Moore vor dem Wahlsieg Donald Trumps 2016: Er erklärte sinngemäß, die ehemals stolzen Bewohner des nun weitgehend de-industrialisierten ‘Rost-Gürtels’ im Umfeld einst prosperierender Fabriken seien durch den Absturz ihrer Region seelisch gebrochen, deprimiert und ringen um ihre Existenz …

Wütende, verbitterte arbeitende (und nicht arbeitende) Menschen, die durch den sogenannten Trickle-Down-Effekt (Erklärung: wenn es den Reichen gut geht, fällt für die Armen mehr ab, B.T.) vom Ex-US-Präsident Reagan belogen und von den Demokraten betrogen wurden. Diese versuchen immer noch, einen guten Spruch zu verbreiten, während sie sich aber in Wirklichkeit nur darauf freuen, Menschen mit der Hilfe von Goldman-Sachs-Lobbyisten abstürzen zu lassen, ehe sie einen schönen großen Scheck von den Lobbyisten erhalten, bevor diese den Raum verlassen. Was in Großbritannien mit dem Brexit passiert ist, wird auch hier passieren. Ein Politiker sieht aus wie Boris Johnson und sagt einfach irgendeinen Scheiß, den er sich ausdenken kann, um die Massen zu überzeugen, dass dies ihre Chance ist! Um sich an ALLE zu halten, alle, die ihren amerikanischen Traum zerstört haben! Und nun ist der Außenseiter, Donald Trump, gekommen, um aufzuräumen! Ihr müsst nicht mit ihm übereinstimmen! Ihr müsst ihn nicht einmal mögen! Er ist Euer persönlicher Molotow-Cocktail, den Ihr direkt ins Zentrum der Bastarde werfen könnt, die all das Euch angetan haben! SENDET EINE BOTSCHAFT! TRUMP IST EUER BOTE!”

Wer abgehängt wird, erlebt eine soziokulturelle Entwertung des eigenen Lebens und eine angsteinflößende Zerstörung der Existenzsicherheit und Perspektive. Die Weltwirtschaftskrise, die von 2007 an die kapitalistischen Zentren und von ihnen abhängige Regionen destabilisierte, traf Angehörige der Arbeiterklasse, deren prekäre finanzielle Lage es ihnen unmöglich gemacht hatte, irgendein Polster für Krisenzeiten anzulegen. Faschisten und andere rechte Kräfte haben die verzweifelte Lage ausgegrenzter Schichten auch schon vor circa 100 Jahren ausgenutzt. Nach dem schwarzen Freitag der Weltwirtschaftskrise von 1929 präsentierte die NSdAP ein Plakat, das viele hoffnungslose Verarmte abbildete mit der Aufschrift ‘Unserer letzte Hoffnung Hitler!‘.

Auch nach 2008 hat sich weltweit in den kapitalistischen Zentren ein Aufstieg rechter Ideologien und Parteien ergeben. Die von Abstieg Erfassten und Bedrohten sind, wie Michael Moore darlegte, ein Potential, in dem rechte Propagandisten bis heute immer wieder geschickt und mit Erfolg einfache und schnelle Lösungen anbieten und so Unterstützung für ihre Politik gewinnen. Eine Betrachtung des von Faschisten mitgetragenen Sturms auf das Kapitol ist ohne die Berücksichtigung dieses Zusammenhangs eine Grundlage dafür, dass sich derartige Akte wiederholen, da ihre Ursachen nicht abgewendet werden.

Trump nutzte geschickt das lange schon geschürte gesellschaftliche Klima des Antikommunismus, nicht nur indem er die Menschenmenge vor der Erstürmung des Kapitols aufstachelte, sich die von ihm so gekennzeichnete Machtpolitik von den Linken nicht gefallen zu lassen. Über Joe Biden behauptete Trump im Wahlkampf, er sei eine Marionette von Linksradikalen und Antifaschisten und er wolle die “amerikanische Freiheit durch linken Faschismus ersetzen”. (Die Welt, 18.08.2020). Der Antikommunismus ist ein Klima, das Faschismus begünstigt.

Wenn ein rechter Propagandist und Politiker durch den smart lächelnden Demokraten Joe Biden ersetzt wird, bleiben viele gesellschaftliche Probleme weiter bestehen, und damit die Gefahr. Ein Donald Trump war möglich, das heißt, ein rechter Politiker, der dem Faschismus den Boden bereitet, ist und bleibt möglich. Auch Joe Biden löst dieses Problem nicht. Seine Rede in Reaktion auf den antidemokratischen Gewaltakt der Erstürmung des Kapitols beinhaltet Aussagen, die ihn als Nationalisten mit militärischen Gedanken kennzeichnen: Dass er das Kapitol eine ‘Festung der Freiheit’ nennt und dabei den Begriff ‘Festung’ nicht reflektiert, ist dabei nicht das Wesentliche. Aber diese Aussagen offenbaren, dass die damit verbundene Haltung keinen Zufall darstellt: „Amerika hat viel erlitten in Kriegszeiten, … wir werden uns wieder durchsetzen. Mag Gott Amerika segnen, mag Gott unsere Truppen schützen, …”

Unter den Rechten, die am und im Kapitol ihre Gewaltatmosphäre verbreiteten, war der Träger eines T-Shirts mit der Aufschrift ‘Auschwitz Camp – Work brings freedom‘ und ein Träger eines selbstgeschriebenen Plakats: ‘It is not over!’ Wie recht er hat, das wird schon an der Frage eines Basketball-Stars deutlich: Den weißen Trump-Anhängern stellte sich keine nennenswerte Polizeimacht entgegen, anders als bei Black-Lives-Matter-Demonstrationen. Man stelle sich nur einmal vor, was in Amerika losgewesen wäre, wenn Menschen mit schwarzer Hautfarbe das Kapitol erstürmt hätten. Die Kräfte der Demokratie haben ganz offensichtlich die Aufgabe, nicht nur dem Rassismus, Antikommunismus, Militarismus und jeglichen Angriffen auf die Menschenrechte entgegenzutreten. Sie haben auch die soziale Spaltung als systembedingt anzugehen. Das große Bündnis hat nur Erfolgsaussichten, wenn es die arbeitende und ins Prekariat abgedrängte Bevölkerung gewinnt.

Titelbild: lev radin/shutterstock.com