Brotlose Kunst

Brotlose Kunst

Brotlose Kunst

Ein Artikel von Frank Blenz

Brotlose Kunst. Dieser Begriff ist immer schon – auch vor Zeiten der Pandemie – als ironisch, sarkastisch gemeintes Mittel der Geringschätzung gegenüber Kultur- und Kunstschaffenden verwendet worden. In der Pandemie wird der Freud’sche Versprecher täglich schmerzhaft spürbar, denn als systemrelevant gelten Menschen der Muse eher nicht. Doch die Künstler sind wichtig, sagen sie, sie begehren auf und machen auf sich aufmerksam – wie zum Beispiel der Sänger Dirk Zöllner. Von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Petition „Kultur ins Grundgesetz“ steht noch weniger als 15 Tage im Raum, es bedarf weiterer Stimmen, damit dieser Antrag überhaupt in der Politik thematisiert wird, findet der Künstler Dirk Zöllner.

„Ich bitte Euch darum, das Anliegen als meine Freunde und kulturvolle Menschen zu unterstützen und zu verbreiten.“

Der Berliner Künstler Dirk Zöllner schreibt das auf seinen Internetseiten und wirbt um Unterschriften, damit die Kunst nicht als brotlos für alle Zeit belächelt werden kann. Er tut es nicht allein, viele seiner Kollegen sind im Boot. Dirk Zöllner ist Sänger, Musiker, Komponist, Buchautor, ein Lebensfreudiger, Hungriger, Zweifelnder, der in diesen Monaten (es wird nebenbei im Februar ein Jahr mit Corona und der Katastrophe drumherum) kraftvoll und öffentlich seinen Fans die Hoch und Tiefs seines Seelenzustandes offenbart. Gerade kämpfen Zöllner und viele seine Kollegen trotz allem noch mehr als sonst. Allein – ihr Engagement, ihre Wortmeldungen finden wenig Platz im Mainstream.

Es ist Zöllners Art, ungeschminkt und dabei stets stilvoll sein Leben, sein Wirken in die Welt zu stellen, und das vor allem aus künstlerisch-philosophischer Sicht: die Musik, die Konzerte, das Leben des Soulsängers aus Ostberlin, die Anekdoten – sie gehören zusammen, sie schaffen die Klänge, die Songs, die Refrains, die Auftritte, das Gefühl auf der Bühne, das Gefühl im Saal, die Aura um den Künstler. Alles zusammen geschieht für das Publikum. Zöllner will nicht, dass das alles verschwindet. Es ergeht ihm wie seinen Kollegen. Einerseits Leere, andererseits kämpfen wollen, müssen. „Ohne uns wird es still“, heißt der Slogan einer deutschlandweiten Künstleraktion gegen das scheinbare Vergessen der Kultur und Kunst in den Plänen der Macher in diesem Land. So bleibt gerade und nicht freiwillig: Das Konzert erklingt trotzig via Internet in die Wohnstube, die Musik via Streaming-Dienst in den Gehörgängen. Die Ausstellung wird virtuell angeboten, die Tanzeinlage ebenso per Videoclip. Das Theaterstück, der Auftritt der Streicher, der Jazzer – alles ohne Publikum.

Die Lage ist schlimm, es muss sich was ändern, auch mit Petitionen, so Zöllner. Die Zeilen der Petition solle man unbedingt lesen, die Anliegen gehörten auf die Tagesordnung, also: die Petition muss Erfolg haben, hoffen die Künstler und formulieren:

Die Freiheit der Kunst wird unter Artikel 5 Abs. 3 des Grundgesetzes geschützt und stellt damit ein Grundrecht dar.

Doch Kunst und Kultur können nur frei sein und ihre gesellschaftliche Aufgabe erfüllen, wenn ihnen die dafür notwendige Achtung und Akzeptanz auf bundespolitischer Ebene entgegengebracht wird. Bislang wird die Kulturförderung in weiten Teilen als freiwillige Aufgabe der Länder und Kommunen betrachtet.

Wir sind jedoch der Überzeugung, dass der Stellenwert von Kunst und Kultur als ein kollektives gesellschaftliches Interesse grundrechtlich geschützt werden muss.

Dies beinhaltet nicht nur den Schutz unseres kulturellen Erbes, sondern auch die Förderung der kulturellen Landschaft in ihrer ganzen Vielfalt.

Kunst und Kultur existieren nicht um ihrer selbst willen, sondern brauchen und suchen den Dialog mit der Bevölkerung, dem Publikum. Jeder Mensch – ungeachtet seiner Lebenssituation oder seiner finanziellen Bedingungen – hat einen Anspruch auf kulturelle Teilhabe. Und obwohl dieses Menschenrecht in der UN-Charta verbrieft ist – zu deren Unterzeichnern die Bundesrepublik Deutschland gehört – sind wir von der Schaffung der dafür notwendigen Chancengleichheit noch sehr weit entfernt.

Wir fordern daher die Bundesregierung dazu auf:

Den Schutz von Kunst und Kultur als Grundrecht im Grundgesetz zu verankern.

Das Recht auf unbeschränkte Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger am kulturellen Leben und an kultureller Bildung als Grundrecht im Grundgesetz zu verankern.

Langfristige stabile Sicherungsinstrumente für Kunst- und Kulturschaffende zu etablieren, sowie ein auf sie zugeschnittenes gesetzliches Regelwerk zu schaffen, das sie vor unverschuldeten Verdienstausfällen schützt.

Alle drei Forderungen sind aus unserer Sicht Obliegenheiten des Staates und der gesellschaftlichen Kräfte.

Dirk Zöllner thematisierte von Beginn der Pandemie an, dass die Zeit für eine Zäsur gekommen sei, eine Zeit der Diskussion, wie es weitergeht im Land der Leistungsgesellschaft, mit all dem Schneller-Höher-Weiter, der Hatz im Hamsterrad. Der Sänger verriet seine sympathische Naivität, zu glauben, zu hoffen, zu verlangen, dass gerade in der Pandemie doch in aller Freundschaft und mit der beworbenen Solidarität inklusive Beifallklatschen und den „Wir-schaffen-das“-Aufmunterungen notwendige Veränderungen auf die Tagesordnung kommen, die schon vor Corona längst fällig waren, denn die Ursachen der Pandemie finden sich auch im Bisher. Er irrte sich mit der Zäsur der Tagesordnungspunkte. Doch Dirk Zöllner gibt nicht auf. Er geht auch ab und an in die Knie, wie er gnadenlos ehrlich zugibt. Kein Auftritte – kein Honorar, kein Honorar – keine Einnahmen, mit denen die Ausgaben bedient werden. Wie lange soll das so gehen, fragt sich nicht nur Zöllner.

Der Musiker und Buchautor tourte bis zum herbstlich-winterlichen Verschluss und Verbot vieler Lebensaktivitäten (genannt Lockdown) durch das Land. Die Auftritte waren alle stets von einem durchdachten und behördlicherseits genehmigten Konzept der Hygiene und Sicherheit flankiert. Und sie waren gut besucht, soweit bei wenigen erlaubten Gästen davon gesprochen werden konnte. Zöllner erlebte die Kultur und Kunst als überaus systemrelevant. Von wegen brotlose Kunst. Seine Besucher saugten die Zeit der kulturellen Abende unter besonderen Bedingungen geradezu auf, sie genossen es, sie tankten Kraft und Zuversicht und taten etwas für ihre Gesundheit. Die seelische vor allem. Dann der erneute Stopp. Basta! Basta? Musik, Lesungen, Theater, Kino, Ausstellungen, Ballett: nein. Industrie, Fußball, Waffenexporte: ja.

Dirk Zöllner hat mehrere Bücher verfasst, sein aktuelles trägt den Titel „Herzkasper“ Eulenspiegel Verlag Berlin). Aus seinem P.S. zitiert, offenbaren sich Zöllners schelmisch formulierte, überaus emphatische Hoffnungen:

Wenn wir die Entscheidungsträger aus dem Pool der guten Herzen und hellen Hirne ausgelost haben, wird vom Minister für soziale Gerechtigkeit als Erstes ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt. Das ist allein schon deshalb empfehlenswert, weil damit die Diener des alten Systems aufgefangen werden und sich deshalb vielleicht leichter für das neue System begeistern lassen. Die Maßlosen unter den Kapitalisten werden begnadigt, dürfen aber nur so viel Geld behalten, dass sie bis zu ihrem biologischen Ende sorglos leben können.

P.S: Dirk Zöllner ist bekannt vor allem im Osten der Bundesrepublik. Das hat auch mit dem Verlauf der Wiedervereinigung zu tun und mit der Haltung zu Künstlern. Um sich einen Eindruck von Zöllners Schaffen zu verschaffen, ist hier der Link zu seiner Band und ihm angehängt.

Titelbild: Vorlockdown-Gastspiel in der Provinz: Dirk Zöllner (rechts) mit Gitarrist André Drechsler und Gastgeberin Doritta Korte vom Colorido-Verein in Plauen

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