Die Erschossene im Kapitol: Eine eigenartig zurückhaltende Medienberichterstattung

Die Erschossene im Kapitol: Eine eigenartig zurückhaltende Medienberichterstattung

Die Erschossene im Kapitol: Eine eigenartig zurückhaltende Medienberichterstattung

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Wie sollen Medien über den Tod einer jungen Frau, die im Kapitol bei der Erstürmung erschossen wurde, berichten? Wer sich in ausländischen Medien informiert, sieht, wie die Berichterstattung aussieht. Es gibt einen Namen. Es gibt Fotos. Es gibt Hintergründe zum Leben der Frau. Und die Umstände des Todes werden genau angesprochen. So erfährt der Mediennutzer zum Beispiel, dass der Sicherheitsbeamte, der die Frau erschossen haben soll, vom Dienst freigestellt wurde. Vom Dienst freigestellt? „Warum das?“ mag sich der geneigte Leser fragen. Und mit dieser Frage beginnt das Problem. Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Noch vor 1 Uhr Ortszeit in Deutschland war auf amerikanischen News-Seiten ein Video zu sehen, das den Tod der Frau zeigt. Sie befand sich im Kapitol mit einer aufgebrachten Menge vor verschlossenen Türen in einen weiteren Bereich des Kapitols. In der Menge waren auch Sicherheitsbeamte. Augenscheinlich steht die Frau an der Tür oder sie klettert an dem Türrahmen ein Stück hoch. Ein Schuss ist zu hören. Die Frau fällt getroffen auf den Boden, blutet aus dem Mund. Später wird man erfahren: Sie ist an der Schussverletzung verstorben.

Müssen Medien das thematisieren? Müssen Medien in dem Fall sagen, „was ist“? Ja, das müssen sie!

Eine Bürgerin der USA wurde im Kapitol erschossen. Das ist eine ziemlich gewichtige Nachricht – und zwar unabhängig davon, ob es sich bei der Erschossenen um eine Trump-Anhängerin handelt oder man den Sturm auf das Kapitol verurteilt. Medien sollten sehr schnell und sehr genau schauen, was es mit diesem Tod auf sich hat, um die Informationen auch an die deutschen Mediennutzer weiterzugeben – im Sinne einer umfassenden Berichterstattung.

Für Medien hierzulande, die umfangreich über die dramatischen Ereignisse in den USA berichtet haben, spielt der Tod von Ashli Babbitt kaum eine Rolle. Am Freitagabend spuckt Google News genau zwei Treffer aus: vom Münchner Merkur und Focus Online. Am darauffolgenden Montagabend sind es 3 Treffer. Zwar führte eine weitere Suche durchaus zu einigen Berichten, doch im Großen und Ganzen fällt auf: Medien hielten sich stark zurück. Während Marietta Slomka an prominenter Stelle direkt zu Beginn des heute journals davon spricht, dass eine „junge Frau“ „starb“, erwähnt sie nicht deren Namen. Sie geht mit keiner Silbe auf die Umstände des Todes ein, sie sagt nicht einmal, dass die Frau durch die Auswirkungen der Kugel, die in sie eingedrungen ist, gestorben ist. In der Frankfurter Rundschau erfährt der Leser immerhin, dass Babbitt „beim Sturm auf das Kapitol erschossen wurde“, doch auch hier keinerlei nähere Informationen zum Umstand des Todes.

Stattdessen ist die Information eingebettet in Zeilen, die voller Sorge darüber sind, dass Babbitt durch ihren Tod „den rechtsextremen Proud Boys oder der bewaffneten Gruppe der „Oath Keepers“ ebenfalls „neues Futter für ihre Propaganda“ liefere. Zwischen den Zeilen lässt sich regelrecht Empörung darüber rauslesen, dass diese rechten Gruppen „Gerechtigkeit für Ashli Babbitt“ fordern (was, sollte sich herausstellen, dass Babbitts Tod ein Verbrechen war, legitim wäre, auch wenn die Forderung von „rechten Gruppen“ kommt).

Ein Spiegel-Artikel, der mit der Überschrift „Der Mob aus dem Paralleluniversum“ versehen ist, geht mit wenigen Worten auf die Erschießung Babbitts ein, fokussiert allerdings nicht auf die genauen Umstände, sondern echauffiert sich darüber, dass größere Plattformen das Video von der Erschießung Babbitts gezeigt hatten – was ein klarer Verstoß gegen deren Richtlinien sei. Anders gesagt: Die Existenz der Videos ist den Spiegel-Autoren bekannt. An dem (überschaubaren) Beitrag haben vier Journalisten mitgewirkt, darunter zwei Absolventen der Henri-Nannen-Journalistenschule.

Ein Video, das auch frühzeitig die Runde machte, zeigt, vorausgesetzt es ist authentisch, die Szene, die später zu Babbitts Tod führen wird, aus einem anderen Winkel. Das Video ist aufgenommen von einer Person, die links in unmittelbarer Nähe von Babbitt steht. Am linken Rand sieht man, wie eine Waffe in Richtung Demonstranten, die vor der Tür stehen, gerichtet ist. Ein Mann im Anzug, der die Waffe in beiden Händen hält (offensichtlich der später vom Dienst freigestellte Polizist), bewegt sich dann mit einem Schritt seitlich in Richtung Tür. Im nächsten Moment feuert er – augenscheinlich – in Richtung Tür (auf Babbitt?). Daraufhin fällt Babbitt getroffen zu Boden.

Über die rechtliche Bewertung dieses Vorgangs werden Juristen entscheiden. Journalisten müssen diese Videos sichten, einordnen und über das Gesehene berichten. Es ist eigenartig, dass viele Medien in Deutschland nicht näher auf die Videos eingehen. Zumal, zumindest aufgrund des augenscheinlichen Geschehens, das Verhalten des Polizisten durchaus auch von Medien kritisch zu betrachten ist.

Warum also berichten Journalisten hierzulande so zurückhaltend über Babbitt und die Umstände ihres Todes? Wer beobachtet hat, wie einseitig und voreingenommen deutsche Medien in den vergangenen Jahren über Trump und seine Wähler berichtet haben, dem drängen sich unangenehme Fragen auf. Hat die widerwillige Berichterstattung vielleicht damit zu tun, dass Journalisten Babbitt als eine „durchgeknallte“ Trump-Anhängerin betrachten (So wie alle Trump-Anhänger nur „durchgeknallt“ sein müssen. Siehe Relotius-Reportage im Spiegel.)? Berichten Medien (mal wieder) nicht umfassend aufgrund einer gefühlten höheren „Verantwortung“ heraus (schließlich will man „so eine“ ja nicht durch zu viel Aufmerksamkeit zur Märtyrerin machen)?

Ja, diese Fragen sind schmerzhaft. Aber welche journalistischen Gründe könnte man anführen, dass Journalisten in deutschen Medien kaum ein Interesse daran haben, die Umstände des Todes näher zu thematisieren? Warum gehen sie auf die Videos nicht im Detail ein? Journalistisch lässt sich diese Berichterstattung nicht glaubhaft rechtfertigen – allenfalls weltanschaulich.

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